Ist die Verwendung des Begriffs "Russen" ein abwertendes Klischee?

Guten Morgen,

wollte Euch nicht bei der Diskussion stören, aber vielleicht ist die Meinung eines "Russen" mal interessant.

Ist es nicht eigentlich egal, wie man die Nationalitätet von jemandem umschreibt?
Ist es nicht viel entscheidender, mit welcher Betonung, welchen Hintergedanken und Vorurteilen man es tut?

Ich werde oft als Russe bezeichnet, ist sogar in manchen Situationen sowas wie mein Spitzname und ich habe nichts dagegen. Sogar ein Lehrer nennt mich mit einem Lächeln "der Russe wieder"...........ich lache nur.
Sieht aber ganz anders aus, wenn jemand mit verdrehten Augen und böser Miene das abwertend sagen würde.

Vlad

Genau.

Die Diskussion ist doch wieder mal im wunderschönen Fahrwasser der suche nach dem derzeit vorgeschriebenen Euphemismus für ein Begriffskonzept, das gar keines Euphemismusses bedarf.

M.E. ist die Anwort auf die Eingangsfrage ganz einfach:

Ja, es gibt Russen.

Ich kenne auch einige, die mit dem Kopf schütteln würden, wenn man ihnen nun absprechen wollte, Russen zu sein. Das ist doch eine Frage der kulturellen und ethnischen Eigendefinition.

Ergänzend mag man dann sagen, daß es zudem jede Menge Völker gibt, die immer wieder fälschlich für Russen gehalten werden. Dieses Phänomen wird für die Betroffenen dadurch nicht leichter zu tragen, daß in stalinistischer Zeit viele ethnisch nicht-russisch besiedelten Gebiete zwangsweise mit Russen majorisiert wurden (was sich die betreffenden Russen sicherlich auch nicht ausgesucht haben). Heute werden diese Menschen nun ihrer Heimatrechte beraubt, weil sie Russen sind. So sprechen z.B. viele ethnische Russen in den baltischen Staaten die Landessprache nicht, während viele Balten kaum Russisch können, selbst, wenn sie noch als Sowjetbürger aufgewachsen sind.
 
So einfach sind die Verschiebungen in sowjetischer Zeit auch nicht. In den baltischen Gebieten gab es schon im Zarenreich große russische Bevölkerungsteile. Ein gewisser Hitler holte die Baltendeutsche "heim ins Reich" und schickte die Juden ins Gas. Somit gingen große Teile der Bevölkerung verloren. Ursürünglich bildeten Russen, Deutsche und Balten jeweils ungefähr ein Drittel der Bevölkerung.
Das danach wurden vermehrt Menschen aus anderen Teilen der Sowjetunion angesiedelt, nicht nur Russen. Russen waren zahlenmäßig nun einmal das größte Volk in der Union. Dass sehr viele Balten Stalin'schem Terror und Verbannung nach Sibirien zum Opfer fielen weiß ich natürlich.

Was mich noch interessieren würde ist folgendes:
Es gibt ja neben den eigentlichen Russen "Großrussen" noch Weißrussen, Russinen, Ukrainer...
Allesamt verwandte und benachbarte Völker. Gibt es hierfür einen Oberbegriff?
 
Zuletzt bearbeitet:
Dies erwischt dann aber auch wieder die Balten und Westslawen, während ja ein Oberbegriff für Russen, Ukrainer und Weißrussen gesucht war.
 
Jaja, nur Ukrainer sind keine Russen.
Genau, das ist ja die Frage. Sind Ukrainer wirklich keine Russen?
Der entsprechende Wikipedia-Artikel beginnt mit diesem schönen Satz:
Ukrainer (früher auch Ruthenen, Kleinrussen) ist die Bezeichnung für ein slawisches Volk, das in der Ukraine die Bevölkerungsmehrheit bildet.
Können Kleinrussen oder Weißrussen keine Russen sein? Der Gedanke ist merkwürdig.
Sicher ist nur, dass die Kleinrussen und Weißrussen keine Großrussen sind.
Sicher, all diese Völker sind Ostslawen im Sinne der Slawistik. Aber alle Ostslawen sind "kleine", "große" oder "weiße" Russen. :pfeif:
 
Diese "Großgliederung" ist aber keineswegs logisch. Mal orientiert sie sich an Staatsgrenzen, dann wieder nicht...
 
Mal orientiert sie sich an Staatsgrenzen, dann wieder nicht...

Es handelt sich um zwei verschiedene Gliederungsmodelle. ;)

@Themi: Ich hatte bei dir das Verständnismodell des Kalten Krieges vermutet, welches (leider) noch immer sehr weit verbreitet zu sein scheint. :S
 
Genau, das ist ja die Frage. Sind Ukrainer wirklich keine Russen?

Heute bezeichnen sich die wenigsten Ukrainer als Russen. Das war auch schon zu Sowjetzeiten so. Und vor 1918 war das Gebiet der heutigen Ukraine in viele benachbarte Staaten aufgeteilt.
Ob die Bewohner zu Zeiten der Kiewer Rus sich Russen nannten mag eine historische Reminiszenz sein.
Du kannst auch die antiken Angeln und Sachsen auf der britischen Insel zu den Germanen zählen. Heute spielt das keine Rolle mehr.
 
103 Beiträge durchzukauen, war garnicht so einfach und die hälfte eurer Argumente ist mir bestimmt wieder entfallen :pfeif:

Der Begriff "Russe" ist nur dann ein abwertendes Klischee, wenn er auch abwertend gemeint ist. Es wurde ja schon angesprochen das die Bezeichnung "der Russe" durchaus wohlwollend oder gar bewundernt geäußert werden kann. Ist noch garnicht so lange her, da konnte (oder soll ich sagen musste) man den Begriff "der Deutsche" als Schimpfwort oder abwertend verstehen.

Aber wer ist eigentlich "deutsch":grübel:
Ich für meinen Teil habe soeben festgestellt das ich eigentlich nicht mal ein Friese bin :red:, vielmehr müsste ich mich als "Chauke" bezeichnen. Wenn man das weiter zurückverfolgt - wer weiß was ich dann eigentlich bin oder war... :D

Genauso schwachsinnig finde ich es, das es keine "Jugoslawen" gegeben hat. Vielleicht hat es für die Jugoslawen keine "Jugos" gegeben, weil die sich als Serben, Kroaten oder Slowenen gesehen haben, für uns waren das aber Menschen die in Jugoslawien lebten und deshalb halt Jugoslawen waren. Genau so wie wir hier unter uns, uns als Sachse, Bayer, Friese oder was auch immer sehen.

Also würde ich für mich festhalten, das "Russe" immer so zu verstehen ist, wie es gemeint war. Heinz Erhard hätte es ungefähr so auf den Punkt gebracht, "Ein Schelm ist, wer böses dabei denkt" Außer die Äußerung wurde wirklich abwertend oder beleidigend geäußert.
 
Und vor 1918 war das Gebiet der heutigen Ukraine in viele benachbarte Staaten aufgeteilt.

Zwei sind "viele"??? :confused:

Und daß sich manche "Ukrainer" als Russen bezeichnen, mag daran liegen, daß es Russen sind, denn es gibt dort wie überall im Gebiet der ehem. SU entsprechende ethn. Minderheiten.
 
Zwei sind "viele"??? :confused:
Ja. Mehr als Eins sind viele. :D

Übrigens behaupteten polnische Nationalisten, "Ukrainer gebe es eigentlich gar nicht, sie seien eine deutsche Erfindung".
Franziska Bruder: „Den ukrainischen Staat erkämpfen oder sterben!“ Die Organisation ukr. Nationalisten (OUN) 1928−1948. Metropol, Berlin 2007
 
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