wie sind die 10 Gebote Moses' im historischen Kontext einzuordnen?

Nicht vielleicht des 5. ?:haue:Welches ist der neue Bezug ?

Jau, da hatte wohl die Kaffeewirkung noch nicht ausgereicht, natürlich war "Du sollst nicht töten" gemeint. Und da die Numerierung nicht durchgängig ist, werde ich sie zukünftig nicht mehr verwenden.
Teile der 10 Gebote verstehe ich als bewährtes Recht zur Regelung des menschlichen Zusammenlebens: Du sollst nicht töten, ehebrechen, stehlen, lügen. Diese Regeln gab es schon zuvor, was nicht heißt, dass sie nicht übertreten wurden.
Was sich in der Entstehungsphase zu ändern begann, war die Kontrollinstanz, die Gerichtsbarkeit, das meinte ich mit neuem Bezug.
Das haben El Q. und jschmidt aber schon besser gesagt:
Ab irgendeinem Punkt jedenfalls, da sind wir uns einig, beginnt die segmentäre Gesellschaft überzugehen von einer akephalen Form, in der das Element Herrschaft bzw. Zentralgewalt keine Rolle spielt oder nur eine untergeordnete, in eine kephale.

Die Besonderheit beim Volk Israel könnte man nun darin sehen, dass das Kephale (der Kopf) in dem "neuen Organigramm" zunächst nicht, wie üblich, in einem König besteht, sondern in einem Gott! Nicht ein Mensch wie Hammurabi formuliert die ersten und grundlegenden Gesetze des Zusammenlebens, sondern dieser Gott selbst (mit Hilfe eines Mittelmanns bzw. "Übersetzers"). Erst zu einem späteren Zeitpunkt kommt es zur Ausbildung eines Königtums.
........... Und für eine (proto)staatliche Gesellschaft kommt es darauf an, dass sie die "von oben" gesetzte Ordnung respektieren. Wie in der Familie halt: "Ein jeglicher fürchte seine Mutter und seinen Vater" (3.Mo.19,3).

Nun habe ich den Faden verloren, ob es in diesem Thread nur um die Gesamtheit der mosaischen 10 Gebote gehen soll oder um einzelne Teile?
 
Nun habe ich den Faden verloren, ob es in diesem Thread nur um die Gesamtheit der mosaischen 10 Gebote gehen soll oder um einzelne Teile?
Wenn ich @megatrend richtig verstanden habe, geht es um die Gesamtheit der 10 Gebote, die in sich in unterschiedliche "Rubriken" und in den historischen Kontext einzuordnen sind und ggf. mit "Moralkodices" anderer Kulturen verglichen werden sollen.
 
Es handelt sich schlicht und einfach um unterschiedliche Verfasser. Wer für welche Stelle verantwortlich ist, kann ich aus dem Stehgreif nicht sagen.
Das war eigentlich nur eine rhetorische Frage :D Aber gut:

Ich denke, Dt ist innovativer, da der Mensch- egal ob frei oder Sklave- einen Tag in der Woche ohne Arbeit hat. Der Sabbat ist ein Geschenk. Auch um das "Manna" muss sich niemand kümmern.
Werner Schmidt geht in "Die alttestamentlichen Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik" davon aus, dass Ex die jüngere Fassung des Sabbatgebotes ist, da Ex auf die Gottesordnung zurückgreift und damit seiner Argumentation folgend eine Exilerfahrung bereits im geschichtlichen Bewusstsein der Juden vorhanden ist. Ein Hinweis in einem Gebot auf geschichtliche Begebenheiten würde nämlich die göttliche Souveränität des Gebots in Frage stellen.
Schmidt geht im übrigen auch davon aus, dass das Sabbatgebot zur Zeit der Niederschrift der Gebote doch nicht mehr so neu war, sondern ordnet es eher in die "Frühzeit Israels" ein. Er begründet das mit Textbelegen in Ex 23,12 und 34,21. Was seiner Meinung nach aber jeweils neu ist in den Dekalogfassungen sind die Begründungen des Sabbatgebots.
Außerdem ist er der Ansicht, dass die Sabbatheiligung mitsamt ihren kultischen Vorschriften quasi identitätsstiftend für das Judentum war. Dass die Entwicklung dieser kultischen Handlungen scheinbar überhand nimmt und damit dem eigentlichen Zweck des Sabbatgebots entgegenläuft, sieht man ja bereits in Mk 2,27.

Ich verstehe @megatrend wieder anders als Klaus und Hulda... Vielleicht würdest du dein Thema nochmal konkretisieren? Sonst reden wir hier noch 10 Seiten aneinander vorbei.
 
@Lili: Sorry, dass ich Deine rhetorische Frage nicht erkannt habe. :-((

Ich meine mit "innovativ" nicht "zeitlich neu". Es geht mir um die Begründung in Dt. Sie ist heute noch maßgeblich für die Sabbatheiligung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich verstehe @megatrend wieder anders als Klaus und Hulda... Vielleicht würdest du dein Thema nochmal konkretisieren? Sonst reden wir hier noch 10 Seiten aneinander vorbei.

Es geht um die Gesamtheit der Gebote.

Ich glaube, dass sich bei jeder Gruppenbildung automatisch gewisse Regeln bilden, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen sollten (ich sage bewusst sollten).

Grundsätzlich liessen sich nennen:
- die Unversehrtheit des anderen ("du sollst nicht töten")
- die Anerkennung von Eigentum ("du sollst nicht stehlen")
- in Gesellschaften, die vordergründig monogam organisiert sind, das ausspannen des Lebenspartners ("du sollst nicht ehebrechen" bzw. "du sollst nicht begehren deines nächsten Weib")
- Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit ("du sollst nicht lügen"): dies ist insbesondere Wichtig für Tausch und Handel

Ohne diese Regeln gilt quasi das brutale Faustrecht, das Recht des Stärkeren. Das Recht des Stärkeren ergibt automatisch eine brutale Gesellschaft, wo Angst und Schrecken regieren: welche Gesellschaft will schon so zusammenleben? Streit und Missgunst wären vorprogrammiert.

Dann:
- die Anerkennung der oberen göttlichen Instanz ("du sollst keine anderen Götter neben mir haben")

Durch die offizielle Verkündung dieser Gebote via Moses hatten diese einen "offiziellen" Charakter: jedermann hatte sich daran zu halten (auch wenn der Schutz auf die Glaubensgemeinschaft beschränkt war). Aufgrund dieser Gebote konnte man Gerichtbarkeit und Justiz aufbauen, man konnte sich auf den Willen Gottes berufen und diesen notwendigenfalls vollstrecken.
 
Die Fragestellung finde ich, so formuliert, überaus anregend.

Allerdings bleibt die Frage offen, von wo nach wo der gesellschaftliche Übergang stattfand.
War das die Vorgängergesellschaft :
Ohne diese Regeln gilt quasi das brutale Faustrecht, das Recht des Stärkeren. Das Recht des Stärkeren ergibt automatisch eine brutale Gesellschaft, wo Angst und Schrecken regieren: welche Gesellschaft will schon so zusammenleben?
...oder vielleicht das :
Es gibt dann zuviele Sippen, das Nahrungsangebot wird knapp, die Ressourcen sind heftig umkämpft, die Konflikte zwischen den Sippen nehmen zu, ...

Eine neue Organisationsform musste her, eine, die es mögich machte, eine größere Gesellschaftseinheit funktionsfähig zu machen. Das ist aber nur möglich, wenn die Individuen sich an entsprechende Verhaltensweisen halten.
 
Es gibt dann zuviele Sippen, das Nahrungsangebot wird knapp, die Ressourcen sind heftig umkämpft, die Konflikte zwischen den Sippen nehmen zu, ...

Eine neue Organisationsform musste her, eine, die es mögich machte, eine größere Gesellschaftseinheit funktionsfähig zu machen. Das ist aber nur möglich, wenn die Individuen sich an entsprechende Verhaltensweisen halten.

Sippenbildung ist bis tief in die Steinzeit archäologisch nachvollziehbar. Es gibt sie auch bei den Primaten.
Der Mensch stand immer im Clinch, wie er zu seiner Nahrung kommt. Zuerst wohl beim Jagen, wo Treibjagd wohl eine Option wahr. Bei der Domestizierung der Haustiere galt es, den eigenen Tierbestand gegenüber Raubtieren und anderen Menschen zu verteidigen: als Einzelmensch wohl ein chancenloses Unterfangen.

Aus Irland gibt es alte Ueberlieferungen, woraus hervorgeht, dass man sich gegenseitig immer wieder das Vieh stahl: das mag kurzfristig zum eigenen Vorteil gut sein, langfristig wohl problematisch (z.B. Rache).

Ein weiterer Aspekt: die Indoeuropäischen Einwanderer gründeten jeweils Königreiche: die Herrscher hatten kein Interesse, dass sich die eigenen Untertanen immer gegenseitig behinderten. Folglich mussten Gesetze her, die eine friedliche Koexistenz ermöglichten (inkl. Strafvollzug, versteht sich).
 
Zuletzt bearbeitet:
@Lili: Sorry, dass ich Deine rhetorische Frage nicht erkannt habe. :-((
Nichts wofür du dich entschuldigen bräuchtest. Ich neige durchaus dazu hin und wieder etwas wirr zu formulieren. ;)

Ich meine mit "innovativ" nicht "zeitlich neu". Es geht mir um die Begründung in Dt. Sie ist heute noch maßgeblich für die Sabbatheiligung.
Stimmt allerdings. Mal aus rein pragmatisch-produktionsorientierter Sicht heraus, ist es auch sinnvoll einen arbeitsfreien Tag einzurichten, der insbesondere Regenerationszwecken dient, da hier unterm Strich die Produktivität gesteigert wird (es gibt bspw. die Beobachtung dass im postrevolutionären Frankreich die Produktivität der Wirtschaft mit Einführung des Revolutionskalenders sank). Aus wirtschaftlich-produktioneller Sicht wäre es zwar sinnvoller nicht einen festen arbeitsfreien Tag für alle festzulegen, sondern die Arbeitskräfte quasi in Dienstplänen zu verzahnen, so dass die Produktion durchlaufen kann. In der zu betrachtenden Zeit macht das aber aufgrund der bestehenden Infrastruktur, der Kommunikationswege und nicht zuletzt wegen der Überwachungsmöglichkeiten weniger Sinn (Das Überwachen ist trotz der mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit notwendig, da ich jetzt mal unterstelle, dass es zu allen Zeiten Leute gab, die mit Glück maximal kurzfristig dachten). Das Durchsetzen der Einhaltung eines regelmäßigen arbeitsfreien Tages ist leichter, wenn für alle der gleiche Tag gilt (ausnützen des sozialen Drucks).

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wann eine Gesellschaft so weit ist, dass ein regelmäßiger freier Tag zu Regenerationszwecken erforderlich wird. Ich hab mal irgendwo aufgeschnappt, dass die frühzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften nur wenige Stunden am Tag für ihren eigenen Lebensunterhalt aufwenden mussten. Diese Gesellschaften brauchten also noch keinen freien Tag zur Regeneration. Erst mit der Entwicklung der Arbeitsteilung und einer damit einhergehenden Spezialisierung wird es erforderlich, dass man für andere mitarbeitet, man also mehr Zeit für Arbeit aufwendet. Nimmt man nun noch bestimmte Standesprivilegien hinzu, muss zusätzlich für Menschen mitgearbeitet werden, die selbst gar keinen oder nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtproduktivität der Gesellschaft leisten, also nochmal mehr Arbeit. Dreht man diese Spirale der Arbeitsteilung und Spezialisierung also weiter, müsste eine Gesellschaft früher oder später an dem Punkt sein, an dem es zum Erhalt der Produktivität erforderlich wird, die Arbeitskraft zu regenerieren. Man braucht also einen freien Tag. Und wie könnte man den am leichtesten verargumentieren? Mit einer religiösen Begründung... Soweit mal meine Theorie zur Entwicklung des Sabbatgebots.
 
Ich denke, mit dem Sabbatgebot verhält es sich so:

Freie Tage gab es auch vorher schon von Herrschern für ihre Untertanen.

Das Novum ist die Abgrenzung z.B. vom babylonischen Neumond als freiem Tag hin zu einem von Gott geschenkten mondunabhängigen, gebotsabhängigen Tag für alle- Sklaven inbegriffen. Der Mensch wendet sich an diesem Tag- unabhängig davon, ob es arbeitstechnisch sinnvoll ist oder nicht- ganz besonders Gott zu.
 
Damit dieses interessante Thema nicht einschläft, versuche ich nochmal eine Umformulierung auf der Grundlage historischer Fakten:

  1. Das Volk Israel bildet ein eigenes Herrschaftsgebiet.
  2. Das Volk Israel gibt sich / bekommt ein "Gesetz".
  3. Frage: Besteht ein Zusammenhang zwischen beidem - etwa in der Art und Weise, wie es in der Bibel steht?
zu 1) Wenn man Finkelstein/Silbermann [1] folgt, dann entwickelt sich Israel im Bergland von Kanaan während der sog. Dritten Besiedlungswelle (1150-950 v.d.Z.). Es entstehen ca. 250 Orte mit ca. 45.000 Menschen.
Dieser Prozess wird dadurch möglich, dass die herrschenden Kultur in der kanaanäischen Ebene nach und nach zusammenbricht, wobei in der letzten Phase die Ereignisse um die "Seevölker" eine Rolle spielen.
Die meisten Israeliten "kamen nicht von außen nach Kanaan - sondern aus seiner Mitte heraus. Es gab keinen Massenauszug aus Ägypten, ebenso wenig wie eine gewaltsame Einnahme Kanaans. Die meisten Menschen, die das frühe Israel bildeten, waren Einheimische..." Auch fehlen alle historischen Nachweise auf einen "Bevölkerungsdruck" zu jener Zeit.
Das Gebiet, welches Saul, David und Salomo etwa ein Jahrhundert lang beherrschen (ca. 1025-931), ist ziemlich dünn besiedelt und erstreckt sich "weder über ein Reich noch über palastartige Städte und auch nicht über eine sensationelle Hauptstadt". Später teilt sich die Herrschaft in ein Nordreich (Israel) und ein Südreich (Juda); die Bevölkerung wächst um das 3- bis 4-fache innerhalb von 3 Jahrhunderten.

zu 2) Die Gesetzeswerke, darunter auch die Dekaloge, werden ab dem 7. Jahrhundert zusammengetragen. Dabei wird die Gestalt des vermeintlichen Kanaan-Eroberers Josua projiziert auf den realen König von Juda, Josia. (Das Nordreich war bereits 720 untergegangen.) Josia leitet eine "nationale Renaissance" ein, die jedoch schließlich in eine Katastrophe führt, nämlich zum Untergang Judas und zur Babylonischen Gefangenschaft.

zu 3) Beide Ereignisse liegen ca. 500 Jahre auseinander. Sie werden in Zusammenhang gebracht durch die Annahme, dass die Gesetze "zwischendurch" als mündliche Überlieferung vorhanden waren; die Figur des Mose ist freilich auch ein Mythos.
Die These, die 10 Gebote wären konstitutiver Teil der Gemeinschaftsbildung gewesen, d.h. eine Art "Grundgesetz", ist somit schwer zu belegen.

Wenn ich auf dieser Grundlage die Bedeutung der 10 Gebote einschätze, so fällt zunächst auf, dass die Gebote in unserer Diskussion ganz unterschiedlich charakterisiert werden: häufig als "Recht", seltener als "Moral", "Sitte", manchmal allgemeiner als "Werte und Normen", "Spielregeln", "Regeln", was zur Grundsatzfrage führt, wann "Recht" in unserem heutigen Sinne beginnt zu existieren.

Ich lasse die mal beiseite und frage: Was war denn vorher? "Ohne diese Regeln", schreibt Megatrend (#47) unter Hinweis auf einige der 10 Gebote, "gilt quasi das brutale Faustrecht", was im Umkehrschluss heisst: Mit den 10 Geboten erst wird ein geordnetes Miteinander von Menschen ermöglicht.

Das ist, so meine These, so nicht richtig bzw. unhistorisch: Auch in Gesellschaften ohne Schriftkultur und ohne formale Rechtsordnung gibt es - bis heute! - wirksame Mechanismen, die das Zusammenleben regeln. In erster Linie ist dabei die schon erwähnte Reziprozität zu nennen, des weiteren gelten die Regeln, die sich aus der Verwandschaftstruktur ergeben, usw.


[1] Keine Posaunen vor Jericho. München 2004; Zitate S. 135, 160, 161
 
Ich zitiere mich quasi selbst:
Ohne diese Regeln", schreibe ich (#47) unter Hinweis auf einige der 10 Gebote, "gilt quasi das brutale Faustrecht", was im Umkehrschluss heisst: Mit den 10 Geboten erst wird ein geordnetes Miteinander von Menschen ermöglicht.

Das ist, so meine These, so nicht richtig bzw. unhistorisch: Auch in Gesellschaften ohne Schriftkultur und ohne formale Rechtsordnung gibt es - bis heute! - wirksame Mechanismen, die das Zusammenleben regeln. In erster Linie ist dabei die schon erwähnte Reziprozität zu nennen, des weiteren gelten die Regeln, die sich aus der Verwandschaftstruktur ergeben, usw.

es kann geschriebene oder ungeschriebene Gesetze geben.

Auch ein Volk (oder Sippe, Stamm) kann ohne geschriebene Gesetze leben. Wichtiger als ein blosses Gesetz ist der Vollzug: es nützt nichts, wenn es ein schriftliches, heiliges Gesetz gibt, das "Du sollst nicht töten" lautet. Wichtiger ist es, dass demjenigen, der gegen das (geschriebene oder ungeschriebene) Gesetz verstossen, Konsequenzen erwachsen. Das kann durchaus ein Verstoss aus der Sippe (Verbannung) sein oder gar die Todesstrafe. Ueber die Kelten wird berichtet, dass sie Verbrecher von religiösen Zeremonien ausschlossen, was damals eine schlimme Strafe war.

Somit stelle ich die These auf, dass für ein friedliches Zusammenleben (geschriebene oder ungeschriebene) Gebote braucht.

Ich bleibe dabei: wenn es keine ungeschriebenen Gesetze gibt, dann sind Mord, Totschlag, Raub, Frauendiebstahl ja quasi legal. In einer Gemeinschaft entwickeln sich wohl automatisch gewisse Regeln des Zusammenlebens.

Dies wiederum bedeutet, dass es bereits vor Mose Regeln des Zusammenlebens gegeben haben muss - sie wurden durch Mose quasi "offiziell" eingeführt ggf. auch erweitert.

Falls dem nicht so wäre, dann könnte x den y umbringen und sich dessen Frau aneignen (quasi der Umkehrschluss).

Ich würde mal sagen, überall wo etwas höhere tierische Lebewesen zusammen leben (sei es auch nur zu zweit), gibt es (geschriebene oder ungeschriebene) Regeln des zusammenlebens - auch wenn es nur eine "Hackordnung" ist.

Es wäre noch interessant, inwiefern die Entwicklung der Schrift (so etwas wie Schrift gibt es in der Geschichte der Menschheit ja noch gar nicht so lange http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Schrift) einen Einfluss auf die zehn Gebote Mose' bzw. deren "Offizialisierung" gehabt hat...
 
Zuletzt bearbeitet:
...Es kann geschriebene oder ungeschriebene Gesetze geben. Auch ein Volk (oder Sippe, Stamm) kann ohne geschriebene Gesetze leben. Somit stelle ich die These auf, dass für ein friedliches Zusammenleben (geschriebene oder ungeschriebene) Gebote braucht. In einer Gemeinschaft entwickeln sich wohl automatisch gewisse Regeln des Zusammenlebens.
Was die Zeit vor den 10 Geboten betrifft, so ist unser Dissens kleiner, als es den Anschein hat. :winke: Du sprichst von Gesetz bzw. Gebot, ich nenne das etwas schlichter "Mechanismus". Unser gemeinsamer Nenner sind "Regeln", die sich "automatisch" entwickeln.

Jetzt wäre zu klären, woher der Automatismus kommt. Er kommt, ich wiederhole mich ebenfalls, z.B. aus dem Prinzip der Reziprozität, das als erster Marcel Mauss beschrieben hat [1]. In moderner Sprache bedeutet das: "Der Druck der Einzelinteressen führt zu einer Reduzierung des abweichenden Verhaltens auf die Linie des erwarteten Verhaltens." [2] In negativer, etwas banaler Formulierung könnte man auch sagen, dass sich der Grundsatz durchgesetzt hat: Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu.

Es geht mir darum zu sagen: Die 10 Gebote markieren nicht den entscheidenden Schritt von einer (archaischen, wilden) Gesellschaft, in der das Recht des Stärkeren gilt und alles drunter und drüber geht, hin zu einer "geregelten", zivilisierteren Gesellschaft, weil nämlich auch schon vorher Regeln existieren, auch in unserem Beispiel, dem Volk Israel. Dem stimmst Du ja ausdrücklich zu:
Dies wiederum bedeutet, dass es bereits vor Mose Regeln des Zusammenlebens gegeben haben muss - sie wurden durch Mose quasi "offiziell" eingeführt ggf. auch erweitert.
Allerdings entnehme ich dem zweiten Satz, dass Du Mose für eine historische Figur hälst. Welche Belege gibt es dafür und wie ist diese Figur zeitlich einzuordnen? Oder anders gefragt: Ist diese Figur notwendig zur Erklärung des historischen Prozesses?

Anschließend könnten wir uns darüber unterhalten, was die von Dir angedeuteten "Erweiterungen" bedeuten.


[1] Essai sur le don (1924).
[2] Sigrist, zitiert bei Wesel, Frühformen des Rechts in vorstaatlichen Gesellschaften. Frankfurt 1985, S. 87.
 
Allerdings entnehme ich dem zweiten Satz, dass Du Mose für eine historische Figur hälst. Welche Belege gibt es dafür und wie ist diese Figur zeitlich einzuordnen?

Nein. Das geht (indirekt) aus meinem Posting hier hervor:

http://www.geschichtsforum.de/485292-post4.html

Die Thutmosis-Pharaos hat es gegeben, aber in diesem Zusammenhang kann man höchstens von Synkretismus sprechen.

Oder anders gefragt: Ist diese Figur notwendig zur Erklärung des historischen Prozesses?

Offenbar hat man damals grosse Namen gebraucht, um sich (rückwirkend) mit Ruhm zu bekleckern. Notwendig ist sie nicht, aber die Figur Moses ist der 'Aufhänger', unter seinem Namen wurden die zehn Gebote berühmt.
 
Offenbar hat man damals grosse Namen gebraucht, um sich (rückwirkend) mit Ruhm zu bekleckern. Notwendig ist sie nicht, aber die Figur Moses ist der 'Aufhänger', unter seinem Namen wurden die zehn Gebote berühmt.

Es ist doch eine durchgehende Linie im Judentum (Christentum und Islam) , daß Personen ("Propheten") auftreten, die etwas verkünden, was Ihnen von Gott mitgeteilt wurde (Offenbarungsreligion). Im übrigen hatten doch von Gott als höchste Legislative verabschiedete Gesetze doch eine ganz andere Wirkung als ein tradiertes Gewohnheitsrecht.
 
...die Figur Moses ist der 'Aufhänger', unter seinem Namen wurden die zehn Gebote berühmt.
...eine ganz andere Wirkung als ein tradiertes Gewohnheitsrecht.
Das sehe ich genau so! Zumal ja "heilige Gesetze" in ganz anderer Weise strafbewehrt sind: Viele Stellen im AT besagen, dass Verstöße - insbesondere im Hinblick auf den Kult (erste drei Gebote) - nicht nur Konsequenzen für das Individuum haben können, sondern für das ganze Volk, dem der erzürnte JHWH seine Gunst (zeitweise) entzieht.
 
Das Volk Israel bildet ein eigenes Herrschaftsgebiet.
  1. Das Volk Israel gibt sich / bekommt ein "Gesetz".
  2. Frage: Besteht ein Zusammenhang zwischen beidem - etwa in der Art und Weise, wie es in der Bibel steht?
zu 1) Wenn man Finkelstein/Silbermann [1] folgt, dann entwickelt sich Israel im Bergland von Kanaan während der sog. Dritten Besiedlungswelle (1150-950 v.d.Z.). Es entstehen ca. 250 Orte mit ca. 45.000 Menschen.
Dieser Prozess wird dadurch möglich, dass die herrschenden Kultur in der kanaanäischen Ebene nach und nach zusammenbricht, wobei in der letzten Phase die Ereignisse um die "Seevölker" eine Rolle spielen......
zu 2) Die Gesetzeswerke, darunter auch die Dekaloge, werden ab dem 7. Jahrhundert zusammengetragen. Dabei wird die Gestalt des vermeintlichen Kanaan-Eroberers Josua projiziert auf den realen König von Juda, Josia. (Das Nordreich war bereits 720 untergegangen.) Josia leitet eine "nationale Renaissance" ein, die jedoch schließlich in eine Katastrophe führt, nämlich zum Untergang Judas und zur Babylonischen Gefangenschaft.

zu 3) Beide Ereignisse liegen ca. 500 Jahre auseinander. Sie werden in Zusammenhang gebracht durch die Annahme, dass die Gesetze "zwischendurch" als mündliche Überlieferung vorhanden waren; die Figur des Mose ist freilich auch ein Mythos.
Die These, die 10 Gebote wären konstitutiver Teil der Gemeinschaftsbildung gewesen, d.h. eine Art "Grundgesetz", ist somit schwer zu belegen.

Wenn ich auf dieser Grundlage die Bedeutung der 10 Gebote einschätze, so fällt zunächst auf, dass die Gebote in unserer Diskussion ganz unterschiedlich charakterisiert werden: häufig als "Recht", seltener als "Moral", "Sitte", manchmal allgemeiner als "Werte und Normen", "Spielregeln", "Regeln", was zur Grundsatzfrage führt, wann "Recht" in unserem heutigen Sinne beginnt zu existieren.

Ich lasse die mal beiseite und frage: Was war denn vorher? "Ohne diese Regeln", schreibt Megatrend (#47) unter Hinweis auf einige der 10 Gebote, "gilt quasi das brutale Faustrecht", was im Umkehrschluss heisst: Mit den 10 Geboten erst wird ein geordnetes Miteinander von Menschen ermöglicht.

Da inzwischen Einigkeit darüber zu bestehen scheint, dass man vor den 10 Geboten nicht von einem rechtslosen Raum, in dem das Faustrecht herrschte, sprechen kann, stellt sich mir immer noch die Frage nach dem geschichtlichen Kontext der Entstehung.
Der zeitliche Rahmen, den @jschmidt anführt, kommt mir plausibel vor, auch die mindestens 500 Jahre, die zwischen der mythischen Verkündung und der Niederschrift liegen. Der Entstehungszeitraum läge dann um 1200 BC, was immer noch spät wäre, verglichen mit anderen Gesetzeswerken jener Weltgegend. Vor allem wenn man die Ungenauigkeit der Gebote berücksichtigt, sie sind ja mehr ein Moralkodex und benötigten für das Tagesgeschäft, die weitere Auslegung durch Richter oder Herrscher.
Über die Gesetzeslage im vorjüdischen Kanaan ist mir nichts bekannt. Die Mesopotamische Gesetze ? Wikipedia könnten den Hebräern bekannt gewesen und bis Kannan ausgestrahlt haben, zumal es durch Abraham oder durch Handelsbeziehungen eine zumindest mythologische Verbindung nach Ur gegeben haben könnte.
Wenn man den Codex Hammurapi und die Reste der Vorgänger liest, hat man den Eindruck eines sachlich-fallbezogenen Rechts, zugeschnitten auf die Bedürfnisse einer gegliederten Gesellschaft, eigentlich viel moderner als die 10 Gebote. Der Zorn der Götter findet in der schriftlichen Fixierung nicht mehr den Niederschlag, den er vielleicht im täglichen Leben noch immer hatte.
Über die altägyptischen Gesetze habe ich nichts mit dem Codex vergleichbares gefunden, mein Eindruck einer mehr auf Gerechtigkeit und Ausgleich bezogenen göttlichen Ordnung ergibt sich aus dem schwierigen Begriff "Maat". Wie sich dieses Prinzip auf die alltäglichen Rechtsfälle auswirkte, würde mich interessieren und hat vielleicht auch die Hebräer fasziniert, denen die mesopotamische Ordnung zu profan versachlicht vorkam. Sie bedurften vielleicht dieser religiösen Klammer für die übergeordnete Moral.
Den Einwand von @Carolus über die Tradition der Propheten in den monotheistischen Religionen finde ich darüberhinaus wichtig. Propheten kamen aus dem Volk, wogegen vergöttlichte ägyptische Pharaos oder mesopotamische Könige ihre Position oft erbten.
:winke: Das sind nur meine ungeordneten Gedanken zu diesem spannenden Thema.
 
Anschließend könnten wir uns darüber unterhalten, was die von Dir angedeuteten "Erweiterungen" bedeuten.

Genau.

Eine der Erweiterungen ist: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben".

Ursprünglich war El eine lokale Vatergottheit, die mit Astarte (manchmal auch Ashera genannt) dargestellt wurde. Danach gab es noch Gottheiten wie Baal, Yam etc.

Aus einer ursprünglichem Polytheismus entwickelte sich ein Monotheismus, der in Form von El, resp. Jahwe repräsentiert wurde. Es gibt allerdings ein paar archäologische Funde, die belegen, dass vor dem Monotheismus El und Ashera als Götterpaar existierten; d.h. aus dem Polytheismus entwickelte sich ein Dualtheismus, dann schliesslich ein Monotheismus.

Interessant hier auch: die lautliche Aehnlichkeit zwischen Jahwe und Iovis (der römische Gott Jupiter in seiner Genitivform).

"Du sollst Dir kein Bildnis von mir machen": das ist in der Tat ein neuer Aspekt. Mögliche Gründe dazu:
- Dissimilation: damit kann man sich von anderen Religionen abheben
- Respekt: Gott kann man mit keinem Bildnis gerecht werden, man kann ihn auch durch kein Bildnis lächerlich machen
- man kann dies auch als Machtmittel verstehen: niemand könnte bildlich den Göttern nacheifern

Ich denke, dass die Einführung der Schrift zu einer Gesetzesflut geführt hat: man konnte so alles schriftlich festhalten, was vorher nur "vage" von Generation weitergegeben wurde oder ein ungeschriebenes Gesetz war.

Die von Rena angesprochenen Gesetze von Hammurapi betrachtet, dann kommt man zu diesem Schluss.

Die Gebote "Du sollst nicht stehlen" und "Du sollst nicht lügen" dürften wohl dazu dienen, ein geordnetes Wirtschaftssystem in Takt zu halten und dürften - direkt oder indirekt - schon vorher gegolten haben.

Das Gebot "Du sollst Vater und Mutter ehren" gehört einfach zum Respekt vor den Ahnen sowie zum friedlichen Zusammenhalt einer Familie und dürfte auch schon vorher gegolten haben.
 
Interessant hier auch: die lautliche Aehnlichkeit zwischen Jahwe und Iovis (der römische Gott Jupiter in seiner Genitivform).[/quod]

Bitte beachten, dass -h- <h> in anderen Sprachen kein Dehnungs-H ist, sondern eine eigene phonetische Funktion hat. Das heißt bei Jahwe, dass zwischen dem Vokal und dem Halbvokal ein aspiriertes /h/ steht, auch wenn es Deutschmuttersprachlern ein wenig schwer fällt, dieses auszusprechen.</h>
 
Die Mesopotamische Gesetze ? Wikipedia könnten den Hebräern bekannt gewesen und bis Kannan ausgestrahlt haben, zumal es durch Abraham oder durch Handelsbeziehungen eine zumindest mythologische Verbindung nach Ur gegeben haben könnte.
Uwe Wesel, der namhafteste deutsche Rechtshistoriker mit Interesse für die Frühzeit, weist auf einen "starken Wandel" in dieser Frage hin [1]. Zuerst habe man gemeint, das hebräische Recht wäre etwas völlig Singuläres, weil von Gott gegeben; nach Entdeckung des - älteren - Codex Hammurabi hielt man Einflüsse von dort für sehr wahrscheinlich; heute beschränkt man sich auf die Aussage, dass beide Rechtskulturen "demselben orientalischen Kulturkreis" angehört haben mit diversen Ähnlichkeiten, aber auch Verschiedenheiten.

Wenn man den Codex Hammurapi und die Reste der Vorgänger liest, hat man den Eindruck eines sachlich-fallbezogenen Rechts, zugeschnitten auf die Bedürfnisse einer gegliederten Gesellschaft, eigentlich viel moderner als die 10 Gebote.
Wesel bedauert in diesem Zusammenhang: "Anders als in Mesopotamien, wo Tausende von Urkunden Auskunft über die juristische Technik geben, ergänzen für das hebräische Recht nur wenige die Überlieferung der Bibel." Das provoziert übrigens auch Zweifel, "ob alle im Alten Testement beschriebenen Regeln in der Rechtswirklichkeit tatsächlich gegolten haben."

Vor allem wenn man die Ungenauigkeit der Gebote berücksichtigt, sie sind ja mehr ein Moralkodex und benötigten für das Tagesgeschäft, die weitere Auslegung durch Richter oder Herrscher.
Hierzu hebt Wesel die Originalität des hebräischen Rechts hervor: "Die Konfliktlösungsmechanismen der segmentären Gesellschaft blieben zwar im Prinzip erhalten, änderten aber mit der Seßhaftigkeit ihren Charakter, waren jetzt nicht mehr rein verwandtschaftlich organisiert, sondern örtlich. Aus der Versammlung der lineage-Älteren entsteht die hebräische Rechtsgemeinde, die als urdemokratische Organisation im Alten Orient ohne Parallele ist." [2]


[1] Geschichte des Rechts. München 1997, S. 104
[2] aaO, S. 107
 
Zurück
Oben