Sicher askan, nur ist diese
historische Umschreibung kaum auf nichtzaristische Epochen Rußlands übertragbar.
Und genau das ist der Punkt. Denn mit Beginn des deutschen Nationalstaates herum wurde Rußland als Feindbild in Deutschland aufgebaut. Beginnend mit dem Antisemitismus der die Juden zur Rasse machte und ihnen Geldgier, Wucher, Streben nach der Weltherrschaft durch Infiltration und Vergiftung der Wirtsrassen unterstellte (bei denen die Juden parasitär lebten) gehört auch, daß die Russen von nun ab zur ostischen Rasse gezählt wurden. Während der Jude in Kinderbüchern dieser Zeit als Giftpilz oder Ungeziefer, wurde der Russe als naiver riesiger Dümmling oder tollpatschiger Bär dargestellt.
In dieser Zeit entstand auch das typische Bild von den russischen Knechten und Mägden. Beide Bilder wurden später von den Nationalsozialisten aufgenommen und programmatisch umgesetzt.
Der Jude, der vernichtet werden mußte, der ostische Knecht, der für den Herrenmenschen zu arbeiten hatte.
Dieses sich fast 100 Jahre entwickelnde Phantasiegeflecht war 1945 gängige Meinung in Deutschland und entsprechend verhielten sich Propaganda und das tatsächliche Verhalten der Deutschen.
Wissenschaftler schreiben in diesem Zusammenahng von der ideologischen Affektmodulation, die sich über den Zusammenbruch Deutschlands erhalten hat. So wird bei vielen Menschen unterschwellig bei dem Begriff Jude eine negative Gefühlsreaktion in Gang gesetzt.
Was verbindet nun den Antisemitismus mit den Russen?
Mit dem Aufkommen der kommunistischen Idee entstand naturgemäß auch sein Pedant, der Antikommunismus. Dieser besteht überwiegend aus Empfindungen archaischer Schreckensvisionen. Begriffe wie vergiftet werden, überrennen, zerfressen, untergehen, auflösen brauchen ein Feindbild.
Im Nationalsozialismus waren Antibolschewismus und Antisemitismus aufs Engste verwoben. Jeder kennt die Propaganda von der jüdisch- bolschewistischen Gefahr. Der Bolschewismus war die Ausgeburt kranker jüdischer Gehirne und die Russen waren das dumme, naive Wirtsvolk, das sich von den Juden verleiten ließ.
Wie schon geschrieben, entwickelte sich diese Idee nicht erst im Nationalsozialismus, sondern wurde von diesem weiterentwickelt!
Um 1914 herum zu Zeiten des 1. Weltkrieges wurde der Russe als versoffenes, tierisches Wesen dargestellt, der plump und stupsnasig mit Fellmütze und Wodkaflasche sein Unwesen treibt.
Spamers illustrierte Weltgeschichte von 1897 schreibt über die Zeit Katharinas der Großen: "In die Lehmhütte des Leibeigenen drang nie ein Strahl der Aufklärung und Zivilisation; er lebte, rohem Sinnesgenusse, namentlich dem Branntwein ergeben, stumpf dahin; aus seiner tierischen Existenz nur geschreckt durch barbarische Strafen des Gutsherrn oder - durch die als größtes Unglück empfundene Aushebung zum Militär."
"Schnell an die Wange das Gewehr,
Piff Paff! Der Russe lebt nicht mehr.
Klein Willi aber fröhlich lacht
Und denkt das hab ich schlau gemacht!"
"Jeder Schuß ein Rus´!" Typische Zeilen aus den Kinderbüchern dieser Zeit.
Das ist dann ein Bild des bis heute konservierten Bildes.
Der dummeTollpatsch, grob, gewaltätig wie ein gereizter Bär, der gezielt zur Strecke gebracht werden kann, erfährt mit der Oktoberrevolution eine Wandlung hin zu einem Raubtier, das Europa bedroht.
Schon 1919 zeigte ein Plakat eine Fratze mit Fellmütze und dem Aufruf:
Die Heimat ist in Gefahr!
Große Geldmittel für dne Ostschutz sind nötig. Helft sofort!
Ein Überfluten der bolschewistischen Wele über unser östlichen Grenzen droht von rußland her und im eigenem Lande regen sich bolschewistische Kräfte der Zersetzung.
Gustav Noske unterzeichnete diesen Aufruf im Namen der sozialdemokratischen Regierung.
Die Darstellung der Überflutung vom Kommunismusvon außen und die Zersetzung im Inneren ist dasselbe wie beim Antisemitismus. Das Bild ist immer gleich. Wecken der Urängste des Versinkens und Fallens, Bolschewismus = Morast und Sumpf,Auflösung der Ordnung, Verlust alter Regeln und Grenzen und permanentes Chaos. Dazu kommen parasitäres von innen zerfressen werden wie bei Pest und Syphilis. Antisemitismus und Antikommunismus werden das Streben nach Weltherrschaft und Heimatlosigkeit unterstellt.
Mit der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands 1945 verlor der Antisemitismus seinen Bedrohungsmoment. Der Antikommunismus aber blieb, da Feindbilder Entlastung für die menschliche Psyche bilden.
So spannt sich der Bogen vom Anfang der Sowjetunion bis zum Ende derselben und der Sieg des Guten über das Böse, was einfacher zu erklären ist als eine Implodierung des sogenannten Realsozialismus von innen heraus.
Allerdings wurde durch die Implodierung des sozialistischen Systems der Antikommunismus nicht ad acta gelegt, sondern wandelte sich. Es kam zwar das Feindbild Sozialimsus abhanden, aber die Bedrohung aus dem Osten blieb. Egal, welche Probleme Rußland nun hatte, es wurde stets der Russe als Synonym für den Antikommunismus als Zielscheibe verwendet. Nicht der Ukrainer, der Kasache oder Balte. Für den Westler waren und sind Rußland und Sowjetunion eins. Neue Ismen enstehen. In rußland spricht man inzwischen von einem klarem Antirussimus, der als Feindbild aufgebaut wird mit den dazugehörigen Klischees von Diktatur, Pressezensur, Militarismus, Imperialismus, Bedrohung wie im Georgienkonflikt, als man in der Tagesschau von einer stählernen Panzerwelle und imperialen Gelüsten spricht usw.
Alte Feindbilder wie Frankreich, England existieren mit der Einbindung in das westliche System kaum noch in Deutschland, weil hier ähnlich dem Antisemitismus Aufklärung und Aufarbeitung erfolgte. Das Bild über die Russen wurde über den 2. Weltkrieg und den Kalten Krieg hinweg unverändert tradiert und wenn dem Juden der Geldsack als Symbol diente, so ist es im Feindbild Rußland der eiskalte Apparatschnik, der sich auch bei Putin wiederfindet. Es erfolgen kaum Meldungen über seine Geheimdienst Vergangenheit und die Verbindung- KGB= Diktatur ist zwingend. Keine Worte darüber, daß auch westliche Politiker oft eine karrierereiche Geheimdienstvergangeit hatten, ehe sie Regierungsgeschäfte übernahmen.
Norbert Elias sagte 1980 über die damalige UDSSR und die USA:
Wahrscheinlich wären sie Gegner, auch wenn beide der kommunistischen oder beide in der kapitalistischen Weise regiert würden." Warum kann man einfach anhand eines strategischen Szenarios erklären: Die USA haben mit ihrem System politisch nur die Wahl zwischen Isolationismus oder einer polaren Welt. Rußland als Nachfolger der Sowjetunion propagiert die unipolare Weltordnung. (Ich möchte das hier nicht weiter ausdehnen, ist aber ein sehr interessantes Feld, wozu es viele renommierte Studien sowohl westlicher als östlicher Think Tanks gibt)
Und ehe es Mißverständnisse gibt zum Abschluß noch ein persönliches Statement. Ich bin weder Russe noch habe ich russische Vorfahren, bin aber beruflich mittlerweile sehr viel in Rußland unterwegs. Und als ich das 1. Mal dorthin "musste", meine Mutter dies erfuhr, ihr die Kinnlade herunterklappte und sie sagte: "Das verbiete ich Dir! Zur Mafia lasse ich dich nicht!", war mein russisches Bild auch noch das typisch westliche und in Sibirien mit einer Wodkaflasche verbuddelt zu werden hatte ich auch keine Lust und mußte doch vieles revidieren.
Ein Punkt, der mich nach x Rußlandreisen immer noch sehr wundern läßt und was ich wohl auch nie verstehen werde: Der 2. Weltkrieg wird in Rußland und der Ukraine als historischer Betriebsunfall gesehen. Oft genug war ich bei Familien, die damals Hab und Gut und Familienangehörige verloren. Doch nie erzählte jemand von den bösen Deutschen, die damals hausten wie die Vandalen und das man nun nachtragend sein müsse, während man in Deutschland nach wie vor die uraltesten Geschichtchen hauskramt, um das Schreckensbild vom bösen Russen aufrechtzuerhalten.
In diesem Sinne hoffe ich doch, ein wenig zum Nachdenken angeregt zu haben.