Schulpflicht im Mittelalter?

Gibt es Beispiele für die konkrete Unterdrückung von Bildung im Mittelalter? Damit sind wir glücklicherweise fast wieder bei der Frage des OPs!
Ohne Buchdruck braucht es nicht großartige Mittel der Unterdrückung.
Auch war das Denken ja ein anderes. Vieles war gottgegeben, die Ratio war nicht die treibende Kraft des allgemeinen Denkens, dessen bin ich mir sicher.
Dementsprechend war der Wunsch nach Bildung auch nicht von herausragender Bedeutung. Diese Struktur kam- bewusst oder unbewusst- den Machtbedürfnissen der herrschenden Schicht entgegen.
 
Ich denke auch, dass der Buchdruck die zentrale Antriebskraft der modernen europäischen Geistesentwicklung (Aufklärung, Naturwissenschaft, Technik, Demokratie) war. Ganz im Sinne Marshall McLuhen's: Das Medium ist die Botschaft! Denn die genanten 4 Elemente gab es ja schon in der alexandrinischen Antike....

Doch unterschätzt man oft die Produktivkraft der "Abschreiber": Wie im kaiserzeitlichen Rom war diese im Spätmittelalter hoch. Und die Universitäten ab dem 13 Jh. - wenn auch formal unter Aufsicht der Kirche - waren sehr, sehr selbstständig. Ein "Staat in der Stadt", mit z.B. eigener Rechtsprechung... Die "literarische Aufmüpfigkeit" setzte also schon deutlich früher als 1450 ein...

Der Buchdruck aber ERFORDERTE die Massenauflage. Ein einziges Buch zu drucken war nicht bezahlbar! 10 auch nicht. 100 oder besser 1000 mussten es sein, was einen Kopisten natürlich zum Weinen bringen musste....
 
Zuletzt bearbeitet:
Um dies aufzugreifen udn zugleich eine Rückführung zur ursprünglichen Thematik zu versuchen...

Wie weit ist denn der Weg vom "Schreiben, Lesen, Rechnen" zum "Revolutionär"?

Das ist mir persönlich ein wenig zu hoch aufgehangen; zwar würde ich bejahen, daß Bildung diesbezüglich förderlich sein mag, dies aber eben keineswegs zwingend sein muß.
Bsp.: Während des Deutschen Bauernkrieges (1524/26) dürfen wir beim Blick auf Leute wie Thomas Müntzer oder Florian Geyer nicht darüber hinwegsehen, daß die ursprünglichen - auch schon bewaffneten - Erhebungen durch Bauern erfolgten, denen es im Grunde (zugegebenermaßen etwas vereinfacht gesagt) um nicht mehr als darum ging, daß frühere altüberlieferte Rechte wiederhergestellt werden sollten - und damit die seit Beginn des 16. Jh. um sich greifenden Mißstände incl. Verarmung und Abhängigkeit aufgehoben werden sollten. Es waren also handfeste Probleme der Landbevölkerung, welche für beinahe alle dort vertretenen Schichten spürbar waren und behoben bzw. abgestellt gehörten; dafür brauchte es keine Bildung o.ä.

Der Weg geht ja wohl über "Literatur", Meinungen alternativer Autoritäten... Die - wie oft gesagt - ausschließlich auf Latein. Oder doch nicht? Sachsenspiegel? Doch eine Volksliteratur? "Ik gihorta dat seggen...."

Ich hatte in http://www.geschichtsforum.de/357065-post13.html ausgeführt, daß wir bei aller Dominanz des Lateinischen nicht über die dennoch vorhandene Schriftlichkeit bereits im Althochdeutschen hinwegsehen dürfen.

Gibt es Beispiele für die konkrete Unterdrückung von Bildung im Mittelalter? Damit sind wir glücklicherweise fast wieder bei der Frage des OPs!

Dies würde ich im Grundansatz anders aufhängen: Bestand denn bspw. für die "einfache" Landbevölkerung eine zwingende Notwendigkeit, Zugang zu solcher Bildung zu erhalten? Bzw. ab wann wurde denn Bildung - in welcher Form auch immer - für wen in welchem Maße wichtig und/oder bedeutsam?
 
(2) Phonetisches Alphabet
Entgegen allen Erinnerungen, die der eine oder andere an seine frühe Schulzeit hat, ist es keine Sache nach kurzer Anleitung "Lesen" zu lernen. Viele Kinder haben bei ihrer Einschulung immer schon "Lesen" gekonnt. Schreiben - wenn auch "unorthographisch" - war auch eher eine Sache der manuellen Feinmotorik. Der gern zitierte Fall, dass funktionale Analphabeten "NT" für Ente schreiben würden, halte ich für so eine. "N" bezeichnet "nnnn" und "T" bezeichnet "tttt"; dass die Buchstaben "Änn" bzw "Tee" heißen ist eine andere Sache...
Kommt darauf an, ob die Kinder die Buchstaben phonetisch Lernen oder nach Namen; in der GS werden meist erst im zweiten Schuljahr die Namen der Buchstaben beigebracht (Ausnahmen Vokale), die Konsonanten werden meist ohne den Kon des Sonanten gelehrt.

Jedem aufgeweckten auch mittelalterlichen Kind konnte man dies in wenigen Lektionen beibringen.
Die Kinder hatten natürlich rein physiognomisch die gleichen Voraussetzungen wie die Kinder heute. HSS bleibt HSS. Aber es muss auch jemand da sein, der die die Codes entschlüsseln kann.

Ob auf vergänglichen Trägern wie Baumrinden "geschrieben" wurde, ist offenbar nicht belegt. Erstaunlich wäre es nicht, weil eigentlich überall auf der Welt auf Baumrinde oder Abfallholz geritzt oder mit Holzkohle geschrieben wurde...
Doch. Es ist sehr wohl belegt, dass auf Rinde geschrieben wurde, nur hat sich davon eben kaum etwas erhalten, jedenfalls außerhalb von Gebieten mit günstigen Erhaltungsvoraussetzungen, wie der Taiga. Siehe auch den Thread SMS aus dem Mittelalter.
 
zwar würde ich bejahen, daß Bildung diesbezüglich förderlich sein mag, dies aber eben keineswegs zwingend sein muß.
Bsp.: Während des Deutschen Bauernkrieges (1524/26) dürfen wir beim Blick auf Leute wie Thomas Müntzer oder Florian Geyer nicht darüber hinwegsehen, daß die ursprünglichen - auch schon bewaffneten - Erhebungen durch Bauern erfolgten, denen es im Grunde (zugegebenermaßen etwas vereinfacht gesagt) um nicht mehr als darum ging, daß frühere altüberlieferte Rechte wiederhergestellt werden sollten - und damit die seit Beginn des 16. Jh. um sich greifenden Mißstände incl. Verarmung und Abhängigkeit aufgehoben werden sollten. Es waren also handfeste Probleme der Landbevölkerung, welche für beinahe alle dort vertretenen Schichten spürbar waren und behoben bzw. abgestellt gehörten; dafür brauchte es keine Bildung o.ä.

Insbesondere bei den frühbürgerlichen Aufständen des Spätmittelalters wurden ganze Archive verbrannt - weil die Aufständischen wussten: Hier sind die Privilegien und Dokumente, welche die Besitztümer der Reichen beschreiben. Da sie diese aber im Einzelnen nicht von anderen Schriftstücken unterscheiden konnten (Urkunden wurden auch in Bücher gebunden), haben sie gleich die gesamten Archivalien verbrannt.
 
Dies würde ich im Grundansatz anders aufhängen: Bestand denn bspw. für die "einfache" Landbevölkerung eine zwingende Notwendigkeit, Zugang zu solcher Bildung zu erhalten? Bzw. ab wann wurde denn Bildung - in welcher Form auch immer - für wen in welchem Maße wichtig und/oder bedeutsam?
Ich habe mehrfach versucht, "Bildung" und "Lesen und Schreiben" voneinander zu trennen, weil ich da zwei völlig verschiedenen Problemfelder sehe.

(1) Frage: Gibt es "Bildung" ohne "Lesen und Schreiben"? Ganz ohne Zweifel! Das einzige was man braucht ist ein gutes Gedächtnis und ein gutes Vorstellungsvermögen.. ("orale Kulturen") Diese Bildung ist aber durch die "menschliche Schwäche" begrenzt...

(2) Frage: Gibt es "Lesen und Schreiben" ohne Bildung? Ich vermute mal, diese Vorstellung liegt der "funktionalen Analphabetentheorie" zugrunde. Lesen und Schreiben öffnet die Welt zu Vielem. Vieles mag davon abhängen, mit welchen Texten man Lesen lernt...

(3) In der spiralförmigen Aufwärtsentwicklung der europäischen Kultur sehe ich die Alphabetisierung als Katalysator: Immer mehr (und immer häufiger ausgeübte!) Berufe erforderten Lesen, Schreiben und Rechnen: der Hochseekapitän, der Großkaufmann, der Geschützgießer, der Baumeister, ....
Während der industriellen Revolution dann jeder Facharbeiter!

(4) Wie sah es denn eigentlich in China aus? Eine andere Entwicklung, ohne den Buchdruck, ohne "Industrielle Revolution"....
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich habe mehrfach versucht, "Bildung" und "Lesen und Schreiben" voneinander zu trennen, weil ich da zwei völlig verschiedenen Problemfelder sehe...

Wogegen gehst Du an?
Ich hatte aus genau diesem Grund zunächst vom "Zugang zu solcher Bildung" ( weil ich den entsprechend zitierten Satz tatsächlich i.S.v. Lesen und Schreiben verstanden hatte) gesprochen, im nächsten Satz dann von "Bildung - in welcher Form auch immer - für wen in welchem Maße".



Zu China kann ich nichts sagen, aber den Satz
Während der industriellen Revolution dann jeder Facharbeiter...
würde ich nicht ganz so allgemein stehenlassen; sagen wir es so: ab Ende des 18. Jh. begann die Verbreitung auch außerhalb des bis dahin exklusiven Bildungsbürgertums u.ä. diesbezüglich privilegierter Schichten, was sich infolge fortschreitender Industrialisierung und Verstädterung während des 19. Jh. nochmals beschleunigte.



Dennoch würde ich bei der Diskussion aber gern im europäischen Mittelalter bleiben... :fs:
 
Grundsätzlich ist erst mal gar nichts. Es musste sich mit dem fortschreitenden Mittelalter erst mal der Wert der Bildung bei Adel (und Bürgertum) etablieren, bis überhaupt die Bildung aus den Klöstern herausgetragen wurde.

Klar, doch ich bezog mich konkret auf den Orden der Tempelritter, der wurde gegründet, da war das Mittelalter bereits "fortgeschritten", sprich es war die Zeit des Hochmittelalters.

Versuche ich es mal mit Logik: Wenn nicht jeder Adelige Bildung genossen hatte, dann hatte auch nicht jeder Adelige Lateinkenntnisse vermittelt bekommen, Folgerung: Latein als Kommunikationsprache verschiedensprachiger Ordensbrüder fällt aus, weil Bildung nicht als Regelfall angenommen werden darf.

Wer in den Templerorden als Ritter eintreten wollte (und die nahmen nicht "jeden Adeligen"), musste lesen und schreiben können, bzw. bekam von den Priestern im Orden Unterricht in diesen Dingen (ausgenommen waren da höchstens Leute aus dem Hochadel, die konnten aber meist sowieso Lesen und Schreiben).
Und da ja Lesen und Schreiben in erster Linie in Latein beigebracht wurde, konnten auch alle Latein.
Zumindest die Ordensritter mussten also zwangsläufig Latein können, bei den geistlichen Brüdern ist das ebenso wahrscheinlich,
Lediglich bei den dienenden Brüdern kann man sich diesbezüglich vielleicht nicht so sicher sein.

Gelehrte des 19. Jhdts. und ihre Lateinkenntnisse haben nichts mit dem Mittelalter zu tun.

Auch sie verwendeten Latein als Verkehrssprache, so wie auch viele Ordensritter.
Das ist die Gemeinsamkeit.
Die Alternative wäre, Ordensritter wie Gelehrte hätten sich mit Händen und Füßen verständigt.
Im Kampf wie auch bei Podiumsdiskussionen, sicher keine sehr praktische Angelegenheit.
 
Wer in den Templerorden als Ritter eintreten wollte (und die nahmen nicht "jeden Adeligen"), musste lesen und schreiben können, bzw. bekam von den Priestern im Orden Unterricht in diesen Dingen (ausgenommen waren da höchstens Leute aus dem Hochadel, die konnten aber meist sowieso Lesen und Schreiben).
Und da ja Lesen und Schreiben in erster Linie in Latein beigebracht wurde, konnten auch alle Latein.
Zumindest die Ordensritter mussten also zwangsläufig Latein können, bei den geistlichen Brüdern ist das ebenso wahrscheinlich,
Lediglich bei den dienenden Brüdern kann man sich diesbezüglich vielleicht nicht so sicher sein.

Dem möchte ich einige Passagen - muß an der Stelle sein, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen - aus dem Werk einer anerkannten Fachautorität gegenüberstellen, die verdeutlichen, daß wir auch hierbei nicht zu sehr vereinfachen und verallgemeinern dürfen.
Aus Alain Demurger "Die Ritter des Herrn - Geschichte der geistlichen Ritterorden Europas" - C.H. Beck, München 2003

Erst einmal zur Einteilung der Brüder, insbesondere der Laienbrüder (also ohne Aussagen zu den Priesterbrüdern):
Laien und Kleriker schrieb:
...
Die Einteilung der Laienbrüder in zwei oder drei Kategorien erfolgte nach zwei Kriterien, einem sozialen und einem beruflichen. Man unterschied zunächst zwischen Ritterbrüdern und dienenden Brüdern (servientes), das Unterscheidungskriterium war der Ritterschlag (dies würde ich noch ergänzen "bzw. die Schwertleite", um auch den hochmittelalterlichen Kontext des HRR abzubilden - Anm. von mir). Im Hospitaliterorden bekräftigten die Statuten von Margat 1206 eine Grundsatzposition: wer in den Orden eintrat, behielt seinen vorherigen Stand...
Die Statuten von Hugo Revel (1262) (zu der Zeit Großmeister des Johanniter-/Hospitaliterordens - Anm. von mir) untersagten, einen Bruder ritterlich zu rüsten, es sei denn, er war Sohn eines Ritters oder entstammte einer ritterlichen Familie. Im Santiagoorden mußte der Ritterschlag des Anwärters erfolgen, bevor dieser den Mantel (gemeint ist der Ordensmantel - Anm. von mir) nahm, aber diese Regel wurde kaum angewendet. Dagegen konnte im Deutschen Orden ein Bruder nach seinem Eintritt Ritter werden. Das war eine mächtige Triebfeder sozialen Aufstiegs, denn zahlreiche Anwärter für den Eintritt in den Orden gehörten den Ministerialen...
Die Kategorie der dienenden Brüder ist von Beginn an im Templerorden belegt, denn schon die lateinische Regel unterschied die Ritter von den dienenden Brüdern durch das Ordenskleid (d.h., die o.g. Grundsatzposition bzgl. der Ritterbrüder kam bei den Templern von Anbeginn zum Tragen - Anm. von mir). Bei den Hospitalitern werden sie erst 1206 in den Statuten von Margat erwähnt (i.S.v. dem o.g. Grundsatz, wer Ritterbruder aufgrund des vorherigen Standes sein durfte und wer nicht; die erste unterscheidende Erwähnung von milites und servientes war in den Statuten des Roger des Moulins von 1182, wie Demurger an anderer Stelle korrekt ausführt - Anm. von mir). Aber ein anderes, berufliches Kriterium kam hier zum Tragen: es unterteilte die dienenden Brüder in die Gewappneten, die zu Pferde kämpften (wie die Ritterbrüder auch; also der Unterscheidung analog jener zwischen weltlichen Rittern und Sergenten - Anm. von mir), und die Handwerks- und Amtsbrüder, die sich um die Bewirtschaftung des Ordensbesitzes kümmerten... Durch ihre militärische Funktion standen die gewappneten Dienenden den Ritterbrüdern nahe...
Zur weiteren Spezifizierung der Herkunft:
Freie und Adlige schrieb:
Als Freier konnte jeder in einen geistlichen Orden eintreten... Seine unfreie Herkunft zu verschweigen, wurde mit der Verstoßung aus dem Orden bestraft (hierzu ist anzumerken, daß dies eigentlich ursprünglich Unfreie im Sinne der Vasallität wie Ministeriale jedoch nicht betraf - Anm. von mir). Die Barceloner Handschrift erwähnt den Fall eines dienenden Bruders, auf den während der Belagerung von Damiette (1250) ein Herr Ansprüche erhob, weil er sein Knecht sei.
Beim Durchsehen der Oblationsurkunden in der Templerkommende von Auxerre sieht man Pfarrpriester des Sprengels Saint-Gervais und Bürger aus der Stadt und dem Umland Templer werden...
Die Orden waren indes im Hinblick auf ihre angesehene Elite organisiert. Die Untersuchungen überdie Herkunft und Rekrutierung der Ordensmitglieder zeigen, daß sie den Hochadel kaum anzogen... Der niedere und mittlere Adel stellte das Gros der gewappneten Brüder, die vom Orden rekrutiert worden sind. Die Stifter der Templerkommende von La Selve entstammen dem lokalen Niederadel, der seine Schriftstücke in der Landessprache verfaßte. Der vornehmere Adel, der offen war für äußere Einflüsse, behielt seine Wohltaten der Zisterzienserabtei Sylvanes vor, mit Schenkungsurkunden, die bis auf zwei in Latein abgefaßt waren.
In der Deutschordensballei Thüringen kennen wir im 13. Jh. die familiäre und soziale Herkunft von 105 gewappneten Ordensbrüdern: 9 kamen aus Grafenfamilien, 74 aus niederadligen und ministerialen Familien im Dienst des Kaisers und der Fürsten; 10 kamen aus dem stadtbürgerlichen und patrizischen Milieu. Der erste Hochmeister, Heinrich Walpot, entstammte einer Mainzer Patriziatsfamilie, und der charismatische Hochmeister Hermann von Salza war ein Reichsministeriale. Die Analyse des sozialen Hintergrundes der Ritterbrüder des Deutschen Ordens in Livland bestätigt diese Ergebnisse. Man geht wohl nicht fehl, wenn man sagt, daß alle Ritterbrüder adlig waren; es wäre aber gewagt, daraus zu schließen, daß die gewappneten dienenden Brüder nicht adlig gewesen sein konnten...
Und nun zum eigentlich für die Diskussion interessanten Teil (ich hoffe, es geht noch mit dem Mitlesen):
Bildung und Unterrichtung in den geistlichen Ritterorden schrieb:
Weder die Templer noch die Johanniter haben direkt oder indirekt literarische Werke, Epen oder Romane geschaffen, die ihre Taten gerühmt hätten. Lag dies an der geringen Bildung der Ordensritter? Zunächst muß man sich darüber einigen, was man unter Bildung versteht.
Als illiteratus wurde bezeichnet, wer das Latein, die Sprache der Kleriker, nicht beherrschte. Nicht mehr. Der Adel, aus dem sich die Ritterbrüder rekrutierten, war zwar nicht völlig des Lateinischen unkundig, aber das mühsame Lernen des Credo und des Pater durch die Ordensnovizen spricht nicht gerade für tiefergehende Kenntnisse. Regeln, Ordnungen, Beschlüsse aller Art mußten übersetzt werden, und die meisten Templerbrüder wurden bei ihrem Prozeß (das war bekanntlich ab dem Jahr 1307 - Anm. von mir) in der Landessprache verhört. Doch es gab auch illiterati im heutigen Sinne, Lese- und Schreibunkundige: ein "esgart" des Hospitaliterordens (und das Bildungsniveau dort muß diesbezüglich als bspw. den Templern mindestens ebenbürtig betrachtet werden - Anm. von mir; weiter unten mehr dazu) besagt, falls ein Bruder eine schriftliche Weisung des Meisters nicht lesen könne, so dürfe er sie sich von einem anderen (vor)lesen lassen.
In Ucles, dem kastilischen Sitz des Santiagoordens, kennt man nur eine Handschrift aus dem 12. und sechs aus dem 13. Jh. In den Inventaren der Templer- und Hospitaliterhäuser findet man nur wenige Bücher, außer den liturgischen Büchern der Kaplanbrüder. Die Seltenheit von Büchern profanen Inhalts erklärt sich leicht: mit dem Eintritt in den Orden entsagte man den adligen Freuden, der Jagd wie den Ritterromanen (und übrigens auch dem Turnieren, aber das nur nebenbei - Anm. von mir). Und doch gab es wohl solche Romane: die Hospitaliterstatuten von 1262 sahen vor, daß die Bücher eines verstorbenen Bruders an den Orden fielen, "außer den Brevieren, Romanen, Chroniken und Psaltern" (Quelle: Regula Hospitalis - Statuten von 1262, Art. 42; nicht in der dt. Ausgabe enthalten)...
Hüten wir uns vor voreiligen Schlußfolgerungen auf der Grundlage so bruchstückhafter Belege. Viele achtlos verwahrte Bücher sind verschollen. Es gab in den Häusern der Militärorden keine Scriptoria wie in Cluny - jedem seine Mission! Berücksichtigen wir auch die Chronologie: die Bücherbestände des 14. und 15. Jh. (und a foteriori der späteren Zeit) sind reichhaltiger... In den letzten beiden Jahrhunderten des Mittelalters - und nicht vorher - haben die Orden auch den Unterricht in ihren Häusern ausgebaut. Die Templeraffäre und die Krise, welche die Orden an der Wende vom 13. zum 14. Jh. erlebten, haben wohl das Bewußtsein geschärft, daß ein bestimmtes Bildunsgniveau unabdingbar war.
Die Johanniter haben ihre Konsequenzen aus dem unglücklichen Schicksal des Tempelritterordens gezogen, der nicht in der Lage war, sich wirksam zu verteidigen, weil es in seinen Reihen keine im Recht und in der Theologie genügend bewanderten Männer gab, die gegenüber den Dominikaner-Inquisitoren und den königlichen Juristen hätten argumentieren können. Wir sollten allerdings dem realen Prozeß der Templer nicht noch ungerechte Urteile über die Templer hinzufügen, denn erst im 14. und 15. Jh. war von Unterricht und intellektueller Bildung die Rede. Selbst im Johanniterorden - dem Vorreiter, der schon vor 1300 in Spanien Grammatikschulen unterhielt - wurden die Schulen erst seit den Jahren 1330-1380 zahlreicher... Im Santiagoorden brachten die Schwestern der Frauenklöster den Söhnen von Rittern und selbst künftigen Rittern das Elemantarwissen bei. Aber erst Mitte des 15. Jh. kümmerten sich die Äbte von Morimond um den Unterricht in den Orden zisterziensischer Obödienz... 1468 verlangte Abt Guglielmo II. von Morimond von den Meistern des Calatrava- und des Montesaordens, einen Grammatikmeister einzusetzen, "denn wir haben erfahren, daß mehrere (Brüder) recht unwissend sind." (Quelle: Difiniciones Calatrava IX)...
Die Entwicklung des modernen Staates und seiner Mittel (im Spätmittelalter - Anm. von mir) konnte die Orden nicht gleichgültig lassen, die zum einen alle mit Problemen der Verwaltung zu tun hatten, und zum anderen - das gilt für die Deutschordensritter und die Hospitaliter - selbst einen Staat leiteten... Man brauchte im kanonischen Recht ausgebildete Männer, die als Prokuratoren des Ordens an der römischen Kurie wirken konnten...

Das muß erst einmal zur Abhandlung dieses Kontextes genügen... :fs:
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben