Eine sehr interessante Diskussion; ich wollte mich mangels Detailkenntnissebn zur Archäologie der Irokelten erstmal heraushalten, bevor ich den Birkhan wieder zur Hand hatte.
Ein Grundproblem dieser Diskussion scheint mir, dass die La Téne-Kultur quasi synonym mit der "klassischen" keltischen Kultur gesehen wird. Ich denke, dass dies nicht korrekt ist, werden dabei doch die politischen, geografischen und kulturellen Umstände, die zur Entstehung der "Oppida-Kultur" (ein Begriff, den ich angesichts der kennzeichnenden Zentralorte treffender finde) führten. Die oft schwer befestigten britischen "hillforts" sollte man, so denke ich, auch nicht mit den von den mediterranen Städtekulturen inspirierten, präurbanen "Oppida" nicht gleichsetzen.
Jetzt aber mal zum Problem der Festland- und Inselkelten. Birkhan schreibt u.a. folgendes dazu:
"Auch heute noch bleiben die drei unbefriedigend beantworteten Königsfragen der inselkeltischen Sprach- und Altertumswissenschaft: (1) wie die Kelten (oder das Keltische) auf die Britischen Inseln gekommen seien, (2) wie die sprachlichen Verhältnisse vor der Ankunft des Keltischen gewesen seien und (3) wie und wann sich das Keltische in die beiden Sprachzweige Goidelisch und Britannisch geteilt habe." (Die Kelten, S. 387)
Im folgenden Abschnitt befasst er sich mit der linquistischen Herangehensweise O'Rahillys im Werk "Early irish history und mythology" (1946). Dieser geht laut Birkhan davon aus, dass die erste Einwanderung durch p-keltische Stämme geschah. Dabei ist anzumerken, dass O'Rahilly sich darauf einließ, dass den Gründungssagen im "Lebor Gabala" ein realer historischer Kern zugrundelag. Er nimmt demgemäß - auch aufgrund des Namensbestands vier Einwanderungswellen zwischen 400 und 50 v. Christus an. Birkhan verweist - mit Recht darauf - dass sich O'Rahillys Erkenntnisse nicht archäologisch verifizieren lassen.
Der hallstattzeitliche Einfluss auf die britischen Inseln sei insgesamt gering (S. 389) und beziehe sich mehr auf lokale Nachahmungen von Hallstattformen. Insgesamt ergeben sich aus dieser Zeit wenige Befunde, die aber darauf hinwiesen, dass auf den britischen Inseln die Brandbestattung länger praktiziert wurde. Als erste sicher als keltisch identifizierbare archäologische Kultur nimmt er die "Arras-Kultur" (es ist nicht das nordfranzösische, sondern ein britisches Arras gemeint!).
Arras culture - Wikipedia, the free encyclopedia
Dann heißt es weiter: "Es ist psychologisch verständlich, dass gerade britische Archäologen die Vorstellung von einer Invasion ihrer Insel perhorreszieren und es fällt ihnen leicht genug, die archäologisch nachweisbare Verbreitung von Altsachen auf Handel (auch: Konnubien, Reiselust, religiöse Pilgerfahrten) zurückzuführen, aber eine Srpache, inklusive der grammatischen Morphologie - und nicht nur einzelne oder auch viele Wörter - kann wohl nicht allein durch Händler übertragen werden....
Eine Sprache kann aber wohl durch eine kriegerische aristokratische Gesellschaft übertragen werden - auch ohne Masseneinwanderung - jedoch in einem längerdauernden Prozess, der auch die Bereitschaft der Unterlegenen voraussetzt, sich die Sprache der Oberschicht anzueignen." (S. 394).
Für Birkhan ist die keltische Einwanderung durch historische und archäologische Funde am Besten anhand der Einwanderung der Belger und durch die "Aylesford-"Kultur in Südengland fassbar. Weiter heißt es: "Für alles, was außerhalb dieser beiden Kulturen liegt (Anm.: Arras + Aylesford), sind die Verhältnisse nicht so einfach (S. 397).
Dann schreibt er zu Irland:
"Was Irland betrifft, taucht immer wieder die Vermutung einer Direkteinwanderung aus der Aremorica auf. Vor allem den seetüchtigen Venetern mutet man die Landnahme auf der Grünen Insel zu. Doch sind jetzt die Argumente nicht mehr namenskundlicher Art, wie im Werk O'Rahillys, sondern latènestilistischer Art, die man an gewissen Übereinstimmungen etwa bei ornamental gestalteten Steinen feststellen will. Die Mehrheit der Archäologen bleibt aber skeptische." (S. 398).
Birkhan nimmt die durch Ptolemäus überlieferten Ortsnamen als authentisch an und schließt daraus: "Man muss wohl mit punktueller Landnahme durch Seeräuber und der Bildung kleiner Kolonien rechnen, die archäologisch wahrscheinlich nie fassbar sein werden." (S. 399).
Danach geht er auf Formen der materiellen Kultur ein, wobei deutlich wird, dass es auch in Irland im Formenkreis individueller Funde durchaus Übereinstimmungen mit britischer und festlandkeltischen La Tène-Stücken gibt.
Was die hier auch diskutierte Frage der Befestigungen geht, so verweist er gegenüber den britischen Hillforts auf die irischen "ringforts", von denen es "dreißig- bis vierzigtausend" gebe, deren "Errichtung in einen Zeitraum von über 2000 Jahren fällt." Einige Anlagen, die er aufgrund der archäologischen Datierung in die keltische Zeit rechnet: Moghane, Dun Aengus, Knockbrack, Cornashee, Raffin, Dunbeg, Doon, Tory Island, Tara, Navan Fort, Staigue Fort, Cahermacnachten, Ailleach.
Man sieht also, dass Birkhan zwar eine keltische Einwanderung für unumgänlich hält, dass aber die Indizienlage schwierig ist.
Dann habe ich noch einen Aufsatz von dem bereits hier erwähnten Barry Raftery bekommen ("Ireland - A world without the Romans").
Raftery lehnt in der Tat ab, dass es in Irland zu einer Keltisierung schon in der Hallstattzeit kam ("No population change is implied by the archaeological evidence.", S. 638).
Allerdings sieht er - anders als zuvor behauptet - durchaus eine Verbreitung der La Tène-Kultur in Irland, inklusive einer nativen, regionalen Ausprägung. Für ihn stellt aber ein großes Problem dar, dass in Südirland zwar hillforts existieren, aber keine La Tène-Funde. Nicht völlig unberechtigt scheint er die Oppida/Hillforts als kulturtragendes Element von La Tène anzusehen.
Hier noch die Zusammenfassung des leider knappen Aufsatzes:
"Despite the fact, that Ireland is generally regarded today as the Celtic country par excellence it is somewhat ironic that the archaeology of the period is so vaguely defined and so fraught with ambigiuties. Hallstatt and La Tène, as defined on the European mainland, are terms of only marginal significance for Irish cultural developments in the last half-millennium or so BC. Despite some spectacular metalwork we know little of everyday society during this period. Debate continues as to the source or sources of the influences which underlie our native Iron Age without a general consensus emerging.
It seems, however, abundantly clear, that the ethnic stability of Ireland was not disturbed to any significant extent during the las pre-Christian mlllennium. Thus we return to the persisten conundrum of establishing the date, and defining the means, by which Ireland became Celtic."
Den vorletzten Satz habe ich mal hervorgehoben, um daran meine eigene Meinung zu Raferty anzuschließen:
- Raferty sieht - zwar m.E. zurecht - dass materielle La Tene-Einzelfunde, insbesondere Metallfunde - weniger signifikant sind als Oppida und Siedlungen. Allerdings verwiesen die deutschen Archäologen in den letzten Jahren zu Recht darauf, dass die Entwicklungen der keltischen Kulturen in Frankreich und Deutschland und auch der Oppida sehr stark durch die Kontakte und den Handel mit den mediterranen Zivilisationen bestimmt waren. Irland war aber mehr oder weniger ein stark isolierte Randzone in der Antike, selbst zurzeit der römischen Präsenz in Britannien. Daher sehe ich es nicht als zwingend an, dass sich Oppida und Zeugnisse der sonst so prägnanten gallo-römischen Religion auch in Irland wiederfinden müssten.
- Seine Erkenntnisse stehen meiner Meinung nach nicht in Widerspruch zu Theorien, nach denen sich zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen 500 v. Chr. und 0 doch eine keltische Aristokratie in Irland festsetzte. Er räumt ja - im Zusammenhang mit den Metallfunden - ein, dass es eben doch eine Kriegeraristokraite gab: "It is the ruling elite who are reflected most clearly in the archaeological remains. The existence of a warrior aristocracy is certainly implied by the iron swords and the ornate scabbards referred to above." (S. 641).
- Raferty argumentiert aus einer Sichtweise, die sehr stark ethnische Erkenntnisse aus archäologischen Befunden herleitet. Diese "siedlungsarchäologische Perspektive" ist in Deutschland in den letzten 15 Jahren sehr stark in die Kritik geraten, wenn auch mehr auf die Germanen bzw. das Frühhmittelalter bezogen. Da diese Kritik jedoch in erster Linie eine methodische ist, sollte man ihre Argumente auch bei anderen Kulturkreise/Epochen einbeziehen.
- Interessant finde ich, das weder Birkhan noch Raferty auf die Keramik als häufigste Fundgattung eingehen.