Bildung und Unterrichtung in den geistlichen Ritterorden schrieb:
Weder die Templer noch die Johanniter haben direkt oder indirekt literarische Werke, Epen oder Romane geschaffen, die ihre Taten gerühmt hätten. Lag dies an der geringen Bildung der Ordensritter? Zunächst muß man sich darüber einigen, was man unter Bildung versteht.
Als illiteratus wurde bezeichnet, wer das Latein, die Sprache der Kleriker, nicht beherrschte. Nicht mehr. Der Adel, aus dem sich die Ritterbrüder rekrutierten, war zwar nicht völlig des Lateinischen unkundig, aber das mühsame Lernen des Credo und des Pater durch die Ordensnovizen spricht nicht gerade für tiefergehende Kenntnisse. Regeln, Ordnungen, Beschlüsse aller Art mußten übersetzt werden, und die meisten Templerbrüder wurden bei ihrem Prozeß (das war bekanntlich ab dem Jahr 1307 - Anm. von mir) in der Landessprache verhört. Doch es gab auch illiterati im heutigen Sinne, Lese- und Schreibunkundige: ein "esgart" des Hospitaliterordens (und das Bildungsniveau dort muß diesbezüglich als bspw. den Templern mindestens ebenbürtig betrachtet werden - Anm. von mir; weiter unten mehr dazu) besagt, falls ein Bruder eine schriftliche Weisung des Meisters nicht lesen könne, so dürfe er sie sich von einem anderen (vor)lesen lassen.
In Ucles, dem kastilischen Sitz des Santiagoordens, kennt man nur eine Handschrift aus dem 12. und sechs aus dem 13. Jh. In den Inventaren der Templer- und Hospitaliterhäuser findet man nur wenige Bücher, außer den liturgischen Büchern der Kaplanbrüder. Die Seltenheit von Büchern profanen Inhalts erklärt sich leicht: mit dem Eintritt in den Orden entsagte man den adligen Freuden, der Jagd wie den Ritterromanen (und übrigens auch dem Turnieren, aber das nur nebenbei - Anm. von mir). Und doch gab es wohl solche Romane: die Hospitaliterstatuten von 1262 sahen vor, daß die Bücher eines verstorbenen Bruders an den Orden fielen, "außer den Brevieren, Romanen, Chroniken und Psaltern" (Quelle: Regula Hospitalis - Statuten von 1262, Art. 42; nicht in der dt. Ausgabe enthalten)...
Hüten wir uns vor voreiligen Schlußfolgerungen auf der Grundlage so bruchstückhafter Belege. Viele achtlos verwahrte Bücher sind verschollen. Es gab in den Häusern der Militärorden keine Scriptoria wie in Cluny - jedem seine Mission! Berücksichtigen wir auch die Chronologie: die Bücherbestände des 14. und 15. Jh. (und a foteriori der späteren Zeit) sind reichhaltiger... In den letzten beiden Jahrhunderten des Mittelalters - und nicht vorher - haben die Orden auch den Unterricht in ihren Häusern ausgebaut. Die Templeraffäre und die Krise, welche die Orden an der Wende vom 13. zum 14. Jh. erlebten, haben wohl das Bewußtsein geschärft, daß ein bestimmtes Bildunsgniveau unabdingbar war.
Die Johanniter haben ihre Konsequenzen aus dem unglücklichen Schicksal des Tempelritterordens gezogen, der nicht in der Lage war, sich wirksam zu verteidigen, weil es in seinen Reihen keine im Recht und in der Theologie genügend bewanderten Männer gab, die gegenüber den Dominikaner-Inquisitoren und den königlichen Juristen hätten argumentieren können. Wir sollten allerdings dem realen Prozeß der Templer nicht noch ungerechte Urteile über die Templer hinzufügen, denn erst im 14. und 15. Jh. war von Unterricht und intellektueller Bildung die Rede. Selbst im Johanniterorden - dem Vorreiter, der schon vor 1300 in Spanien Grammatikschulen unterhielt - wurden die Schulen erst seit den Jahren 1330-1380 zahlreicher... Im Santiagoorden brachten die Schwestern der Frauenklöster den Söhnen von Rittern und selbst künftigen Rittern das Elemantarwissen bei. Aber erst Mitte des 15. Jh. kümmerten sich die Äbte von Morimond um den Unterricht in den Orden zisterziensischer Obödienz... 1468 verlangte Abt Guglielmo II. von Morimond von den Meistern des Calatrava- und des Montesaordens, einen Grammatikmeister einzusetzen, "denn wir haben erfahren, daß mehrere (Brüder) recht unwissend sind." (Quelle: Difiniciones Calatrava IX)...
Die Entwicklung des modernen Staates und seiner Mittel (im Spätmittelalter - Anm. von mir) konnte die Orden nicht gleichgültig lassen, die zum einen alle mit Problemen der Verwaltung zu tun hatten, und zum anderen - das gilt für die Deutschordensritter und die Hospitaliter - selbst einen Staat leiteten... Man brauchte im kanonischen Recht ausgebildete Männer, die als Prokuratoren des Ordens an der römischen Kurie wirken konnten...