Der Begriff "Deutsches Reich"

Ist eigentlich bekannt, inwiefern man im Mittelalter zwischen dem "Deutschen Reich"/"Deutschland" und dem "Heiligen Römischen Reich" unterschied?

Beide Begrifflichkeiten sind so, oder leicht abgewandelt selbst in höchsten Urkunden gebräuchlich gewesen.
In der Goldenen Bulle wird sowohl vom HRR als auch von "Dutschelant" gesprochen, jedoch ist mir nicht klar, ob das eine einfach synonym für das andere gebraucht wurde, oder ob man tatsächlich zwischen dem "inneren Kern" des Reiches (Deutschland) und dem großen Reichsgebilde, welches Burgund wie auch Oberitalien umschließt, unterschied...
Bereits kurz nach dem Ende der Karolingerherrschaft tauchte die Reichsbezeichnung "Regnum Teutonicum" für das Ostfrankenreich auf. Diese Bezeichnung trat aber nach der Kaiserkönung von Otto I. in der Bedeutung hinter der Bezeichnung "Imperium Romanorum" zurück.
Lies dann noch hier: http://www.geschichtsforum.de/f77/kaiser-fuersten-bistuemer-14301/
:winke:
 
In der Goldenen Bulle wird sowohl vom HRR als auch von "Dutschelant" gesprochen, jedoch ist mir nicht klar, ob das eine einfach synonym für das andere gebraucht wurde, oder ob man tatsächlich zwischen dem "inneren Kern" des Reiches (Deutschland) und dem großen Reichsgebilde, welches Burgund wie auch Oberitalien umschließt, unterschied...


Ist dort nicht auch von "Welschland" die Rede? Das wäre dann wohl in etwa der Reichsteil südlich der Alpen, "Deutschland" der Reichsteil nördlich der Alpen.
 
Bereits kurz nach dem Ende der Karolingerherrschaft tauchte die Reichsbezeichnung "Regnum Teutonicum" für das Ostfrankenreich auf. Diese Bezeichnung trat aber nach der Kaiserkönung von Otto I. in der Bedeutung hinter der Bezeichnung "Imperium Romanorum" zurück.
Lies dann noch hier: http://www.geschichtsforum.de/f77/kaiser-fuersten-bistuemer-14301/
:winke:

Ich weiß nicht, wieviel vom "Regnum Teutonicum" zu halten ist. Soweit ich weiß, war das nicht mehr als eine Floskel des Papstes um die Stellung des HRR zu schmälern.
Viel interessanter finde ich die Eigenbezeichnung als Deutsches Reich/Deutschland in mittelhochdeutschen Quellen, in frühneuzeitlichen Quellen noch wesentlich häufiger anzutreffen.
Ob es sich bei "Deutschland" und dem HRR in offiziellen Dokumenten um das selbe handelt, ist für mich schwer nachzuvollziehen, da in solchen Texten üblicherweise die Begrifflichkeiten sich abwechseln und beispielsweise später auch vom "deutschen Kaiser" (zB. Hutten) die Rede ist, was eigentlich völlig inkorrekt ist.

Danke für den Link, habs mir auch schon durchgelesen. Ich bin dabei über eine Aussage von dir gestolpert:

...Danach war der neue Herrscher immer erst König des deutschen Reiches, in Personalunion aber auch des Kgr. Italien (ab 952 zum Reich zugehörig) und von Burgund...


Ich war der Meinung, dass Burgund, wie auch Italien an das Reich durch den Lehenseid gebunden waren, wie es auch bei den Fürstentümern im deutschen Reich der Fall war.
Personalunion würde doch aber bedeuten, dass der Kaiser/König selbst König beider Reichsteile wäre. Aber zumindest bei Burgund war das doch nur ein einziges Mal der Fall, oder?
Die Frage könnte auch lauten: gibt es überhaupt einen greifbaren, reichsrechtlichen Unterschied zwischen den einzelnen deutschen Fürstentümern und Burgend, oder Italien?
 
Ich war der Meinung, dass Burgund, wie auch Italien an das Reich durch den Lehenseid gebunden waren, wie es auch bei den Fürstentümern im deutschen Reich der Fall war.
Personalunion würde doch aber bedeuten, dass der Kaiser/König selbst König beider Reichsteile wäre. Aber zumindest bei Burgund war das doch nur ein einziges Mal der Fall, oder?
Die Frage könnte auch lauten: gibt es überhaupt einen greifbaren, reichsrechtlichen Unterschied zwischen den einzelnen deutschen Fürstentümern und Burgend, oder Italien?
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Die Kaiser waren sowohl Könige von Italien seit 952/1014 und Könige von Burgund seit 1032. Beide Königrreiche waren aber nicht Teil des ostfränkisch/deutschen Reichs. Der Adel Italiens und Burgunds hatte in der Regel auch keinen großen Einfluss auf die Königswahl da diese im deutschen Gebiet entschieden wurde.
Beide Königreiche gingen dem HRR nach dem Zusammenbruch der kaiserlichen Macht nach dem Ende der Staufer verloren. In Italien etablierten sich Stadtstaaten die allenfalls noch formell eine kaiserliche Oberhoheit anerkannten. Die Territorien Burgunds gingen mit der Zeit durch Erbfälle an Frankreich über, lediglich die Freigrafschaft (France-Comté) blieb bis 1678 in kaiserlich/habsburgischer Hand. Savoyen-Piemont wurde zu einem eigenständigen Staat. Der letzte Kaiser der sich zum König von Burgund krönen ließ war, glaube ich, Karl IV.
 
Kann man dann überhaupt davon sprechen, dass Italien und Burgund Teil des HRR waren? Das klingt jetzt eher, als wäre der Kaiser eben römischer Kaiser und unabhängig davon König von Burgund und Italien.
Die Habsburger hatten aber beispielsweise auch viel Hausgut außerhalb des HRR, was wiederum nicht als Teil des Reiches gewertet wurde.
 
Kann man dann überhaupt davon sprechen, dass Italien und Burgund Teil des HRR waren?

Ja, kann man - wiewohl dies zeitlich zu differenzieren ist und Reichsitalien nie vollständig eingebunden war sowie Burgund während des Mittelalters Reichsgut mit formeller Selbständigkeit innerhalb des HRR war. Beide gingen dann dem Reich v.a. - wie von Joinville bereits detailliert ausgeführt - im Laufe der frühneuzeitlichen Entwicklungen verloren.
Einen guten Überblick dazu findet man bspw. auch auf Heiliges Römisches Reich - Wikipedia;
sowie vor allem auf den zugehörigen Karten:
HRR 10./11. Jh.
HRR 14. Jh.
HRR Reichskreise 1512
Karte: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation um 1580
HRR 1648
 
Ist dort nicht auch von "Welschland" die Rede? Das wäre dann wohl in etwa der Reichsteil südlich der Alpen, "Deutschland" der Reichsteil nördlich der Alpen.
In der Frühneuzeit ist mit "Welschland" in der Tat Italien gemeint, während man später offenbar dazu neigte, Frankreich damit negativ zu belegen. Die Nazis haben ja sehr gegen "das Welsche" gewettert. Der Begriff ist aber ursprünglich nicht negativ gemeint. Man findet ihn auch in der Musiklitteratur des 18.Jahrhunderts, welche den italienischen Gout verficht.
Im Frisch (Teutsch-Frantzösisches Wörterbuch, 1719) findet sich dieser Begriff ebenfalls.
 
Ja, kann man - wiewohl dies zeitlich zu differenzieren ist und Reichsitalien nie vollständig eingebunden war sowie Burgund während des Mittelalters Reichsgut mit formeller Selbständigkeit innerhalb des HRR war. Beide gingen dann dem Reich v.a. - wie von Joinville bereits detailliert ausgeführt - im Laufe der frühneuzeitlichen Entwicklungen verloren.
Einen guten Überblick dazu findet man bspw. auch auf Heiliges Römisches Reich - Wikipedia;
sowie vor allem auf den zugehörigen Karten:
HRR 10./11. Jh.
HRR 14. Jh.
HRR Reichskreise 1512
Karte: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation um 1580
HRR 1648


Wenn ich richtig informiert bin, waren die Verhältnisse in "Reichsitalien" recht kompliziert, und die formelle Oberhoheit des Kaisers wurde teilweise bis über den 30jährigen Krieg (der in Italien eh 10 Jahre länger dauerte) hnaus anerkannt.
 
Kann man dann überhaupt davon sprechen, dass Italien und Burgund Teil des HRR waren?
Sicher.
Im Prinzip besteht das HRR aus den drei Königreichen Deutschland, Italien und Burgund.
Und die drei geistlichen Kurfürsten waren Reichskanzler für jeweils einen Reichsteil: Mainz für Germanien (Deutschland), Trier für Gallien (Burgund) und Köln für Italien.
 
Doch, das hab ich auch gehört. Nur nannten die sich nicht Reichs- sondern Erzkanzler.
Das waren die besagte 3 Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln.
 
Das fällt mir grad ein, dass in der Goldenen Bulle auch explizit von Deutschland gesprochen wird, wenn der Zuständigkeitsbereich der Erzkanzlers von Mainz gemeint ist.

Ich N. Ertz-Bischoff zu Mayntz / und des Heil. Reichs Ertz-Cantzler durch teutschland und Chur-Fürst / schwere zu dem heiligen Evangelio / gegenwärtiglich vor mir liegend / daß ich bey den Treuen / damit ich GOtt und dem H. römischen Reich verbunden bin /

Also an der Stelle ist die Unterscheidung HRR - Deutschland gegeben.
 
Das fällt mir grad ein, dass in der Goldenen Bulle auch explizit von Deutschland gesprochen wird, wenn der Zuständigkeitsbereich der Erzkanzlers von Mainz gemeint ist.
...
Also an der Stelle ist die Unterscheidung HRR - Deutschland gegeben.

Hierzu ist jedoch zu sagen, daß die zitierte Passage aus der Neuhochdeutschen Übersetzung von 1713 stammt.
Deshalb an der Stelle ein Blick auf die Originalpassage von Goldene Bulle Karls IV.: cap. II
Ego ... archiepiscopus Maguntinensis sacri imperii per Germaniam archicancellarius ac princeps elector juro ad hec sancta Dei ewangelia hic presentialiter coram me posita, quod ego per fidem, qua Deo et sacro Romano imperio sum astrictus...

und hier die beiden Übersetzungen:
Alte Frankfurter Übersetzung (14.Jh.) mit einem Vorwort, welches die Problematik mit den deutschen Übersetzungen aufzeigt -> Goldene Bulle (Frankfurter Übersetzung) - Wikisource
Neuhochdeutsche Übersetzung (1713) mit der entsprechenden Einordnung in den Kontext -> Goldene Bulle (Neuhochdeutsche Übersetzung, 1713) - Wikisource
 
Jetzt mal davon abgesehen, dass der Text original in Latein verfasst wurde, ist doch die erste frühneuhochdeutsche Übersetzung ein Zeugnis dessen, wie es die Deutschen der Zeit gesehen haben.
 
Erzamt - Wikipedia

Wengleich es zumindest im hohen Mittelalter auch durchaus vor kam das einer der Erzbischöfe auch in zwei Reichsteilen die Kanzlerschaft übertragen bekommen hat.

Aribo (Mainz) - Wikipedia

Da müßte ich auch noch mal erst nachlesen. Wikipedia ist ja gut und schön und das mit dem Erzbischof von Mainz und dem deutschen Reichsteil mag (zumindest teilweise) auch stimmen, aber in Italien wurde mW (ohne jetzt was nachgelesen zu haben) oft der Herzog von Mailand bei der Abwesenheit des Kaisers als Verwalter eingesetzt. Dadurch kam das Haus Medici auch zu großer Macht in Italien.
 
Da müßte ich auch noch mal erst nachlesen. Wikipedia ist ja gut und schön und das mit dem Erzbischof von Mainz und dem deutschen Reichsteil mag (zumindest teilweise) auch stimmen, aber in Italien wurde mW (ohne jetzt was nachgelesen zu haben) oft der Herzog von Mailand bei der Abwesenheit des Kaisers als Verwalter eingesetzt. Dadurch kam das Haus Medici auch zu großer Macht in Italien.

Ahm, da ging einiges durcheinander glaube ich.
Die Medici erlangten im 15. Jahrhundert die Stadtherrschaft über Florenz, die Herzogswürde erhielten sie 1531 von Kaiser Karl V. später von Papst gar den Großherzogstitel.

Die Stadt Mailand erlangte erst im Kampf des lombardischen Städtebundes gegen Kaiser Friedrich Barbarossa in Italien eine historische Bedeutung. Nach dem Ende der Staufer stritten sich mehrere Familien um die Herrschaft in der Stadt bei der schließlich die Visconti die Oberhand erlangten. Gian Galeazzo Visconti kaufte von König Wenzel 1396 die Herzogswürde. Die Visconti wurden später von den Sforza beerbt. Nach dem Ende der Sforza (Anfang 16. Jahrhundert) ging das Herzogtum Mailand an die spanischen Habsburger.

Während des Hochmittelalters, also während der Ottonen und Salier, gab es in Mailand tatsächlich Grafen die eine Art Markgrafenamt versahen. Allerdings hatten die allenfalls eine königlich/kaiserliche Stellvertretterfunktion in Lombardien also den Nordwestlichen teil Reichsitaliens inne wobei sie dabei auch nicht die einzigen waren, da gab es z.B. noch die Markgrafschaft Turin sowie die ligurischen Marken (Montferrat, Saluzzo, Savona). In der Mark Verona geboten die Herzöge von Bayern und Kärnten. In Tuscien (Toskana) gab es eine eigene Markgarfendynastie, Gräfin Mathilde ist uns aus der Canossa-Affäre bekannt, das gleiche trifft auf das Herzogtum Spoleto zu.
Zu den Inhabern des Grafenamtes in Mailand gehörten u.a. auch die Ahnen des Hauses Welf-Este:
adalbert_azzo_2_markgraf_von_mailand_+_1096

hier noch eine Karte von Italien im 11. Jahrhundert, die Territorien Reichsitaliens sind ind grün gehalten:
Italy in XI Century
 
Jetzt mal davon abgesehen, dass der Text original in Latein verfasst wurde, ist doch die erste frühneuhochdeutsche Übersetzung ein Zeugnis dessen, wie es die Deutschen der Zeit gesehen haben.

Es ist lediglich ein Zeugnis dafür, daß im Volksmund die Floskel "deutsche Lande" längst verbreitet gewesen ist; und so weit waren wir aber übrigens bereits am Anfang des Threads.
Außerdem hatte ich auf das Vorwort verwiesen: auch diese älteste bekannte Übersetzung ist keine offizielle Übersetzung, denn es hat nie eine offizielle deutsche Übersetzung gegeben. Aus diesem Grund sind keine Ableitungen zum offiziellen Reichsbegriff zu treffen; darum geht es hier vor allem...
 
Jetzt mal davon abgesehen, dass der Text original in Latein verfasst wurde, ist doch die erste frühneuhochdeutsche Übersetzung ein Zeugnis dessen, wie es die Deutschen der Zeit gesehen haben.

Daß das 17, 18, ja bereits das 16.Jahrhundert von "den/uns Teutschen" - auch vom "Volck der Teutschen" - spricht, ist ja nicht neu. Man liest es selbst in den ersten deutschen Schäferromanen des frühen 17.Jahrhunderts. Und in der Presse freute man sich, wenn "unsere Teutschen" einen militärischen Sieg errungen hatten.

Wann diese teutschsein-Bewußtheit aufkam, liest man in Königslandschaften anschaulich nach und diese Abhandlung erscheint mir sehr stichhaltig!
 
Daß das 17, 18, ja bereits das 16.Jahrhundert von "den/uns Teutschen" - auch vom "Volck der Teutschen" - spricht, ist ja nicht neu.

Von den "teutschen lanten" sprechen bereits Ulrich von Hutten und andere. Man kann gewiss davon ausgehen, dass es ein "deutsches Bewusstsein" bereits im späten Mittelalter gab, auch wenn sich die Menschen noch in erster Linie als Bayern, Sachsen, Thüringer oder Hessen fühlten.
 
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