Die Marokko-Krisen

Ja, das Deutsche Reich kreiste sich durch seine plumpe Aupenpolitik aus. Beachtenswert ist aber auch die Tatsache, das die antideutschen Kreise im Foreign Office die Marokkokrise Teil 1 willkommen war, da so die Entente gefestigt und zu einem Bündnis ausgebaut werden konnte. Als Grey kurze Zeit später für die britische Außenpolitik vernatwortlich zeichnete, tat er alles um den Ausbau der Beziehungen zu Frankreich zu forcieren, mit Russland ein Interessenausgleich zu Stande zu bringen, wofür sehr großzügigen Entgegenkommen in Aussicht gestellt worden war. Grey hat mit seiner Politik die Blockbildung massiv befördert und das Deutsche Reich ziemlich in den Enge getrieben. Das man dann in Berlin denn von einer, wie wir wissen unzutreffenden, Einkreisung sprach, kann Grey nicht wirklich überrascht haben; es wäre ihm auch egal gewesen. Priorität für ihm war die absolute Sicherung Großbritanniens; eine Sicherheit die es nicht gab.
 
Vielleicht lohnt es sich hier, nochmal auf die spezielle Außenpolitische Situation des Jahres 1905 einzugehen, und auch die Präventivkriegsüberlegungen in Heer und politischer Führung nachzuzeichnen.

Die britischen Überlegungen waren ebenfalls vielschichtig.
 
Noch 1904 hatte Delcassé versucht das Deutsche Reich über den Umweg Petersburg gegen Großbritannien in Stellung zu bringen. Trotz der überaus negativen öffentlichen Stimmung in Deutschland hat die Reichsleitung dieses Ansinnen zurückgewiesen. Großbritannien sah sich aber nicht veranlaßt, sich gegenüber dem Reich dafür erkenntlich zu zeigen. Der Botschafter Großbritanniens in Paris, Bertie, meinte dazu, das man Berlins gute Dienste zum Nulltarif haben könne. In der britischen Öffentlichkeit sah es auch nicht gerade für Deutschland erfreulich aus. Die lange gültige feindliche Einstellung gegenüber Frankreich und Russland wich immer mehr einer mutmaßlichen deutschen Gefahr.

Da 1905 zwei schwere Krisen zusammenfielen, Asien und Afrika, war die Sitaution für ein Präventivkrieg des Deutschen Reiches, die Schwäche des Zarenreichs aufgrund des verlorenen Krieges gegen Japan, gegen Frankreich war ja gar nicht soo schlecht.

Aber ich meine mich zu erinnern, das sowohl Bülow, ganz gewiss kein Kind von Traurigkeit, und auch Wilhelm entschieden gegen einen solchen willkürlich vom Zaune gebrochenen Krieg waren. Die Flotte war dazu ohnhin nicht bereit, so wie sie es 1914 ja auch noch nicht war. In der Heeresrüstung ist 1905 auch nichts nenneswertes passiert. Auch Schlieffen ist in dieser Frage nicht initiativ geworden; er überließ das den Politikern. Ein Zusammenhag zwischen der Marokkokrise und seinen operrativen Überlegungen ist nicht bekannt.(1)

Im Foreign Office kursierte die Überlegung, ob es Deutschland auf einen der marrokanischen Häfen als Kompensation abgesehen haben könnte. Fisher hatte damit prinzipell kein Problem, aber Malles trug dafür Sorge, das seine offizielle Stellungnahme an Landsdowne ausgesprochen negativ ausfiel. Mallet schreib dazu an Bertie, "He (Fisher) is a splendid chap and simply longs to have a go at Germany. I abound in his sense and old him I would do all I could with Lord L. (2)
Als Lansdowne diese Einschätzung Fishers erhielt, informierte dieser Balfour und riet zur Unterstützung der französischen Regierung, da eine Kompensationslösung nicht zur Verfügung stand.

So wurde also eine Stellungnahme Fishers gefingert. Lansdowne ging es jetzt darum, das Frankreich diese Krise nicht allein mit dem Deutschen Reiche regelte, sondern GB fortlaufend und zeitnah informierte. Man war sich in London der prekären Lage Frankreichs bewußt.

Lansdowne wählte den Weg der Abschreckung Deutschlands, an Stelle einer direkten Bündniszusage an Frankreich. (3)

Im Verlaufe der Marokkokrise ist dann im Sommer 1905 auch der Vertrag von Björkö zwischen dem Zarenreich und dem Deutschen Reich abgeschlossen worden, der aber kurze Zeit später wieder von Nikolaus annulliert wurde.



(1) Ritter, Schlieffenplan, S.102-138
(2) Monger, Isolation, S.189
(3) Rose, Zwischen Empire und Kontinent, S.312-341
 
Vielleicht lohnt es sich hier, nochmal auf die spezielle Außenpolitische Situation des Jahres 1905 einzugehen, und auch die Präventivkriegsüberlegungen in Heer und politischer Führung nachzuzeichnen.

Die britischen Überlegungen waren ebenfalls vielschichtig.


@silesia

Dieses Buch (Moritz, Albrecht: Das Problem des Präventivkrieges in der deutschen Politik) während der ersten Marokkokrise fehlt noch in meinem Bestand und genau dieses dürfte wohl erschöpfend Auskunft über deine Anregung geben. :)

 
@silesia

Dieses Buch (Moritz, Albrecht: Das Problem des Präventivkrieges in der deutschen Politik) während der ersten Marokkokrise fehlt noch in meinem Bestand und genau dieses dürfte wohl erschöpfend Auskunft über deine Anregung geben. :)


Ich weiß :scheinheilig:

Deine Hinweise oben Schlieffen etc. treffen genau die Aussagen von Albrecht Moritz, weswegen man die Eskalation auch nicht zum Äußersten trieb, sondern nur die Ausnutzung einer günstigen Gesamtlage anstrebte.

Die oft betonten wirtschaftlichen Hintergründe entpuppen sich als Marginalien, und die Marine war tatsächlich (auch ggf. Im Tauschwege) "endlich" an einem Stützpunkt zwischen Gibraltar und Daressalam interessiert.
 
admiral schrieb:
Das Deutsche Reich hatte keine wesentlichen Interessen in Marokko, wohl aber einzelne deutsche Firmen wie Mannesmann-Marokko (http://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Bernhardt#Mannesmann_in_Marokko) und Max Warburgs Hamburg-Marokko-Gesellschaft an den südmarokkanischen Erzvorkommen. Diese wurden bei der Reichsregierung vorstellig.

Diese wurden aber auf "Bestellung" vom Kiderlen beim AA vorstellig. Auch ist anzumerken das der französische Botschafter Cambon schon recht frühzeitig auf die Möglichkeit einer französischen Militäraktion hingewiesen hat.


Admiral schrieb:
Da die Franzosen keine Anstalten zeigten, eine fraglos geschuldete Kompensation anzubieten, meinte Kiderlen zu schärferen Mittel greifen zu müssen.

Das stimmt nicht. Cambon hat gegeüber Kiderlen den Kongo, sicher nicht den kompeltten französischen Kongo, als mögliche Kompensation ins Gespräch gebracht. Die französische Regierung bot an, das bestehende Einsenbahnabkommen auf Nordafrika auszudehnen und des Weiteren wurde auch die Notierung deutscher werte an der Pariser Börse angeboten. Als Kiderlen als Kompensation den ganzen französischen Kongo forderte, war man in Frankreich geschockt. Auch Wilhelm II. war mit der Konfrontationspolitik von Kiderlen höchst unzufrieden und ließ ihm das auch wissen. Kiderlen hat in bester bismarckscher Manier in der Krise mehrfach seinen Rücktritt eingereichtund damit unter dem Strich aber seine vollständige Handlungsfreiheit in den Verhandlungen mit den Franzosen gesichert.

=Admiral Den gab es nicht, also musste man enen Fall konstruieren. Man entschloss sich – ohne den Marinestaatssekretär zu informieren – das alte, 1901 gebaute Kanonenboot SMS Panther nach Agadir zu schicken um den Deutschen (ein Herr Wilburg vom Hamburger Handelskonsortium in Marokko) zu retten

Kiderlen hatte ausdrücklich die Entsendung von zwei deutschen Kriegsschiffen verlangt. Die Spanier hatten übrigens schon vorher Schiffe entsendet gehabt.
 
Köbis17 schrieb:
Wieso führten nun hier die Ereignisse vor Agadir zu einer schweren diplomatischen Niederlage Deutschlands?

Kiderlen hat bei der Inszenierung dieser schweren Krise gleich mehrere Fehler gemacht. Er hat es beispielsweise versäumt, ausgesuchte deutsche Journalisten über seine wahren Absichten zu informieren. So gingen nicht nur die Alldeutschen davon aus, das man im AA die Absicht verfolge Teile des südlichen Marokko von den Franzosen als Kompensation zu erhalten. Dabei war das nie Kiderlens Absicht gewesen. Ihm ging es um Kolonialerwerb in Afrika, namentlich um den französischen Kongo. Des Weiteren hat Kiderlen es unfassbarerweise unterlassen, die Briten darüber ins Bild zu setzten, das man keinen territorialen Erwerb in Marokko anstrebte. Das führte letzlich zu der berühmten Rede von Llyod George.

Nach Beendigung der Krise wurden bedauerlicherweise auch keine Versuche gestartet, die Qualität der deutsch-französischen Beziehungen zu heben. Die Franzosen waren auch nicht zuletzt deshalb gegenüber dem Deutschen Reich so entgegenkommend, weil ihr Heer noch nicht fertig war.

Aber in der deutschen so wie der französischen Öffentlichkeit wurde das Abkommen nicht gerade positiv gewürdig, eher das Gegenteil. Jeder meinte zu schlecht wegegekommen zu sein.
 
Er war ein starker Trinker und lebte 18 Jahre in wilder Ehe mit der attraktiven Witwe Hedwig Krypke zusammen. Bethmann hielt er für einen außenpolitischen Laien, was er auch nicht verhehlte.

Ich lese gerade eine Biographie über Kiderlen und dort ist gar nichts darüber zu lesen, weder das er ein starker Trinker war, noch das er Bethmann für einen außenpolitischen Amateur hielt. Kiderlen bemängelte immer wieder die schwache Durchsetzungsfähigkeit des Kanzlers, hat aber mit Bethmann insgesamt gut zusammengearbeitet. Auch wenn er ihn in seiner Privatkorrespondens abfällig als "Regenwurm" bezeichnete.
 
Zur 1.Marokkokrise
Als Eckardstein Guido Henckel von Donnersmark traf, er kam gerade von einem Treffen mit Bülow, berichtete er, der Kanzler könne sich nur zwei Lösungsmöglichkeiten für die Krise vorstellen. Entweder es komme ein deutsch-französische Allianz zustande, als Lohn winke für Frankreich Marokko oder es gäbe Krieg.(1) Das wirft ein interessantes Licht auf die deutsche Strategie während der Krise.

Ziel wäre demnach die Allianz mit Frankreich gewesen, um Großbritannien entscheidend zu schwächen und die Schnellstraße Richtung Triple Entente zu unterbrechen. Das war ja auch ohnehin das erklärte Ziel von Delcassè und deshalb musste dieser gestürzt werden.

Nur wissen wir leider nicht, mir ist kein Quellenbeleg bekannt, ob Bülow sich tatsächlich so gegenüber Donnersmarck geäußert hat. Vorstellbar wäre es jedenfalls , nur ergibt die Strategie keinen Sinn. Aus welchem Grunde sollte sich Frankreich in die Abhängigkeit des Deutschen Reiches begeben und seine gerade gewonnene größere Bewegungsfreiheit aufgeben.

Kurze Zeit, nach dem Rouvier seine Zustimmung zu der ungeliebten Konferenz hinsichtlich Marokkos gegeben hatte, gelang es Wilhelm im finnischen Schärenmeer Nikolaus seine Unterschrift für eine Defensivallianz zu erlangen. Frankreich sollte später hinzutreten, so dass diese Mächte dann einen Kontinentalblock bilden würden. Der entscheidene Schönheitsfehler dieses Abkommens war, das der Gültigkeitsbereich auf Europa beschränkt war. Das würde in der Praxis bedeuten, wenn das Deutsche Reich in kriegerische Verwicklungen geriet, dann war mit wirksamer russischer militärischer Unterstützung nicht zu rechnen, denn Großbritannien war eigentlich nur in Indien zu treffen. Wilhelm hatte ganz offenkundig das strategische Konzept des AA nicht so ganz durchdrungen gehabt.

Auch hinsichtlich der USA gab man sich Illusionen hin, denn man meinte die USA mit der Open Door Handelspolitik für sich zu gewinnen. Roosevelt neigte aber ganz klar Großbritannien zu. Hier könnte Venezuela noch nachgewirkt haben.

Gleichzeitig bemühte sich Witte sowohl beim Deutschen Reich, Frankreich und Großbritannien Geld zu beschaffen. Er war sich dabei nicht zu schade, den Deutschen zu signalisieren, dass er grundsätzlich keine Einwände gegen einen Kontinentalblock hätte. Witte spielte skrupellos alle drei Regierungen gegeneinander aus, aber besonders gegen das Deutsche Reich. Die Franzosen stellten für die Kreditgewährung u.a. die Bedingung, das Russland an der Grenze zum Deutschen Reich noch Truppen als bisher stationiert.

Ende des Jahres kam von Zaren der Vorschlag, Frankreich von der Vereinbarung, also wenn Frankreich das Deutsche Reich angreifen würde, die Beistandsverpflichtung nicht greifen würde. Wilhelm meinte klarsichtig, also Annullierung des Vertrages. Frankreich war einfach wichtiger für Russland. Das Deutsche Reich wurde im Bedarfsfall gezielt ausgenutzt. Björkö hat kurzfristig die Tür einen Spalt weit für eine Veränderung der Mächtekonstellation geboten.

Auf der Konferenz von Alecìras ging das Deutsche Reich dann mit seinen Vorstellungen endgültig Baden. Der französische Vertreter schlug u.a. ein spanisch-französisches polizeiliches Doppelmandat vor, welchem der britische Vertreter Nicholson sich beeilte zuzustimmen. Gleiches galt für den Vertreter Russlands. Nebenbei wurde dann noch Nicholson behautet, das Deutsche Reich, welches das Recht klar auf seiner Seite hatte, trete als Störenfried und strebe in Wirklichkeit ein Hafen in Marokko an.

Holstein erkannte hier konkret den Versuch, eine Einigung zwischen Frankreich und Deutschland zu hintertreiben. (2) In Berlin rieb man sich erstaunt die Augen, denn man wäre dort gar nicht auf die Idee gekommen, das London dies konzedieren könnte. Der Chronicle titelte, nach dem das Deutsche Reich schließlich nachgegeben hatte, das isolierte Deutsche Reich hat die Hauptforderung Frankreichs akzeptieren müssen. Kein Wort davon, dass das Deutsche Reich sich als einziges für die Rechte des Sultans eingesetzt hatte und Frankreich nur darauf abzielte, Marokko später zu kolonialisieren.(3)

Ganz nebenbei bemühte sich auch der britische König Edward VII. darum, Österreich-Ungarn vom Deutschen Reich abzuziehen. (4) Großbritannien bemühte sich durchaus das Deutsche Reich zu isolieren und hatte dabei seine traditionelle Balance of power Politik verlassen. Für Frankreich ging es ohnehin gegen Deutschland.

(1) Eckhardstein, Isolierung Deutschlands, S.103
(2) Holstein Papiere, Bd.4, S.360 und Monger, Ursachen, S.344
(3) PA Berlin, R 15815, Metternich an Bülow v. 12.03.1906
(4) Pantenburg, Im Schatten des Zweibundes, S.363
 
Nur wissen wir leider nicht, mir ist kein Quellenbeleg bekannt, ob Bülow sich tatsächlich so gegenüber Donnersmarck geäußert hat. Vorstellbar wäre es jedenfalls , nur ergibt die Strategie keinen Sinn. Aus welchem Grunde sollte sich Frankreich in die Abhängigkeit des Deutschen Reiches begeben und seine gerade gewonnene größere Bewegungsfreiheit aufgeben.

Nun, die Drohung mit der Landmacht auf dem Kontinent würde Frankreich verdeutlichen, dass die Interessenregelung/der Spannungsabbau mit Großbritannien wenig verändert hat und immer noch Bismarcks Maxime galt:

"Kolonien werden vor Metz verteidigt" (oder eingenommen :D )

Das ist doch strategisch nachvollziehbar. Außerdem: würde Großbritannien kneifen (wie die deutsche Seite immer gern bei sich anbahnenden Gesprächen mit GB über einen Pakt gegen Rußland für den Ernstfall annahmen), wäre die Nutzlosigkeit der Entente im Ernstfall erwiesen.
 
Nun, die Drohung mit der Landmacht auf dem Kontinent würde Frankreich verdeutlichen, dass die Interessenregelung/der Spannungsabbau mit Großbritannien wenig verändert hat und immer noch Bismarcks Maxime galt:

"Kolonien werden vor Metz verteidigt" (oder eingenommen :D )

Das ist doch strategisch nachvollziehbar. Außerdem: würde Großbritannien kneifen (wie die deutsche Seite immer gern bei sich anbahnenden Gesprächen mit GB über einen Pakt gegen Rußland für den Ernstfall annahmen), wäre die Nutzlosigkeit der Entente im Ernstfall erwiesen.


Nur: Großbritannien hatte nicht vor zu kneifen. Das ist ja auch im Verlauf der Krise deutlich geworden. Großbritannien sah nämlich auch, ganz den Intentionen Delcasses entsprechend, die Möglichkeit, über den Umweg Paris, mit Petersburg den dringend gewünschten und benötigten Ausgleich zu bewerkstelligen. Und Petersburg hat ja im Verlauf der Krise auch eindeutig Stellung bezogen; trotz seiner Schwäche.

Ich glaube, wenn eine dauerhafte Annäherung an Frankreich erreicht werden sollte, war die Brechtstange nicht das probate Mittel, sondern mindestens der Verzicht auf Lothringen angesagt. In der Summe hatte das Deutsche Reich eigentlich keine großbe Manövriermasse, wie beispielsweise eben Großbritannien oder auch Rußland.
 
Eine Schwäche der deutschen Diplomatie zu jener Zeit war, das man nicht in der Lage, realisitischen Enschätzungen hinsichtliches des Verhaltens der Mächte der sich abzeichnenden Triple-Entente zu liefern.

Wie oft wurde beispielsweise gebetsmühlenartig von praktisch allen deutschen Diplomaten geäußert, ein Augleich zwischen Großbritannien und Frankreich oder eine Ausgleich zwischen Großbritannien und Russland sei einfach nicht vorstellbar. Und dann als es soweit war, hat man eigentlich die Festigkeit der Beziehungen nicht richtig verorten können.
 
Nur: Großbritannien hatte nicht vor zu kneifen. Das ist ja auch im Verlauf der Krise deutlich geworden.

Ja, klar. Ich wollte nur darauf hinweisen, wie sich die deutsche Erwartung begründet hat.

Dass der Schuss nach hinten losging, eher die Entente festigte, Roosevelt ein fulminanten Debüt in der Auseinandersetzung europäischer Großmächte brachte (ähnlich bei der Vermittlung JAP/RUS), französisches Misstrauen bzgl. deutscher Aggressionen betonierte, und Großbritanniens Sorgen bzgl. maritimer Rüstungswettläufe verstärkte, steht dann below the line in der Summenzeile.
 
Ja, klar. Ich wollte nur darauf hinweisen, wie sich die deutsche Erwartung begründet hat.

Dass der Schuss nach hinten losging, eher die Entente festigte, Roosevelt ein fulminanten Debüt in der Auseinandersetzung europäischer Großmächte brachte (ähnlich bei der Vermittlung JAP/RUS), französisches Misstrauen bzgl. deutscher Aggressionen betonierte, und Großbritanniens Sorgen bzgl. maritimer Rüstungswettläufe verstärkte, steht dann below the line in der Summenzeile.


Ja, Roosevelt hat Sternburg wirklich "alles auftischen" können und dieser hat es geschluckt. Da war man im AA, zu Recht, doch um einiges misstrauischer.:)
 
Zu Marokkokrise Teil 2
Für das Deutsche Reich gestaltete sich diese Krise am Ende äußerst problematisch, denn Ende September 1911 ging Italien dazu über seine imperialistischen Träume zu realisieren und begann in Libyen den Krieg gegen die Türkei. Italienische Zeitungen verlangten sogar den Krieg in die Ägäis auszudehnen. (1)

Das brachte das Reich in eine ernsthafte Zwickmühle. Es bestand die reale Gefahr entweder einen Bundesgenossen oder einen Freund zu verlieren. Dieser Krieg zeigt sehr deutlich, wie gering mittlerweile der deutsche außenpolitische Spielraum geworden war.

Italien wurde sowohl von Großbritannien und Frankreich unterstützt und Deutschland tat dies, wenn auch sehr vorsichtig, auch. In der deutschen Presse allerdinge hatte man wenig Sympathien für das italienische Vorgehen, was wiederum in Italien Aufregung verursachte.

Die deutschen Diplomaten sahen durchaus die Gefahr, dass durch diese „italienische Extratour“ das ganze sensible Machtgefüge auf dem Balkan ins Rutschen kommen könnte. Für das Deutsche Reich ging es um die sehr reale Möglichkeit Einfluss in Konstantinopel zu verlieren, was für die Bagdadbahn problematisch werden könnte.

Des Weiteren wurde von den Russen gleich die Situation genutzt, um die Frage der Meerengen aufzuwerfen. Es wurde angefragt, ob es nicht russischen Kriegsschiffen, und zwar nur russischen, die Durchfahrt gestattet werden könnte, um Konstantinopel ggf. vor einen italienischen Angriff zu schützen. Eine überaus heikle Situation für die deutsche Diplomatie. Man wolle die Idee wohlwollen prüfen, um Rußland mehr aus der Deckung zu locken. (2) Das war eine schwache Reaktion und das haben die Türken natürlich sorgfältig registriert. Der deutsche Botschafter vor Ort reichte auch prompt seinen Rücktritt ein. Es war Großbritannien, welches das russische Ansinnen zurückwies.

In Österreich-Ungarn knirschte es auch im Gebälk. Conrad sah nämlich die Chance gekommen, um mit Italien anzurechnen.(3) Er setzte Moltke in Kenntnis, wenn es in der Marokkokrise zum Krieg käme, Österreich-Ungarn könne dann dem Deutschen Reich nicht beistehen.(4) Nur gelang es Conrad nicht seinen Kaiser zu überzeugen. Ja, Franz-Joseph hatte es leid, dass Conrad immer gegen Aehrenthals Außenpolitik stand. Das würde die Politik der Monarchie lähmen und er war der Auffassung, das Conrad entlassen werden müsste. (5)

Es vermag angesichts dieser Hintergründe nicht mehr überraschen, das Kiderlen es denn auf einmal sehr eilig hatte, um mit Frankreich in der Marokkokrise einige zu werden. Und trotzdem sollte es noch über vier lange Woche dauern, bis es denn so weit war.

(1) PA Berlin, R14176, Jagow an Bethmann Hollweg, 23.10.1911
(2) GP, Bd.30, S.212
(3) PA Berlin, R 14176, Bericht Kageneck v. 26.09.11
(4) PA Berlin, BW, NR.154 Bericht Kageneck
(5) Brettner-Messler, Balkanpolitik Conrad von Hötzendorfs, Diss. Wien 1966, S.7f
 
Nachtrag

Delcassé war für die Deutschen ja ein rotes Tuch und man hat im Zuge der ersten Marokkokrise beträchtlichen und erfolgreichen Druck auf Frankreich ausgeübt, um diesen als Außenminister zu stürzen.

Nur, was man anscheinend übersieht, ist, das Delcassé in letzten Jahren des 19.Jahrhunderts diskrete Fühler, dies durfte natürlich nicht in der französischen Öffentlichkeit bekannt werden, zu einer Verbesserung der Beziehungen nach Berlin ausgestreckt hatte.

Delcassé war sich darüber klar, dass Frankreich im kolonialen Rennen in Afrika die Unterstützung des Deutschen Reiches gegenüber Großbritannien sehr gut gebrauchen konnte. Delcassé war zu jener Zeit erst Staatssekretär im Kolonialministerium und wenig später dann Kolonialminister. Aber just zu dieser Zeit hatte Chamberlain sein Angebot an das Deutsche Reich vorgestellt und die Verhandlungen streckten sich über mehrere Jahre hin. Man kann also nicht einfach behaupten, das Delcassé per se antideutsche Politik betrieben hätte.

Das war erst nach der 1.Marokkokrise der Fall.
 
Man kann also nicht einfach behaupten, das Delcassé per se antideutsche Politik betrieben. ...Das war erst nach der 1.Marokkokrise der Fall.

An der Peripherie zeigte man sich erstaunlich flexibel. Und mit der 1. Marokko-Krise war zeitgleich auch der Interessenausgleich mit GB gegeben, erwies sich zudem als robust, wodurch die Notwendigkeit eines deutschen Gegengewichts in kolonialen Konflikten mit GB entfiel.
 
Ich der Literatur wird ja meist behauptet, dass das DR in den Marokkokrisen versucht hat, die Entente auseinander zu sprengen. Gibt es da eigentlich einen konkreten Beleg für? Oder ist das Interpretation?
 
Ich der Literatur wird ja meist behauptet, dass das DR in den Marokkokrisen versucht hat, die Entente auseinander zu sprengen. Gibt es da eigentlich einen konkreten Beleg für? Oder ist das Interpretation?

Die 1. Marokkokrise war insofern eine Gratwanderung, als man (in mehreren Zitaten erkennbar) Weltpolitik treiben und "sich nicht auf die Füße treten lassen wolle", Frankreich nicht stärker in die Arme Großbritanniens treiben wollte, andererseits durch die "freie Hand Frankreichs in Marokko" den Anschluss Frankreichs an eine deutsch-russische Verständigung im Sinne der Vereinbarung von Björkö fördern wollte, also: Zuckerbrot und Peitsche.

So Bülow an AA, 31.7.1905, zitiert nach Schöllgen, Imperialismus, S. 191.

Es ging eindeutig um die Bündnispositionierung Frankreichs. Eine "erzwingbare" Annäherung Frankreichs im Fall deutsch-russischer Verständigung lag zu diesem Zeitpunkt in klarer Konkurrenz zur Entente.
 
Meines Erachtens stellt die 2. Marokkokrise eine Art Schlüsselerlebnis für die Beziehungen zwischen Deutschland und GB dar.

Tatsächlich habe ich auch einiges zum Ablauf etwas anders in Erinnerung als hier dargestellt.

Zunächst schienen damals sowohl Teile der französischen Regierung und der französische Botschafter in Deutschland Jules Cambon als auch die britische Regierung und Teile der britischen Presse[1] durchaus eine Berechtigung für deutsche Kompensationsfoderungen zu sehen. Insofern ist es interessant hier zu lesen, dass sich die Franzosen vertragsgemäß verhalten haben sollen. Da musds es sich bei der Sicht der Zeitgenossen dann wohl entweder um eine Fehlinterpretation handeln oder die Verpflichtung Frankreichs zur Kompensation wurde mehr als moralisch begründet gesehen. Das wäre mal interessant näher zu untersuchen.

Das britische Kabinett - einschließlich Grey - war auch nicht sonderlich begeistert von der Aktion Frankreichs[2] (wenn ich mich recht erinnere sowieso eine recht eigenmächtige Handlung des damaligen Außenministers Justin Cruppi). In einer ersten Entschließung zur Krise - das war noch vor Entsendung der Panther - hatte das britische Kabinett festgestellt sich nicht in die Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland einmischen zu wollen, solange britische Interessen nicht betroffen waren und Deutschland auf Besitzungen in Marokko verzichten würde.[3]

Das Problem war nur, dass Kiderlen-Wächter in dieser Situation völlig versagt hat.

Dabei hatte Kiderlen tatsächlich einen recht guten Ruf als Diplomat. Sein Biograph Forsbach scheint ihn auch generell als guten Diplomaten einzuschätzen. So seien die Erfolge in der Bosnischen Annexionskrise im Wesentlichen Kiderlen zu verdanken gewesen, der zu diesem Zeitpunkt aus seinem "Exil" in Rumänien zurückgerufen worden war, und mehr oder weniger das Krisenmanagement übernommen hatte. Auch die Beziehungen zu Rumänien hatte er in seiner Position als Gesandter dort ganz gut stabilisieren können. Auch seine Zeit in Istanbul als Vertreter des dortigen Botschafters Marschall von Bieberstein war eine recht erfoglreiche Zeit gewesen. Letztlich war das wohl der Grund, warum ihn Bethmann auch als Außenminister wollte. Ich persönlich vermute, dass Kiderlen mehr der Balkanspezialist war, aber eben zu wenig Erfahrung im Umgang mit den westlichen europäischen Mächten hatte. Daher halte ich seine Berufung zum Außenminister - wenn man wie Bethmann gerade die Beziehungen zu GB priorisierte - für verfehlt. Hier hätte ein Spezialist für GB berufen werden müssen, wie es unter anderem der Freund Bethmanns Karl von Eisendecher war. Leider fühlte sich ersterer von letzterem ungerechtfertigt kritisiert und wollte ihn daher nicht auf dem Posten haben.

Kiderlens Fehler waren von erstaunlicher Vielfalt. Als weniger gravierend würde ich noch die Zurückweisung der Angebote Spaniens ansehen. Zwar wäre eine diplomatische gegenseitige Unterstützung durchaus wünschenswert gewesen, aber die war nicht zwingend notwendig. Sehr viel problematischer war zunächst, dass Kiderlen überhaupt nicht kommuniziert hat, was er eigentlich wollte - und der Grund dafür war, dass Kiderlen die Krise eben auch zum Aufbrechen der Entente benutzen wollte. Hätte Kiderlen von vornherein klar gemacht, dass es für ihn um eine Kompensation im Kongo geht, hätte GB sich vermutlich nie eingemischt. Die Auswirkungen, die das auf die zukünftigen Beziehungen zwischen Deutschland und GB hatte, können gar nicht unterschätzt werden.

In diesem Zusammenhang ist auch Kiderlens Kooperation mit der extremen Rechten - namentlich den Alldeutschen - zu sehen. Erst mit Kiderlens Hilfe kam es zu der massiven Propaganda für ein deutsches Marokko, was natürlich auch die Verhandlungen mit dem Nachbarn erheblich belastete und GB auf den Plan rief. Mehr noch - erst diese Propaganda führte dazu, dass die letztlich erworbenen Kongogebiete als diplomatische Niederlage angesehen wurden. Das hatte auch nachhaltige langfristige Folgen für die Innenpolitik gehabt.

Die Entsendung der Panther (eine Maßnahme übrigens, die der Kaiser zunächst ablehnte und zu der er erst überredet werden musste) war dann der dritte Fehler, der für sich genommen weniger gravierend war, als man gemeinhin annimmt. Natürlich hat es insofern die britischen Entscheidungsträger alarmiert, weil hier eben ein deutsches Kriegsschiff operiert hat und das ganz allgemein den Fokus auf die Bedrohung durch die deutsche Flotte gelenkt hat. Die Tatsache, dass Kiderlen aber nichts über seine Absichten verlauten ließ, abgesehen von der Agitation der (All)deutschen Presse für ein deutsches Westmarokko, ließ dann die Befürchtung eines deutschen Marinestützpunktes im Atlantik aufkommen (auch wenn diese nicht in jeder Hinsicht rational waren).

Am problematischsten war dann, dass Metternich - im Wesentlichen weil von Kiderlen darüber im Unklaren gelassen - auf die Anfragen Greys, was denn die Deutschen jetzt genau von Frankreich wollten, nicht beantwortete. Gerade dieses Schweígen wurde als Affront gegen GB gewertet. Man fürchtete schließlich eine Dreiteilung Marokkos zwischen Spanien, Frankreich und Deutschland ohne dass dabei britische Interessen berücksichtigt würden.[4] Das war so nicht hinnehmbar und einer der entscheidenden Faktoren für die Rede Lloyd Goerges im Mansion House.

Das erstaunliche ist, dass nach Forsbach Kiderlen selbst die Briten eigentlich richtig einschätzte - er hatte nur nicht mit der Heftigkeit ihrer Reaktion gerechnet.

Hätte Kiderlen von Anfang an kommuniziert, was er eigentlich wollte und sich voll und ganz auf die Kompensation in Marokko konzentriert, hätter er dort sicherlich noch mehr herausschlagen können und hätte vor allem die Briten nicht verprellt. Grey hatte eine Kompensation im Kongo klar unterstützt und zwar sogar bis zum Alima als südlicher Linie.[5] Dafür hat er erheblichen Druck auf Frankreich ausgeübt.[6] Abgesehen von der grundsätzlichen Nutzlosigkeit der Kolonien hätte das der deutschen Regierung intern wie extern entsprechendes Prestige gebracht und wäre wohl als diplomatischer Sieg gewertet worden, ohne dass es die Beziehungen zu GB beeinträchtigt hätte. Auch die Franzosen hatten genug einflussreiche Politiker, die an einer friedfertigen Lösung interessiert waren. Besonders Jules Cambon unterstützte großzügige Kompensationen im Kongo[7] und der neue Premier Caillaux war ebenso zu Kompensationen zur Erreichung einer detente bereit[8].

Die langfristigen Auswirkungen auf die Beziehungen zu GB sind noch gravierender: Die Eskalation der Krise führte zur Abwendung Lloyd Georges (und eventuell auch Churchills) vom bisher eher deutsch-freundlichen Flügel innerhalb der Liberalen (dieser Punkt ist allerdings umstritten in der historischen Forschung), führte zur Ersetzung McKennas durch Churchill als First Lord of the Admiralty und dieser Umstand letztlich zur informellen britisch-französischen Flottenkooperation im Mittelmeer und im Nordseekanal und führte auch zur noch engeren Zusammenarbeit der britischen und französischen Generalstäbe. Von der Beeinträchtigung des Deutschlandbildes in der Öffentlichkeit man ganz zu schweigen.


__________________
[1] Morris, Radicalism against War, S. 240, 247 f.
[2] Dockrill, in: Hinsley (Hrsg.), British foreign policy under Sir Edward Grey, S. 271 f.; Stevenson, Armaments and the Coming of War in Europe, S. 184.
[3] Stevenson, Armaments and the Coming of War in Europe, S. 184.; Morris, Radicalism against War, S. 238, 240.
[4] Dockrill, in: Hinsley (Hrsg.), British foreign policy under Sir Edward Grey, S. 272.
[5] Dockrill, in: Hinsley (Hrsg.), British foreign policy under Sir Edward Grey, S. 273, 275.
[6] Dockrill, in: Hinsley (Hrsg.), British foreign policy under Sir Edward Grey, S. 280, 283, 285.
[7] Dockrill, in: Hinsley (Hrsg.), British foreign policy under Sir Edward Grey, S. 280, 283, 285; Hayne, The French Foreign Office and the Origins of the First World War, S. 222 f.
[8] Forsbach, Alfred von Kiderlen-Wächter, Bd. 2, S. 489 ff.
 
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