Aufstieg und Niedergang der Araber

Einen genauen Punkt zu bestimmen, der für alles gleichzeitig gilt (Wissenschaft, Architektur, Militär, Kunst, Philosophie, etc.), wird schwierig werden.
Richtig.
Aber ich habe schon den Eindruck, daß alle diese Punkte zwar zeitlich deutlich auseinanderliegen können - aber doch alle nach 1500 liegen und damit Kreuzzüge und Mongolen als Ursache deutlich ausscheiden.

auch die Wirtschaft bildet nicht den Schwerpunkt der Abhandlung,
Und eben das könnte zu Fehldeutungen führen.
Denn Wissenschaft und Kunst leben ja nicht im luftleeren Raum, sondern sind ganz entscheidend von der wirtschaftlichen Basis abhängig - sowohl für die Finanzierung, als auch für die Einflüsse von außen und den Austausch mit anderen Zivilisationen.

Wobei dies sicher nur ein Faktor von mehreren ist, ich stimme Dir völlig zu, daß die wesentlichen Faktoren die von Dir schon beschriebenen sind.

aber im Bereich der Naturwissenschaften, haben die Osmanen wenig hervorgebracht, als Ganzes mal gesehen (wie gesagt, Segelgleiter oder Medizin, Diätik, oder anderes mal ausgenommen...)
Aber wenn wir die Medizin ausklammern - waren nicht auch schon vor den Osmanen die Naturwissenschaften eher etwas das Stiefkind der islamischen Kulturerfolge?
Oder sagen wir es anders: Waren die Naturwissenschaften nicht in allen Kulturen des Mittelalters eher zweitrangige Hilfswissenschaften?
Oder könnte man sagen, daß der Fortschritt Europas ganz wesentlich darauf beruhte, daß man in diesem Gebiet einen neuen Schwerpunkt setzte?

Dann wäre die Frage nämlich nicht: Was ist in der islamischen Welt passiert, daß sie zurückgeblieben sind.
Sondern dann hätten die im wesentlichen das gemacht, was sie (und vorher die Europäer auch) schon immer gemacht haben - der Punkt wäre also, daß NICHTS passiert ist bzw. sich geändert hat.

Alles nur Ideen, ich bin mir selber unsicher, ob man das so darstellen kann.
 
Tja,

es ist ein wenig schwierig, eine Gewichtung für einen Aufstieg und Abstieg zu erstellen, da alles miteinander verwoben ist ... die Frage nach der Henne und dem Ei fällt mir dazu ein... ;)

Aber Angesichts der Tatsache, dass man wissenschaftlich in einigen Disziplinen sehr "preiswert", ja quasi auch umsonst forschen kann, z.B. Mathematik/Algebra, Philosophie (Diogenes in der Tonne... ;)), Botanik, etc. wirkt sich die ökonomische Lage vielleicht nicht so stark aus - wenn den das freiheitliche Umfeld stimmt, und man nicht während des Forschens in den Knast oder Galgen kommt...

Wenn man sich fragt, warum Europa den Orient überholte, dann spielen sicherlich die wissenschaftlichen Leistungen, neben Pluralismus, Arbeitsteilung, Wettbewerb und Kapitalakkumulation eine langfristig eminent wichtige Rolle.
Denn durch die Früchte der Wissenschaft, konnte z.B. im 17. und mehr noch im 18. Jahrhundert z.B. das osmanische Reich in den meisten Belangen überholt werden.

Hätte es das wissenschaftsfreudige Klima noch nach dem Mongoleneroberungen im Orient gegeben, dann wäre vielleicht durch die große finanzielle Ausstattung des osmanischen Reiches zu seiner Blütezeit die Wissenschaft wieder zu ebensolcher Blüte gelangt, so dass z.b. nicht Leonardo da Vinci einen Plan erstellt hätte, eine schwimmende Brücke über das Goldene Horn zu bauen, sondern ein osmanischer Ingenieur.

Nun gut, das Beispiel ist marginal, es kommt erstmal auf die "Grundlagenforschung" an, deren Früchte wirken sich langfristig immenser aus, als die eine oder andere technische Erfindung.
Aufgrund der Wissenschaft, z.B. in der Mathematik, werden ja erst die Grundlagen gelegt, damit sich z.B. das Kapitalwesen entwickeln kann.


Und in der Blütezeit des Abbasidenreiches war die Naturwissenschaft sicherlich keine "Hilfswissenschaft", wie du es ausdrückst. Wobei es natürlich eine Rangfolge der Wissenschaften gab, aber das ändert nichts daran, das auch ein Forscher der Optik relativ frei forschen konnte.


Zu deinem letzten Absatz.
Der Punkt ist, denke ich, dass die Weichen des Niederganges durch die Reaktion auf die Mongoleneroberungen gestellt wurden.

Denn ab da, gab es keine große Entwicklung mehr, betrachtet man es allgemein und grob (die letzten Jahre der histor. Forschung haben gezeigt, dass es auch nach der "arab. wiss. Blütezeit" noch erstaunliche wissenschaftl. Erfolge gab, und man nach den Disziplinen differenzieren müsste).
Ab da, entstanden islam. Reiche und vergingen wieder, (Ilkhaniden, Timuriden, Weiße und Schwarze Hammel, Osmanen, Safawiden, Ghaznawiden, Moguln, usw.) und das wäre ewig noch so weiter gegangen, hätten nicht die Europäer besonders ab dem 15./16. Jahrhundert, und unübersehbar ab dem Zeitalter der Aufklärung inzwischen eine andere Entwicklung der Wissenschaften genommen, die z.B. auch die Kolonialisierung begünstigte, durch Schiffbau, Navigation, Landwirtschaft, etc. und nicht zuletzt in Militärtechnik und Taktik, die sich irgendwann z.B. die Osmanen nicht mehr so stark einkaufen konnten, wie früher.

In dem Maße, wie in Europa die Freiheit des Geistes zunahm, nahm anscheinend auch die Macht Europas zu. Und in dem Maße, wie die Freiheit des wiss. Geistes im Orient abnahm, schwanden auch die Widerstandskräfte gegenüber Europa.

Das dieses auch zeitversetzt ihre Wirkung entfaltet, halte ich nicht für einen Widerspruch, denn die Osmanen waren durch ihre Taktik und Disziplin militärisch in der ersten Zeit den meisten Gegnern überlegen, dazu noch die eingekaufte Technik der Feuerwaffen, und schon wurden Schlachten gewonnen.

Aber irgendwann zahlte sich die Renaissance Europas aus, durch bessere Taktik, Militärtechnik, Ökonomie, Bankenwesen zur Finanzierung, etc.

Oder reden wir aneinander vorbei?


lynxxx: Einen genauen Punkt zu bestimmen, der für alles gleichzeitig gilt (Wissenschaft, Architektur, Militär, Kunst, Philosophie, etc.), wird schwierig werden.
Wissenschaft und Philosophie war ab dem 12./13. Jh. merklich schwächer, Architektur, Kunst, Militär war sicherlich auch noch im 16. Jh. im Orient sehr stark vertreten und brauchte sich nicht verstecken.

Ihr könnt auch mal in dieses interessante Dokument schauen (hab ich hier im Forum auch schon gepostet):

Ohne die islamische Philosophie hätte es weder Scholastik noch Aufklärung geben können!
Philosophiehistorische Anhaltspunkte für eine europäische Haltung zum Islam.


Zwei, drei Sätze daraus:

"
  • Der Islam ist nichts der europäischen intellektuellen Tradition Äußerliches, sondern er gehört selbst wesentlich zu unserem westeuropäischen Kulturerbe - und zwar in zweierlei Hinsicht:
  1. Zum einen als eine der Religionen aus der „abrahamitischen Tradition“, Judentum, Christentum, Islam, die sich alle - obwohl sie es jeweils mehr oder minder heftig bestreiten - in den letzten 1000 Jahren in Auseinandersetzung und Abgrenzung miteinander entwickelt haben, also historisch konkret jeweils ohne die beiden anderen nicht das wären, was sie heute geworden sind.
  2. Zum anderen aber auch als die zweite - nach dem byzantinischen Reichschristentum und vor der katholischen Christenheit - ausgearbeitete ideologische Artikulation von weltimmanenter späthellenistischer Philosophie und Wissenschaft, polisgesellschaftlicher und imperialer institutioneller Rechtstradition und transzendenter Offenbarungsregion, die für die „Geburt Europas“ (vgl. Bartlett 1996) als Vorbild, Folie und Denkmaterial gedient hat.
  • Der Islam in seiner Geschichte - die innerhalb der islamischen Tradition selbst allerdings nur unzureichend in Erinnerung geblieben ist - enthält eine entscheidende Phase intellektueller Umbauarbeiten und Kritiken im Verhältnis von Philosophie und Religion, von Vernunftglauben und Glaubensobservanz, ohne die es schwerfiele, das überhaupt zu denken, was immer wieder als der eigentliche Kernbestand europäischer Identität behauptet wird: die Renaissance, die Reformation und die Aufklärung. Dabei spielt aus westeuropäischer Sicht die Nichtexistenz einer die Gemeinde der Gläubigen hierarchisch erfassenden Kirche eine maßgebliche Rolle, wie sie vor allem vom katholischen Modell der „Christenheit“ entwickelt worden ist (zur Komplexität von deren Durchsetzungsprozeß vgl. Herrin 1987 u. Bartlett 1996). Deswegen ist der geringe Stand des heute auf beiden Seiten - bei MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen - vorhandenen historischen Bewußtseins über die gemeinsamen Traditionslinien in Religion und Philosophie, die sie sowohl verbinden als auch unterscheiden, ein kulturpolitisch dringend zu behebende Selbstaufklärungslücke.
"

Die Verzahnungen der beiden kommunizierenden Röhren Abendland und Morgenland werden in diesem Artikel beschrieben, und könnten hier auch mit eingebracht werden.

So, nun lest erstmal, hab schon wieder zuviel geschrieben... ;)

Ciao, LG lynxxx
 
Ein interessantes Beispiel

In mehreren Beiträgen wurde bereits auf die Stagnation islamischer Wissenschaften verwiesen und daraus entwickelte sich eine relative Schwäche. Diese Schwäche ist also nur im Vergleich zu europäischen Stärken erkennbar und das heißt mit andren Worten: Wären alle Kulturen auf dem früheren Niveau stehen geblieben, dann wären die Araber heute noch stark und das mag wohl manch ein Araber gedacht haben.

Ausgerechnet in einem Buch über die Geschichte der Spirituosen habe ich ein interessantes Beispiel gelesen. Einem arabischen Chemiker ist es erstmals gelungen, chemisch reinen Alkohol zu destillieren. Die technischen Einzelheiten wurden jedoch geheim gehalten und deshalb wurde die Destillation in Europa ein zweites mal erfunden. Gerade anhand der parallelen Erfindung möchte ich die Unterschiede in der Geisteshaltung aufzeigen. Das Wort “Alkohol” stammt übrigens aus der arabischen Sprache und der europäische Erfinder war vermutlich ein Spanier. Irgendwie werden die Spanier davon gehört haben, doch die genaueren Einzelheiten kannten sie nicht und deshalb mussten sie nochmals von vorne anfangen. Die spanischen Erfahrungen sind besser dokumentiert, doch aus Gründen der Logik darf man annehmen, dass der arabische Kollege die gleichen Erfahrungen gemacht hatte. Außer Bier und Wein waren keine weiteren alkoholischen Getränke bekannt und die Destillation von Bier wäre zu schwierig gewesen. Also haben beide Kollegen mit Wein angefangen und zunächst entstand daraus Weinbrand. Dieser Alkohol war noch mit Wasser vermischt, doch war diese Zwischenstufe notwendig, um erkennen zu können, wie man dem Alkohol Wasser entzieht. In dem Fall kam der arabische Kollege schneller zum Ziel, während die gleiche Entwicklung in Europa länger dauerte. Arabische Quellen berichten nichts über Weinbrand, während spanische Quellen sehr wohl darüber berichten. Es ist allerdings nicht glaubhaft, dass es einem arabischen Chemiker auf Anhieb gelungen ist, chemisch reinen Alkohol herzustellen. Die europäischen Erfahrungen sprechen dagegen.

Es gab allerdings einen großen Unterschied in den Motiven. Im Islam meine ich damit das Verbot alkoholischer Getränke. Die Gegenprobe gibt es heute noch unter Moslems, die ganz gerne ein Bierchen trinken. Diese Leute verwenden ein Zitat des Propheten Mohammed, das ich allerdings nicht überprüft habe. (Ich kann kein Arabisch und habe den Koran nicht im Original gelesen). Angeblich soll das heißen: “Verboten sind Wein und alle berauschenden Getränke.” Daraus zieht ein Moslem scharfsinnig den Schluss, dass Bier in begrenzten Mengen nicht betrunken macht und somit kein “berauschendes Getränk” sei. Das Gegenargument kenne ich von anderen Moslems. Demnach sei es “unwissenschaftlich”, den Propheten auf die Weise zu zitieren. Alkohol musste deshalb in reiner Form hergestellt werden, um die chemische Formel zu kennen und den Gehalt an Alkohol nachweisen zu können.

Der Vorwurf, die islamische Forschung sei durch Gesetze eingeschränkt worden, greift zu kurz. Die Reihenfolge war genau umgekehrt. Erst einmal ging es um die Klarheit der Begriffe und nachdem die Begriffe geklärt waren, kam es zu entsprechenden Gesetzen. Deshalb verwende ich das Verbot von Alkohol als Beispiel. Um so ein Produkt verbieten zu können, muss man erst einmal wissen, was das ist. Dieser Gedanke war zunächst fortschrittlich. In Wirklichkeit war die islamische Forschung eine Art erweiterter Theologie. Alles, was über den Dunstkreis islamischer Theologie hinausging, war uninteressant und wurde unterlassen. Eines Tages waren die Begriffe des Korans so weit interpretiert, dass man nicht Neues mehr dazu sagen konnte. Danach kam es zur Stagnation. Mehr Forschung wurde nicht für notwendig erachtet.

Ganz anders verhielt es sich mit dem spanischen Erfinder des Weinbrands. Den trieb wohl wissenschaftliche Neugier. Der musste nichts beweisen und niemand hat behauptet, dass Weinbrand irgendetwas mit christlicher Theologie zu tun hat. Dieser Spanier hatte wohl von der Destillation gehört und wollte nunmehr genauer wissen, wie das funktioniert. Die europäische Forschung begann zunächst zweckfrei und war dadurch langsamer. Die islamische Forschung war dagegen an einen Zweck gebunden und anfangs sogar schneller. Erst später zeigte sich der Vorteil der zweckfreien Forschung. Auf die Art und Weise kann man alles und jedes erforschen.

Ein Beispiel war die Erfindung des Automobils. Die ersten Autos waren so unbeholfen, dass die Zeitgenossen gegen Ende des 19. Jahrhunderts darin keinerlei Nutzen erkannten. Pferde waren immer noch schneller. Dennoch machten die europäischen Erfinder weiter und ein Zusammenhang zur Theologie war auch nicht gegeben. Das führt heute noch dazu, dass die Araber ihre Autos importieren, während wir selbst welche bauen.

Heute muss man auch unter Moslems differenzieren. Vor allem in der Türkei gibt es Moslems, welche sich selbst als “modern” bezeichnen. Dabei muss die Lebensweise keineswegs “modern” sein. Das kann sogar ein anatolischer Bergbauer von sich behaupten, der niemals zur Schule gegangen ist und einen Hakenpflug wie vor 5.000 Jahren verwendet. Modern ist nur die Geisteshaltung, wonach sich so ein Bauer über Dinge Gedanken macht, die mit dem Islam nichts zu tun haben. So z.B. die Verwendung von Pflügen. Ein konservativer Moslem sagt: “das ist eben so.” En moderner Moslem sagt: “ich verwende diesen Pflug, weil ich mir nichts besseres leisten kann.” Das ändert zwar nichts an den Tatsachen, doch die Geisteshaltung solcher Moslems ist bereits europäisch und sobald sie moderne Mittel in die Hand bekommen, machen sie davon Gebrauch.

Die Geschichte des Islam möchte ich mit einem Bogen vergleichen. Sinngemäß bedeutet “Islam” die Unterwerfung unter den Willen Allahs. Ganz am Anfang wurde diese Unterwerfung körperlich verstanden, indem sich ein Moslem beim Gebet auf den Boden legt. Später war die Interpretation eher geistig, im Sinne von Fatalismus. Vereinfacht gesagt: wenn Allah nicht will, dann geht es eben nicht. Heute kommen sehr moderne Moslems wieder zurück auf die körperliche Unterwerfung. Ja, beim Gebet muss man Allah seinen Respekt erweisen. Doch der Fatalismus hat den islamischen Ländern nur Nachteile gebracht und so kommen wir nicht weiter. Ein Türke hat das einmal sehr pointiert ausgedrückt: “Zuerst waren wir zu faul zum Beten. Dann kam der Krieg und wir mussten uns im Schützengraben hinwerfen. Da ist mir die Moschee lieber als der Schützengraben.”
 
Ausgerechnet in einem Buch über die Geschichte der Spirituosen habe ich ein interessantes Beispiel gelesen. Einem arabischen Chemiker ist es erstmals gelungen, chemisch reinen Alkohol zu destillieren. Die technischen Einzelheiten wurden jedoch geheim gehalten und deshalb wurde die Destillation in Europa ein zweites mal erfunden. Gerade anhand der parallelen Erfindung möchte ich die Unterschiede in der Geisteshaltung aufzeigen. Das Wort “Alkohol” stammt übrigens aus der arabischen Sprache und der europäische Erfinder war vermutlich ein Spanier. Irgendwie werden die Spanier davon gehört haben, doch die genaueren Einzelheiten kannten sie nicht und deshalb mussten sie nochmals von vorne anfangen. Die spanischen Erfahrungen sind besser dokumentiert, doch aus Gründen der Logik darf man annehmen, dass der arabische Kollege die gleichen Erfahrungen gemacht hatte. Außer Bier und Wein waren keine weiteren alkoholischen Getränke bekannt und die Destillation von Bier wäre zu schwierig gewesen.

Hier möchte ich einhaken. Das europäische Wort für den Alkohol kommt, das ist richtig, aus dem Arabischen. Das Arabische hat zwei Hauptverbreitungsrouten ins Europäische, über das Italienische und über das Spanische. Relativ sicher kann man anhand der Agglutination des arabischen Artikels al-, die nur im Kastilischen vorkam, erkennen, ob ein Wort über das spanische oder über eine andere Sprache in den europäischen Sprachgebrauch aufgenommen wurde. Interessanterweise ist das Wort Alkohol als alcoli selbst ins Italienische über den iberischen Umweg entlehnt worden.
Nach der Vorrede aber die Kritik: Ich weiß nicht, welche alkoholischen Getränke außer Wein, Bier und Met den Europäern vor der wissenschaftlichen Beschreibung des Alkohols bekannt waren, aber man muss stärker trennen zwischen der Herstellung eines Stoffes und der wissenschaftlichen Beschreibung dieses Vorgangs. Dass aber der erste Europäer, der Alkohol wissenschaftlich beschrieb, dafür ein über Kastilien (warum ich Kastilien so betone gleich) entlehntes Wort verwendete und nicht aus dem Prozess der Destillation etwa das Wort Destillat ableitete, spricht wohl eher dafür, dass er genauere als nur vage Vorstellungen arabischer Forschungsergebnisse hatte.

Laut dem Diachronischen Wörterbuch der Real Academia Española (Corde) ist der erste Nachweis des Wortes alcohol auf der iberischen Halbinsel in dem
Libro de Palladio des Autors Ferrer Sayol zu finden, entstanden zwischen 1380 und 1385. Also ein katalanischer Autor, der ein kastilisches Wort benutzt, was also auf einen verlorenen kastilischen Text hinweist, der ein arabisches Lehnwort benutzt.

Die Gegenprobe gibt es heute noch unter Moslems, die ganz gerne ein Bierchen trinken.

Aus dem Umstand, dass Leute den Geboten ihres Propheten nicht gehorchen, kann man noch keine Gegenprobe zimmern. In Deutschland ist es verboten sich ein fremdes Fahrzeug anzueignen. Trotzdem werden immer wieder Autos, Fahrräder und Bollerwagen geklaut...

Erst einmal ging es um die Klarheit der Begriffe und nachdem die Begriffe geklärt waren, kam es zu entsprechenden Gesetzen. Deshalb verwende ich das Verbot von Alkohol als Beispiel. Um so ein Produkt verbieten zu können, muss man erst einmal wissen, was das ist. Dieser Gedanke war zunächst fortschrittlich. In Wirklichkeit war die islamische Forschung eine Art erweiterter Theologie. Alles, was über den Dunstkreis islamischer Theologie hinausging, war uninteressant und wurde unterlassen. Eines Tages waren die Begriffe des Korans so weit interpretiert, dass man nicht Neues mehr dazu sagen konnte. Danach kam es zur Stagnation. Mehr Forschung wurde nicht für notwendig erachtet. Ganz anders verhielt es sich mit dem spanischen Erfinder des Weinbrands. Den trieb wohl wissenschaftliche Neugier. Der musste nichts beweisen und niemand hat behauptet, dass Weinbrand irgendetwas mit christlicher Theologie zu tun hat. Dieser Spanier hatte wohl von der Destillation gehört und wollte nunmehr genauer wissen, wie das funktioniert.
Diese Argumentation ist insofern falsch, weil sie davon ausgeht, dass Muḥammad das Wort Alkohol benutzt hätte, er sprach aber vom Wein. Ein Schlüsselerlebnis hierzu war, wenn man den ḥadīt folgt, dass einige der frühen Muslime alkoholisiert beteten und damit Muḥammads Zorn auf sich riefen, der darauf den Weingenuss verbot (hier kommt dann auch das Argument Alkohol trinkender Muslime, dass sie im berauschten Zustand nicht beteten. Als Nichtmuslim werde ich mich nicht in die Diskussion einmischen, ob die muslimischen Alkoholkonsumenten die Gebote des Qur'ān und ihres Propheten überdehnen, oder nicht.
Die europäische Forschung begann zunächst zweckfrei und war dadurch langsamer. Die islamische Forschung war dagegen an einen Zweck gebunden und anfangs sogar schneller. Erst später zeigte sich der Vorteil der zweckfreien Forschung. Auf die Art und Weise kann man alles und jedes erforschen.

Den Nachweis, ob denn die abendländische und die orientalische Forschung sich in ihrer Zweckgebundenheit oder Zweckfreiheit unterscheiden hast Du leider nicht überzeugend geführt. Und dass die Wissenschaft in Europa lange nicht so frei war, wie hier postuliert, wissen wir nicht erst seit da Vinci oder Galilei.


 
Auf die Gefahr hin, ein Stück weit vom Thema abzudriften, würde ich gerne noch etwas zum Thema "Islam und Alkohol" hinzufügen.

Wie El Quijote schon richtig gesagt hat, steht im Koran nicht etwa "Alkohol", sondern Wein (in diesem Fall - man verzeihe mir meine Unfähigkeit, hier das korrekte Wort in Arabisch einzufügen - Khamr). Wein wird im Koran mehrmals genannt - und das nicht einmal ausschließlich negativ. So wird er in 16,69 als berauschendes Getränk und bekömmliche Nahrung bezeichnet. Auch Weihnstöcke werden als Schöpfung Gottes anerkannt, im Paradies erwartet die Gläubigen neben anderen positiven Gaben ebenfalls Wein.

Daneben wird Wein allerdings auch zusammen mit Glücksspiel erwähnt; beidem wird größere Sünde als Nutzen zugesprochen (z.B. 2,219). Das vielzitierte Verbot findet sich schließlich in 5,90-91, wo Wein als "Greuel von Satans Werk" bezeichnet wird. Am Ende steht die Aufforderung (bzgl. Glücksspiel und Weinkonsum): "Werdet ihr wohl aufhören?"

Nun gibt es hierüber geteilte theologische Meinungen. Heutzutage tendiert man weithin, dieses Aufforderung als generelles Alkoholverbot aufzufassen, da sich der Prophet gezielt auf den vom Wein verursachten Rauschzustand bezieht (für die Begründung von Mohammeds Vorbehalten, siehe den Beitrag von El Quijote bzgl. des Gebets). Es gab jedoch immer wieder Perioden in der islamischen Geschichte, in denen nur die besonders Frommen dem Alkohol entsagten (in diesem Fall wird dies bei Beschreibungen der betreffenden Personen auch explizit erwähnt).

Ob die hier unterstellte "Geheimhaltung" des Destillationsvorganges auf besagtes Alkoholverbot zurückzuführen ist (welches eigentlich kein Verbot ist, wenn man es genau nimmt; im Gegensatz zu Schweinefleisch gilt Alkohol nämlich nicht grundsätzlich als "haram"), kann man man m.E. nicht genau sagen. Auch der Aussage, die gesamte Forschung wäre nur auf die Bestätigung des Koraninhalts ausgelegt gewesen, halte ich für so nicht haltbar. Kartenwerke, naturkundliche sowie philosophische Schriften hatten z.B. überhaupt keinen direkten Bezug zum Wort Gottes, wie es Mohammed offenbart worden sein soll. Hier gab es auch innerhalb der arabischen Welt immer wieder Streitigkeiten; so meinten die einen, Forschung dürfe tatsächlich nur der Religion dienen, während sich andere offen dagegen sträubten.

Eine allgemeingültige Aussage kann man hier m.E. nicht treffen, und das Alkoholbeispiel halte ich auch nicht unbedingt für besonders eindeutig. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Meinung - und die soll auch bitteschön als solche verstanden werden :)

LG
Die_Schweigende
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich muss der Schweigenden zustimmen, es gab in den Wissenschaften immer Bereiche, die nicht Fragen des Koran behandelten. Und vor allem, dass nicht der Wissensdurst erschöpft war, wenn denn eine Frage des Korans "beantwortet" wurde.
Nein, die Stagnation und der Niedergang der Wissenschaften haben andere Ursachen, die Antwort findet sich in diesem hervorragenden Artikel, auf den ich schon verwiesen habe:

Rainer Tetzlaff:
Europas islamisches Erbe Orient und Okzident zwischen Kooperation ...


Und das Bild des fatalistischen Arabers, ist bei uns entscheidender durch Karl Mays Werke, denn durch die Realitäten der Vergangenheit geprägt. Dieser postulierte Fatalismus gilt heute als veraltet und muss regional und temporal differenziert betrachtet werden.

Schließlich als Ergänzung zum Alkohol, ein Auszug aus dem empfehlenswerten Buch:

Bobzin, Hartmut: Der Koran: eine Einführung. München: Beck, 1999. ISBN 3 406 43309 X

"Schließlich soll hier noch ein weiterer, mit dem Gebet in Zusammenhang stehender Vers angeführt werden, der uns zugleich in einen anderen Bereich hinüberleitet, nämlich den der islamischen Speisegesetze. In Sure 4, 43 steht (Übersetzung Paret):

Ihr Gläubigen! Kommt nicht betrunken zum Gebet (salāt), ohne vorher
(wieder zu euch gekommen zu sein und) zu wissen, was ihr sagt!

Das Verbot, alkoholische Getränke zu genießen, ist ja – neben dem Verbot von Schweinefleisch – die bekannteste aus dem Koran begründete Vorschrift der Muslime. Die eben zitierte Stelle zeigt allerdings ganz klar, daß ein absolutes Alkoholverbot nicht von Anfang an bestanden haben kann. Dafür spricht auch, daß der Wein in anderem Zusammenhang (ebenso wie der Honig) als eine der guten Gaben der Schöpfung Gottes genannt ist (16, 67; Übersetzung nach Rückert):

Und von der Frucht der Palme,
Und von den Trauben nehmet ihr
Ein Rauschgetränk (sakar) und Nahrung schön.
Darin ist ja ein Zeichen
Für solche, die verständig sind.

Wie es schließlich zum Alkoholverbot kam, geht aus dem Korantext selbst nicht hervor; eine andere Stelle weist jedoch darauf hin, daß die Beurteilung des Weines in der Gemeinde der Klärung bedurfte (2, 219):

Sie fragen dich nach dem Wein (khamr) und dem Maisir-Spiel. Sprich ...

Mit der zweiteiligen Formel „Sie fragen dich nach ... – Sprich: ...“ wird häufig die Klärung wichtiger Rechts- und Glaubensfragen eingeleitet, wie z.B. die nach den Neumonden (2, 189), ob es erlaubt sei, im heiligen Monat zu kämpfen (2, 217), was man spenden (2, 215 u. 219) und wie man Waisen behandeln solle (2, 220), wie es mit der Menstruation zu halten sei (2, 222) oder wie man die Beute verteilen solle (8, 1). Doch zurück zum Wein: In der oben zitierten Stelle wird er in Verbindung mit einem im alten Arabien verbreiteten Losspiel genannt, bei dem Pfeile verwendet wurden und dessen Einsatz geschlachtete Tiere, meist Kamele, waren. Das könnte die Vermutung nahelegen, daß weniger der Wein an sich, als vielmehr die geselligen Umstände des Weingenusses gemeint waren. Die Antwort auf die entsprechende Anfrage könnte dafür ein Indiz sein (2, 219):

Sprich: In beidem liegt eine schwere Sünde, jedoch auch Nutzen für die
Menschen; die Sünde ist aber größer als der Nutzen.

Hier muß geklärt werden, worin denn der Nutzen des Weines und des Maisir-Spiels gesehen werden kann (wobei wir uns auf den Wein als ein heute noch sehr wichtiges Problem beschränken wollen). Der Kommentator Ibn 'Arabī (s.o. S. 73) unterscheidet drei Arten des möglichen Nutzens: Der
Gewinn für den Kaufmann, der Genuß für den Trinkenden und schließlich der Nutzen für die Erhaltung körperlicher Gesundheit. Letzteren weist Ibn 'Arabī aber zurück, indem er den Weingenuß insgesamt mißbilligt. Bis heute wird übrigens auf Grund dieser Koranstelle kontrovers darüber diskutiert,
inwieweit Alkohol als Arznei verwendet werden darf.
Wenn man also aus 2, 219 noch eine gewisse Nachgiebigkeit gegenüber dem Weingenuß herauslesen kann, so gilt das nicht für die beiden Verse, die den Ausgangspunkt für das strikte Alkoholverbot im Islam darstellen (5, 90 f.; Übersetzung Paret):

[90] Ihr Gläubigen! Wein (khamr), das Losspiel (maisir), Opfersteine (ansāb) und Lospfeile (azlām) sind Greuel und des Satans Werk. Meidet es! Vielleicht wird es euch Wohlergehen. [91] Der Satan will durch Wein und das Losspiel nur Feindschaft und Haß zwischen euch aufkommen lassen und euch vom Gedenken Gottes und vom Gebet (salāt) abhalten. Wollt ihr denn nicht aufhören?

Das Weinverbot erscheint hier nun, zusätzlich zu dem schon in 2, 219 erwähnten Maisir-Spiel, im Zusammenhang mit dem Verbot eindeutig heidnischer, religiös bedeutsamer Praktiken. Das verdeutlicht noch einmal, daß vor allem die Begleitumstände des Weingenusses gemeint waren; denn daß der Wein als ebenso kostbares wie köstliches Getränk galt, geht
daraus hervor, daß es im Paradies neben drei Strömen, die jeweils reines Wasser, Milch und Honig führen, einen vierten gibt, der aus Wein (khamr) besteht; der Vers, in dem das erwähnt wird (47, 15), stammt wie das Weinverbot in Sure 5, 90 f. aus medinensischer Zeit.
Zwei Probleme vor allem waren es, die die Koranausleger und Rechtsgelehrten im Zusammenhang mit den hier zitierten Koranstellen lösen mußten: Wie waren die Widersprüche zwischen den verschiedenen Aussagen zu erklären und vor allem praktisch zu lösen, d.h. welche Aussage galt verbindlich? Und was war eigentlich unter dem Wort „Wein“ (khamr) zu verstehen? Vor allem die letzte Frage wurde sehr verschieden beantwortet; bei enger Auslegung verstand man unter khamr einen aus Trauben ('inab) gegorenen Wein, während man bei etwas weiterer Auslegung khamr als Bezeichnung für jedes berauschende Getränk auffaßte. Im letzteren Fall traf das Verbot z. B. auch den aus Äthiopien stammenden Kaffee, dessen Genuß ab dem 15. Jahrhundert in den Zirkeln islamischer Mystiker nachweisbar ist und der sich danach vor allem im Osmanischen Reich rasch ausbreitete – und das, obwohl er zeitweise streng verboten war."

So, dass sollte es nun aber auch zum Alkohol gewesen sein, denn der spielt nun beim Aufstieg und Niedergang keine Rolle... ;)

So long, bye & LG lynxxx
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Gegenprobe


Aus dem Umstand, dass Leute den Geboten ihres Propheten nicht gehorchen, kann man noch keine Gegenprobe zimmern. In Deutschland ist es verboten sich ein fremdes Fahrzeug anzueignen. Trotzdem werden immer wieder Autos, Fahrräder und Bollerwagen geklaut...


Ich bleibe einmal bei den Fahrzeugen und zeige, wie leicht daraus Blödsinn entstehen kann. Das Wort "Auto" kommt im Koran nicht vor und daraus könnte ja ein spitzfindiger Moslem den Schluss ziehen, dass es "erlaubt" sei, Autos zu stehlen. Das will ich damit sagen: der Verstoss selber negiert kein Gesetz. Sehr wohl aber eine Interpretation, welche glaubhaft macht, solch ein Gesetz habe es nie gegeben. Vor allem deshalb wurden auch in islamischen Ländern die religiösen Gesetze durch staatliche Gesetze untermauert. Nur beim Alkohol werden verschiedentlich Ausnahmen gemacht und deshalb komme ich auf das Thema. Natürlich ist es zuerst der Staat, welcher den Konsum bestimmter Getränke erlaubt und danach fällt einem Moslem plötzlich ein, dass das ja stimmen kann, eben weil das Wort "Alkohol" im Koran nicht drin steht. Ich bin mehrfach in islamischen Ländern gereist und daher kenne ich solche Argumente.

Für mich als Nichtmoslem ist das in so einem Fall einfacher. Ich sage ganz einfach, dass es so ein Verbot bei uns nicht gibt und damit ist die Sache erledigt.
 
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