Reichsitalien in der Frühen Neuzeit

Die Toskana war allerdings - wie ganz Reichsitalien auch - kreisfrei.
Daher kam auch meine eigene Verwunderung.

Bis um 1738 war Kaiser Franz I. Stephan doch Herzog von Lohringen, das bis zum Ländertausch mit der Toskana ebenfalls zum Reich gehörte.
1738 gab es den Frieden, der den Polnischen Thronfolgekrieg beendete. Aber ganz erklärt dies nicht, wo das IR Toskana rekrutierte, eher im Gegenteil. Als Kaiser Franz I. die Toskana erhielt, hatte er dafür ja Lothringen eingebüßt und Herzog Stanislaus (oder König Stanislas) ließ sicherlich den ehemaligen Landesherren nicht mehr in Lothringen anwerben.
Von daher dürften die ehemaligen Besitzungen Franz I. für diese Frage unerheblich sein.

EDIT:
Auf weitere Klärungen bezüglich der "Reichslehen" bin ich auch gespannt.
Ich auch. Es kann natürlich auch sein, dass nach 1648 doch um des guten Rufes willen, die Habsburger manche Gebiete immer wieder für das Reiche einforderten und gerade in Verträgen wie dem Utrechter/Rastatter Frieden, den Barbarossa anführte, oder dem Bündnisvertrag von 1725, den ich anführte, ließen sich solche Dinge recht gut durchsetzen. Um darüber weiter zu streiten waren sie in der modernen Staatenwelt Europas damals vielleicht doch nicht mehr wichtig genug.
Was ich am ehesten für folgenschwer bei der Vereinnahmung von italienischen Territorien für das Reich für den Kaiser halte, ist dass damit dem Kaiser ermöglicht wurde, Unterstützung durch Reichsorgane für diese Gebiete zu erreichen. Wenn diese reichsitalienischen Besitzungen der Habsburger angegriffen wurden, Frankreich und Spanien waren da potenziell mit ausgesprochenen Appetit ausgestattet, so trat dann der Fall ein, dass sich das Reich im Verteidigungsfall befand und die doch recht, auf dem Papier (!), zahlreiche Reichsarmee in Marsch setzte.
 
Ich habe ein bißchen das Gefühl, die Diskussion rührt letztlich daher, daß die Bestimmungen des westfälischen Friedens eben etwas komplexer waren als in der Wikipedia-Darstellung.

Wenn es heißt: "The independence of the Dutch Republic, Switzerland, Savoy, Milan, Genoa, Mantua, Tuscany, Lucca, Modena and Parma from the Empire was formally recognised, as these regions had been de facto independent of the Emperors since the late 15th century."
wird das grundsätzlich richtig sein - aber die "Unabhängigkeit" muß trotzdem nicht heißen, daß alle Reste reichsrechtlicher Lehnsverhältnisse komplett beseitigt wurden.

In der deutschen Wikipedia heißt es ja sogar: "Die Eidgenossenschaft wurde faktisch als unabhängig vom
Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation anerkannt. "

Also nur "faktisch" unabhängig - irgendetwas scheint formal also noch gefehlt zu haben.

Man müßte wohl die Original-Vertragstexte studieren, um das "Ende von Reichsitalien" entscheiden zu können.

Vermutlich war es eben nur ein Ende für das praktische Leben, d.h. die italienischen Fürstentümer (wie die Schweiz) nahmen in keiner Weise mehr am Reichsbetrieb teil und konnten völlig eigenständig agieren.
Es können aber durchaus noch formal nicht aufgehobene Lehnsbeziehungen geblieben sein, die der Kaiser dann später bei günstiger Gelegenheit reaktieren konnte.
 
Ich habe gerade versucht, noch mehr über dieses "Reichsitalien" heraus zu bekommen, von dem ich bisher immer der Meinung war, daß ein solches nach 1648 nicht mehr existierte.

Die verfassungsrechtliche Stellung Reichsitaliens nach 1648 ist problematisch. Formell bestand eine Oberlehnsherrschaft des Reichs fort, die freilich nur noch schattenhaft und ohne Substanz war, da sich die italienischen Territorien längst dem Reich entfremdet hatten.

Hier muss hinzugefügt werden, dass die italienischen Fürsten nicht als Reichsfürsten galten und lediglich die aus Burgund hervorgegangene Grafschaft Savoyen ein Territorium des Reichs im engeren Sinne war. Der Graf - später Herzog - von Savoyen war somit auch auf den Reichstagen vertreten und führte dort eine Virilstimme, was den italienischen Fürsten verwehrt blieb.

Anders als die Schweiz oder die Niederlande schied Reichsitalien mit dem Westfälischen Frieden nicht aus dem Reichsverband aus, sodass seine formale Stellung zweideutig blieb. In Geschichtsatlanten wird üblicherweise Reichsitalien bis 1648 als zum Reich gehörig kartiert und die diesbezügliche Grenze des Heiligen Römischen Reichs verläuft entsprechend an der Nordgrenze zum Kirchenstaat. Nach 1648 wird die Grenze aus Italien zurückgenommen, was die faktische machtpolitische Situation zeigt. Dennoch blieb eine schattenhafte Oberlehnsherrschaft des Reichs bestehen.

Zu trennen davon ist die Herrschaft der Habsburger z.B. im Großherzogtum Toskana, die nicht auf reichsrechtlichen Ansprüchen basierte, sondern eine territoriale Folge des Friedens von Wien 1735 war. Dass selbst zu dieser Zeit noch auf die reichsrechtliche Oberlehnsherrschaft gepocht wurde, zeigt dieser Hinweis:

1530 kam Florenz und damit die Toskana durch Karl V. wieder unter die Herrschaft des Reichs. Als der letzte Medici 1737 die Reichslehenszugehörigkeit Toskanas bestritt, wurde Toskana 1738 an Franz I. von Lothringen übergeben.

(Gerhard Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, München 1988, S. 629, C.H.Beck Verlag)
 
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Nachtrag:
Wenn man sich die Bedingungen des westfälischen Friedens im Detail anschaut, dann kann juristisch überhaupt nicht von einem "Ende von Reichsitalien" die Rede sein.

Da ist z. B. im §97 des Vertrags von Münster ganz explizit vom Reichslehen Mantua die Rede:
" Zugleich wird der Kaiser erklären, daß in die Belehnung des Herzogtums Mantua auch die Burgen Reggioli und Luzzara samt den dazugehörigen Gebieten eingeschlossen sind ..."
Der Vertrag dokumentiert also die faktische Selbständigkeit von Mantua, dem der Kaiser strittige Gebiete zurückgeben muß. Und das ist wohl die Grundlage der Vorstellung, Italien gehöre ab 1648 "nicht mehr wirklich" zum Reich.
Aber juristisch war das wohl keineswegs so.

Zur Schweiz findet sich im Vertrag von Osnabrück, Artikel VI, die Formulierung:
"daß die vorerwähnte Stadt Basel und die übrigen Orte der Schweiz völlige Freiheit und Exemtion vom Reich haben und in keiner Weise den Gerichtshöfen und Gerichten des Reiches unterworfen sein sollen"
Das klingt für mich so, als hätten die Eidgenossen damit ebenfalls die faktische Eigenständigkeit gesichert - keine Reichsinstanz darf sich mehr bei ihnen einmischen.
Eine formale völkerrechtliche Unabhängigkeit muß das noch nicht sein.

Über das restliche Reichsitalien habe ich bisher nichts gefunden - außer der Tatsache, daß die italienischen Fürsten und Republiken nicht unter die Reichsfürsten gezählt werden, sondern bei der Auflistung der dem Friedensvertrag beitretenden Parteien weiter hinten bei den "übrigen Ausländern" kommen.

Witzig ist dabei übrigens, daß die Eidgenossen (Graubünden übrigens noch gesondert!), die Könige von Polen, England, Dänemark und Norwegen, der Fürst von Siebenbürgen und die Niederlande sowohl beim Kaiser als auch seinen Gegnern unter die Verbündeten gezählt, d.h. im Vertrag doppelt aufgeführt werden.

Eindeutig auf nur eine Seite geschlagen haben sich dagegen die übrigen italienischen Fürsten und Republiken und Savoyen (für den Kaiser) und der Großfürst von Moskau und die Republik Venedig (für Schweden).


Änderung: Inzwischen hat Dieter ja auch geantwortet und bestätigt das.
 
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Zitat schrieb:
1530 kam Florenz und damit die Toskana durch Karl V. wieder unter die Herrschaft des Reichs. Als der letzte Medici 1737 die Reichslehenszugehörigkeit Toskanas bestritt, wurde Toskana 1738 an Franz I. von Lothringen übergeben.

(Gerhard Köbler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, München 1988, S. 629, C.H.Beck Verlag)

Klingt so als ob zwischen ital. Fürsten und dem Hause Habsburg zwei gegensätzliche Auffassungen im Bezug der "völkerrechtlichen" Stellung der ital. Staaten existiert haben.

Zu Mantua sei aber noch gesagt das Habsburg darauf einst einen erbrechtlichen Anspruch erhob, durch die Ehe Kaiser Ferdinands II. mit Eleonore Gonzaga. Von 1627-31 haben sie dafür einen Erbfolgekrieg geführt den sie verloren. 1715 scheint der Kaiser seinen Standpunkt der Zugehörigkeit Mantuas zum Reich benutzt zu haben um 1631 verlorenes doch noch an Habsburg zu bringen.

R.A. schrieb:
Man müßte wohl die Original-Vertragstexte studieren, um das "Ende von Reichsitalien" entscheiden zu können.

Eben das meine ich auch um diese :)unten:) Aussage bestätigen oder wiederlegen zu können.

Dieter schrieb:
Formell bestand eine Oberlehnsherrschaft des Reichs fort, die freilich nur noch schattenhaft und ohne Substanz war, da sich die italienischen Territorien längst dem Reich entfremdet hatten.

Denn entfremdet war Italien dem Reich bereits seit dem Ende der Staufer, da konnte auch das Engagement einiger Kaiser nichts mehr dran ändern. Lediglich Kaiser Karl V. versuchte im 16. Jahrhundert im Kampf gegen Frankreich noch einmal Italien wieder stärker unter kaiserliche Kontrolle zu bringen.
 
Änderung: Inzwischen hat Dieter ja auch geantwortet und bestätigt das.

Ich möchte meinen Beitrag oben noch ein wenig ergänzen. Das Handbuch zur "Deutschen Rechtsgeschichte" bemerkt zu Reichsitalien nach 1648, also nach dem Westfälischen Frieden:

Den Gegensatz zum engeren Reichsgebiet (Römisches Reich Deutscher Nation) bildete das weitere Reichsgebiet, zu dem nunmehr nur noch Italien gehörte, indes die die Reste des Königreichs Burgund (Regnum Arelatse), soweit dessen Gebiet nicht von Frankreich in Besitz genommen oder an die Schweizerische Eidgenossenschaft gefallen war, dem engeren Reichsgebiet zugerechnet wurden (Savoyen, Bistum Basel, Mömpelgard).

Von einer geschlossenen Herrschaft des Reiches in Italien konnte nicht mehr die Rede sein. Es gab hier nur noch einzelne kaiserliche Rechte. Der Kurfürst von Köln führte zwar den Titel eines "Erzkanzlers durch Italien" (sacri imperii per Italiam archicancellarius), doch war das Erzamt ohne eigentliche Bedeutung, weil es keine italienische Kanzlei mehr gab. Die italienischen Reichsangelegenheiten besorgte die Reichskanzlei.

Dem Kaiser standen (nach 1648) in Italien folgende Rechte zu:

1. das Recht, Standeserhöhungen vorzunehmen,

2. das Recht, die obere Gerichtsbarkeit über unmittelbare und mittelbare Reichsglieder durch den Reichshofrat ausüben zu lassen,

3. das Recht, Abgaben (Laudemien, Sportlen usw.) einzuziehen und in Kriegszeiten Steuern zu erheben,

4. das Recht, die Lehnshoheit über die Reichslehen auszuüben.

Während der Thronerledigung stand dem Herzog von Savoyen, obwohl sein Land nicht zu Italien, sondern zum engeren Reichsgebiet gehörte, das Reichsvikariatsrecht über seine eigenen und die angrenzenden Länder zu (...)

Die Verwaltung der kaiserlichen Rechte in Italien lag in der Hand eines Vicarius generalis, dem ein Commissarius generalis beigeordnet war. Ein Reichstag für Italien bestand nicht. Der Kaiser war in der Verwaltung der Reichsrechte in Italien an die Wahlkapitulationen gebunden. Insebsondere konnte der Kaiser ohne Zustimmung des Reichstags keine Güter und Rechte des Reichs in Italien veräußern oder verpfänden (Wahlkap. von Franz I. von 1745, Art. X § 1).

(Hermann Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Band II, Karlsruhe 1966, S. 110 f.)

Fazit: Auch nach 1648 bestand eine Oberlehnsherrschaft des Reichs in Italien fort, die freilich nur noch formalen Charakter besaß und kaum noch in der Lage war, Rechtsansprüche gewaltsam durchzusetzen. Anders sah das in Territorien wie dem Großherzogtum Toskana aus, die unmittelbar den Habsburgern bzw. Österreich unterstanden.
 
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Entlich mal was Handfesteres, danke Dieter. Ich muss wohl meine Sichtweise auf das Italien des 18. Jahrhunderts erheblich korregieren.
 
Nochmal zur Schweiz:
Ich gebe R.A. recht, dass Art. VI des Osnabrücker Vertrages noch einen Rest formaler Bindung ans Reich beinhalten könnte, der aber nie mehr praktisch geworden ist. (In Geschichtsatlanten fällt ergo das Territorium aus den Reichsgrenzen heraus.)

Dies bestätigt auch Volker Press, Kriege und Krisen, Deutschland 1600-1715, München: C.H.Beck, 1991, der über den Friedensschluß 1648 schreibt (S. 259): "Sie [die Eidgenossenschaft] erreichte - entgegen verbreiteter Meinung - ihre Souveränität de jure noch nicht, aber blieb von allen Pflichten und Lasten gegenüber dem Reich befreit [...]"

De jure steht am Ende der Entwicklung dann wahrscheinlich die 6-Mächte-Erklärung über die Anerkennung und Garantie der immerwährenden Schweizer Neutralität und die Unverletzlichkeit ihres Gebietes vom 20.11.1815 (Auszug: Helmut K. G. Rönnefarth, Konferenzen und Verträge, Teil II, 3. Band, 2. Aufl., Würzburg: Ploetz, 1958, S. 265 f.).
 
Entlich mal was Handfesteres, danke Dieter. Ich muss wohl meine Sichtweise auf das Italien des 18. Jahrhunderts erheblich korregieren.
Geht mir ebenso, ich hatte eher vage Vorstellungen, von der rechtlichen aber auch staatlichen Lage dieser italienischen Territorien. Daher ist es eben so schön für mich, dass hier einiges von Dieter, R.A., Joinville und anderen zusammen getragen wurde. Stern
 
@Brissotin:
Danke für den Stern - so macht das Spaß hier ;-)

Das mit der Schweiz finde ich interessant. De facto ist sie in der Tat unabhängig geworden - jetzt fragt sich, warum das nicht formal auch so durchgeführt wurde.
Es ist zu vermuten, daß die Schweizer selber nicht darauf gedrängt haben (wer hätte es ihnen denn aus welchen Gründen verwehren sollen).

Zwei denkbare Erklärungen sind mir bisher eingefallen.
Zum Einen kann ich mir gut vorstellen, daß es immer noch emotionale Bindungen an die Reichstradition gab, vielleicht auch wegen des spirituellen/christlichen Charakters.

Zum Anderen fand ich die von Dieter zitierte Liste der verbliebenen Kaiserrechte in Italien interessant.
Die Punkte 2-4 werden deutlich durch die von den Schweizern erreichte Freiheit und Exemption ausgeschlossen.
Aber konnte der Kaiser vielleicht noch Standeserhöhungen in der Schweiz vornehmen?

Immerhin gab es ja noch Adel in diversen Kantonen. Und zwar "echten" Adel, der ideologisch ja eigentlich an einem Monarchen als Spitze der Lehnspyramide hing (im Unterschied zum Stadtpatriziat z. B. einer Republik Venedig). Da wäre es schon denkbar, daß man nicht alle Bindungen an Kaiser und Reich kappen wollte.
 
Jetzt kann ich einfach nicht mehr die Klappe halten.
Fazit: Auch nach 1648 bestand eine Oberlehnsherrschaft des Reichs in Italien fort, die freilich nur noch formalen Charakter besaß und kaum noch in der Lage war, Rechtsansprüche gewaltsam durchzusetzen. Anders sah das in Territorien wie dem Großherzogtum Toskana aus, die unmittelbar den Habsburgern bzw. Österreich unterstanden.


Das ist stark untertrieben.
Im 18. Jahrhundert war die Stellung des Kaisers in Reichsitalien wesentlich stärker als im 16. und 17. Jahrhundert, da er nach den Erbfolgekriegen über eine kräftige Hausmacht dort verfügte, die zuvor die spanischen Habsburger innehatten.

Die Zugehörigkeit zum HRR für Reichsitalien besteht bis zum Frieden von Campo Formio.
Die Grenzziehungen in Euern Geschichtsatlanten dürften maßgeblich den "verhängnisvollen 12 Jahren" geschuldet sein, als der "teutsche Mann gen Ostland reiten sollte" und die jahrhundertelangen Beziehungen zu Italien als verhängnisvoll für das mittelalterliche Reich angesehen wurden. (Hätte mal einer eine Nacht auf den "süßen Hügeln der Toskana" zusammen mit einer größeren Flasche Chianti verbracht, wäre die Einschätzung vermutlich eine andere geworden).

Fazit: Auch Putzger, DTV usw. können erheblich in die Irre führen.

Diesen Link habe ich dem lieben Brissotin schon vor ein paar Wochen geschickt, aber vermutlich liest er nichts außerhalb des Forums.:winke:
Seite 127-132
 
Schade, dass in dem Link die einschlägige Seite 131 gesperrt ist.:hmpf:

Gemeint ist wahrscheinlich Artikel 8: "Der Kaiser erkennt die cisalpinische Republik (die österrr. Lombardei, Bergamasso, Bressano, Cremona, Mantua, Peschiera, Modena, Fürstentum Massa und Carrara, das Veltlin mit Bormio und Chiavenna, die 3 Legationen Bologna, Ferrara und die Romagna) als unabhängige Macht an" (so bei Rönnefarth, a.a.O., S. 216)

Dass Geschichtsatlanten irren können, ist unstreitig. An jenen "12 Jahren" liegt das nicht: Auch der Atlas zur Geschichte vom VEB Hermann Haack, Leipzig 1973, Band 1, S. 61 gibt "Reichsitalien" nach 1648 auf, und das gleiche gilt für Standardwerke aus dem Kaiserreich - Beispiel: Ullsteins Weltgeschichte, Neuzeit 1500-1650, Karte vor S. 401. Damit soll nichts gegen Chianti gesagt werden.

EDIT:
Campoformiowidrig leider auch: Knaurs Historischer Weltatlas, 3. Aufl., München: Doremer, 1991, S. 191 (das ist der übersetzte "Times Atlas of World History").
Es ist eine Krux mit diesen Kartenmachern! Hat denn niemand einen richtigen Atlas zur Hand?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ganz kurz: Nach einiger Sucherei gefunden, dass der Vertrag am 30.4./1.5.1725 abgeschlossen wurde.

Zitat: "Am 30.1.1725 kam es zu einem Bündnis zwischen Karl VI. und König Philipp V. von Spanien. Der Kaiser unterstützte die Forderungen der Spanier auf Gibraltar und verzichtete nunmehr endgültig auf die Krone Spaniens. Philipp V. seinerseits mußte endgültig auf die spanischen Niederlande und die spanischen Besitzungen in Italien verzichten und Parma, Piacenza und Toskana als Reichslehen anerkennen. ..."
 
Ich muss wohl meine Sichtweise auf das Italien des 18. Jahrhunderts erheblich korregieren.
Das ist bei mir genau so. Bedanken möchte ich mich vor allem bei Dieter, R.A. und jschmidt, die mir einen völlig neuen Einblick in die Geschichte des HRRDN beschert haben. Ihr dürft euch dafür auch von mir einen "dicken Grünen" notieren.
:)
 
Den "Grünen" will ich mir natürlich nicht wieder verscherzen (zumal ich nicht weiß, was das ist), deshalb ganz knapp:
Das "Problem mit Reichsitalien" fängt nach Ansicht vieler Historiker bei Karl V. (1556) an, der bei seiner Nachfolgeregelung die italienischen Territorien in die Obhut der spanischen Habsburger gab. Schon dass er zuvor im "deutschen" Mailand einen spanischen Statthalter installiert hatte, wurde von Kritikern übel vermerkt als Verstoß gegen den "Geist" der Reichsverfassung. Reichslehen hin oder her - das Sagen hatten seitdem in Norditalien für ein Jahrhundert die Spanier.
 
Jetzt kann ich einfach nicht mehr die Klappe halten.
Hat ja auch keiner von Dir verlangt ;-)

Im 18. Jahrhundert war die Stellung des Kaisers in Reichsitalien wesentlich stärker als im 16. und 17. Jahrhundert, da er nach den Erbfolgekriegen über eine kräftige Hausmacht dort verfügte, die zuvor die spanischen Habsburger innehatten.
Das wäre dann aber eine faktisch bessere Machtstellung, keine juristische Änderung.

Die Grenzziehungen in Euern Geschichtsatlanten dürften maßgeblich den "verhängnisvollen 12 Jahren" geschuldet sein
Einspruch. In den Büchern meines Großvaters (aus dem Kaiserreich) wurde das auch schon so gesehen.

Im übrigen halte ich diese Atlantendarstellung auch für vernünftig.
Der Kaiser übte zwar in Reichsitalien noch Rechte aus (insofern ist die These von "1648 schied Italien aus dem Reich aus" widerlegt).

Aber trotzdem nahmen die italienischen Gebiete nicht am Reichsgeschehen teil, waren z. B. nicht bei Reichstagsbeschlüssen beteiligt oder von ihnen betroffen, unterlagen nicht den Reichsinstitutionen wie dem Reichskammergericht etc.

Wenn es also auf einer Karte nur darum ginge, die Zugehörigkeit zum Reich zu markieren, dann müßte das eigentliche Reichsgebiet z. B. eingefärbt und Italien schraffiert sein (und vielleicht die Schweiz noch sacht gepunktet, um den Rest an juristischer Bindung zu markieren).

Die übliche Karte will aber ganz andere Aspekte darstellen, da ist nicht mehr Raum als eine Orientierungslinie, um die Reichsgrenze anzuzeigen. Und da ist die "enge Linie" näher an der Realität als eine incl. Italien.
 
Fazit: Auch nach 1648 bestand eine Oberlehnsherrschaft des Reichs in Italien fort, die freilich nur noch formalen Charakter besaß und kaum noch in der Lage war, Rechtsansprüche gewaltsam durchzusetzen. Anders sah das in Territorien wie dem Großherzogtum Toskana aus, die unmittelbar den Habsburgern bzw. Österreich unterstanden.

Habe noch das "IR Toskana" im Ohr und Dieters "Fazit". Die von H. Conrad beschriebenen kaiserlichen Rechte umfassten danach nicht (mehr) das Recht, Aushebungen vorzunehmen oder Truppenkontingente einzufordern. Ob die Toskana Truppen stellte oder nicht, hing offenbar allein vom Landesherrn ab. Dazu ein interessantes Zitat über Leopold, Großherzog der Toskana ab 1765 und Kaiser ab 1790:
"Toskana konnte bequem 30 000 streitbare Männer [= Soldaten] ernähren, Leopold verringerte diese Zahl bis auf 300 und gebrauchte sie [...] nur zum Bewachen der Tore." (Wackerbarth, zitiert in: Jürg Zimmermann, Militärverwaltung und Heeresaufbringung in Österreich bis 1806 = Deutsche Militärgeschichte in 6 Bänden, Band 1, Abschnitt III, S. 86 der Lizenzausgabe [München: Pawlak, 1983]).

Die Reichskriegsverfassung wird anderswo diskutiert, und eine neue IG gibt es auch dazu - deshalb nur so viel.
 
Das wäre dann aber eine faktisch bessere Machtstellung, keine juristische Änderung.
Was schrieb ich anderes?

Einspruch. In den Büchern meines Großvaters (aus dem Kaiserreich) wurde das auch schon so gesehen.

Magst Du recht haben. Auch Ranke sah die im "Süden nutzlos versickernde Kraft des deutschen Volkstums.."
Die Intention ist dieselbe Stichwort "Ostlandreiter"

Im übrigen halte ich diese Atlantendarstellung auch für vernünftig.
Ich nicht.:D

Der Kaiser übte zwar in Reichsitalien noch Rechte aus (insofern ist die These von "1648 schied Italien aus dem Reich aus" widerlegt).

Aber trotzdem nahmen die italienischen Gebiete nicht am Reichsgeschehen teil, waren z. B. nicht bei Reichstagsbeschlüssen beteiligt oder von ihnen betroffen, unterlagen nicht den Reichsinstitutionen wie dem Reichskammergericht etc

Das war aber vor 1648 keinen Deut anders. Da hat sich gar nichts geändert.

Fakt ist, je kleiner die Territorien waren, umso mehr waren sie am Fortbestand und der Zugehörigkeit zum Reich interessiert. In Deutschland wie in Italien. Und Campo Formio und das Jahr 1805 haben nachdrücklich bewiesen, dass sie mit dieser Einschätzung sehr recht hatten.
 
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