Schulpflicht im Mittelalter?

Uhtred

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Gemeinhin war die mittelalterliche Bevölkerung ja eher ungebildet, sprich konnte nicht lesen und nicht schreiben.
Die allgemeine Schulpflicht kam erst relativ spät, in der Neuzeit. Z.B. unter Kaiserin Maria Theresia im 18. Jh.

Was mich nun interessieren würde, gab es "Ausreißer" unter den Führern des Mittelalters, die für ihre Untertanen schon in recht früher Zeit Bildungsmaßnahmen vorsahen?
Sprich dass man z.B. im größeren Maßstab Schulen für die Allgemeinheit gründete (nicht nur für die Reichen)?
Wenn schon nicht Könige oder Herzöge, weiß man ob solche Dinge z.B. von Grafen, Bischöfen oder Freiherren für ihre direkten Untergebenen veranlasst wurden?
Gab es solche Lichtgestalten und Visionäre, in einer ansonsten eher trostlosen Zeit (was die Bildung betraf)?

Und noch eine Frage:
Wovon hatte ein mittelalterlicher Schüler eigentlich mehr?
Wenn er in der Landessprache lesen und schreiben lernte, oder wenn er es in lateinischer Sprache tat (vorausgesetzt, er wollte sowieso nicht unbedingt auf eine Universität)?
 
Wovon hatte ein mittelalterlicher Schüler eigentlich mehr?
Wenn er in der Landessprache lesen und schreiben lernte, oder wenn er es in lateinischer Sprache tat (vorausgesetzt, er wollte sowieso nicht unbedingt auf eine Universität)?

Die Glossen, die seit dem neunten Jahrhundert zahlreich belegt sind und Vokabellisten wie der Abrogans sprechen eine deutliche Sprache: Schüler hatten Probleme mit dem Verständnis des Lateinischen, selbst die aus dem romanischen Sprachraum. Auf der anderen Seite gab es keine Festlegungen, wie etwas zu schreiben sei. Im Lateinischen gab es immerhin die Vulgata und die im MA bekannten klassischen Texte als Richtschnur, die Verschriftlichung Volkssprachen dagegen musste man noch länger alleine meistern. Im ausgehenden 12. beginnenden 13. Jahrhundert gibt es die ersten systematischen volkssprachlichen Texte, die mehr sind als Zeugnisse eines einzelnen Schreibers.
 
Guck mal hier: http://www.geschichtsforum.de/f149/sms-aus-dem-mittelalter-18778/

Das Problem bestand nur teilweise in den fehlenden Möglichkeiten. MWn konnte jeder seine Kinder zum Lernen in die "Ganztagsschule Kloster" schicken, ohne dass da gleich ein Mönch draus werden musste.

Das grössere Problem ist der Wegfall der Arbeitskraft des Jugendlichen! Kennt jemand noch den Begriff "Kartoffelferien"?

Kinder wurden generell NICHT freiwillig in die Schule geschickt, darum heißt es ja auch SchulPFLICHT!!!

Es scheint - s. den verlinkten Thread - auch weder an der Intelligenz noch an den Möglichkeiten zu liegen Lesen zu lernen: Man musste nur wollen. Aber auch die meisten Kinder wollten eher nicht.

Es gab natürlich immer wieder mal "Herren", die Bildung nicht nur nicht besonders förderten, sondern sie auch unterdrückten: Wissen macht rebellisch!

Lateinisch Lesen und Schreiben ist genau das Gleiche wie in der Landessprache - nur eben in Latein :)

Das ist eine andere Bildungsbaustelle...
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Entwicklung der Schulpflicht ist in der Wikipedia dargestellt:
Schulpflicht ? Wikipedia
Dass die Untertanen Lesen und Schreiben lernen sollten, war den "Obrigkeiten" lange Zeit überhaupt nicht wichtig, und zum großen Teil auch durchaus zu recht. Man brauchte als "gemeiner Mann" allerhand Kenntnisse, aber solche nicht. Außerdem werden gebildete Leute gern aufsässig und können auch über größere Entfernungen kommunizieren.
 
Für's MA würde ich in erster Linie allerdings nicht den Unwillen der Herrschenden oder der Kinder sondern den Mangel an Infrastruktur und geeignetem Schreibmaterial unterstellen...
 
Ich hatte den "Birkenrinden-Thread" extra noch einmal verlinkt... Auf Pergament wird man sicherlich nicht geschrieben haben. Aber Lesen ist doch schon auch mal was.....
Infrastruktur... Richtig, es gab offensichtlich kein "Schulsystem"..
 
Für's MA würde ich in erster Linie allerdings nicht den Unwillen der Herrschenden oder der Kinder sondern den Mangel an Infrastruktur und geeignetem Schreibmaterial unterstellen...
Die Infrastruktur hätte geschaffen werden können, wenn es für nötig erachtet worden wäre. Und gar so lang ist die Zeit auch noch nicht her als man noch mit Griffeln auf Schiefertafeln schrieb. Aber, wie de Silva oben schon zu recht bemerkt hat, Schulbildung galt noch weit über das MA hinaus als schlicht unnütz für das "gemeine Volk". Später war diese Ansicht allerdings mehr unter den Eltern als der Obrigkeit verbreitet.
Eine Vorstellung von den Verhältnissen kann man bekommen, wenn man z. B. nach Afrika schaut. Trotz schwieriger Infrastrukturverhältnisse findet dort einerseits Schulunterricht statt und andererseits gehen viele Kinder aus den von de Silva genannten Gründen nicht zur Schule
 
Und gar so lang ist die Zeit auch noch nicht her als man noch mit Griffeln auf Schiefertafeln schrieb.

Diese Diskussion hatte ich schon im von deSilva verlinkten Thread mit Repo. Schrift ist in erster Linie zur Archivierung von Wissen und zur Wissensvermittlung. Wenn man aber keine Materialien hat zu Archivierung, dann nutzt die Kenntnis der Schrift herzlich wenig, wäre ein Selbstzweck. Materialien sind: Papier (gab es vor dem Hochmittelalter in Europa nicht), Birke, Wachs (beide Materialien eignen sich nur bedingt zur Archivierung oder Nachrichtenvermittlung, Schiefer eignet sich gar nicht zur Archivierung und Nachrichtenübermittlung, Pergament ist sauteuer.
Infrastruktur ist auch eine Frage der Bevölkerungsgröße.
 
Leider weiss man zum Schulwesen im Mittelalter ziemlich wenig, insbesondere was die Quantitäten betrifft (siehe Band 1 des Handbuchs der deutschen Bildungsgeschichte: Fehlanzeige!).

... kann man für das mittelalterliche Europa allgemein spätestens ab dem 12. Jh. nicht mehr davon sprechen, daß nur der Klerus lesen und schreiben konnte, denn sowohl der Adel als auch das sich in den Städten entwickelnde Bürgertum hatten diesbezüglich längst begonnen "gleichzuziehen".
Über "Europa" erlaube ich mir kein Urteil. Für Deutschland stellt es sich mir so dar:
1. In welchem Maße der Klerus, die Mönche und Nonnen lesen, schreiben und rechnen konnten, ist unsicher.
2. Nur ein Teil des Adels verfügte über solche Qualifikationen; Begriffe wie "Rittererziehung" z. B. können alles Mögliche bedeuten.
3. Das Bürgertum war insoweit interessiert, als Geldwirtschaft und Fernhandel daran hingen. Deshalb entwickelten sich Ratsschulen - übrigens vom Klerus häufig vehement bekämpft, weil sie das kirchliche "Bildungsmonopol" tangierten -, deren Umfang jedoch nicht beziffert werden kann.

MWn konnte jeder seine Kinder zum Lernen in die "Ganztagsschule Kloster" schicken, ohne dass da gleich ein Mönch draus werden musste.
Es scheint - s. den verlinkten Thread - auch weder an der Intelligenz noch an den Möglichkeiten zu liegen Lesen zu lernen: Man musste nur wollen. Aber auch die meisten Kinder wollten eher nicht.
Ich kenne keinerlei Literatur, die das belegen könnte. Die Klöster, soweit sie überhaupt unterrichtliche Aktivitäten entfalteten - das waren beileibe nicht alle! -, trafen eine Auswahl unter den begabt erscheinenden Kindern im Umland bzw. legten es bestimmten Eltern nahe, ihre Kinder "bilden" zu lassen. Die "Lehrkapazität" der Klöster war im Übrigen viel zu gering, als dass sie eine namhafte Zahl von Kindern hätte erreichen können.
Größere "Schüler"zahlen kommen nur dann zustande, wenn man einfachste Formen religöser Indoktrination - Hören, Nachsprechen und Auswendiglernen des Vaterunsers und ähnliches - mit einbezieht.

Man sollte davon ausgehen, dass der Anteil derer, die bis zum Ausgang des MA Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen erhielten, insgesamt ziemlich gering war. Gründe, warum das so war, wurden z. T. schon genannt:
- Wer sollte lehren? (Einen "Lehrerstand" gab es nicht.)
- Womit und worauf sollte geschrieben werden?
- Welche Schrift und welche Rechenkunst sollte vermittelt werden?
- Welche Sprache sollte gelehrt werden?
- Welche Texte sollten (vor dem Buchdruck) gelesen werden? usw.

Auch das sich in der Renaissance entwickelnde "humanistische Bildungsideal" betraf die breite Masse nicht. Zusätzliche Impulse gingen am ehesten von der niederen Handwerkerschaft aus, die in den Städten dazu überging, "Klipp- und Winkelschulen" gegen den Widerstand der Obrigkeit zu errichten.
Andere Forderungen nach "Breitenbildung" wurden zuerst bei Ketzern/Sekten, bei aufständischen Bauern und dergleichen laut, in Kreisen also, die sich ein klein wenig mehr Freiheit von der Bevormundung durch Amtskirche, Grundherrn usw. wünschten.

Trotzdem sind bis zu 30% der Deutschen Analphabeten (Schätzungen der Analphabetenforschung nach Dieter Keiner
Was weiß Keiner? :) Die Wikipedia kommt mit 0,6 % totalen sowie zwischen etwa 6,5 % und 11,2 % funktionalen Analphabeten der Wahrheit sicherlich näher. Der auch nach öffentlichen Mitteln sich streckende, aber seriöse Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. geht von "über 4 Millionen" Personen aus, die über so geringe Lese- und Schreibkenntnisse verfügen, dass sie als (funktionale) Analphabeten gelten. - Aber vielleicht geht Keiners Vision ja noch in Erfüllung...
 
@jschmidt
Du gehst absolut richtig auf die u.a. organisatorischen Probleme ein, vor dem 18. Jh. ein breites "Schulsystem" in Europa verhindert haben.

Ich habe meine Postings eher individuell gemeint: Wenn jemand nun Lesen und Schreiben lernen wollte, dann gab es mMn Möglichkeiten: Die von Dir genannten "Handwerkerschulen" zeigen dies.

Wahrscheinlich ist der Bedarf nach Alfabeten auch erst durch die industrielle Revolution geweckt worden: Auf der einen Seite senkte stupide Maschinenbedienung Qualifikation und Stundenlohn, auf der anderen Seite wurde auch eine immer größere Menge an "Meistern" benötigt, die sich mit Aufzeichnungen, Korrespondenz, schnell wechselnden Bedienungsanleitungen, "Handbüchern" jeder Art konfrontiert sahen...

Ich stelle mir vor, schon damals gab es Probleme, die "Bildungsreserve" der Unter- und Mittelschicht zu heben.

Eine - wie ich es genannt habe - "andere Baustelle" des mittelalterlichen Bildungswesens ist das Lernen von Latein...
 
Eigentlich wollte ich mich diesbezüglich etwas zurückhalten, aber da ich zitiert wurde...

Über "Europa" erlaube ich mir kein Urteil. Für Deutschland stellt es sich mir so dar:
1. In welchem Maße der Klerus, die Mönche und Nonnen lesen, schreiben und rechnen konnten, ist unsicher.
2. Nur ein Teil des Adels verfügte über solche Qualifikationen; Begriffe wie "Rittererziehung" z. B. können alles Mögliche bedeuten.
3. Das Bürgertum war insoweit interessiert, als Geldwirtschaft und Fernhandel daran hingen. Deshalb entwickelten sich Ratsschulen - übrigens vom Klerus häufig vehement bekämpft, weil sie das kirchliche "Bildungsmonopol" tangierten -, deren Umfang jedoch nicht beziffert werden kann.

Daß ich mich so explizit auf das 12. Jh. und v.a. die Jahrhunderte danach festlegte, war dabei ebenso die Hauptintention wie das begonnen "gleichzuziehen" (mit der Betonung auf beginnen).



Einige Zitate dazu...



Schule schrieb:
Bis in das 13. Jh. haben ausschließlich kirchliche Einrichtungen Schulen eingerichtet und unterhalten; am wichtigsten waren die bei den Domkapiteln unter der Leitung des Donscholasters bestehenden Domschulen. Sie dienten der Ausbildung des Klerikernachwuchses und vermittelten im allgemeinen das Wissen der "artes liberates" (der "freien Künste") in lateinischer Sprache. Die hochmittelalterliche Schriftkultur war fast ausschließlich lateinisch. Das galt für theologische, philosophische und literarische Texte ebenso wir für das Verwaltungschriftgut der Urkunden... Verfasser und Schreiber der Urkunden waren bis in das 14. Jh. Geistliche. Neben den Domschulen gab es auch in den Klöstern Schulen, in denen vor allem den monastischen Novizen theologische (besonders liturgische Grundkenntnisse vermittelt wurden. Mit den Dom- und Klosterschulen waren häufig Bibliotheken verbunden...
Auch in größeren Pfarreien haben wohl schon in hochmittelalterlicher Zeit Pfarrer oder Hilfsgeistliche Unterricht erteilt, dessen Inhalt über die religiöse Unterweisung hinausging. Diese Schulen erreichten seit der Entwicklung der Städte im 13. Jh. besondere Bedeutung. Aus ihnen erwuchsen die Pfarrschulen, auf die zunehmend der städtische Rat Einfluß nahm und für die er Schulmeister einstellte und besoldete. Die Lateinschulen vermittelten in den Städten den Söhnen der Oberschicht auch die für die Wirtschaftsführung in Gewerbe und Handel notwendigen Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen und die Grundlagen des Triviums... Nun entstanden auch deutsche Schulen zur Elemantarerziehung und zur Vermittlung grundlegender Schreib- und Rechenkenntnisse. Außer den vom Rat der Städte oder größeren Märkte betriebenen Schulen gab es Privatschulen von Schreib- und Rechenmeistern, die ihre Tätigkeit als Handwerk betrachteten... Mädchen erhielten systematischen Schulunterricht allenfalls in Schulen, die von Frauenklöstern unterhalten wurden...
Und zur Vervollständigung noch:
Frau schrieb:
...
Die Bildungsmöglichkeiten für Frauen waren sehr beschränkt. Weltliche Schulen, die auch Mädchen besuchen konnten, entstanden erst in den Städten seit dem 13. Jh. Für unverheiratete Frauen bot der Eintritt in einen Orden Gelegenheit zu geistlich-geistiger Bildung (diese schließt definitiv das Schreiben ein - Anm. von mir). Verschiedene Kanonissenstifte und Benediktinerinnenklöster waren schon seit spätkarolingischer Zeit geistige, künstlerische und kunsthandwerkliche Zentren ersten Ranges. Auch die meisten Reformorden des Hoch- und Spätmittelalters errichteten Frauengemeinschaften, die sich häufig karitativen Aufgaben zuwandten und Bildungsaufgaben, besonders die Mädchenerziehung, übernahmen.
Aus Wilhelm Volkert "Adel bis Zunft: ein Lexikon des Mittelalters" - C.H. Beck - München, 1991



Kindheit schrieb:
... mit Ablauf des 6. oder 7. Lebensjahres begann der Ernst des Lebens... In der Ritterfamilie wechselten die Jungen in die Obhut von Männern: eines Onkels, eines älteren Bruders, manchmal eines Erziehers, seltener des Vaters. Oft mußte der Junge schon mit sieben Jahren das Elternhaus verlassen und als Page zur Burg des Lehnsherrn ziehen; das Band zwischen Lehnsherrn und zukünftigem Lehnsnehmer sollte so von Anfang an vertieft werden. Hier lernte der Junge den zukünftigen Herren der Region kennen, und es entstanden Freundschaften, die ein Leben lang hielten. Dies war wichtig, denn im Krieg kämpfte man in kleineren Einheiten unter Führung des Lehnsherrn, hatte diesen zu schützen und war auf den anderen angewiesen.
Die Ausbildung mußte zunächst rein praktisch sein; sie sollte den Jungen abhärten und langsam in die Kampftechniken einführen. Auf dem Programm standen Reiten, Schwimmen, Bogenschießen, Faustkampf, Ringen, das Aufstellen von Vogelfallen und immer wieder Reiten. Fie Reittechniken mußten perfekt beherrscht werden, denn im Kampf, beim Anreiten mit der Lanze (hierbei war insbesondere der Rechtsgalopp wichtig - Anm. von mir), im Zweikampf mit dem Schwert mußte der Ritter das Pferd ohne Zügelhilfen allein durch Gewichtsverlagerung oder Schenkeldruck lenken können. An echten Kämpfen nahm der Page aber noch nicht teil...
Bei allem Gewicht, das auf die praktische Ausbildung gelegt werden mußte, sind auch theoretische Inhalte vermittelt worden, zumindest die Grundlagen für höfische Umgangsformen, die im praktischen Dienst am Tisch von Ritter und Edelfrau vertieft werden konnten. Sprachen wurden gelernt, vor allem Französisch... Da in Deutschland (gemeint ist das Heilige Römische Reich - Anm. von mir) die meisten Ritter aus der Ministerialität stammten und ihrem Herrn nicht nur als schwerbewaffnete Ritter, sondern auch als Verwalter dienten, liegt die Vermittlung von Schreib- und Lesekenntnissen (dies dürfte spätestens ab dem 12. Jh. gelten - Anm. von mir) nahe.
Der Knappe schrieb:
Zwischen dem 12. und 14./15. Lebensjahr wird aus dem Pagen der Knappe...
Der Knappe kämpfte nicht länger mit Übungswaffen, sondern erhielt Lanze, Schild und Kurzschwert, zum Kampf Eisenhut und Streitkolben, vielleicht sogar silberne oder versilberte Sporen.
... Ein erfahrener Ritter kümmerte sich um seine weitere Ausbildung, mit ihm mußte der Knappe in den Kampf ziehen und ihn auf seinen Fahrten begleiten... Vor der Schlacht hatte er den Helm und den schweren Schild zu tragen, damit der Ritter nicht vorzeitig ermattete (daher die Bezeichnung "Schildknappe"). Wenn nötig hatte er seinen Herrn unter Einsatz seines Lebens aus gefährlichen Situationen herauszuhauen, für ihn Ersatzwaffen bereitzuhalten oder den Ritter in Sicherheit zu bringen, wenn sein Pferd oder er selbst verwundet wurde. Hatte sein Herr einen feindlichen Ritter aus dem sattel gehoben, war es seine Aufgabe, den Ritter gefangenzunehmen und seine Rüstung sicherzustellen...
Damit wird verständlich, weshalb größter Nachdruck auf die militärische Ausbildung des Knappen gelegt wurde. Leben wie finanzieller Erfolg hingen entscheidend von der Tüchtigkeit seiner Knappen ab. Wer sich bislang als Page nicht bewährt hatte, fand allerdings kaum einen Ausbilder und wandte sich besser anderen Aufgaben zu. Die anderen werden spätestens jetzt mit scharfen Waffen geübt haben, und zwar den Kampf zu Pferd im Verband mit anderen Knappen (den Buhurt) und das Anrennen mit der Lanze (das Tjosten). Der körperlichen Ertüchtigung und Abhärtung dienten Reiten, Schwimmen, der Umgang mit Bogen und Armbrust (für die jagd), Ringen, Springen und Klettern - Einzelkämpferausbildung, aber immer mit dem Ziel, den kampf in kleineren Gruppen und Einheiten zu lernen. Im Turnier mußte er dann zeigen, was er kann. Es gab eigene Knappenturniere, meist aber begleitete er seinen Herrn zu den Turnieren, half ihm in Rüstung und Helm, hielt Ersatzlanzen bereit. Auch die Jagdausbildung wurde fortgesetzt: Für seinen ritterlichen Lehrmeister zerlegte der Knappe fachgerecht das Wild, schlug die Zelte auf, machte am Abend Holz für das Lagerfeuer. Im Gegenzug ergänzte der Herr die Kenntnisse des Knappen über die Beizjagd mit dem Falken, brachte ihm Pirsch-, Hetz- und Vogeljagd bei.
Körperbeherrschung, Mut, tapferkeit, Kenntnisse in der Jagd und in den waffen - das alles machte noch keinen Ritter... Man brauchte gute Tischsitten, Kenntnisse in den Fremdsprachen, im Lesen und Schreiben, in Gesellschafts- und Brettspielen, in Musik und Tanz...
Die Ausbildung endete im idealen fall nach rund sechs bis sieben Jahren mit der Schwertleite, ab dem 14. Jh. mit dem Ritterschlag...
Aus Andreas Schlunk/Robert Giersch "Die Ritter: Geschichte - Kultur - Alltagsleben. Begleitbuch zur Ausstellung 'Die Ritter' im Historischen Museum der Pfalz Speyer 30. März 2003 - 16. Oktober 2003" - Konrad Theiss verlag, Stuttgart 2003
 
Ah, jetzt hat Timotheus das meiste schon geschrieben, was mir auch noch so einfiel. In diesem Beitrag hier werden die Elemente des Mittelalterlichen "Schulsystems" noch einmal zusammenfassend angesprochen, wenn auch leider nicht so spezifisch, wie ich es mir wünschen würde.
http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/542857.PDF

Ganz offensichtlich wird aber nirgendwo eine Instutution (!) erwähnt, an der man etwas anderes als LATEIN lesen und schreiben lernen konnte (als Teil des Triviums: Grammatik); es ist klar, dass man dann auch die "Landessprache" Lesen und Schreiben konnte; schreiben tat natürlich jeder nach dem "Gehör" und lateinischem Muster, weil es ja gar keine Standardisierung durch einen Unterricht gab!

Es finden sich Hinweise auf "Privatpraxis" von Magistern außerhalb der Dom- oder Klosterschulen.. (Ich hätte beinahe "einträglich" geschrieben, aber ein Magister nagte immer am Hungertuch...)
 
Ah, jetzt hat Timotheus das meiste schon geschrieben, was mir auch noch so einfiel...

Tut mir leid; das war keine Absicht.

Ganz offensichtlich wird aber nirgendwo eine Instutution (!) erwähnt, an der man etwas anderes als LATEIN lesen und schreiben lernen konnte (als Teil des Triviums: Grammatik); es ist klar, dass man dann auch die "Landessprache" Lesen und Schreiben konnte; schreiben tat natürlich jeder nach dem "Gehör" und lateinischem Muster, weil es ja gar keine Standardisierung durch einen Unterricht gab!

Ich finde es gut, daß Du das ansprichst, denn dazu ist mir soeben noch etwas eingefallen...
Sagen wir es so: einen Duden o.dgl. gab es natürlich noch nicht, wiewohl wir aber den Wert deutschsprachiger Schriftlichkeit auch nicht unterschätzen dürfen - und das bereits seit etwa 750!
Vgl. dazu bspw. das von mir angeführte Zitat aus Horst-Dieter Schlosser (Hrsg.) "Althochdeutsche Literatur: eine Textauswahl mit Übertragungen" - Erich Schmidt Verlag, Berlin 1998 in http://www.geschichtsforum.de/280897-post10.html
 
Ganz offensichtlich wird aber nirgendwo eine Instutution (!) erwähnt, an der man etwas anderes als LATEIN lesen und schreiben lernen konnte (als Teil des Triviums: Grammatik)

Einen selbständigen Deutschunterricht gibt es ohnehin erst nach Luther, befördert durch die sich entwickelnde Verdeutschung der Kirchenlieder und die Verbreitung von Bibel und Katechismus in Deutsch. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jh. treten neben die Erwähnung beim Erklären und Übersetzen erste Spuren einer selbständigen Beschäftigung mit dem Deutschen, und die erste Schulordnung, in der das verankert ist, ist die Stralsunder von 1591 (Dolch, Lehrplan des Abendlandes [1971], S. 207).

Die ersten Deutsch-"Lehrbücher", die Regeln zur Orthographie und Interpunktion enthielten, entstanden auch zu Luthers Zeit; das fortschrittlichste sei die "Teutsche Grammatica" von 1534 des Valentin Ickelsamer gewesen, berichtet Frank (Geschichte des Deutschunterrichts von den Anfängen bis 1945, Band 1 [1976], S. 25).

Aber, wie schon gesagt: Wieviele Menschen zu dieser Zeit und in der Jahrhunderten davor in den Genuss einer wie immer gearteten "Bildung" kamen, weiss niemand; auf dem platten Land, d.h. für das Gros der Bevölkerung, muss man von ganz niedrigen Anteilen ausgehen.
 
2. Nur ein Teil des Adels verfügte über solche Qualifikationen; Begriffe wie "Rittererziehung" z. B. können alles Mögliche bedeuten.
Sprachen wurden gelernt, vor allem Französisch... Da in Deutschland (gemeint ist das Heilige Römische Reich - Anm. von mir) die meisten Ritter aus der Ministerialität stammten und ihrem Herrn nicht nur als schwerbewaffnete Ritter, sondern auch als Verwalter dienten, liegt die Vermittlung von Schreib- und Lesekenntnissen (dies dürfte spätestens ab dem 12. Jh. gelten - Anm. von mir) nahe.
Aus Andreas Schlunk/Robert Giersch "Die Ritter: Geschichte - Kultur - Alltagsleben. Begleitbuch zur Ausstellung 'Die Ritter' im Historischen Museum der Pfalz Speyer 30. März 2003 - 16. Oktober 2003" - Konrad Theiss verlag, Stuttgart 2003

Für die Kenntnisse des Ritterstands was Schreiben und Lesen und Französisch angeht, werden immer wieder die höfischen Dichter angeführt, Walter und Wolfram, der Kürenberger, der Tannhäuser etc. Bei einigen - z.B. Wolfram - wird aber in der Germanistik sehr intensiv diskutiert, ob sie wirklich Französisch konnten und ob sie Lesen und Schreiben konnten, oder ob ihnen nicht vorgelesen wurde, und ob sie das, was sie dichteten nicht diktierten. Ich bin eigentlich ein Anhänger der Schreibkundigkeit der dichtenden Ritter, aber die germanistische Mediävistik mehrheitlich eher nicht.

Was weiß Keiner? :) Die Wikipedia kommt mit 0,6 % totalen sowie zwischen etwa 6,5 % und 11,2 % funktionalen Analphabeten der Wahrheit sicherlich näher. Der auch nach öffentlichen Mitteln sich streckende, aber seriöse Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. geht von "über 4 Millionen" Personen aus, die über so geringe Lese- und Schreibkenntnisse verfügen, dass sie als (funktionale) Analphabeten gelten. - Aber vielleicht geht Keiners Vision ja noch in Erfüllung...
Ich hatte mich schon erschrocken und gedacht, ich hätte mal wieder totalen Schwachsinn verzapft. Aber dem war glücklicherweise doch nicht so. Hier Keiner:

Wie soll man es bewerten, daß, so die Stiftung Lesen schon 1997, über 34% der Erwachsenenbevölkerung als hochfunktionale Analphabeten gelten müssen, die sich keine Texte von auch nur geringer Komplexität erschließen können?
http://www.hasi.s.bw.schule.de/lehr276.htm

Wo bei ich natürlich einräume, dass zwischen Analphabeten und funktionalen oder gar hochfunktionalen Analphabeten ein Unterschied besteht. Wobei ich diesen auch meinte, als ich im anderen Thread die Keiner-Angabe mit dem Satz "Du kannst davon ausgehen, dass in Deutschland jeder, dessen IQ dazu reicht, in seiner Kindheit lesen und schreiben gelernt hat", einleitete. Ich konnte es nur nicht so schön ausdrücken.
 
Ich hatte mich schon erschrocken und gedacht, ich hätte mal wieder totalen Schwachsinn verzapft. Aber dem war glücklicherweise doch nicht so. Hier Keiner:
lehr2a
Der Schrecken ist ganz auf meiner Seite! :winke: In einem anderen Text von Keiner aus dem Jahre 2002 (Neue deutsche Bildungskatastrophe? | Linksnet) heißt es in Fußnote 2:
Vgl. hierzu die die [sic] Feststellung der Stiftung Lesen in der "Resolution zur Lese- und Medienkultur heute": "Nach formaler Ableistung der Schulpflicht stellt ein knappes Drittel der Achtklässler von sich selber fest, mit dem Lesen und Schreiben nur eingeschränkt zurechtzukommen. Von den erwachsenen Deutschen verfügen 14 Prozent über ausgesprochen schlechte, weitere 34 Prozent nur über mäßige Fähigkeiten, den Inhalt von Texten zu verstehen." In: Klaus Ring, Klaus von Trotha, Peter Voß (Hrsg), Lesen in der Informationsgesellschaft - Persepktiven der Medienkultur. Baden-Baden: Nomos 1997. S.156 [Hervorh. js.]
Diese Darstellung desselben Autors [!] erscheint mir vorerst plausibler, zumal ich mit dem Begriff "hochfunktional" auch nix anfangen kann. Man kann natürlich Analphabetismus auch bei einem IQ von unter 130 beginnen lassen, dann erhöhen sich die Werte wieder ein wenig...
 
Das heißt soviel wie: Die Leute können zwar lesen und schreiben, sie verstehen aber den Inhalt nicht. Ergo, sie beherrschen die Technik, aber nicht ihre Funktion, nämlich das tradieren und rezipieren von Information.
 
Für die Kenntnisse des Ritterstands was Schreiben und Lesen und Französisch angeht, werden immer wieder die höfischen Dichter angeführt, Walter und Wolfram, der Kürenberger, der Tannhäuser etc. Bei einigen - z.B. Wolfram - wird aber in der Germanistik sehr intensiv diskutiert, ob sie wirklich Französisch konnten und ob sie Lesen und Schreiben konnten, oder ob ihnen nicht vorgelesen wurde, und ob sie das, was sie dichteten nicht diktierten. Ich bin eigentlich ein Anhänger der Schreibkundigkeit der dichtenden Ritter, aber die germanistische Mediävistik mehrheitlich eher nicht.

Mir ging es dabei primär eher ums Lesen und Schreiben als um die - in welcher Ausprägung auch immer vorhandene - Beherrschung der französischen Sprache.
Anm.: Ich persönlich möchte ja gern an Französischkenntnisse der Ritter glauben; nur habe ich dazu bislang noch keine endgültig schlüssige Begründung gefunden; das Argument, auch die Lieder in der fremden Sprache verstehen zu können, ist mir zu dünn (schon deshalb, weil dabei das Okzitanische auch zu bedeutsam war). Aber das nur nebenbei...

Wolfram von Eschenbach - daß ich darauf eingehe, dürfte einige, die mich hier schon länger und besser kennen, nicht überraschen. Zu ihm finde ich diesbezüglich Abhandlungen wie auf Studio fuer alte deutsche Literatur: Mittelalter - Wolfram von Eschenbach oder insbesondere auf WOLFRAM von Eschenbach sehr erhellend, da dort doch versucht wird, den Kontext seiner Kenntnisse differenziert zu beleuchten.



Aber bleiben wir einmal beim Lesen und Schreiben: ich hatte dabei nicht unbedingt nur die höfischen Dichter bzw. Epiker im Blick, sondern gerade auch die Recihsministerialen, welche als Dienstleute tätig waren. Auch wenn es bei ihnen noch weniger geklärt ist, ob und inwieweit sie des Lesens und Schreibens mächtig waren, so kann ich mir eigentlich nur sehr schwer vorstellen, daß bspw. der Bischof von Naumburg um 1157 einen Reichsministerialen namens Ulrich von Schönburg als Kastellan einer seiner Burgen eingesetzt hat, wenn dieser ein diesbezüglich vollkommen ungebildeten Mann gewesen ist. Im Kontext dessen, was Schlunk und Giersch ausführen, ist es mE da durchaus zumindest wahrscheinlich, daß er als Verwalter - ein Kastellan war seit dem frühen Mittelalter nichts anderes, und die Schriftlichkeit hatte ja im Hochmittelalter mehr und mehr an Bedeutung für solche Belange gewonnen - wenigstens in Grundzügen lesen und schreiben konnte.



Aber, wie schon gesagt: Wieviele Menschen zu dieser Zeit und in der Jahrhunderten davor in den Genuss einer wie immer gearteten "Bildung" kamen, weiss niemand; auf dem platten Land, d.h. für das Gros der Bevölkerung, muss man von ganz niedrigen Anteilen ausgehen.

Dem widerspreche ich freilich nicht :fs:
 
Wo bei ich natürlich einräume, dass zwischen Analphabeten und funktionalen oder gar hochfunktionalen Analphabeten ein Unterschied besteht.

Ähm. Es ist spät. Aber was bitte, ist ein funktionaler Analphabet?
Das heißt soviel wie: Die Leute können zwar lesen und schreiben, sie verstehen aber den Inhalt nicht. Ergo, sie beherrschen die Technik, aber nicht ihre Funktion, nämlich das tradieren und rezipieren von Information.

Ich weiss auch nicht wie meine Tastatur funktioniert und schreibe trotzdem. Oder, was ein Energieerhaltungsgesetz ist und mein Herz scheinbar von alleine puckert und lebe trotzdem.
 
Zuletzt bearbeitet:
... was bitte ist ein funktionaler Analphabet?
Das heißt soviel wie: Die Leute können zwar lesen und schreiben, sie verstehen aber den Inhalt nicht. Ergo, sie beherrschen die Technik, aber nicht ihre Funktion, nämlich das tradieren und rezipieren von Information.
Ich weiss auch nicht, wie meine Tastatur funktioniert und schreibe trotzdem.

Es ist genau das Gegenteil: es ist so, als würdest Du die Funktionsweise Deiner Tastatur kennen, aber nicht verstehen, was Du schreibst bzw. das Geschriebene nicht verstehen.
Um jeglichen Mißverständnissen vorzubeugen: Du weißt, welche Tasten Du drücken mußt, um bestimmte Buchstaben auf den Bildschirm zu bekommen. Stell Dir nun vor, daß Du etwas tippst wie "fgsadhtfrkjuklopnm": dann weißt Du nicht, was das bedeutet, was Du gerade geschrieben hast. Und stell Dir jetzt vor, daß Dir dies bei Texten so geht, die ein des Lesens und Schreibens Kundiger eigentlich versteht.
 
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