Die Sitten- und Ehegesetze des Augustusdienten ja unter anderem dazu, Ehebruch unter Strafe zu stellen, und sollten die Kinderarmut in den oberen Schichten beenden, womit er letztlich aber gescheitert ist. Man kann also daraus ableiten, daß der Ehebruch als ein Problem empfunden wurde, daß sich offensichtlich so weit entwickelt hat, daß man hier regelnd eingreifen mußte, wobei man hier noch Augustus persönliches Engagement mit dazurechnen darf. Bei Horaz gibt es da einige Stellen, die die Sittenlosigkeit und vor allem den Ehebruch anprangern.
Grundsätzlich wird mit Sexualität freier umgegangen, wobei man hier arg differenzieren muß. Sexualität gab es immer, auch in allen möglichen Spielarten, ob nun 100 v. Chr. oder 100 n. Chr. Auf der anderen Seite hat man aber auch eine andere Haltung dazu, sie ist ja zum Teil auch kultisch ausgelegt, wenn ein erigierter Phallus als Symbol dient, als Kultmal, als kleiner Fetisch, oder auch als Gottheit verehrt wird. Man muß sich vor Augen halten, daß es eine Vorstellung von Privatheit oder Intimität, so wie wir sie kennen, in der Antike nicht gab. Natürlich kopulierten nicht ständig alle frei auf der Straße herum, aber wenn man mit vielen anderen zusammen auf der Latrine saß, hatte man auch kein Problem damit, daß der Geschlechtsakt nicht nur im stillen Kämmerlein stattfand. In den engen und kleinen Tavernen zum Beispiel war gar nicht soviel Platz, wenn ein Mann sich das Schankmädchen in eine dunkle Ecke zog.
Die Wahrnehmung von Sexualmoral hat meines Erachtens damit zu tun, was man zu tolerieren bereit ist. Dies setzt aber auch das Wissen um die Sexualität des anderen voraus, und das ist eine Frage der sozialen Kontrolle. Im Rom des Jahres 100 v. Chr. haben wir eine viel geschlossenere Gesellschaft der Oberschicht vor uns, die sich vielmehr in engen Grenzen bewegt, als 100 oder 200 Jahre später. Das Anwachsen der Stadt, die Menge an Menschen und damit die Menge an Möglichkeiten, die vielen armen menschen, die in die Stadt gespült oftmals kaum eine andere Möglichkeit haben als sich zu prostituieren, die zunehmende Anerkennung der griechischen Kultur mit der Zunahme an Kulturimporten wie dem Theater und vor allem die Anonymität der großen Masse schaffen eine andere Lage.
gerade in Umbruchzeiten, wenn alte regeln wegbrechen, scheinen sich Menschen zu finden, die versuchen, Grenzen zu überschreiten und auszuloten, was sie dürfen. Die von Horaz beklagte Sittenlosigkeit scheint also eine Folge der späten Republik zu sein, in der mit den Bürgerkriegen auch viele Regeln des mos maiorum an Gültigkeit verlieren, die Ehegesetze des Augustus sind da ein Beispiel wie sein Umgang mit den beiden Juliae, Tochter und Enkelin.
Auch die frühe Kaiserzeit zeigt, wie mit den Grenzüberschreitungen im Rahmen der Sexualmoral negative Urteile verbunden wurden, auch wenn die Gerüchte nicht immer verifizierbar sind, so kann man an ihnen aber darstellen, daß die Leute sie für möglich gehalten und verurteilt haben. Die perversen Orgien des Tiberius auf Capri, die Inzucht von Caligula mit seinen Schwestern, die öffentlichen Bordellbesuche von Messalina beschreiben einen Rahmen, in welchem sich Angehörige der Oberschicht in dieser Zeit bewegen konnten, bei Angehörigen des Plebejerstandes hat da wohl kaum jemand nachgefragt.
Insgesamt muß man wohl eher sagen, daß es immer eine recht rigide Sexualmoral gab, egal, ob in republikanischer Zeit oder in der Kaiserzeit. Daß man seine Sexualität ausgelebt hat, daß man ins Bordell ging, daß man sich an seinen Sklavinnen und Sklaven vergriff, stand dabei gar nicht zur Debatte, sondern wie man sich nach außen gab.