Möchte ich nicht in Abrede stellen. Neben dem technischen gibt es aber auch den menschlichen Faktor. Über den Atlantik mit einem langsamen Boot gegen den Wind zu kreuzen ist nicht nur zeitraubend, sondern auch zermürbend.
Jetzt nötigst Du mich, eine Theorie zu verteidigen, von der ich gar nicht überzeugt bin. Aber was solls, Diskutieren schärft ja angeblich den Verstand…
Bei aller Skepsis gibt es ein paar Fakten, die einen stutzig machen müssen. Die Abora-Leute haben die merkwürdigen Stricke an prähistorischen ägyptischen Schiffsdarstellungen als Seitenschwerter interpretiert und nachgewiesen, dass solche Seitenschwerter tatsächlich funktionieren. Außerdem gibt es nicht nur in Ägypten sondern auch in Nordspanien und Südfrankreich (am Atlantik!) 14.000 Jahre alte Felszeichnungen von Schiffen mit Segeln. Besegelte Schiffe machen aber besonders im Atlantik nur Sinn, wenn es möglich war, gegen den Wind anzukreuzen. Übrigens zeigen die spanischen Felszeichnungen Schiffe, die in einander entgegengesetzte Richtungen fahren. Deshalb werden die Zeichnungen von manchen Leuten als steinzeitliche Seekarte des Kanaren-Golfstrom-Systems interpretiert.
Und dann, wie viel Trinkwasser kann so ein Schilfboot z.B. ohne viel Stauraum mitnehmen?
Um solche Fragen zu beantworten, wurde das Abora-Projekt ja gestartet. Thor Heyerdahl hat mit der Kon Tiki seinerzeit 1100 Liter Trinkwasser mitgenommen. Das reichte für den Weg von Südamerika bis Polynesien. Übrigens ist es nicht ganz richtig, dass die Abora wenig Stauraum hatte. Leider finde ich keine Daten dazu und erinnere mich nur noch grob an das Gespräch mit dem Vorgeschichtler. Jedenfalls kann so ein Schilfboot mehrere Tonnen Fracht aufnehmen.
Und weshalb sollte ein antiker Seefahrer das unkalkulierbare Risiko auf sich nehmen? Was springt dabei für ihn raus?
…
Der von Nero zum Selbstmord gezwungene Seneca drückte es so aus; Von vier auslaufenden Schiffen erreichen nur drei ihren Bestimmungshafen, das ist eine Zwangsläufigkeit des Lebens. Der Seefahrer wurde als "mortis est socius" bezeichnet.
Ausgelaufen sind sie trotzdem. Die Verluste sind also in Kauf genommen worden. Wie viele Schiffe mögen Spanier, Portugiesen und Engländer auf den Seewegen zu ihren Kolonien verloren haben? Polynesien ist ohne Zweifel mit Schiffen besiedelt worden, die nicht seetauglicher waren als die Abora. Wie viele dieser Schiffe mögen gesunken sein?
Aber Deine Frage berührt zwei Punkte: Einmal Fahrten zu bekannten Orten, zum Anderen Fahrten ins Ungewisse. Solche Entdeckungsreisen gab es immer wieder – und aus den verrücktesten Gründen. Und immer wieder sind Entdeckungsreisende weiter gefahren, obwohl sie wussten, dass sie damit über den Punkt hinauskommen, von dem aus noch eine Rückkehr möglich ist. Erik der Rote ist so ein Beispiel. Der war wegen Totschlags für friedlos erklärt, segelte ins Ungewisse und fand Grönland. Sein Sohn segelte weiter nach Amerika. Übrigens: Auch dass schon die Wikinger in Amerika waren, wäre vor ein paar Jahren als Hirngespinst abgetan worden. Im Grunde weiß man bis heute nicht sicher, wie es ihnen gelungen ist, regelmäßig Island im Nordmeer zu finden. Eigentlich fehlten ihnen dazu die nautischen Mittel und Kenntnisse – unserem Kenntnisstand nach.
Was hätte es dort wertvolles gegeben, was es in Europa/Asien nicht gab? Am Ende zählt im Handel immer der Profit. Ohne den ist tote Hose. Für ein solches Risiko, so denke ich, müsste die Handelsspanne schon gigantisch sein.
Naja, wie ausgeprägt so ein interkontinentaler Handel gewesen ist (wenn es ihn denn gab), wäre die nächste Frage. Die Ägypter haben ihn, wenn überhaupt, offenbar nicht lange betrieben, da ja nicht in sämtlichen Mumien Tabak und Koks gefunden wurde. Auch scheint es sich um Waren gehandelt zu haben, die eher kultische Bedeutung hatten. Kosten-Nutzen-Fragen stellen sich da nicht so. Was haben die alten Ägypter nicht alles gemacht, um ihre Herrscher mit Stil ins Jenseits zu befördern? Da wurden riesige Pyramiden gebaut, die sicher auch keinen Profit abgeworfen haben. Angesichts eines solchen Aufwands wäre ein Segeltörn nach Amerika doch geradezu ein Klacks gewesen.
MfG