Reichsitalien in der Frühen Neuzeit

@Repo:
Sehr schöner Link, vielen Dank!

Interessant finde ich die Tatsache, daß es bei diesen ganzen Lehnsbeziehungen nicht nur um abstrakte Ansprüche und etwas Rechtsprechung ging, sondern daß die italienischen Reichsvasallen dem Kaiser auch wirklich Geld gezahlt haben. Das ist ja der Knackpunkt, wo Herrschaftsansprüche auf ihren Kern überprüft werden ;-)
 
Ich denke, dass man da schon mit zumindest Hinweisen arbeiten könnte, dass es noch bestimmte Ansprüche des Reiches gab. Grundsätzlich fragt sich eben, was eine inhaltlich nicht korrekte Reichsgrenze denn überhaupt in den Atlanten dann sollte. Denn die Lage war, nicht nur in Italien, juristisch verzwickt. Der Reichsfiskal hatte in der Tat viel zu tun, wo eher inoffiziell auch schon mal vom Kaiser selbst, ihm garnicht (persönlich als Hausmacht) gehörende Gebiete vereinnahmt oder vergeben wurden.
 
Grundsätzlich fragt sich eben, was eine inhaltlich nicht korrekte Reichsgrenze denn überhaupt in den Atlanten dann sollte.

Vielleicht liest du hierzu meinen Beitrag Nr. 80 der erklärt, welche kartografischen Darstellungsprobleme es in dieser Hinsicht gibt und wie man sie zu lösen versucht! :winke:
 
Vielleicht liest du hierzu meinen Beitrag Nr. 80 der erklärt, welche kartografischen Darstellungsprobleme es in dieser Hinsicht gibt und wie man sie zu lösen versucht!
Habe ich schon gelesen. Dafür danke ich Dir, dass Du uns hiermit erhellt hast, da ich ansonsten keinen Einblick in diese Welt der historischen Atlanten habe. Ich schaue auch nur ganz selten in den Putzger. Ich versuche mir das Meiste mit zeitgenössischem Kartenmaterial soweit vorhanden zu vergegenwärtigen. Das ist natürlich wie von mir beschrieben schwierig.

Interessant finde ich diese Diskussion hier als Grundsatzdiskussion, denn sie verdeutlicht wie ungeschickt es bisweilen ist, Karten aus dtv- oder Putzger-Werken als Totschlageargument in der Diskussion zu verwenden, da eben manche Aspekte für die Kartenersteller nicht darstellbar sind. Mein falsches Bild von den Zugehörigkeiten Italiens zum Reich kam übrigens auch von den Karten in einem Geschichtsbuch, wo Norditalien außerhalb der Reichsgrenze dargestellt war. Diese Karten sah ich als Kind so häufig, dass sie sich als Wissen bei mir im Hinterkopf abspeicherten, deswegen eben stutzte ich, als ich auf den Fakt stieß, dass eben doch Gebiete in Norditalien offensichtlich noch immer Reichslehen waren. Interessant ist dies für mich obendrein, weil es in meinem Geschichtsbild den multinationalen Charakter des Reiches verdeutlicht, der demzufolgen mit einer erheblichen Ausprägung noch bis ins 18.Jh. fortbestand. Tschechen, Italiener, Deutsche, Belgier usw. waren dem Kaiser mehr oder minder untertan, damit begreift man besser den universellen Anspruch des Kaisertums, das eben trotz dem Passus "deutscher Nation" eben noch weit mehr beinhaltete.:fs:
 
Na zumbleistift hier:
Seite 127 letzter Abschnitt bis Seite 128 ca. Mitte.

Vielen Dank! Der zitierte Beitrag ist notwendigerweise etwas holzschnittartig - ich vermisse das Gewimmel und Gewusel von Hunderten von Lehensmännern, Landesständen usw., welche für die Buntheit der deutschen Verfassungsgeschichte sorgen...;)

Etwas zugespitzt kann man sagen: Wie die punktweise Kartierung der hochmittelalterlichen Karten die Lückenhaftigkeit der Überlieferung und die herrschaftliche Zersplitterung in übertriebenem Maße zum Ausdruck bringen muss, so übertreibt die flächenmäßige Kartierung der spätmittelalterlichen Territorien bei weitem deren Geschlossenheit.

Danke für die reichhaltige Information! Zum Stichwort "Lückenhaftigkeit" meine ich gelesen zu haben (Boldt? Brunner? Mitteis?), dass hierzulande erst ziemlich spät, etwa um 1500, mit der systematischen Erfassung der Lehensrechte begonnen worden sei - was Streitigkeiten in späteren Jahren zwangsläufig nach sich zog.
 
Johann Anton Seidensticker soll laut dem obigen Link noch in den 1790er Jahren noch ein "Reichsstaatsrecht Welscher Nation" begonnen haben.

Einschlägig sind vielleicht:

  • De fundamentis iuris supremae potestatis circa adespota ex iure publico universalim iure Rom, et iure publico Germanico. Göttingen: Dieterich, 1789 [dazu noch: Commentatio]
  • Beyträge zum Reichsstaatsrechte welscher Nation. Teil 1. Göttingen: 1795 [mehr wohl nicht erschienen]
  • Italien und die kaiserlichen Staaten, insbesondere Wien: zu mehrerer Aufklärung einiger politischen und rechtlichen Verhältnisse. Berlin/Stettin: Nicolai, 1797.
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Frau, welche die Wahrheitssuche in diesem Forum maliziös lächelnd beobachtet hatte, legte mir heute den im Taschen-Verlag erschienenen Reprint des "Atlas Major" von 1665, Teilausgabe Germania (2 Bände, 124 Karten), auf den Tisch, den sie bei einem Versender erstanden hatte. (Lieb, nicht? Dieter kennt die Ausgabe bestimmt.)

Ein erster Blick ins Werk führte zu weiterer Verunsicherung - das "Schweytser Lant" z. B. scheint innerhalb der Reichsgrenzen zu liegen -, aber auch Erkenntniszuwachs: Die Schweizer "unterscheiden sich in ihrer Wesensart und Lebensweise so sehr von den übrigen Deutschen, dass sie nur über kurze Zeit mit diesen auskommen können, vor allem wenn sie diesen im Ausland begegnen." (Wird sich vermutlich bei der EM2008 verifizieren lassen.)
 
Du musst dich damit abfinden, dass sich manche Abhängigkeiten und Suzeränitäten nicht kartieren lassen. Solche Kartierungsversuche scheitern zwangsläufig daran, dass derartige Karten unübersichtlich, schlecht lesbar und von Informationen überfrachtet wären. Daher müssen Historiker und Kartografen bei Geschichtskarten stets Kompromisse eingehen, die nicht immer befriediegend, aber im Interesse lesbarer Karten unausweichlich sind.

Ich habe zahlreiche historische Karten für zwei bekannte Geschichtsatlanten konzipiert und weiß, wovon ich spreche.

Die Visualisierung der staatsrechtlichen Stellung Reichsitaliens ist dabei nur eines der zahlreichen Probleme. Die Kartenentwerfer aller großen Geschichtsatlanten sind in diesem Fall zu der Überzeugung gelangt, dass ein Verlauf der Reichsgrenze in Italien bis zur Zäsur von 1648 die beste Lösung ist: Großer Historischer Weltaltlas, Bd. 2 (bsv-Verlag), Großer Atlas zur Weltgeschichte (Westermann Verlag), Putzger Historischer Weltatlas (Cornelsen Verlag), der frühere DDR-Geschichtsatlas. Lediglich der Große Historische Weltatlas zeigt die Reichsgrenze in Italien bereits seit dem 13. Jh. lediglich gerissen statt durchgezogen, was auf eine eingeschränkte Souveränität bzw. Territorialherrschaft des Reichs hinweist (Gr. Hist. Weltaltlas, S. 88 (a), S. 120 (a).

Danach sind die Reichsrechte in Italien derart lückenhaft, dass eine Norditalien umfassende Reichsgrenze eine völlig falsche Vorstellung bieten würde. Somit hat man in all diesen Atlanten die Reichsgrenze zurückhenommen, was natürlich ein Kompromiss ist. Die oben genannten Geschichtsatlanten zählen zu den wissenschaftlich und kartografisch zuverlässigen historischen Kartenwerken, die von einer Phalanx renommierter Historiker und in kartografischen Anstalten erarbeitet wurden.

Wenn z.B. im Hohen Mittelalter Grenzen gezeigt werden, so ist folgenes zu berücksichtigen: Nur wenige Grenzbeschreibungen sind aus spätmittelalterlichen Quellen überliefert, viele Grenzen muss man aus jüngeren Verhältnissen - zum Teil erst des 18. Jh. - erschließen und viele haben für das 14. und 15. Jh. überhaupt nur den Wert von Hilfslinien, weil die Herrschaften, deren ungefähren Umfang sie umreißen, über verstreute Untertanen geboten, also eigentlich "grenzenlos" waren.
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OT1: An Weihnachten 1962 schenkte mir mein Onkel den Putzger Ausgabe 1961. Ich habe ihn noch heute.
Ob Ihr mich hier aushalten müßtet, wenn er dies nicht getan hätte?

OT2: 1981 habe ich im ehem. Sommersitz eines ital. Grafen 2 Wochen verbracht. Er hat mit umfassender Familie im nahegelegen Städtchen in einem Palazzo residiert. Eine Juni Nacht lang hat er mir von der Reichsunmittelbarkeit seiner Familie erzählt, die ihnen der Napoleone genommen hat. Was mir damals völlig neu war. Von daher kenne ich diese Materie ein bisschen und hielt alle Geschichtsatlanten für falsch.

TT:
Es ist sehr interessant und erhellend, wenn einem von einem Fachmann die Hintergründe aufgezeigt werden. Man kann den heutigen Begriff des Staates und der Grenze demnach eben nicht 1:1 in die Vergangenheit übertragen. Regionalgeschichtlich ist und war mir dies ja auch immer klar, aber.... Naja, hat halt der Blick fürs Ganze gefehlt.
Vielen Dank jedenfalls.
 
Die Reichsgerichtsbarkeit in Italien in der Frühen Neuzeit

Antwort auf die Ausgangsfrage von Brissotin

Das sog. 'Reichsitalien':
"... 951 gewann Otto der Große die Herrschaft über Nord- und Teile Mittelitaliens (so genanntes Reichsitalien) und begründete die Verbindung Reichsitaliens mit dem Deutschen Reich (Heiliges Römisches Reich).
(...)
1176 in der Schlacht bei Legnano. Mit dem Ende der Staufer wurden die Städte faktisch unabhängig (wenn sie auch, sofern sie sich in Reichsitalien befanden, weiterhin formal die kaiserliche Oberherrschaft akzeptierten) ..."
Geschichte Italiens ? Wikipedia

Wie soll man sich 'Reichsitalien' in der frühen Neuzeit vorstellen?
Matthias Schnettger: Die Reichsgerichtsbarkeit in Italien in der Frühen Neuzeit

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Antwort auf die Ausgangsfrage von Brissotin

Das sog. 'Reichsitalien':
"... 951 gewann Otto der Große die Herrschaft über Nord- und Teile Mittelitaliens (so genanntes Reichsitalien) und begründete die Verbindung Reichsitaliens mit dem Deutschen Reich (Heiliges Römisches Reich).
(...)
1176 in der Schlacht bei Legnano. Mit dem Ende der Staufer wurden die Städte faktisch unabhängig (wenn sie auch, sofern sie sich in Reichsitalien befanden, weiterhin formal die kaiserliche Oberherrschaft akzeptierten) ..."
Geschichte Italiens ? Wikipedia

Wie soll man sich 'Reichsitalien' in der frühen Neuzeit vorstellen?
Matthias Schnettger: Die Reichsgerichtsbarkeit in Italien in der Frühen Neuzeit

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Sag mal liest du auch was die andern Mitglieder in den Diskussionen schreiben oder ist dir das egal?
 
Eine recht interessante Passage in neuerer Literatur habe ich vor ein paar Tagen gefunden.

"Im Jahre 1754 entrichtete außerdem der schwedische König für das in Personalunion regierte Reichsterritorium Schwedisch-Pommern und der Herzog von Savoyen 1755 für sein Herzogtum Savoyen Lehensgebühren von 20 000 bzw. 85 000 Florin. Letzteres Territorium gehörte wie das so genannte Reichsitalien noch im 18. Jahrhundert locker zum Reichsverband des Reiches, so dass für diesen Teil Italiens formal der Reichshofrat zuständig war. Zu diesem Reichsitalien gehörten Dória, Finále, Mailand, Mantua, Módena, Parma, Piemont und Toskana."

Es war im HRR so, dass noch bis ins 18.Jh. hinein der Vasall bei einem neuen Kaiser oder beim Wechsel des Vasallen durch ein Mutungsschreiben an den Reichshofrat oder bei größeren Lehen eine direkte Bitte an den Kaiser das Lehen ausdrücklich übertragen bekommen musste. Für größere Territorien flossen in dem Zusammenhang bedeutende Gelder.

Peter Claus Hartmann: "Das Heilige Römische Reich in der Neuzeit 1486 - 1806" Reclam, Stuttgart, 2007
hier:
"Verfassung" - "Gemeinsame Institutionen" - "Reichslehenswesen"
S. 65
 
Nützliche Informationen über das späte Reichsitalien aus Peter H. Wilsons The Holy Roman Empire

Reichslehen:
- 6 große Lehen (Mailand, Mantau, Savoyen-Piedmont, Genua, die Toskana und Parma-Piacenza).
- mit Ausnahme des letzteren, das in 1545 geschaffen wurde, stammten alle aus der Luxemburger-Ära.

- 200 bis 250 kleine Lehen in vier Landschaften im Nordwesten: Ligurien, Langhe, Lunigiana und Valle di Pregola.
- gehalten von 50 bis 70 Familien (Gonzaga, Carretto, Malaspina, Scrampi, Pico, Pallavicino, Doria, Spinola, usw.)

- der Reichshofrat beschäftigte sich nach 1559 mit insgesamt 1500 Fällen aus Italien, Tendenz steigend.

- italienische Vasallen unterstützten Österreich, also den Kaiser finanziell und mit Truppen in allen Konflikten bis 1797.
- als Beispiel wird die Teilnahme eines mantuanischen Truppenkontingents im Langen Türkenkrieg (1593-1606) erwähnt.
 
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