Kolonien: Nutzen oder Belastung für das Reich?

Manches ist auch schwer quantifizierbar, wie etwa der finanzielle Wert der im Hottentottenkrieg gefallenen deutschen Soldaten.
 
das sog. "Mutterland" also mehr Geld ausgab für die Kolonien als es über Steuer- und Zolleinnahmen zurück erhielt.
Das halte ich methodisch für zu eng. Die Kolonien haben ja auch Gewinne ermöglicht, die in Deutschland zu Steuereinnahmen führten.

Wenn z. B. ein Hamburger Handelshaus einen Teil seines Profits durch Exporte nach Deutsch-Afrika verdient, dann wird der entsprechende Steueranteil in keiner Statistik mit den Kolonien in Verbindung gebracht und in keiner schlichten Einnahme/Ausgabe-Gegenüberstellung auftauchen.

Ich glaube ja nicht, daß diese Effekte so groß waren, die Defizite der Kolonialpolitik auszugleichen - aber sie waren auf jeden Fall vorhanden.

ob eine oder mehrere Kolonien für das sog. Mutterland "wirtschaftlich" waren der Netto-Abfluß (dann wäre sie unwirtschaftlich gewesen) oder der Netto-Zufluß (dann wären sie wirtschaftlich) zum BIP des "Mutterlandes" ausschlaggebend gewesen wäre.
Theoretisch ja - aber m. W. gibt es keine Zahlenbasis, um diesen BIP-Beitrag zu ermitteln.
 
daß Phrasen wie "Deutschland hat die Kolonien ausgebeutet" doch eher den Charakter leerer Schlagworte haben.
Jein.
Man kann jemanden "ausbeuten" und trotzdem selber dabei ein Defizit machen.
Wie man auch umgekehrt jemanden "nicht ausbeuten" kann und selber sehr gut verdient.

Das Problem ist, daß "Ausbeutung" meist nur als politischer Kampfbegriff verwendet wird, ohne saubere Definition.
Ausbeutung ist dann gegeben, wenn jemand etwas (Arbeit oder Ware) hergeben muß, ohne eine angemessene Gegenleistung zu erhalten. Wobei das "angemessen" schwer zu fassen ist - klar ist eigentlich nur, daß die Anwendung von Zwang eine Unangemessenheit belegt (sonst wäre ja der Zwang nicht nötig).

Wenn also Kolonisatoren plündern (wie die Spanier das Inkagold) oder Sklaven für sich arbeiten lassen, ist das eindeutig Ausbeutung.

Das war aber in den deutschen Kolonien (und überhaupt in denen des späten 19. Jahrhunderts) normalerweise nicht der Fall. Und das wäre dann für mich der Beleg für "Nicht-Ausbeutung" - nicht die Handelsbilanz.
 
@R.A.

"Das halte ich methodisch für zu eng. Die Kolonien haben ja auch Gewinne ermöglicht, die in Deutschland zu Steuereinnahmen führten."

Genau das wollte ich verdeutlichen, eine rein fiskalische Sicht ist "zu eng". Vielleicht war ich hier in der Formulierung nicht genau genug.


"Ich glaube ja nicht, daß diese Effekte so groß waren, die Defizite der Kolonialpolitik auszugleichen - aber sie waren auf jeden Fall vorhanden."

d'accord

"Theoretisch ja - aber m. W. gibt es keine Zahlenbasis, um diesen BIP-Beitrag zu ermitteln"

Da hast Du m.E. recht. Das wäre eine sehr aufwendige statistisch-historische Arbeit, den BIP-Transfer zu ermitteln und zu berechnen. Ich merke mir das Thema mal als Masterarbeitsaufgabe für einen VWL-Studi vor. :devil:


M.
 
Man kann jemanden "ausbeuten" und trotzdem selber dabei ein Defizit machen.
Wie man auch umgekehrt jemanden "nicht ausbeuten" kann und selber sehr gut verdient.

So sehe ich das auch.

Ausbeutung ist dann gegeben, wenn jemand etwas (Arbeit oder Ware) hergeben muß, ohne eine angemessene Gegenleistung zu erhalten. Wobei das "angemessen" schwer zu fassen ist - klar ist eigentlich nur, daß die Anwendung von Zwang eine Unangemessenheit belegt

Das ist nicht nur auf Personen zu beziehen, sondern auch auf Gebiete bzw. Staaten.

Wie sah denn zB die "Angemessenheit der Gegenleistung" für die Konzessionen auf Eisenbahnen, Kohleförderung und Hafengebiet im Fall Tsingtao/Kiautschou aus?
 
Eine berechtigte Frage!
Das war die Frage von El Mercenario nach der Rentabilität anderer Kolonialreiche.

Da würde ich erst einmal nach Zeitaltern unterscheiden: Spanier und Portugiesen, aber auch Engländer/Franzosen/Holländer haben an ihren Eroberungen bzw. dem Gewürzhandel und anderen Möglichkeiten der Kolonien ganz erheblich verdient.

Wenn wir hier über das späte 19. Jahrhundert reden, sieht es natürlich schon anders aus.
Für Deutsche und Amis war es wohl eine reine Prestigesache und Zuschußgeschäft, ähnlich für Portugiesen und Spanier die Verwaltung ihrer Kolonialreichsreste.
Die Belgier haben aber wohl gut verdient, m. W. auch die Holländer (in Indonesien).
Unklar ist mir Frankreich.

Und auch das Empire verdiente wohl nur an Indien.
Aber nein. Kanada, Südafrika, Australien/Neuseeland waren eine erhebliche Verstärkung für die britische Wirtschaftskraft. Wohl auch Kenia oder Rhodesien, vielleicht noch einige andere.
Der Rest war wohl ähnlich unprofitabel wie die deutschen Kolonien - aber für GB wohl nicht so teuer, weil man ja (im Gegensatz zu Deutschland) in den jeweiligen Regionen schon ohnehin präsent war, man hatte sozusagen eine profitable "Kolonialinfrastruktur", die den Rest auch noch mitverwalten konnte.

Nicht zu vergessen wäre übrigens Rußland. Im Prinzip ist Sibirien ja auch ein Kolonialreich - das es nicht durch ein Meer, sondern durch den Ural vom Mutterland getrennt ist, ist recht unerheblich.
Und Sibirien war und ist für Rußland hochprofitabel.

Wären die anderen Kolonien der Großmächte profitabel gewesen, dann hätte man sich nach dem 2. WK nicht so leichten Herzens von ihnen getrennt. An den Unabhängigkeits-bestrebungen allein hat es vermutlich nicht gelegen.
Ausschlaggebend war wohl in erster Linie, daß die Kolonialmächte durch den zweiten Weltkrieg so geschwächt waren, daß sie den nötigen Militäreinsatz nicht mehr bringen konnten.
Und daß es ideologisch in den Heimatländern nicht mehr zu rechtfertigen war.

Aber es stimmt schon, die wirtschaftliche Bedeutung der Kolonialgebiete hat eigentlich über die Jahrhunderte immer mehr abgenommen und das machte den Abschied natürlich leichter.
 
Das ist nicht nur auf Personen zu beziehen, sondern auch auf Gebiete bzw. Staaten.
Jein. Das Gebiet selber ist ein Abstraktum, die "Ausbeutung" kann sich also nur auf die Einwohnerschaft des Gebiets beziehen.

Wie sah denn zB die "Angemessenheit der Gegenleistung" für die Konzessionen auf Eisenbahnen, Kohleförderung und Hafengebiet im Fall Tsingtao/Kiautschou aus?
Schwierige Frage.

Erst einmal: Der "Erwerb" (sprich die Eroberung) von Kolonien (hier z. B. das Gebiet von Tsingtao) ist natürlich per se schon unangemessen.

Aber erst einmal ist das ein politischer Prozess - der Herrscher wird ausgetauscht. Für die Bewohner und deren wirtschaftlichen Verhältnisse (also auch ihre "Ausbeutung") ändert sich dadurch direkt noch nichts.

Ich vermute aber mal, die von Dir genannten Konzessionen beziehen sich auf das Staatsgebiet des verbleibenden Chinas. Und da die erzwungen wurden, sind sie wohl deutlich auch unangemessen.

Wobei das wohl relativieren muß - m. E. hätte China selber solche Eisenbahnen nicht gebaut, die entgangenen Profite durch die Konzession für Deutschland sind also eher fiktiv.
 
Das wäre eine sehr aufwendige statistisch-historische Arbeit, den BIP-Transfer zu ermitteln und zu berechnen. Ich merke mir das Thema mal als Masterarbeitsaufgabe für einen VWL-Studi vor.
Mal abgesehen vom Aufwand - wahrscheinlich hat man gar nicht die Quellenlage dafür.
Man müßte ja die Buchhaltung der wesentlichen damals tätigen Firmen durchforsten, darauf hoffen, daß die Wertschöpfung der Kolonialgeschäfte explizit darstellbar ist und dann eine fiktive Steuererklärung ohne Einnahmen/Aufwände dieser Geschäfte aufstellen. Eher eine Straf- als eine Masterarbeit ;-)
 
Und wem steht diese Gegenleistung zu, den Einwohnern von Kiautschou oder dem vormaligen Besitzer des Gebiets China?
Das wäre aus Sicht des Deutschen Reichs für die Fragestellung wohl egal.

Jein. Das Gebiet selber ist ein Abstraktum, die "Ausbeutung" kann sich also nur auf die Einwohnerschaft des Gebiets beziehen.... Wobei das wohl relativieren muß - m. E. hätte China selber solche Eisenbahnen nicht gebaut, die entgangenen Profite durch die Konzession für Deutschland sind also eher fiktiv.
Oder auf die Einwohnerschaft außerhalb des Gebietes, wenn dieses von einem Staatsgebilde abgetrennt wird.

Wieso sollte China die Eisenbahnen nicht selbst bauen können?
Oder sollte das Eisenbahnnetz - sagen wir mal 1930 oder 1940 - nur aus Kolonialzeiten stammen? Oder sollten die Bergwerke nur aus Kolonialzeiten stammen? Wohl kaum.

Die Konzessionen bezogen sich erstmal auf das abgetrennte Gebiet, über "abgezwungene" (Eisenbahn)konzessionen im restlichen China (neben DR auch unter Beteiligung der anderen Staaten) kann man natürlich auch reden.

Bleiben wir im genannten Schema: ->die unangemessen abgezwungene Konzession bedeutet einen BIP-Verlust, da es an Gegenwerten fehlt.

Herrschaft und Widerstand in der ... - Google Bücher
 
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Ich denke mal die Kosten-Nutzen-Relation lässt sich so einfach nicht beantworten. Natürlich stellt sich grundsätzlich die Frage ob der Nutzen einiger weniger Plantagen- oder Minenbesitzer den militärischen und verwaltungstechnischen Aufwand rechtfertigt. Sogar die lange Zeit erfolgreiche Ost-Indien-Companie ist letztlich bzw. auf lange Sicht daran gescheitert.
Die Frage also Nutzen - Für Wen? und Kosten - Wie hoch und Wer trägt sie?
 
Mal abgesehen vom Aufwand - wahrscheinlich hat man gar nicht die Quellenlage dafür.
Man müßte ja die Buchhaltung der wesentlichen damals tätigen Firmen durchforsten, darauf hoffen, daß die Wertschöpfung der Kolonialgeschäfte explizit darstellbar ist und dann eine fiktive Steuererklärung ohne Einnahmen/Aufwände dieser Geschäfte aufstellen. Eher eine Straf- als eine Masterarbeit ;-)

@R.A.

klar schwierig, sollte aber zu schaffen sein:

- Statistische Jahrbuch des Deutschen Reiches liegt vor
- Einfuhr- uns Ausfuhrstatistiken liegen auch vor (inkl. Zollstatistiken), damit kommt man an die Firmen und Güter (Dienstleistungen sind natürlich problematisch, however, mal abgesehen von militärischen und sonstigen etatistischen)
- Bilanzen und GuV's sollten auch beschaffbar sein, soviele Firmen waren nun auch nicht aktiv, natürlich wird es Lücken geben

Bleibt natürlich die Eingrenzung des Untersuchungszeitraumes, zeitlich und geographisch. Ich würde den Untersuchungszeitraum am liebsten von 1901 zu 1914 eingrenzen (w./HGB). Geographisch würde ich zu Togo tendieren, keine "Siedlerkolonie" und relativ gut dokumentiert und natürlich auch einigermaßen übersichtlich.

Dieses "BIP" Zufluss bzw. Abfluss - Problem geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

M. :winke:



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Togo hat offenbar wirklich "Geld abgeworfen". Die Einführung von Kaffee und Kakao schoben die Bilanz nach oben, noch heute lebt der Staat davon.
 
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Bleiben wir im genannten Schema: ->die unangemessen abgezwungene Konzession bedeutet einen BIP-Verlust, da es an Gegenwerten fehlt.
Aber die Konzession an sich ist doch nicht teil des BIP, sie ist keine Ware oder Dienstleistung die man herstellt. Wenn jetzt die USA Deutschland eine Eisenbahnkonzession abzwingen würden und hier ganz viele Eisenbahnen bauen würden, dann sinkt ja nicht das BIP, im Gegenteil es steigt. Denn die Eisenbahn zählt ja zum BIP, im Gegensatz zur Konzession. Allerdings waren bei den Eisenbahnkonzessionen auch noch Ausbeutungsrechte für Bodenschätze längs der Strecke mit drin, wenn ich recht erinnere.
Für das BIP ist es egal, ob die Eisenbahn Chinesen oder Deutschen gehört. Höchstens könnte man fragen, ob Kiaoutschou noch zur chinesischen Volkswirtschaft gehörte, nach der Annektion.
 
Ich sehe das etwas anders, aber vielleicht irre ich mich ja:

Konzessionen sind Nutzungsüberlassungen, diese stellen Dienstleistungen im Rahmen der BIP-Rechnung durch Einräumung von Rechten dar.

Abgestellt war auf ein entgangenes angemessenes Entgelt für die Konzessionen bzgl. Eisenbahnstrecken und Schürfrechte. Ökonomisch wäre das als teilweise durch den Konzessionsgeber abzuschöpfenden Gewinn des Betreibers zu interpretieren.
 
Ich sehe das etwas anders, aber vielleicht irre ich mich ja:

Konzessionen sind Nutzungsüberlassungen, diese stellen Dienstleistungen im Rahmen der BIP-Rechnung durch Einräumung von Rechten dar.

Abgestellt war auf ein entgangenes angemessenes Entgelt für die Konzessionen bzgl. Eisenbahnstrecken und Schürfrechte. Ökonomisch wäre das als teilweise durch den Konzessionsgeber abzuschöpfenden Gewinn des Betreibers zu interpretieren.


@silesia

"Konzessionen sind Nutzungsüberlassungen, diese stellen Dienstleistungen im Rahmen der BIP-Rechnung durch Einräumung von Rechten dar."

Das sehe ich auch so.

"Abgestellt war auf ein entgangenes angemessenes Entgelt für die Konzessionen bzgl. Eisenbahnstrecken und Schürfrechte. Ökonomisch wäre das als teilweise durch den Konzessionsgeber abzuschöpfenden Gewinn des Betreibers zu interpretieren.[/QUOTE]"

Hier sehe ich ein Problem, und zwar nicht in dem Wort: "entgangenes" sondern in dem Wort "angemessenes".

Die juristische Definition von "Angemessenheit" resp "Verhältnismäßigkeit" ist hier wenig hilfreich.

Es müßte also der BIP-Abfluß resp. BIP-Zufluß z.B. bei einer Konzessionsvergabe für eine Eisenbahnstrecke unter simulierten marktgerechten Auspizien erfolgen; damit hätte man als Differnz zwischen den marktgerechtenen Preisen und den tatsächlichen Preisen für eine Konzessionvergabe auch gleichsam die "Ausbeutungsrate" durch diese Konzessionsvergabe. Aber eben nur für diese eine Konzession.

Sehe ich da was falsch?

M. :winke:
 
Die Methode kommt mir reichlich kompliziert vor, schließlich ist es eine politische Entscheidung wieviel für so eine Konzession zu zahlen ist. Vielleicht könnte man die "deutsche" Konzession mit anderen Konzessionen an chinesische Unternehmen oder an ausländische Unternehmen ohne militärisches Druckpotential vergleichen. Falls es sowas gegeben hat.
 
Hier sehe ich ein Problem, und zwar nicht in dem Wort: "entgangenes" sondern in dem Wort "angemessenes".
Die juristische Definition von "Angemessenheit" resp "Verhältnismäßigkeit" ist hier wenig hilfreich.

Da gebe ich Dir recht. Auch wenn darin zeitgenössische Anklänge stecken, also etwa das "dealing at arm´s lenght". Letzteres ist offensichtlich bei den aufgedrückten Verträgen ohnehin nicht eingehalten.

Es müßte also der BIP-Abfluß resp. BIP-Zufluß z.B. bei einer Konzessionsvergabe für eine Eisenbahnstrecke unter simulierten marktgerechten Auspizien erfolgen; damit hätte man als Differnz zwischen den marktgerechtenen Preisen und den tatsächlichen Preisen für eine Konzessionvergabe auch gleichsam die "Ausbeutungsrate" durch diese Konzessionsvergabe. Aber eben nur für diese eine Konzession.
Sehe ich da was falsch?
M. :winke:

Warum der grobe Hammer VWL, ...
[ein unterhaltsames zeitgenössisches Beispiel: Rosa Luxemburg: Akkumulation d. Kapitals (Kapitel 30) ]

wenn die Nano-Technologie :D dazu Aussagen liefern kann:

Nehmen wir zur Amortisation die Herstellkosten der Strecke/Grube und die laufenden Kosten des Betriebs. Konzessionsgeber und Konzessionsnehmer werden danach Vorstellungen über den erzielbaren Gewinn entwickeln. Der Konzessionsgeber wird einen Anteil an der Gewinnspanne fordern.

Welche Konzessionsgebühren gab es für die deutschen Strecken/Ausbeuterechte an Rohstoffvorkommen? Keine?


__________
Die Reichszuschüsse Tsingtao dürften pimalDaumen 150 Millionen Reichsmark 1898-1911 betragen haben, etwa 80% des Gesamtetats. Der Rest war durch Einnahmen gedeckt. Rd. 1 Mio. Tonnen Kohle sind gefördert worden.
(Handbuch Kiautschou, 1912)
 
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