Stein des Anstoßes war wohl schon, dass die Christen jemanden als ihren Erlöser und Herrn verehrten, der von den Römern für einen Aufrührer gehalten und hingerichtet worden war. Die Juden, mit den Christen in Auseinandersetzung stehend und sie als abtrünnige Sektierer betrachtend, werden es nicht versäumt haben, die Obrigkeit auf diesen Umstand hinzuweisen. Ähnlich klagen Juden die Christen in der Apostelgeschichte (17,7) gegenüber den "Stadtobersten" von Thessaloniki an: "Sie alle handeln gegen die Verordnung des Kaisers, da sie behaupten, ein anderer sei König, nämlich Jesus." Demgegenüber war den Christen naheliegenderweise daran gelegen, sich als nicht im Konflikt mit Rom befindlich darzustellen.
Das orthodoxe Judentum stand aber der römisch-hellenistischen Gesellschaftsordnung und Kultur weitaus ablehnender und aggressiver gegenüber, als die frühen Christen, und niemand hat den Römern größere Schwierigkeiten gemacht, als die Juden
Keine Frage. So wie das Christentum wurde auch das Judentum von "heidnischen" Beobachtern als verächtlicher und schändlicher Aberglaube mit unsinnigen Lehrmeinungen und fragwürdigen Sitten eingestuft. Juden wie Christen leugneten die Götter, boykottierten die sonst in aller Welt gebräuchlichen Kulte und grenzten sich in dieser Hinsicht von der übrigen Gesellschaft ab. War das für Tacitus Anlass, bei den Christen einen "Hass gegen das Menschengeschlecht" zu diagnostizieren, so bescheinigt er den Juden "feindseligen Haß" gegen alle Nicht-Juden (Historien 5, 5,1).
Worin kann nun in den Augen Roms der Unterschied zwischen Juden und Christen gelegen haben?
Erstens hatten die Juden in Sachen Religionsausübung verbriefte Rechte, die auf Caesar zurückgingen und von Augustus bestätigt worden waren. Sie verfügten also über eine rechtliche Absicherung, an der nicht so einfach zu rütteln war.
Zweitens bildeten die Juden mehr eine abgeschlossene Gruppe als die (stärker) missionarisch tätigen (und erfolgreichen) Christen. Schwierigkeiten mit den Juden waren für Rom in erster Linie militärische Probleme, wenn nämlich messianische Erwartungen antirömische Erhebungen veranlassten (man denke an die Aufstände von 66-73, 115-117 und 132-135). Die Christen dagegen waren ein größerer Irritationsfaktor, weil sie eine erfolgreiche Missionierung betrieben und immer mehr Menschen im Reich vom "heidnischen" Gottesdienst (und vom Kaiserkult) abzogen und zum "schändlichen Aberglauben", wenn nicht zum "Atheismus" (Leugnung der Götter) verführten - womit sie aus Sicht der Obrigkeit das Fundament der ganzen Gesellschaft auszuhöhlen drohten.
Bei späteren Verfolgungen dürfte der Druck aber auch von unten ausgegangen sein...So hatten sich offenbar die Metzger und Devotionalienhändler bei Plinius über bithynische Christen beschwert, der Trajan berichtet, dass kaum noch Opferfleisch verkauft werde.
Man muss die Äußerungen des Plinius (96. Brief) nicht dahingehend interpretieren, dass es Beschwerden von Metzgern und Devotionalienhändlern gegeben hat, obwohl das zweifellos eine Möglichkeit ist. Diesen (in dem Falle mutmaßlichen) Druck von unten als entscheidend anzunehmen erscheint mir jedoch übertrieben angesichts der aufrichtigen Abscheu und Besorgnis des Plinius und auch des Traian wegen der Ausbreitung des Christentums. Plinius beklagt sich über die "Seuche des Aberglaubens", die "beinahe verödeten Tempel" und die "lange ausgesetzten feierlichen Opfer", umgekehrt freut er sich über den Abfall vom Christentum vor allem deshalb, weil "eine Masse von Menschen gebessert werden kann, wenn man der Reue Raum gibt". Ich denke, die römische Obrigkeit und Oberschicht war mehr über die Entwicklung der Gesellschaft beunruhigt als über den Absatz von Opferfleisch und Devotionalien.
...dass nicht das Bekenntnis als Christ allein (nomen ipsum) Anlass für Strafverfolgung sein soll...
Das halte ich für einen Irrtum. Plinius fragt ja, "ob schon der Name allein, auch wenn keine Verbrechen vorliegen, oder nur mit dem Namen verbundene Verbrechen bestraft werden." Die Antwort Traians lautet: Werden Christen "angezeigt und überführt" (d.h. überführt, Christ zu sein), "sind sie zu betrafen". Selbstverständlich ist man nur dann überführt, wenn man trotz Leugnung die Anrufung der römischen Götter verweigert, aber ein "mit dem Namen verbundene
Verbrechen" muss man nicht begangen haben, um bestraft zu werden - es reicht schon das Bekenntnis als Christ allein. Etwas anderes ist es, dass die römische Obrigkeit von sich aus tatsächlich nicht nach Christen gefahndet hat. Das stimmt natürlich. Wenn aber einmal eine Anzeige vorlag, dann war eine Untersuchung durchzuführen und dann genügte auch das "Bekenntnis als Christ allein" für eine Verurteilung zur Todesstrafe.
Ich denke, die Hauptursache liegt im politischen begründet...
In dieser Zeit sind die schon erwähnten Kaiseropfer eben auch als Loyalitätsbekundungen für das Reich, seinen Herrscher und seinen Fortbestand gesehen worden. Verweigern dies Leute, dann lehnen die auch Reich und Kaiser ab. Mit welcher religiösen Motivation dies dann geschah ist vollkommen egal, auch, ob die Christen nun sonst loyale Untertanen waren oder nicht.
Das ist sicher richtig, doch war das Verhalten der Soldatenkaiser recht unterschiedlich gegenüber den Christen...Es waren vor allem illyrische Kaiser, die eine Art von römischen Patriotismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten mit einer reaktionären Religionspolitik, die eine Atmosphäre beschwor, die längst der Vergangenheit angehörte.
Die zitierten Erläuterungen dürften den Kern der Sache treffen. Gezielte Verfolgung setzten erst im 3. Jahrhundets ein, als die Kaiser mehr und mehr Wert auf das Gewicht ihres Amtes und auf die Verehrung durch ihre Untertanen legten. Diese Entwicklung führte zur offenen Auseinandersetzung mit den Christen (aber auch mit den Manichäern), die erst mit dem Toleranzedikt von Nikomedia 311 ein Ende fand. Will man die Christen- und Manichäerverfolgungen verstehen, muss man sich wohl besonders mit dem römischen Kaisertum (Verfassung, Ideologie) und seiner Entwicklung befassen.