Erbfolge bei den Askaniern in Brandenburg

Brissotin schrieb:
Gab es zu dem Erbe eine vertragliche Regelung und war diese vom Kaiser anerkannt worden? Waren solche Regelungen notwendig im Reichsrecht?

Mir ging es vor allem darum klar zu machen, dass auch Kaiser und Reich an lehnsrechtliche Bestimmungen gebunden waren und Verstöße dagegen als Unrecht betrachtet wurden, gegen das der Adel Klage erheben konnte...

Hmm, dann müsste man mal die lehnsrechtliche Stellung der Mark Brandenburg im Reich überhaupt einmal betrachten. Albrecht "der Bär" wurde 1134 von Kaiser Lothar de jure mit der Nordmark belehnt, welche der Bär de facto wohl schon seit dem Tod Konrad von Plötzkaus (+1133) inne hatte. Etwahige Ansprüche von Konrad's Bruder Graf Bernhard II. von Plötzkau (+1147) spielten dabei anscheinend keine Rolle.
Im Jahre 1220 hatte Kaiser Friedrich II., aufgrund der Unmündigkeit der Markgrafen Johann I. und Otto III., seine Lehnsvormundschaft an den Erbischof von Magdeburg abgetretten. Ein Jahr später aber kaufte die Mutter der beiden Markgrafen dem Erzbischof die Vormundschaft wieder ab und führte diese mit Graf Heinrich I. von Anhalt (einem Askanier) bis zur Mündigkeit ihrer Söhne aus.
Markgraf Johann I. wurde 1231 (wie vermutlich auch sein Bruder) wieder kaiserlich belehnt.
Wenn diese kaiserliche Oberlehnsherrschaft bis zum Tode Markgraf Waldemars (+1319) bestand hatte so war die Einziehung dieses Lehen durch Kaiser Ludwig "dem Bayer" doch durchaus rechtmäßig.

Albrecht-1-der Bär Markgraf von Brandenburg + 1170
Ott III. (Brandenburg) - Wikipedia
Johann-1-Markgraf von Brandenburg + 1266

Dieter schrieb:
Fraglich bleibt aber hier, ob solche Erbverträge das Recht des Kaisers auf Einzug von Reichslehen behindern konnten???

Zur Zeit Kaiser Ludwig des Bayern wohl nicht. Wie schon weiter oben von Brissotin angesprochen, konnte z.B. 60 Jahr zuvor Heinrich der Erlauchte die Ludowinger in Thüringen erst dann beerben nachdem Kaiser Friedrich II. ihn 1243 in einer Eventualbelehnung mit der Landgrafschaft bedacht hatte die 1247 (Tod Heinrich Raspes) wirksam wurde. Ergo hätte der Kaiser die Landgrafschaft auch als erledigt einziehen können.

heinrich_3_der_erlauchte_markgraf_von_meissen_+_1288
 
Wenn diese kaiserliche Oberlehnsherrschaft bis zum Tode Markgraf Waldemars (+1319) bestand hatte so war die Einziehung dieses Lehen durch Kaiser Ludwig "dem Bayer" doch durchaus rechtmäßig.

Diese Logik entspricht leider nicht dem Reichsrecht und den tatsächlichen Lehnsverhälnissen.

Der Kaiser war immer und im ganzen Reich kraft seines Amtes oberster Lehnsherr. Dieses kaiserliche Privileg war an keine zeitliche Begrenzung gebunden und untrennbarer Ausdruck kaiserlicher und imperialer Herrschaft.

Ergo hätte der Kaiser die Landgrafschaft auch als erledigt einziehen können.

Das haben wir oben bereits festgestellt: Starb eine Familie aus, so hatte der Kaiser das unbestrittene Recht, ein Reichslehen als erledigt einzuziehen, und es erneut zu verlehnen.

Die Frage hier ist jedoch, wie er verfahren musste (oder konnte?), wenn die Familie zwar in einer regierenden Linie ausstarb, in anderen Territorien aber weitere Linien dieses Adelshauses existierten.
 
Wir haben die wahrscheinlichen Gesetzmäßigkeiten doch schon ganz gut eingegrenzt.
Ich befürchte, das ist nicht ganz richtig.
Die in dieser Diskussion zitierten Beispiele sind recht wild durch die Jahrhunderte verteilt sind und es fehlen m. E. noch wesentliche Belege dafür, wie und wann sich schrittweise die Sichtweise änderte.

Wir haben hier ja einen kontinuierlichen Prozeß von Frühmittelalter bis zur Neuzeit.

Ganz am Anfang ist es noch so, daß Lehen beim Todesfall des Vasallen vom Lehnsherren eingezogen und neu vergeben werden können.
Relativ schnell wird es aber üblich, daß der Lehnsherr die Erbfolge von Vater auf den Sohn respektieren muß.
Das wird dann weiter gedehnt auf Brüder oder andere nahe männliche Verwandte - aber das ist m.E. reines Gewohnheitsrecht, nicht durch explizite Regeln abgesichert wie die Folge von Vater auf Sohn.
Und ganz am Ende (18. Jahrhundert) sind die Lehen fast komplett erblicher Besitz und können trotz des theoretisch immer noch vorhandenen Vorbehalts des Lehnsherren in Erbverträgen verschachtert werden.

Ich bezweifele daß es Regeln gab, in denen zwischen Erbfolge in der engeren männlichen Verwandschaft und der zu einer anderen Linie desselben Adelshauses genau unterschieden wurde. Ob man überhaupt von einer anderen Linie spricht oder nur von Verwandten hängt ja oft weniger von den konkreten Abstammungsverhältnissen und der Distanz zum gemeinsamen Stammvater ab, sondern davon, ob der Familie genügend Masse da war, um eine Sekundogenitur mit einer eigenen Herrschaft zu versorgen.

Eigentlich ist es ja nicht so, daß so eine Adelsfamilie "ausgestorben" ist. Die waren letztlich alle miteinander versippt.
Maximal wurde eine männliche Linie beendet, d.h. jemand starb ohne Sohn.
Das kam wiederum sehr häufig vor, auch bei Familien, die man als ununterbrochen wahrnimmt, weil dann gleich ein Bruder oder Onkel weitermachte.
Es ist oft nur die äußere Wahrnehmung, ob ein Nachfolger als Mitglied derselben Familie gilt, oder als andere Linie, oder als eine völlig andere (aber natürlich verwandte) Familie.

Ich kann mich auch an Beispiele erinnern, wo für Lehen Vorkaufsklauseln oder ein Rückkaufsrecht des Lehnsherrn vereinbart war - er hatte also noch deutlich stärker die Finger drin als nur die Erbschaft abzunicken.

Außerdem war das ja alles nicht so sauber juristisch abgegrenzt wie im heutigen Recht.
Theoretisch durfte der Kaiser wohl sehr viel, auch ein Lehen mit weiter entfernten Verwandten als erledigt einziehen und neu vergeben.
Ob er es praktisch auch durfte war eine Abwägungssache. Das hing wohl auch davon ab, wie lange das Lehen schon im Besitz der Familie war, wie eng der Verwandschaftsgrad zur anderen Linie war - und durchaus auch davon, ob diese Linie sich ansonsten loyal und engagiert erwiesen hatte (das würden wir heute als politisch, nicht als juristisch bezeichnen).


Zur Ausgangsfrage würde ich also sagen:
Ja, der Kaiser durfte.

Das Lehen war erledigt, er hat es neu vergeben - und die Ansprüche irgendwelcher anderen Linien wurden offenbar nicht als so hochwertig eingestuft, daß sich gegen die Neuvergabe großer Protest erhoben hätte.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Weil die in dieser Diskussion zietierten Beispiele recht wild durch die Jahrhunderte verteilt sind und m. E. noch ganz wesentliche Belege dafür fehlen, wie und wann sich schrittweise die Sichtweise änderte.

2. Wir haben hier ja einen kontinuierlichen Prozeß von Frühmittelalter bis zur Neuzeit.

3. Ich bezweifele daß es Regeln gab, in denen zwischen Erbfolge in der engeren männlichen Verwandschaft und der zu einer anderen Linie desselben Adelshauses genau unterschieden wurde.
1. Joinville und ich beziehen uns in der Regel auf Erbfälle des 13. und 14.Jh., wir bleiben also schon zeitlich konkret und nahe, wobei wir auch sogar zumeist in der Region nach ähnlichen Fällen suchen.

2. Da gebe ich Dir Recht.

3. Hierzu sagte schon Dieter etwas. Allerdings entwickelte sich eine juristische Fixierung eher nach dem eingetretenen Erbfall im 14. Jh., der Gegenstand unserer Diskussion ist. Die bedeutensten Fortschritte gab es dann sicherlich in der Frühen Neuzeit.
Sicherlich muss man den rechtlich vorhandenen Anspruch des Königs/Kaisers von dem machtpolitisch machbaren Rahmen getrennt sehen. Hatte ein Herrscherhaus innerhalb des Reiches mächtige "Erben", so war der König oder Kaiser zögerlicher. Eigentlich liegt der bedeutenste Fall, dass ein Kaiser das Gebiet eines wirklich mächtigen Reichsfürsten eingezogen hatte zum Zeitpunkt des hiesigen Falles schon lange zurück, das war nämlich bei Heinrich dem Löwen im 12.Jh. gewesen. Ansonsten ließen sich mächtige Familien in der politischen Realität nicht einfach durch Einzug eines Gebietes zurückdrängen. Das Beispiel der Wettiner (die Nachfolger und Söhne Albrecht des Entarteten) ist dafür ja besonders bezeichnend. Allerdings standen die Askanier im Hzm. Sachsen diesen Wettinern an Einfluss scheinbar deutlich nach, auch wenn sie als Herzöge mehr Ansehen durch einen höheren Titel genossen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Außerdem war das ja alles nicht so sauber juristisch abgegrenzt wie im heutigen Recht.
Das würde ich so nicht sagen, aufgrund evtl. fehlender Codifikation mangelte es den Menschen ja nicht an entsprechender Rechtskenntnis. Vielleicht hat der Wandel auch etwas mit dem Einzug des röm. Rechts zu tun. Nur mal so als Gedanke. :)
 
Das würde ich so nicht sagen, aufgrund evtl. fehlender Codifikation mangelte es den Menschen ja nicht an entsprechender Rechtskenntnis. Vielleicht hat der Wandel auch etwas mit dem Einzug des röm. Rechts zu tun. Nur mal so als Gedanke.
Aber war dies schon zu der hier wichtigen Zeit abgeschlossen bzw. genügend auf den Weg gebracht?
 
1. Joinville und ich beziehen uns in der Regel auf Erbfälle des 13. und 14.Jh.,
Sehr vorbildlich ;-)
Aber Ihr Beide seid ja nicht die ganze Diskussion, und ich meinte hier z. B. Sachen wie Rückgriff auf Heinrich den Löwen einerseits und Erbverträge im 18. Jahrhundert andererseits.

Ansonsten gebe ich Dir völlig recht, Dieters Eingangsbeispiel markiert eben auch ein Stück Rechtsentwicklung (bzw. schließt eine Phase ab).
 
aufgrund evtl. fehlender Codifikation mangelte es den Menschen ja nicht an entsprechender Rechtskenntnis.
Richtig.
Ich würde sogar sagen: Gerade weil (noch) nicht alles detailliert in einem Gesetz stand, hatten die Menschen eher ein besseres Rechtsverständnis.

Wenn wir für diese Epoche "Darf der Kaiser das" diskutieren, dann müssen wir uns etwas vom heutigen Rechtsverständnis lösen.
Es gab einiges an schriftlichen Quellen zum Lehnsrecht - aber es war eben nicht so, daß ein Jurist eindeutig aus Gesetz, Paragraph, Nebensatz ableiten konnte, ob der Kaiser das nun darf, und wenn das Komma im Halbsatz zwei Worte später steht, darf er es nicht.

Sondern das lief eher wie im angelsächsischen "case law": Es gab allgemeine Regeln, es gab Präzedenzfälle, wie Kaiser vorher entschieden hatten, es gab die mehr oder weniger überzeugenden Ansprüche diverser Anwärter.
Und dann mußte nach common sense abgewogen werden, so daß das Ergebnis möglichst allgemein als fair und akzeptabel gelten würde.

Ein Kaiser war halt gleichzeitig Richter und Politiker: Er hatte juristisch mehr Spielräume, als er praktisch durchsetzen konnte.
 
R.A. schrieb:
...
Theoretisch durfte der Kaiser wohl sehr viel, auch ein Lehen mit weiter entfernten Verwandten als erledigt einziehen und neu vergeben.
Ob er es praktisch auch durfte war eine Abwägungssache. Das hing wohl auch davon ab, wie lange das Lehen schon im Besitz der Familie war, wie eng der Verwandschaftsgrad zur anderen Linie war - und durchaus auch davon, ob diese Linie sich ansonsten loyal und engagiert erwiesen hatte (das würden wir heute als politisch, nicht als juristisch bezeichnen).
...

Ja, vor allem war es auch eine machtpolitische Frage. Denn eine ähnliche Situation wie in Brandenburg 1319 gab es schon einmal.

1123 belehnte Kaiser Heinrich V. seinen Gefolgsmann Wiprecht von Groitzsch mit der Mark Meißen, nach dem Tod des Vorgängers Heinrich II. aus der Wettiner-Sippe. Dabei ließ er dessen Vetter Konrad in der Nachfolge außer acht. Scheinbar also gehörte es für Heinrich V. zum herrscherlichen Selbstverständnis Lehen an eine andere Sippe zu vergeben obwohl Verwandte des Verstorbenen Amtsinhabers existierten. Was wohl daran lag das der Wettiner Konrad einfach nicht die Gunst des Kaisers besaß, im Gegensatz zu seinem Vetter Heinrich II. und Wiprecht.
[Im Falle Kaiser Ludwigs IV. lag die Motivation schlicht darin sein eigenes Haus zu stärken und belehnte seinen Sohn mit Brandenburg]

Dafür aber genoss Konrad diese in des Kaisers mächtigem Gegenspieler Herzog Lothar von Sachsen. Dieser ignorierte die kaiserliche Belehnung und belehnte wiederum Konrad mit Meißen. Letzten Endes konnte sich der herzögliche Prätendent gegen den kaiserlichen durchsetzten.
[die sächisch-wittenbergischen Askanier hingegen verfügten (seit 1322 Mühlhausen) über keinen mächtigen Fürsprecher der ihre Ansprüche auf Brandenburg auch hätte durchetzten können]
 
Zuletzt bearbeitet:
Theoretisch durfte der Kaiser wohl sehr viel, auch ein Lehen mit weiter entfernten Verwandten als erledigt einziehen und neu vergeben.

Das ist so nicht ganz zutreffend. Noch im Frankenreich erhielt der Beliehene nur ein lebenslanges Nutzungsrecht, wie oben schon bemerkt. Dann begann sich zugunsten der Vasallen die Erblichkeit durchzusetzen, d.h. beim Tode des Vasallen musste das Lehen an seine Erben wieder ausgegeben werden.

Das deutsche Lehnrecht übernahm diese Praxis, nach der der König bzw. Kaiser dem Reiche anheimfallende Fürstenlehen "binnen Jahr und Tag" wieder ausgeben musste (Leihezwang). Durch diesen Satz des deutschen Verfassungsrechts wurde verhindert, dass das Königtum seine Macht durch Einziehung von Lehen konzentrieren konnte. Auf der anderen Seite wurde durch den Leihezwang der Ausbau der Territorialgewalt gefördert.

Der Kaiser war war trotz seines imperialen Glanzes dem Recht und Herkommen unterworfen. Er konnte nicht willkürlich dem geltenden Recht und dem überlieferten Herkommen entgegenhandeln. Gegen den König, der das Recht brach, gab es das "Recht des Widerstands". Herrscher und Volk verband ein Treueverhältnis, woraus sich die Verpflichtung des Volks ergab, dem Herrscher Folge zu leisten. Herrscher und Volk waren in gleicher Weise dem Recht verpflichtet.

Beim Lehnrecht gab es seit dem Ende des 13. Jh. feste Rechtsnormen. Es wurde in den Land- und Lehnrechtsbüchern aufgezeichnet, aber auch in besonderen Gesetzen geregelt. Grundlage waren der Sachsenspiegel, der Schwabenspiegel und der Frankenspiegel. Spätere Einflüsse kamen aus Oberitalien, wo Juristen das so genannte "lombardische Lehnrechtsbuch" entworfen hatten, das aber auf altem deutschen Lehnrecht basierte.
 
@Dieter:
Ich gebe Dir komplett recht und sehe da auch keinen Widerspruch zu dem, was ich sagen wollte (ob ich das auch so verständlich formuliert habe, ist wie üblich eine andere Frage ;-).

Selbstverständlich gab es diese lehnsrechtlichen Bestimmungen, an die der Kaiser auch gebunden war.

Aber diese waren eben nicht so detailliert, daß ein Fall wie von Dir eingangs geschildert eindeutig entscheidbar war - da hatte der Kaiser eben einen Ermessensspielraum.

Die Fälle "erledigtes Lehen" gab es auf Reichsebene ja so häufig nicht, die Präzedenzfälle unterschieden sich in diversen Details (insbesondere der Verwandschaftsnähe von Erbinteressenten) und der letzte brauchbare Präzedenzfall lag im Zweifelsfall schon einige Generationen zurück und man mußte überlegen, welche allgemeinen Änderungen im Rechtsverständnis nun darauf zu übertragen sind.
 
Tekker schrieb:
Ist das so richtig? Muß es nicht "Römisch-Deutscher Kaiser" bzw. "Deutscher König" heißen?
Nein, für diese Phase der deutschen Geschichte stimmt das schon, denn schon die Staufer nannten sich "Römischer König" solange sie noch nicht zum Kaiser gekrönt waren. Für Konrad III. (1138-1152) weiß ich das sicher. Somit spielte das Krönungsszenario zum Kaiser für Machtentfaltung des gewählten Königs seit dieser Zeit keine entscheidende Rolle mehr, da Konrad mit dem von ihm eingeführten Titel klar stellte, daß er auch ohne Kaiserkrönung die volle Macht im Reich für sich beanspruchte - also wie ein Kaiser.

Dieter schrieb:
Darauf kam es schon an, denn schließlich war das Reich kein rechtsfreier Raum,und wer gegen geltendes Recht verstieß, konnte beim Reichshofgericht bzw. nach 1495 beim Reichskammergericht verklagt werden...

R.A. schrieb:
Zur Ausgangsfrage würde ich also sagen:
Ja, der Kaiser durfte.
Würde ich auch sagen, denn oben in meinem Link stand ja lediglich - "er zog das Mißtrauen der Reichsfürsten auf sich", was aber nicht nicht heißt, daß er gegen geltendes Recht verstieß, denn in einem solchen Fall hätten die Fürsten wohl nicht gezögert und hätten ein solches Verfahren, wie du es ansprachst, Dieter, gegen Ludwig eingeleitet. Daß sie es nicht taten, zeigt mir, daß Ludwig seinen "Ermessensspielraum" - wie R.A. es nannte - nutzte. Von daher - meine Zustimmung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist so nicht ganz zutreffend. Noch im Frankenreich erhielt der Beliehene nur ein lebenslanges Nutzungsrecht, wie oben schon bemerkt. Dann begann sich zugunsten der Vasallen die Erblichkeit durchzusetzen, d.h. beim Tode des Vasallen musste das Lehen an seine Erben wieder ausgegeben werden.
...

Stellt sich nun die Frage inwiefern entfernte Vettern als Erben gelten konnten.
In unserem Fall wäre das Herzog Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg der nach dem Tode seines Cousins vierten(!) Grades Markgraf Heinrich II. von Brandenburg tatsächlich Anspruch auf die Mark erhob weil er meinte als Askanier einen solchen Anspruch besitzen zu können. Mit diesem Anspruch stieß Rudolf nicht nur bei Kaiser Ludwig IV. auf taupe Ohren, die hatte Kaiser Karl IV. 1350 ebenso, womit sich Rudolf schließlich abfinden musste.

R.A. schrieb:
Zur Ausgangsfrage würde ich also sagen:
Ja, der Kaiser durfte.

Barbarossa schrieb:
Würde ich auch sagen,...

Deshalb schließe ich mich meinen Vorrednern an.
Sowohl Markgraf Heinrich II. (+1320) als auch dessen Vormund Markgraf Waldemar (+1319) hinterließen keinen Erben, weder Söhne noch Brüder, welche bei einer Neubelehnung der Mark hätten besonders berücksichtigt werden müssen. Herzog Rudolf's I. von Sachsen entfernte Verwandtschaft zu ihnen, auch wenn er dem gleichen Adelsgeschlecht zugehörig war, räumte ihm keine besondere Bevorzugung in der Nachfolge ein als einem der nicht den Askaniern angehörte.
 
Insgesamt volle Zustimmung.
auch wenn er dem gleichen Adelsgeschlecht zugehörig war,
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß "Adelsgeschlecht" keine wirklich sauber definierte oder juristisch verwendbare Kategorie ist.
Es ist in vielen Fällen recht willkürlich, ob jemand sich selber oder von anderem einem "gleichen Adelsgeschlecht" zugeordnet wird (verwandt waren diese Familien ja sowieso alle irgendwie).
 
Stellt sich nun die Frage inwiefern entfernte Vettern als Erben gelten konnten.
In unserem Fall wäre das Herzog Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg der nach dem Tode seines Cousins vierten(!) Grades Markgraf Heinrich II. von Brandenburg tatsächlich Anspruch auf die Mark erhob weil er meinte als Askanier einen solchen Anspruch besitzen zu können.

Anspruch auf Belehnung erhoben nicht nur die Herzöge von Sachsen-Wittenberg, sondern auch die andere noch blühende askanische Linie, nämlich die Fürsten von Anhalt.

Deshalb schließe ich mich meinen Vorrednern an.

Es scheint in der Tat so zu sein, dass der Kaiser beim Aussterben der regierenden Linie eines Territoriums frei verfügen konnte. Er musste zwar das Reichslehen aufgrund des Leihezwangs "über Jahr und Tag" ausgeben, konnte damit aber sowohl eine verwandte bzw. abgespaltene Linie belehnen, als auch eine völlig fremde Dynastie.

Abhängig war das gewiss von politischem Kalkül (wie oben mehrfach betont) als auch von der Macht einer möglicherweise übergangenen Linie, die sich zurückgesetzt fühlen konnte.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß "Adelsgeschlecht" keine wirklich sauber definierte oder juristisch verwendbare Kategorie ist.

Das stimmt nicht ganz. Es gab (und gibt) minuziöse Stammbäume, nach denen sich die Reihen- bzw. Rangfolge der Erben genau berechnen lässt. Das praktizierte man auch im Mittelalter mit großer Intensität, denn im Sterbefall gab es beim Adel Allode und private Besitztümer, die in präzise errechneter Erbfolge den Berechtigten zugeteilt wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Anspruch auf Belehnung erhoben nicht nur die Herzöge von Sachsen-Wittenberg, sondern auch die andere noch blühende askanische Linie, nämlich die Fürsten von Anhalt.
...

Ja, neben Rudolf I. von Sachsen waren es dessen Vettern Albrecht II. und Waldemar I. von Anhalt-Zerbst.? Die Askanier unterstützten dabei ihren "falschen Onkel Waldemar", der wohl der Einzige unter ihnen war der wirklich von diesem Streit profitiert hatte.:O
Neben den wittenbergischen und anhaltinischen Askaniern gab es übrigens noch die Linie der Grafen von Orlamünde die ebenfalls von Albrecht dem Bären abstammten.
 
Ja, neben Rudolf I. von Sachsen waren es dessen Vettern Albrecht II. und Waldemar I. von Anhalt-Zerbst.? Die Askanier unterstützten dabei ihren "falschen Onkel Waldemar", der wohl der Einzige unter ihnen war der wirklich von diesem Streit profitiert hatte.:O
Neben den wittenbergischen und anhaltinischen Askaniern gab es übrigens noch die Linie der Grafen von Orlamünde die ebenfalls von Albrecht dem Bären abstammten.

Gut recherchiert, Joinville!

So schnell habe ich hier die parallelen Namen der Fürsten von Anhalt nicht gefunden und von den Grafen von Orlamünde wusste ich nichts! :yes:
 
Es gab (und gibt) minuziöse Stammbäume, nach denen sich die Reihen- bzw. Rangfolge der Erben genau berechnen lässt.
Selbstverständlich, die Verwandtschaftsverhältnisse waren bestens bekannt.

Offenbar habe ich mich schlecht ausgedrückt.

Was ich meinte: Ob man nun sagen, ein Adliger gehöre zum "Adelshaus X" oder zum "Adelshaus Y", das ist oft nicht eindeutig definierbar.

Wenn eine Familie nach mehreren Generationen immer noch als "Seitenlinie" geführt wird, dann heißt das im Prinzip, sie war nicht erfolgreich genug, um sich durch Erwerb von Besitz oder Titeln einen eigenen Namen zu machen.

Ich kenne mich bei den Askaniern nicht aus.
Aber es würde mich nicht überraschen, wenn es außer den von Dir erwähnten als "askanisch" geltenden zwei Linien noch mehr Familien gab, die genauso eng (Cousin vierten Grades ist ja schon ziemlich weit weg) dran waren, aber eben unter "Hohenzollern" oder "Welfen" oder was auch immer liefen.

Wobei natürlich theoretisch so eine Familienbezeichnung nur direkt in männlicher Linie vererbt wird und damit eine klare Zuordnung über alle Generationen da war.
Aber entgegen der Theorie sprang die Bezeichnung eben auch mal auf angeheiratete Linien über.

Das bekannteste Beispiel (natürlich viel später) sind die Habsburger, die mit Maria Theresia ja eigentlich ausgestorben waren, man aber schnell vergaß, daß die Dynastie eigentlich nun die der Lothringer war.
 
Wenn eine Familie nach mehreren Generationen immer noch als "Seitenlinie" geführt wird, dann heißt das im Prinzip, sie war nicht erfolgreich genug, um sich durch Erwerb von Besitz oder Titeln einen eigenen Namen zu machen..

Das stimmt so nicht. So führte z.B. die capetingische Seitenlinie der Valois Jahrhundertelang ein Schattendasein, bis sie schließlich durch Erbfall zur regierenden Königslinie aufstieg. Gerade bei der großen Sterblichkeitsrate im MA konnte eine blühende Linie von heute auf morgen aussterben und eine unbeachtete Nebenlinie plötzlich auf den Thron gelangen.

Aber es würde mich nicht überraschen, wenn es außer den von Dir erwähnten als "askanisch" geltenden zwei Linien noch mehr Familien gab,

Das würde mich sehr überraschen. Es gibt eine Fülle dickbändiger Wälzer, die wirklich alle Verzweigungen bis ins hundertste Glied aufführen, und zwar Literatur aus dem MA. Vor allem beim Reichsadel gab's da keine "vergessenen" erbberechtigten Zweige.
 
...
Ich kenne mich bei den Askaniern nicht aus.
Aber es würde mich nicht überraschen, wenn es außer den von Dir erwähnten als "askanisch" geltenden zwei Linien noch mehr Familien gab, die genauso eng (Cousin vierten Grades ist ja schon ziemlich weit weg) dran waren, aber eben unter "Hohenzollern" oder "Welfen" oder was auch immer liefen.

Natürlich waren durch Verheiratungen zwischen verschiedenen "Geschlechtern" die Verwandtschaftsverhältnise sehr weit gespannt. Allein unser Herzog Rudolf I. von Sachsen war durch seine Mutter Agnes von Habsburg viel enger mit seinen Cousins ersten Grades aus Österreich verwand als mit Markgraf Heinrich II. von Brandenburg.

R.A. schrieb:
Wobei natürlich theoretisch so eine Familienbezeichnung nur direkt in männlicher Linie vererbt wird und damit eine klare Zuordnung über alle Generationen da war.

Doch wie du schon richtig festgestellt hast wurde die Zugehörigkeit zu einer Adelssippe über den Mannesstamm definiert. Rudolf I. von Sachsen hätte niemals den österreichischen Besitz seiner habsburgischen Vettern beansprucht (es sein den vielleicht sie wären allesamt ohne Erben gestorben). So meinte Rudolf viel besser Chancen auf Brandenburg zu haben wo gerade ein Askanier erbenlos gestorben war.

R.A. schrieb:
Aber entgegen der Theorie sprang die Bezeichnung eben auch mal auf angeheiratete Linien über.

Das stimmt so nicht.

R.A. schrieb:
Das bekannteste Beispiel (natürlich viel später) sind die Habsburger, die mit Maria Theresia ja eigentlich ausgestorben waren, man aber schnell vergaß, daß die Dynastie eigentlich nun die der Lothringer war.

Ganz im Gegenteil, es war sogar höst selten. Mir fallen nur zwei solcher "Namenssprünge" in der ostfränkischen/deutschen Adelswelt ein.
Neben dem von dir genannten Beispiel wo der Dynastienname Habsburg über Maria Theresia auf das lothringische Herrzogshaus überging so wurde zur Mitte des XI. Jahrhunderts der Name der Welfen über eine Frau weitergetragen.
Kunigunde die letzte Angehörige der Welfenfamilie heiratete den lombardischen Markgrafen Adalbert Azzo von Este. Aus dieser Ehe ging ein Sohn namens Welf (Herzog von Bayern 1070-1077 und 1096-1101) hervor. Dessen Nachkommen führten nördlich der Alpen die Familie der Welfen bis heute weiter. Welfs Halbbruder Fulco von Este blieb im sonnigen Italien wo sich dessen Nachkommen (die Este) noch viele Jahrhunderte lang ein schönes Leben machten. Noch Heinrich der Löwe soll sich der italienischen Herrkunft seiner Familie bewusst gewesen sein.

Dieter schrieb:
So führte z.B. die capetingische Seitenlinie der Valois Jahrhundertelang ein Schattendasein, bis sie schließlich durch Erbfall zur regierenden Königslinie aufstieg.

Und das ist ganz und gar unrichtig*.
Die Valois führten überhaupt kein 100 Jahre wärendes Schattendasein, im Gegenteil. Der Begründer dieses Zweiges der Capetinger war Prinz Karl (+1325) ein jüngerer Sohn König Philipp's III. (+1285). Von seinem Vater erhielt er unter anderm als Apanage die Grafschaft Valois, welche seinen Nachkommen ihren Namen geben sollte.
Prinz Karl war nur so vom Pech verfolgt. Er brachte es nur zum Titularkaiser von Konstantinopel und Titularkönig von Aragon. Sein Sohn Philipp aber sollte vom Glück begünstigt werden, er wurde nach dem Aussterben der Kapetinger in ihrer direkten Linie 1328 als Philipp VI. zum neuen König von Frankreich erhoben.


*man kann das Wort "unrichtig" nicht ohne das Wort "richtig" buchstabieren.
(inspiriert von einem der größten Philosophen des XX. Jahrhunderts.)=)
 
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