lynxxx
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Hier mal ein interessanter Artikel, der eine Deutung bezüglich der Motivation der Übersetzungsbewegungen von Christen in Toledo dahingehend macht, dass sie nicht alleine idealistische "Wissenssuchende" seien, die einfach nur Lücken ihrer (Natur-)Wissenschaft mithilfe der arabischen Texte schließen wollten, sondern eingebunden seien, in die Kirchenpolitik und christliche Machtkämpfe von Toledo und anderen iberischen Orten, und sich hieraus ihre Motivation erschließen lässt.
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von Nikolaus Hasse
"Griechisches Denken, muslimische und christliche Interessen
Kulturtransfer im Mittelalter
Die arabisch-lateinische Übersetzungsbewegung in Spanien zählt zu den Gründungsmythen europäischer Kultur. Ihr ist ein ehrenvoller und vielleicht etwas zu erhabener Platz in der Geschichte der Alten Welt reserviert: als Initiator in der Renaissance des 12. Jahrhunderts, als der eigentliche naturwissenschaftliche Aufbruch des Abendlandes, als Signal einer neuen, mittelalterlichen Intellektuellenkultur, als Beginn der langen Dauer des aristotelischen Weltbildes im Abendland oder, anders gesagt, des langen Mittelalters, das sein Ende erst mit dem Untergang der feudalen Agrargesellschaft finden sollte. Und doch wird das Ereignis selbst häufiger beschrieben als erklärt, öfter ins Feld geführt als verstanden. Man liest von Routen, auf denen das Wissen gewandert sein soll, von Athen über Alexandrien und Bagdad nach Toledo, und man hört von den grossen Übersetzern wie Gerhard von Cremona, aber man erfährt wenig über Ursachen und Motivationen. Das überrascht nicht, sondern macht wohl gerade den Charakter eines für die Gegenwart mythischen Vorganges aus.
Es ist noch nicht so weit, dass die historische Forschung der Erzählung der Moderne in vollem Selbstbewusstsein vorschreiben könnte, wie sie die Übersetzungsbewegung einzuordnen habe. In den letzten Jahrzehnten haben vor allem spanische und englische Forscher wie Francisco Hernández und Charles Burnett neue Details über Leben und Arbeit der Übersetzer aus den Quellen zusammengetragen. Man kann sich die Hürden, vor denen die Recherche hier steht, verdeutlichen, wenn man z. B. die Zahl der Personen im mittelalterlichen Kastilien bedenkt, die Johannes mit Vornamen heissen und identisch sein könnten mit dem Übersetzer Johannes Hispanus. Ähnlich ungünstig ist die Quellenlage in Bezug auf das weitere intellektuelle Umfeld, da nur enttäuschend wenige zeitgenössische Dokumente erhalten sind, die die Übersetzungen überhaupt erwähnen und uns so einen Aussenblick auf das Phänomen ermöglichten.
VORLÄUFER
Angesichts solcher Hindernisse müssen Fragen, die Ursache und Motivation der Bewegung betreffen, intelligent und mit dem richtigen methodischen Zugriff gestellt sein. Eine souveräne Demonstration solcher Fragestellung ist das Buch des griechisch-amerikanischen Arabisten Dimitri Gutas: «Greek Thought, Arabic Culture» handelt von einer früheren, islamischen Übersetzungsbewegung, die ein illustrer Vorläufer der spanischen ist. Liest man das Buch als methodische Anregung nicht nur für die arabistische, sondern auch für die mediävistische Forschung, wird es zum Anlass, die Frage nach der Motivation der spanischen Übersetzungen neu aufzuwerfen.
Im 8. bis 10. Jahrhundert n. Chr. wurde in Bagdad, der 762 gegründeten Metropole des noch jungen islamischen Abbasidenreiches, eine grosse Anzahl griechischer Texte aus Wissenschaft und Philosophie in das Arabische übertragen. Es ist die Stärke von Gutas' Buch, dass dieser Vorgang, der sich über zwei Jahrhunderte erstreckte und von den Eliten des Reiches getragen und finanziert wurde, in erster Linie als ein soziales Phänomen behandelt wird, als eine von den Managern des Imperiums bewusst inszenierte und von der besonderen Struktur der Bagdader Gesellschaft in hohem Masse abhängige Bewegung. Gutas beschreibt, wie die Abbasiden, durch den Sturz der Vorgängerdynastie an die Macht gekommen und zuvorderst auf die Rechtfertigung und Festigung ihrer Herrschaft bedacht, Übersetzungen als ideologisches Instrument benutzten; sie dienten als Waffe im Kampf gegen Gegner im eigenen, persischen Lager, bei den christlichen Untertanen und unter den islamischen Theologen. Die neue Dynastie, so die Propaganda, ist die einzige wahre Erbin aller früheren Reiche und aller überkommenen Wissenschaften, der griechischen im Besonderen.
..."
weiter lesen:
Griechisches Denken, muslimische und christliche Interessen ( NZZ Online)
:winke:
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von Nikolaus Hasse
"Griechisches Denken, muslimische und christliche Interessen
Kulturtransfer im Mittelalter
Die arabisch-lateinische Übersetzungsbewegung in Spanien zählt zu den Gründungsmythen europäischer Kultur. Ihr ist ein ehrenvoller und vielleicht etwas zu erhabener Platz in der Geschichte der Alten Welt reserviert: als Initiator in der Renaissance des 12. Jahrhunderts, als der eigentliche naturwissenschaftliche Aufbruch des Abendlandes, als Signal einer neuen, mittelalterlichen Intellektuellenkultur, als Beginn der langen Dauer des aristotelischen Weltbildes im Abendland oder, anders gesagt, des langen Mittelalters, das sein Ende erst mit dem Untergang der feudalen Agrargesellschaft finden sollte. Und doch wird das Ereignis selbst häufiger beschrieben als erklärt, öfter ins Feld geführt als verstanden. Man liest von Routen, auf denen das Wissen gewandert sein soll, von Athen über Alexandrien und Bagdad nach Toledo, und man hört von den grossen Übersetzern wie Gerhard von Cremona, aber man erfährt wenig über Ursachen und Motivationen. Das überrascht nicht, sondern macht wohl gerade den Charakter eines für die Gegenwart mythischen Vorganges aus.
Es ist noch nicht so weit, dass die historische Forschung der Erzählung der Moderne in vollem Selbstbewusstsein vorschreiben könnte, wie sie die Übersetzungsbewegung einzuordnen habe. In den letzten Jahrzehnten haben vor allem spanische und englische Forscher wie Francisco Hernández und Charles Burnett neue Details über Leben und Arbeit der Übersetzer aus den Quellen zusammengetragen. Man kann sich die Hürden, vor denen die Recherche hier steht, verdeutlichen, wenn man z. B. die Zahl der Personen im mittelalterlichen Kastilien bedenkt, die Johannes mit Vornamen heissen und identisch sein könnten mit dem Übersetzer Johannes Hispanus. Ähnlich ungünstig ist die Quellenlage in Bezug auf das weitere intellektuelle Umfeld, da nur enttäuschend wenige zeitgenössische Dokumente erhalten sind, die die Übersetzungen überhaupt erwähnen und uns so einen Aussenblick auf das Phänomen ermöglichten.
VORLÄUFER
Angesichts solcher Hindernisse müssen Fragen, die Ursache und Motivation der Bewegung betreffen, intelligent und mit dem richtigen methodischen Zugriff gestellt sein. Eine souveräne Demonstration solcher Fragestellung ist das Buch des griechisch-amerikanischen Arabisten Dimitri Gutas: «Greek Thought, Arabic Culture» handelt von einer früheren, islamischen Übersetzungsbewegung, die ein illustrer Vorläufer der spanischen ist. Liest man das Buch als methodische Anregung nicht nur für die arabistische, sondern auch für die mediävistische Forschung, wird es zum Anlass, die Frage nach der Motivation der spanischen Übersetzungen neu aufzuwerfen.
Im 8. bis 10. Jahrhundert n. Chr. wurde in Bagdad, der 762 gegründeten Metropole des noch jungen islamischen Abbasidenreiches, eine grosse Anzahl griechischer Texte aus Wissenschaft und Philosophie in das Arabische übertragen. Es ist die Stärke von Gutas' Buch, dass dieser Vorgang, der sich über zwei Jahrhunderte erstreckte und von den Eliten des Reiches getragen und finanziert wurde, in erster Linie als ein soziales Phänomen behandelt wird, als eine von den Managern des Imperiums bewusst inszenierte und von der besonderen Struktur der Bagdader Gesellschaft in hohem Masse abhängige Bewegung. Gutas beschreibt, wie die Abbasiden, durch den Sturz der Vorgängerdynastie an die Macht gekommen und zuvorderst auf die Rechtfertigung und Festigung ihrer Herrschaft bedacht, Übersetzungen als ideologisches Instrument benutzten; sie dienten als Waffe im Kampf gegen Gegner im eigenen, persischen Lager, bei den christlichen Untertanen und unter den islamischen Theologen. Die neue Dynastie, so die Propaganda, ist die einzige wahre Erbin aller früheren Reiche und aller überkommenen Wissenschaften, der griechischen im Besonderen.
..."
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Griechisches Denken, muslimische und christliche Interessen ( NZZ Online)
:winke: