Evolution der Kultur (?).

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Ist daher der Revolutionsbegriff nicht angemessener oder wenigstens in einen nicht-biologischen Begriff einer Evolution der Kultur miteinzubeziehen?

So wie ich es verstehe ist hier (Kultur) der 'nicht-biologische Begriff' der zentrale Evolutionsbegriff, der sich nur auf den Mechanismus des evolutionären Algoritmus bezieht.
Ein Bezug zur biologischen Evolution ist nur in sehr speziellen Fällen ansatzweise möglich. (wie zuletzt diskutiert)
Insofern sehen wir das garnicht verschieden.

Geht man davon aus, dass eine kulturelle Evolution in weit rascherem Tempo abläuft als eine biologische, dann kann man den Eindruck eines revolutionären Prozesses auch dann haben wenns keiner ist.

Grüße hatl
 
"Rolland zufolge ist die Grundlage der Religion nicht die Vatersehnsucht, sondern das „ozeanische Gefühl“. Freud rekonstruiert das „ozeanische Gefühl“ als primären Narzissmus noch ohne Grenze zwischen Ich und Außenwelt und erklärt ihn für eine sekundäre Quelle der Religion." (...) "Der Erwachsene deutet seine Hilflosigkeit nach dem Vorbild derjenigen Hilflosigkeit, die er als Kind erfahren hat; und wie das Kind verbindet er seine Hilflosigkeit mit der Sehnsucht nach einem schützenden Vater. Diese Vatersehnsucht ist die Grundlage für die Entstehung der Götter, die Götter sind idealisierte Vatergestalten. Die Religion ist eine Art Menschheitsneurose – eine kollektive Zwangsneurose." (ebd.)
Rollands ´ozeanisches Gefühl´ zielt - im Sinne einer Mystik ohne personale Gottheit - auf die Auflösung der Ich-Grenzen zugunsten eines Bewusstseins ohne Subjekt-Objekt-Dualismus. Freuds Rekonstruktion dieses Phänomens als Symptom eines primären Narzissmus ist nicht falsch, aber ein Paradebeispiel für Reduktionismus. Keiner hat diesen Reduktionismus besser analysiert und korrigiert hat als der amerikanische Philosoph Ken Wilber. Er spricht von einer sogenannten "prä/trans-Verwechslung", wobei ´prä´(-personal) und ´trans´(-personal) relativ zum Bewusstseinsniveau eines psychisch stabilen und rational denkenden Menschen stehen. Die ´personale´ Ich-Struktur ist idealerweise fähig, logisch und kritisch zu denken und in hypothetischer Weise den Standpunkt anderer Menschen einzunehmen. Damit hat sie die magisch-mythischen Denkformen des Kindes bzw. des vor-aufgeklärten Menschen hinter sich gelassen. ´Prä´ ist eine Denkform in magisch-mythischen Mustern, ´trans´ bezieht sich auf Bewusstseinsmodi über den personalen Modus hinaus. Damit ist Wilber der erste ´postmoderne´ westliche Theoretiker, der systematisch von Bewusstseinsstrukturen ausgeht, die der rational-personalen Struktur übergeordnet sind (im Hinblick auf ihr Erkenntnispotential). Die rational-personale Stufe wird durch die höheren Stufen nicht überflüssig, denn nur sie vermag es, das transpersonal Erkannte auf rational-logische Weise zu analysieren und zu kommunizieren. Wohin es führt, wenn transpersonale Erfahrung auf präpersonales Denken trifft, zeigen die Berichte mancher christlicher Mystiker wie z.B. - bei allem Respekt - Teresa von Avila und Jakob Böhme. In diesem Fall ist Präpersonalität allerdings kein Charakteristikum der zweifellos hochintelligenten Individuen Teresa und Böhme, sondern der ihnen durch Sozialisation aufgenötigten christlichen Anschauung.<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
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Das ´ozeanische Gefühl´ kann sich Wilber zufolge also auf zwei Ebenen manifestieren: erstens auf der von Freud besprochenen, also der prä-personalen, und zweitens auf einer der trans-personalen spirituellen Ebenen, auf welcher sich das Bewusstsein zunehmend für die feinstoffliche Natur des Geistes öffnet, d.h. es öffnet die Ich-Grenzen und transzendiert den Subjekt-Objekt-Dualismus, welcher - gemäß der spirituellen Philosophie - nicht der Realität entspricht, sondern ein Bewusstseinsprodukt ist (wie es auch Kant so schön herausgestellt hat und von Hegel aufgegriffen wurde).<o:p></o:p>
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Von einer psychoanalytische Kulturtheorie ließe sich dann Rückkehr zur Religiösität als regressives Phänomen betrachten, das sich einerseits in zwangsneurotischen Fixierungen manifestieren kann (Autoritarismus, Konservativismus), andererseits Festhalten am Glücksversprechen (Spiritualismus), wobei ich Abschattungen zwischen den Phänomenbereichen nicht ausschließen würde.
Eine rein psychologistische Deutung religiöser Motivation erfasst meines Erachtens nicht die reale Komplexität der Religionsentstehung - Stichwort "Schamanismus". Der (im Ganzen gesehen) wichtigste Impuls für die Ausbildung komplexerer religiöser Systeme ging nicht von simplen natur-animistischen Vorstellungen aus, sondern von nachweislich drogeninduzierten schamanistischen Bewusstseinsexperimenten. Die Entwicklung religiösen Denkens unterlag immer dem Einfluss und Wechselspiel prä- und transpersonaler Faktoren, das lässt sich vor allem bei den indischen Religionen sowie beim Zoroastrismus und der ägyptischen Religion nachweisen. Was die ägyptische Religion betrifft, wurde für dieses Phänomen der Ausdruck "religio duplex" geprägt. Auch in Indien entstanden religiöse Systeme, die auf der mythologischen Ebene das Volk ansprachen und auf der spirituellen Ebene die (geistige) Elite. Das setzte sich, wenn auch zum Ärger der jeweiligen Autoritäten, in den monotheistischen Systemen fort: Im Judentum, Christentum und Islam bildeten sich mystische Richtungen heraus, die sich dem trans-Aspekt des Religiösen widmeten statt dem volksnahen mythologischen, also anthropomorphen prä-Aspekt. <o:p></o:p>
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Zu deiner Formulierung "Glücksversprechen (Spiritualismus)": ´Spiritualismus´ verbinde ich eher mit Okkultismus im Sinne von Geisterbeschwörung, was mit ´Spiritualität´ nichts zu tun hat, bei welcher es auch nicht um ein ´Glücksversprechen´ geht, denn dieser Ausdruck impliziert eine (nach Glück strebende) Ichlichkeit, welche gemäß echter Spiritualität rein imaginär ist. In dem Maße, in dem ein Ich nach ´Glück´ strebt, klebt es an dualistischen, also un-spirituellen Denkmustern. Das eigentliche Ziel ist nicht Glück, sondern Erkenntnis.<o:p></o:p>
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Zum Thema Wilber / prä-trans-Verwechslung hier ein Link:

Prä/trans Verwechselung - Reduktionismus ? Elevationismus ? Freud - Jung: INTEGRALES LEBEN<o:p></o:p>
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"Der Erwachsene deutet seine Hilflosigkeit nach dem Vorbild derjenigen Hilflosigkeit, die er als Kind erfahren hat; und wie das Kind verbindet er seine Hilflosigkeit mit der Sehnsucht nach einem schützenden Vater. Diese Vatersehnsucht ist die Grundlage für die Entstehung der Götter, die Götter sind idealisierte Vatergestalten. Die Religion ist eine Art Menschheitsneurose – eine kollektive Zwangsneurose."
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Ich vergaß gestern anzumerken, dass Freud - wie auch in diesem Wiki-Zitat erkennbar - historisch inkorrekt davon ausgeht, dass die Götterentstehung auf ´Vatersehnsucht´ basiert. Im vorletzten Beitrag schrieb ich:<o:p></o:p>
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Ursprünglich wurde (...) ausschließlich eine Muttergottheit bzw. Urmutter verehrt, d.h. die Fruchtbarkeit der Frau hatte eine quasi kosmische Dimension (von Vaterschaft hatten die Menschen damals höchstwahrscheinlich keine Kenntnis). <o:p></o:p>
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Auch wenn diese verbreitete These nicht voll verifizierbar ist, spricht anhand der archäologischen Befunde doch viel für sie, während Freuds Urvater-These unhaltbar ist. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die ersten Götter männlich waren. Anhand des prähistorischen archäologischen Materials, aber auch anhand von Rekonstruktionen, die das mythologische Material aus historischer Zeit erlaubt, sollte man vielmehr die ´Muttersehnsucht´ - genauer: die Verehrung der weiblichen Fruchtbarkeit - als primären Auslöser der Götterbildung in Betracht ziehen. Es brauchte dann noch Jahrzehntausende (!!), bis man, aufgrund der erst im Neolithikum erkannten männlichen Zeugungskraft, die ersten männlichen Götter ersann - und auch diese waren zunächst keine Ur-Väter, sondern Sohn und Gefährte der Muttergöttin.

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Wie erfährt das Göttliche (Transzendentale) seine äußere (objekthafte) Manifestation? Ich sehe zunächst die subjektive Seite - gewissermaßen eher das ozeanische Gefühl oder Eriksons Urvertrauen als Grundlage. Erst wenn dieses primäre Gefühl gegenüber den Mitmenschen kommuniziert wird, drängt sich eine symbolische Manifestation auf, die aber nicht unbedingt anthropomorph sein muß, wie du selbst auch andeutest...
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Als fundamentalste emotionale Basis der Religionsentstehung sehe ich nicht ein "Urvertrauen", sondern ganz im Gegenteil die Angst. Die Angst, nicht ausreichend Wild zu erlegen, und die Angst, von den ´Geistern´ der getöteten Tiere heimgesucht zu werden, führte zu magischen Praktiken, die durch Höhlenmalereien rekonstruierbar sind. Die Angst vor dem ungewissen Schicksal im ´Jenseits´ führte schon vor über 100.000 Jahren zu vorsorglichen Grabbeigaben von Blüten psychoaktiver Pflanzen. Die Angst, nicht wiedergeboren zu werden, führte zu einer Vergöttlichung des Weiblichen im allgemeinen und der Vulva im besonderen. Die ersten ´Tempel´ waren mit Menstruationsblut ausgemalte Höhlen, die dem Kult der Urmutter dienten. Ich sehe bei all dem kein "Vertrauen" am Werk. Vielmehr waren komplizierte, z.T. Blutopfer beinhaltende Riten nötig, um das Erwünschte, vor allem die Fruchtbarkeit der Frauen, zu sichern. Wer solche Riten (und überhaupt Riten) veranstaltet, vertraut nicht in das Erwünschte, sondern fürchtet sein Ausbleiben. <o:p></o:p>
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Zur Terminologie:<o:p></o:p>
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Du schreibst oben: "das Göttliche (Transzendentale)". ´Transzendental´ als Synonym von ´transzendent´ ist vor-kantische, nämlich scholastische Terminologie. Seit Kants "Kritik der reinen Vernunft" ist ´transzendental´ gleichbedeutend mit ´Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis´, was mit ´transzendent´ (den Horizont der Sinneswahrnehmung überschreitend) nichts zu tun hat. ´Transzendental´ sind laut Kant die Verstandeskategorien und die Anschauungsformen Raum und Zeit.<o:p></o:p>
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Vielleicht hat der Buddhismus mit Stoa in dieser Hinsicht viel gemein? Hier wäre ein Vergleich zwischen der Entstehung der altindischen Religionsphilosophie und der antiken Philosophie bis zu den beiden Ausformungen des Buddhismus & Stoa ggf. interessant).
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Das wäre, angesichts des Umfangs, wohl ein Thema für sich. Generell kann man sagen, dass indische Lehren von erheblicher Bedeutung für die Lehren Griechenlands waren, zum einen durch eingereiste Brahmanen, zum andern über die Station Alexandria in Ägypten, wo buddhistische Gemeinden das religiöse und philosophische Denken der alexandrinischen Intellektuellen beeinflussten. So war z.B. Ammonius Sakkas, der Lehrer von Plotin, wahrscheinlich ein indischstämmiger Buddhist; sein Cognomen ´Saccas´ bezieht sich nach Ansicht einiger Fachleute auf den indischen Sakya-Clan, dem auch Gautama Buddha angehörte. Auch der Jude Philon, dessen Logoslehre indirekt zur Entstehung des Christuskultes beitrug, stand, was seine Haltung zur Kontemplation betrifft, vermutlich unter buddhistischem Einfluss. Der Begründer der Stoa, Zenon, von dem man bisher annahm, dass er buddhistisch beeinflusst war, bezog seine Inspiration vermutlich aus einer noch ursprünglicheren indischen Quelle, nämlich dem Samkhya, der auch die Grundlage des Buddhismus war.<o:p></o:p>
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Zum Thema Qualia:<o:p></o:p>
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An sich finde ich auch diesen Hinweis gut, allerdings erscheint er mir höchst unvermittelt.
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Das liegt wohl in der Natur des Themas selbst :) Schließlich ist die Frage der Vermittlung zwischen (materieller) Physiologie und (mentalen) Qualia eines der größten philosophischen Rätsel. Ich wollte und will damit nur darauf hinweisen, dass bei Spekulationen über den Einfluss der Gene auf die Psyche nicht vergessen werden sollte, dass der Konnex von Gen und Bewusstsein - und von Materie und Bewusstsein ganz allgemein - ein absolutes Rätsel ist. Berücksichtigt man dieses Rätsel nicht, hängt, wie ich schrieb, jede Spekulation über genetische Prägung "in der Luft", da nicht klar ist, wie der Einfluss standfindet. Das Ausklammern des Qualia-Rätsels ist ein klassischer Fall von Black Box. Ein "Gottes-Gen" - gut und schön. Die Frage ist aber: Wie kann es zur Ausbildung eines materiellen Gens kommen, dessen ´Sinn´ sich auf mentaler Ebene manifestiert? Ohne eine plausible Theorie für die Verbindung von Materie und Geist können solche und ähnliche Gen-Theorien nur Stückwerk mit geringem Erklärungswert sein. Natürlich könnte man den Materie-Geist-Dualismus auch leugnen. Allerdings ignoriert man damit das Faktum, dass Qualia - also mentale Inhalte - auf Materie nicht reduzierbar sind. Das gesehene Rot z.B. ist etwas völlig anderes als das physikalische Rot (also der entsprechende Schwingungsbereich der Lichtwellen). Es gibt in der westlichen Philosophie und Naturwissenschaft keine Erklärung für die Transformation quantitativer Schwingungen in visuelle Qualität. Es gibt sie möglicherweise aber in der indischen Philosophie, vor allem im Vedanta, wo man Grobstofflichkeit (materiell) und Feinstofflichkeit (emotional und mental) unterscheidet, was zur Lösung der Qualia-Frage beitragen könnte.<o:p></o:p>
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Religion, Meme und Freud

Dawkins postuliert Religion sei ein „maladaptives“ Mem oder eine Gruppe solcher.
Richard Dawkins (2006) argues that religious ideas are maladaptive
cultural elements (memes), typically transmitted to children at young ages
when their minds are impressionable and their decision-making powers not
yet fully functional. He subscribes to a by-product hypothesis to explain
most if not all of religion. Young minds have to be impressionable so as to
rapidly and accurately acquire essential information from parents. Parasitic
religious memes take advantage of this impressionability.
http://www.des.ucdavis.edu/faculty/Richerson/RichersonNewsonReligionAdaptive.pdf

Was Dawkins als "Meme" bezeichnet fasst Blackmore begrifflich genauer als "Memplex".
Nach Susan Blackmore sei die Essenz eines jeden Memplexes die, dass sich Meme in ihrem Innern als Teil der Gruppe besser replizieren als auf sich allein gestellt.[13] Als Beispiel für einen Memplex nennt sie das Beispiel eines Kettenbriefs, der typischerweise folgende Ideen enthält[14]:
eine beliebige unwahre oder sinnlose Information,
vermeintliche Indizien für die Seriosität der Informationsquelle,
die Behauptung, dass die Information für den Empfänger wichtig sei,
die Behauptung, dass die Information für weitere Personen wichtig sei,
die Aufforderung, den Brief an diese Personen weiterzusenden.

Für sich alleine hätte jedes dieser Meme relativ schlechte Chancen, sich innerhalb einer Gesellschaft zu verbreiten. Als Gruppe sind sie jedoch häufig geeignet, eine gewisse Anzahl von Personen von der Wichtigkeit ihrer Verbreitung zu überzeugen.
Mem ? Wikipedia

Ein ähnlicher Ansatz wird von Muspilli zitiert, allerdings aus Freud´scher Sicht:
Freud rekonstruiert das „ozeanische Gefühl“ als primären Narzissmus noch ohne Grenze zwischen Ich und Außenwelt und erklärt ihn für eine sekundäre Quelle der Religion." (Die Zukunft einer Illusion ? Wikipedia)
Die primäre Quelle wäre anscheinend die ursprüngliche Hilflosigkeit des Säuglings bzw. bei Freud (nach Zukunft der Illusion) zeigt sie sich:
"- in der Ohnmacht des Menschen gegenüber der äußeren Natur,
- in seiner Machtlosigkeit gegenüber Krankheit und Tod,
- und sie beruht schließlich auf den Entbehrungen, die ihm von der Kultur abgenötigt werden.
Der Erwachsene deutet seine Hilflosigkeit nach dem Vorbild derjenigen Hilflosigkeit, die er als Kind erfahren hat; und wie das Kind verbindet er seine Hilflosigkeit mit der Sehnsucht nach einem schützenden Vater. Diese Vatersehnsucht ist die Grundlage für die Entstehung der Götter, die Götter sind idealisierte Vatergestalten. Die Religion ist eine Art Menschheitsneurose – eine kollektive Zwangsneurose." (ebd.)
http://www.geschichtsforum.de/681880-post98.html

Dem steht der Gedanke gegenüber, dass Religionen weder maladaptive Memplexe seien, noch kollektive Zwangsneurosen, sondern nützlich für die Gemeinschaft der Gläubigen und sich daraus ihre Verbreitung erklären lässt.

Susan Blackmore ist inzwischen von der Dawkin´schen Vorstellung abgerückt.
http://www.scilogs.de/chrono/blog/n...pothese-wie-mich-susan-blackmore-beeindruckte
 
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Rollands ´ozeanisches Gefühl´ zielt - im Sinne einer Mystik ohne personale Gottheit - auf die Auflösung der Ich-Grenzen zugunsten eines Bewusstseins ohne Subjekt-Objekt-Dualismus. Freuds Rekonstruktion dieses Phänomens als Symptom eines primären Narzissmus ist nicht falsch, aber ein Paradebeispiel für Reduktionismus. Keiner hat diesen Reduktionismus besser analysiert und korrigiert hat als der amerikanische Philosoph Ken Wilber.
[…] Das ´ozeanische Gefühl´ kann sich Wilber zufolge also auf zwei Ebenen manifestieren: erstens auf der von Freud besprochenen, also der prä-personalen, und zweitens auf einer der trans-personalen spirituellen Ebenen, auf welcher sich das Bewusstsein zunehmend für die feinstoffliche Natur des Geistes öffnet, d.h. es öffnet die Ich-Grenzen und transzendiert den Subjekt-Objekt-Dualismus, welcher - gemäß der spirituellen Philosophie - nicht der Realität entspricht, sondern ein Bewusstseinsprodukt ist (wie es auch Kant so schön herausgestellt hat und von Hegel aufgegriffen wurde).

Ich vergaß gestern anzumerken, dass Freud - wie auch in diesem Wiki-Zitat erkennbar - historisch inkorrekt davon ausgeht, dass die Götterentstehung auf ´Vatersehnsucht´ basiert. Im vorletzten Beitrag schrieb ich:

Ursprünglich wurde (...) ausschließlich eine Muttergottheit bzw. Urmutter verehrt, d.h. die Fruchtbarkeit der Frau hatte eine quasi kosmische Dimension (von Vaterschaft hatten die Menschen damals höchstwahrscheinlich keine Kenntnis).

Auch wenn diese verbreitete These nicht voll verifizierbar ist, spricht anhand der archäologischen Befunde doch viel für sie, während Freuds Urvater-These unhaltbar ist. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die ersten Götter männlich waren. Anhand des prähistorischen archäologischen Materials, aber auch anhand von Rekonstruktionen, die das mythologische Material aus historischer Zeit erlaubt, sollte man vielmehr die ´Muttersehnsucht´ - genauer: die Verehrung der weiblichen Fruchtbarkeit - als primären Auslöser der Götterbildung in Betracht ziehen. Es brauchte dann noch Jahrzehntausende (!!), bis man, aufgrund der erst im Neolithikum erkannten männlichen Zeugungskraft, die ersten männlichen Götter ersann - und auch diese waren zunächst keine Ur-Väter, sondern Sohn und Gefährte der Muttergöttin.

Also die Kritik an den Freudschen Spekulation eines in Urzeit ermordeten Vaters teile ich durchaus, ebenso die Vorstellung einer „matriarchalen“ Alternativ-Urgeschichte, die freilich manchenteils ebenfalls als spekulativ angesehen werden kann, auch im Hinblick auf eine narzißmustheoretisch fundierbare Muttersehnsucht. Gar nicht folgen kann ich aber Wilbers strikter Trennung. Ich will transpersonale Erfahrung damit nicht in Abrede stellen, aber ich würde – sofern eine präpersonale Erfahrung zu akzeptieren wäre – grundsätzlich eine gewisse Mischung behaupten wollen. (zur Diskussion Deines mir sehr zusagenden Hinweises auf die idealistischen Philosophien, s. unten)

Eine rein psychologistische Deutung religiöser Motivation erfasst meines Erachtens nicht die reale Komplexität der Religionsentstehung - Stichwort "Schamanismus". Der (im Ganzen gesehen) wichtigste Impuls für die Ausbildung komplexerer religiöser Systeme ging nicht von simplen natur-animistischen Vorstellungen aus, sondern von nachweislich drogeninduzierten schamanistischen Bewusstseinsexperimenten. Die Entwicklung religiösen Denkens unterlag immer dem Einfluss und Wechselspiel prä- und transpersonaler Faktoren, das lässt sich vor allem bei den indischen Religionen sowie beim Zoroastrismus und der ägyptischen Religion nachweisen. Was die ägyptische Religion betrifft, wurde für dieses Phänomen der Ausdruck "religio duplex" geprägt. Auch in Indien entstanden religiöse Systeme, die auf der mythologischen Ebene das Volk ansprachen und auf der spirituellen Ebene die (geistige) Elite. Das setzte sich, wenn auch zum Ärger der jeweiligen Autoritäten, in den monotheistischen Systemen fort: Im Judentum, Christentum und Islam bildeten sich mystische Richtungen heraus, die sich dem trans-Aspekt des Religiösen widmeten statt dem volksnahen mythologischen, also anthropomorphen prä-Aspekt.

Deine Kritik erscheint meiner Andeutung einer psychoanalytischen Kultutheorie, die ich übrigens im impliziten Anschluß an Herbert Marcuses Konzept der „repressiven Entsublimierung“ formulierte, nicht ganz gerecht zu werden, die ich aber auch nicht intensiv verteidigen wollte, weil sie im Grunde in die Gegenwartsgeschichte hineinreicht; aber erstens unterstellst Du meiner Psychologisierung einen phylogenetischen Naturanimismus, obwohl dieser durchaus einen Aspekt darstellen dürfte; zweitens sprach ich im entsprechenden Zusammenhang gar nicht von der Entstehung religiöser Systeme. Davon abgesehen, unterstütze ich aber durchaus deine dialektische Entstehung solcher religiöser Komplexe. Ich würde nur den Schamanismus nicht nur auf substanzinduzierte Bewußtseinserfahrungen zurückführen, da es auch alternative Modelle zur Bewußtseinsmodifikation gibt, wie z. B. ekstatischer Tanz oder psychotische Dispositionen und nicht zuletzt vielleicht auch Meditationstechniken. (Daß ich die Begrifflichkeiten „prä- und trans-Aspekt“ nicht vollends teile, habe ich schon oben angesprochen).

Zu deiner Formulierung "Glücksversprechen (Spiritualismus)": ´Spiritualismus´ verbinde ich eher mit Okkultismus im Sinne von Geisterbeschwörung, was mit ´Spiritualität´ nichts zu tun hat, bei welcher es auch nicht um ein ´Glücksversprechen´ geht, denn dieser Ausdruck impliziert eine (nach Glück strebende) Ichlichkeit, welche gemäß echter Spiritualität rein imaginär ist. In dem Maße, in dem ein Ich nach ´Glück´ strebt, klebt es an dualistischen, also un-spirituellen Denkmustern. Das eigentliche Ziel ist nicht Glück, sondern Erkenntnis.

Du schreibst oben: "das Göttliche (Transzendentale)". ´Transzendental´ als Synonym von ´transzendent´ ist vor-kantische, nämlich scholastische Terminologie. Seit Kants "Kritik der reinen Vernunft" ist ´transzendental´ gleichbedeutend mit ´Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis´, was mit ´transzendent´ (den Horizont der Sinneswahrnehmung überschreitend) nichts zu tun hat. ´Transzendental´ sind laut Kant die Verstandeskategorien und die Anschauungsformen Raum und Zeit.

Deine Unterscheidung von Spiritualismus und Spiritualität gefällt mir. Aber ich sehe nicht ein, an einem vorgeblich nicht-egologischen Begriff der Erkenntnis festzuhalten, der einem emotionalen Phänomen entgegengestellt wird. In diesem Zusammenhang möchte ich denn auch Deinen terminologischen Hinweis diskutieren und akzeptiere ausdrücklich Deine Korrektur; so rezipiert Wikipedia mutmaßlich in Deinem Sinne: „Was jenseits dieser Erkenntnisfähigkeit liegt, das Transzendente, kann nicht Gegenstand des Wissens, sondern nur des Glaubens sein.“ (Transzendenz ? Wikipedia) Ich sehe das als Argument für meine Kritik an dem von Dir favorisierten Ken Wilber, denn Glaube dürfte sich als ein fundamentaler Bestandteil von Religiösität herausstellen lassen.
Allerdings sehe ich mit der Berufung auf die Transzendentalphilosophie ein anderes Problem: Nämlich das der Konzeption einer Vernunftreligion. Zunächst erlaube ich mir, da Du (weiter oben zitiert) selbst auch Hegel mit ins Spiel bringst, auf einen älteren Beitrag (http://www.geschichtsforum.de/621083-post7.html) von mir hinzuweisen; dort zitiere ich Ottfried Höffe, daß der Naturbegriff in Kants Geschichtsphilosophie dem entspreche, „was die vorkantische Philosophie Vorsehung, Hegel in seiner Geschichtsphilosophie aber den Weltgeist nennt“ (Immanuel Kant - Otfried Höffe - Google Books, S.252) und ich fügte derweil hinzu daß „mir bisher gar nicht klar [war], wie konsequent Hegel tatsächlich auf Kant zurück geht.“ Tatsächlich bildete meiner Ansicht nach Hegel seine Philosophie auf einem von Kant gelegten Fundament einer Vernunftreligion aus. Allerdings gibt es dabei eine gewisse Aporie, die Kant bis zum Ende seines Lebens nicht gelöst haben könnte:
die Natur [habe] schließlich gewollt, „daß der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines thierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe und keiner anderen Glückseligkeit oder Vollkommenheit theilhaftig werde, als die er sich selbst frei von Instinct, durch eigene Vernunft, verschafft hat.“ [Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlichen Absicht]
Diese Zweckhaftigkeit der Natur ist im Kantischen System aber eine regulative Idee, wie die Gottevorstellung selbst. Hegel sprach daher später von der „List der Vernunft“, um die Verwirklichung eines solchen Anspruchs zu rechtfertigen. Ich denke, keiner hat diese Aporie zuletzt so deutlich kritisiert wie Theodor W. Adorno; um nur ein Zitat aus seiner Negativen Dialektik [1966] zu bringen, das gewissermaßen als Gegenstück zum (letzten) Kantzitat stehen kann:
„Nicht bloß hat Vernunft genetisch aus der Triebenergie als deren Differenzierung sich entwickelt: ohne jedes Wollen, das in der Willkür eines jeden Denkaktes sich manifestiert und allein den Grund abgibt für dessen Unterscheidung von den passiven, »rezeptiven« Momenten des Subjekts, wäre dem eigenen Sinn nach kein Denken.“ (Ffm: Suhrkamp tb, 1982/3. Aufl., S.229)
Vielleicht hat Schleiermacher (Über die Religionen. 1799) aber auch die Probleme einer Vernunftreligion schon gesehen, indem er dem gegenüber „die Religion insgesamt als »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit« bestimmte“ (zit. nach Drewermann, Glaube in Freiheit Bd. I: 1993, S.506 ), als »Sinn und Geschmack fürs Unendliche« oder als »Anschauung des Unendlichen im Endlichen, des Ewigen im Zeitlichen«: „Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen lassen“ (ebd., S.674, Anm.10). Und damit wäre ich wieder bei der Gefühlsgrundlage von Religiösität angelangt, die ich hier im Anschluß kurz als "radikale Heteronomie" (Richard Wollheim) ansprechen möchte, die ich psychoanalytisch auf die früheste Kindheit zurückführen wage, eine unbedingte Angewiesenheit auf einen Anderen.

Als fundamentalste emotionale Basis der Religionsentstehung sehe ich nicht ein "Urvertrauen", sondern ganz im Gegenteil die Angst. Die Angst, nicht ausreichend Wild zu erlegen, und die Angst, von den ´Geistern´ der getöteten Tiere heimgesucht zu werden, führte zu magischen Praktiken, die durch Höhlenmalereien rekonstruierbar sind. Die Angst vor dem ungewissen Schicksal im ´Jenseits´ führte schon vor über 100.000 Jahren zu vorsorglichen Grabbeigaben von Blüten psychoaktiver Pflanzen. Die Angst, nicht wiedergeboren zu werden, führte zu einer Vergöttlichung des Weiblichen im allgemeinen und der Vulva im besonderen. Die ersten ´Tempel´ waren mit Menstruationsblut ausgemalte Höhlen, die dem Kult der Urmutter dienten. Ich sehe bei all dem kein "Vertrauen" am Werk. Vielmehr waren komplizierte, z.T. Blutopfer beinhaltende Riten nötig, um das Erwünschte, vor allem die Fruchtbarkeit der Frauen, zu sichern. Wer solche Riten (und überhaupt Riten) veranstaltet, vertraut nicht in das Erwünschte, sondern fürchtet sein Ausbleiben.

Was mich hierbei überrascht ist, daß Du hier in gewisser Weise eine bestimmte Emotion zur Religionsbasis machst, die in hohem Maße – wenn auch von einer anderen Seite her - mit denjenigen von Eugen Drewermann übereinstimmt, wenn ich auch wieder einwenden muß: Ich sprach nicht von der emotionalen Basis der Religionsentstehung. Meine These war vornehmlich, daß religiöse Phänomene etwas mit Emotionen zu tun haben, wenn ich auch hinsichtlich des hinlänglich diskutierten „ozeanischen Gefühls“ auch von „Urvertrauen“ sprach. Mit Drewermann wären im übrigen Angst vs. Vertrauen eben diejenigen polaren Themen die wesentlich für den Menschen wären. Beide müssen jedenfalls einander nicht zwangsläufig ausschließen. Im Rückgriff auf meine Idee der Heteronomie können aber individualgeschichtlich auch noch andere Emotionen bedeutsam werden.
Darüber hinaus sehe ich in der Kombination von Mutter, Menstruationsblut und Angst eher problematische Geschlechterzuschreibungen, quasi als Ausdruck eines männlichen „Gebährneids“ (Bettelheim), um es metaphorisch auszudrücken. Aber ich muß auch zugebe, wie selbstverständlich Du solche Thesen lancierst, gefällt mir und insbesondere zum Zusammenhang von Wiedergeburtsglaube und Vulvaverhehrung einerseits, andererseits zum Hinweis auf die nachweisliche Grabbeigabe von psychoaktiven Pflanzen (deren Beleg für die Angstthese mir übrigens nicht einleuchtet) würde mich deine Literatur sehr interessieren, wenn die Liste nicht zu lang wird; denn im übrigen: Dieser Thread, das möchte ich wenigstens auch noch anbringen, befaßt sich eben nicht mit der Frage nach der Entstehung von Religion, da gibt es schon einige andere (z. B. http://www.geschichtsforum.de/f78/religionsursprung-44329/), wie Dir im Grunde auch bekannt ist.

Die von Dir gezogenen Bezüge zwischen Stoa und indischen Lehre finde ich übrigen auch hoch interessant, so daß ich mich freue, einen „Vergleich“ angeregt zu haben! Und schließlich, was das Qualia Thema betrifft resp. die Gottesgen-Frage; behalte ich mir erst einmal eine Antwort.
 
Eine rein psychologistische Deutung religiöser Motivation erfasst meines Erachtens nicht die reale Komplexität der Religionsentstehung - Stichwort "Schamanismus". Der (im Ganzen gesehen) wichtigste Impuls für die Ausbildung komplexerer religiöser Systeme ging nicht von simplen natur-animistischen Vorstellungen aus, sondern von nachweislich drogeninduzierten schamanistischen Bewusstseinsexperimenten. Die Entwicklung religiösen Denkens unterlag immer dem Einfluss und Wechselspiel prä- und transpersonaler Faktoren, das lässt sich vor allem bei den indischen Religionen sowie beim Zoroastrismus und der ägyptischen Religion nachweisen.
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das klingt so ungeheuer gewiß - sind denn indische und ägyptische Religionen und Zoroastrismus die ersten, die ältesten, quasi die initialzündenden Religionen? sorry, ich kann in dem Zitat nicht mehr als eine Behauptung erkennen. (zumal mich schon interessiert, wie man den Drogengebrauch nachweisen will)
 
ist Evolution ein "biologistischer" Begriff..

..und ist die Vorstellung der Evolution in der Biologie begründet?

Ich denke, es wäre ein Missverständnis dies anzunehmen.
Denn es wurde nicht zuerst der biologische Begriff auf die Gesellschaft übertragen, sondern es war umgekehrt.
Darwin überträgt das malthusische Prinzip auf die Entstehung der Arten und nicht umgekehrt:

Malthus and Darwin: Survival of the Richest

As has been emphasized, in the Malthusian Era the economic
laws that governed human society were the same as those that
govern all animal societies. Indeed Charles Darwin proclaimed his
inspiration for On the Origin of Species was Malthus’s On a Principle of
Population. Darwin then employed his theory of natural selection
in The Descent of Man to explain how humans evolved from earlier
progenitors. Darwin’s insight that, as long as population was
regulated by Malthusian mechanisms, mankind would be subject
to natural selection was profoundly correct.
http://www.econ.ucdavis.edu/faculty/gclark/papers/Capitalism Genes.pdf -Seite 15-16

Das Gedankenkonstrukt der kulturellen Evolution ist Vorlage für die Theorie der biologischen Evolution, und nicht umgekehrt.
 
Finkelstein, Dennet und Hariri

Finkelstein (Dr. Finkelstein) gibt eine Zusammenfassung an ein militärisches Forschungsinstitut der USA (DARPA) der diesbezüglichen Vorstellungen.
Er bemerkt hierzu
The purpose of the following overview is to provide an indication of the prospective value of memetics to the U.S. military for conventional and asymmetric operations, including counter-terrorism. The attempt to establish a scientific basis for memetics is critically important. For example, within a suitable memetics framework could be the means to prevent irrational conflict and promote rational solutions to endemic national and international problems. Of course, without safeguards memetics can become a double-edged sword.
Weiterhin merkt er mE zutreffend an, dass die sehr junge Memetik auf keinem festen wissenschaftlichen Fundament stehe..
None of extant definitions of a meme is sufficient to allow a meme to be clearly recognized, measured, or provide the basis for scientific research. And without the establishment of a scientific basis and the ability to explain, predict, and control phenomena, memetics will remain a functionally useless pseudo-science.
http://www.semioticon.com/virtuals/memes2/memetics_compendium.pdf

.. und es also so sei, dass eine Theorie den Nachweis ihrer Richtigkeit dadurch erbringen müsse,
dass sie Erscheinungen der Realität erklären, voraussagen und steuern könne.
;)

Dieser Anspruch ist ein technischer.
Geisteswissenschaftliche Ansätze finden sich relativiert in der finkelsteinischen Vorstellungswelt.
Das passt auch zum technisch-militärischen Anspruch des Autors, der ein dickes Compendium für den militärischen Gebrauch zusammenstellt.

Um die geschichtliche Parallele zu Drawin zu finden, dessen Theorie eben nicht originär war, möchte ich Dennet aus dieser Quelle Seite 31 zitieren:
I don't know about you, but I am not initially attracted by the idea of my brain as a sort of dung heap in which the larvae of other people's ideas renew themselves, before sending out copies of themselves in an informational Diaspora.

Was ist das denn für eine Vorstellung?
Unser Gehirn, die Krone der Schöpfung, wäre also ein Misthaufen, auf dem Ideen Anderer als Larven schlüpfen um ihrem Eigenutz zu folgen? Der Mensch ein Affe? Noch dazu ein dummer?

Wie wenig absurd solche Überlegungen sind, kann man mit etwas Fantasie daran ermessen, wenn man bedenkt, welche Macht und Virulenz Ideen hatten und haben.

Der junge Historiker Yuval Hariri folgt mühelos dieser Vorstellung:
Die meisten Geisteswissenschaftler rümpfen beim Stichwort Memetik die Nase, doch viele halten sich an ihre Zwillingsschwester: die postmoderne Theorie. Postmoderne Denker bezeichnen die Grundbausteine der Kultur nicht als Meme, sondern als Diskurs, doch auch sie sind der Ansicht, dass sich Kulturen verbreiten, ohne sich um den Nutzen oder Schaden für den Menschen zu scheren.
Quelle: Yuval Hariri -Eine kurze Geschichte der Menschheit – ISBN 978-421-045995-9
Seite 296
 
Ich habe einen begriffsgeschichtlichen Artikel zum Evolutions/Revolutionsbegriff gefunden, der sehr aufschlußreich ist: evolution [Interdisziplinäre BegriffsgeschichteZentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin]

Hier wird dargelegt, wie der Revolutionsbegriff während der frühen Neuzeit durch Übertragung aus seiner astronomischen Verwendung auf politische Entwicklungen bspw. durch Machiavelli eine Umdeutung erfuhr, die m. E. noch heute relevant ist, während sich die ältere Bedeutung verlor.
Hinsichtlich des Evolutionsbegriffs ist Von Rahdens Argumentation/Darstellung schwieriger nachzuvollziehen, weil er diese m. E. bei Herder ansetzt, ihn aber mit dem Begriff selbst nicht zitiert. Deutlich wird aber, daß er in der Aufklärungsphilosophie durchaus einen protobiologischen Zusammenhang bezeichnet. (Besonders interessant finde ich persönlich übrigens die Zitierung Kants mit einem Epigenesis-Begriff.)

Daher @ hatl:

Hast du dich eigentlich oder mittlerweile (zumindest mit deinem letzten Post) davon überzeugt, daß irgendetwas mit der Evolutionsthese der Kultur irgendwie nicht hinhaut? Ich hatte nach deinem letzten Post den Eindruck.
Eine Sache auf jeden Fall zum Malthus-Mem dieses Thread (vgl. z. B. Beitrag #10 & 106): die Links sind wenig überzeugend.
1) Jürgen Neffe (Die Zeit-Artikel), mag eine abenteuerliche Biographie über Charles Darwin geschrieben haben, aber als frühkapitalistisch bezeichnete kulturelle Phänomene und eine damit im Zusammenhang stehende Selektionsthese können nicht als Modelltheorie in Anschlag gebracht werden, daß die sozialen Verhältnisse allerdings dazu verleiten, kulturelle Phänomene irgendwie biologisch zu erklären, wie Darwin vllt. im Ansatz auch versucht gewesen sein könnte, will ich freilich nicht in Abrede stellen. Mir scheint, daß du von ihm deine These der kulturellen Evolution entlehnst, aber Neffes Fazit steht merkwürdig unbelegt am Ende (ob er sich mit seiner Behauptung, daß diese lamarckisch vonstatten gehe, was immer das auch heißen soll, auf Dawkins bezieht, ist mein Verdacht).
2) Gregory Clark vertritt anscheinend sogar die These, daß die "mathusianischen" Verhältnisse - wie man sagen könnte - sogar den Menschen genetisch verändern. Das finde ich ganz schwierige These.
 
....
Daher @ hatl:

Hast du dich eigentlich oder mittlerweile (zumindest mit deinem letzten Post) davon überzeugt, daß irgendetwas mit der Evolutionsthese der Kultur irgendwie nicht hinhaut? Ich hatte nach deinem letzten Post den Eindruck.............
....können nicht als Modelltheorie in Anschlag gebracht werden, daß die sozialen Verhältnisse allerdings dazu verleiten, kulturelle Phänomene irgendwie biologisch zu erklären, wie Darwin vllt. im Ansatz auch versucht gewesen sein könnte, will ich freilich nicht in Abrede stellen.....

Muspilli,
die Vorstellung nach Dawkin, Blackmore und anderen, die mir mühelos einleuchtet,
und die ich für eine große Bereichung im Werkzeugkasten der Interpretationsmöglichkeiten von Kultur und Geschichte halte, unternimmt in keiner Weise den Versuch "kulturelle Phänomene irgendwie biologisch zu erklären".
Dieses grundsätzliche Missverständnis spaltet, nach meiner Vermutung, die Lager in solche Zeitgenossen, die die Sache für einen Unsinn halten und solche die es ohne Umstände einleuchtend finden.

Dass Darwin sich z.B. über die Evolution von Sprachen Gedanken gemacht hat, findet seine Grundlage, so wie ich es verstehe, nicht in der Biologie sondern ganz einfach im "evolutionären Algorithmus*" der kein biologischer ist.
Ebenso wie er den nicht biologischen Ansatz von Malthus (survival of the richest) als solchen nimmt und diesen dann erst gedanklich auf eine ganz andere, nämlich biologische, Ebene überträgt.


*Entstehung von Design (ohne übergeordnete Planung) durch Vervielfältung, Variation und Selektion in einem Umfeld, welcher Art auch immer.

Die kulturelle Variante des Vorgangs ist mit der biologischen in nur sehr geringem Maße verknüpft. (Und auch Clark weist sehr klar darauf hin) Vielmehr folgt sie einer, davon sehr weitgehend, abgekoppelten Dynamik.
Die Vorstellung der "kulturellen Evolution" oder der Memetik ist keine biologische.

Die unselige, unsinnige, ja verheerende "kulturelle Evolution" :D der Kulturleistung Darwins zum Zerrbild des "Sozialdarwinismus", man könnte bisweilen auch besser sagen 'Nationaldarwinismus', führt mittlerweilen, sehr zurecht(!), zu einer großen Skepsis,
aber halt auch dazu, dass dem, ganz offensichtlich vorhandenen, Mechanismus des "evolutionären Algorithmus" auf anderen Ebenen, mit misstrauischer Ablehnung begegnet wird.
 
Yuval Harari beschreibt übrigens (gleiche Quelle wie vorher) ganz treffend die Vorstellung über die wir reden (sollten):
Den Nationalismus beschreiben sie [bezogen auf Blackmore u.a.] beispielsweise als tödliche Plage, die sich 19. und 20. Jhd auf der Welt ausbreitete und Krieg, Unterdrückung, Hass und Völkermord schürte. Der nationalistische Virus gab vor, dem Menschen zu nutzen, doch genutzt hat er vor allem sich selbst. Sobald die Menschen eines Landes davon befallen waren, steckten sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch ihre Nachbarländer an.

Grüße
hatl
 
Ich will versuchen, meine Probleme mit diesem hier von dir vehement vertretenen Ansatz etwas deutlicher herauszuarbeiten.

Wenn die von angeführte Kulturtheorie keine evolutionsbiologische Begründung haben sollte, dann bleibt erklärungsbedürftig, warum ein neuer Begriff wie das Mem notwendig wurde, das gerade aufgrund dieses Zusammenhanges geprägt wurde. Es steckt eine biologistische Vorstellung dahinter, ansonsten ist das Konzept überflüssig; ferner verweist auf den Zusammenhang mit der Evolutionsbiologie Annahme eines "natürlichen Selektionsmechanismus" und nicht zuletzt die von dir schließlich eingeführte Virusmetapher.
Willst du ernst in Abrede stellen, daß Richard Dawkins ein Vertreter der Soziologie ist, die wiederum eine Teildisdiziplin der Evolutionsbiologie ist (vgl. http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/1489/1144227169655-5414.pdf)?
Angenommen, Meme - definiert als Kognitionen und Handlungsmuster, werden "kulturell tradiert, nicht über Gene" wie sich mit Jürgen Neffe sagen ließe (im von Dir Beitrag #10 zit. Die Zeit-online Artikel aus 2009, S. 5) und in diesem Sinne verstehe ich dich (und ich vermute im übrigen auch Neffe sogar Dawkins, ohne seinen Namen zu nennen), würden sie genauso Engrammen oder Erinnerungen oder allgemeiner Vorstellungen umfassen können, wie auch komplexere Phänomene wie Narrativen oder Ideologien, oder vielleicht auch kommunikativen Regeln, praktischen Fertigkeiten wie Bewegungstechniken oder was einem noch so einfällt, was Dawkins wenn ich mich nicht irre, beispielsweise auch durchaus tut am Beispiel von Glaubenssystemen aufzeigend. Ich denke, meine Aufzählung dürfte eigentlich schon gezeigt haben, daß das einer ziemlichen Simplifizierung kultureller Phänomene gleichkommen dürfte.
Der Begriff der "natürlichen Selektion" bezöge sich so verstanden auf gesellschaftliche Systeme, in denen sich die eigentlich komplexen, aber auf Meme reduzierte Phänomene reproduzieren. Die Sache ist nur, daß die Menschen diese Systeme selbst gestalten und die Meme also verändern können. Ich frage mich wie Mr. Dawkins diese Veränderbarkeit erklären kann ohne einen Überlebenskampfkonzept zurück zu greifen?

Aber jetzt realisiere ich meine Denkblockade: Du kritisierst dieses gar nicht: du akzeptierst das "memetische" Konzept eines Überlebens der Stärkeren, das ursprünglich Thomas Robert Malthus als resultierende Prognose seines "Bevölkerungsgesetzes" beschrieb, aus dem sich der "evolutionäre Algorithmus" ableitet. Und jetzt verstehe ich tatsächlich auch erst die Überschrift bei Jürgen Neffe: "Danke, Darwin" - durch Darwins Biologisierung einer im frühen Kapitalismus auf mathematischen Berechnungen basierenden Prognose können logischerweise die seinerzeit sich anbahnenden kulturellen Verhältnisse naturalisiert erklärt werden.
Ich persönlich finde das wenig überzeugend und bevorzuge kulturalistische Ansätze, belasse das als Geschmackssache.
 
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Aber jetzt realisiere ich meine Denkblockade: Du kritisierst dieses gar nicht: du akzeptierst das "memetische" Konzept eines Überlebens der Stärkeren, das ursprünglich Thomas Robert Malthus als resultierende Prognose seines "Bevölkerungsgesetzes" beschrieb, aus dem sich der "evolutionäre Algorithmus" ableitet. Und jetzt verstehe ich tatsächlich auch erst die Überschrift bei Jürgen Neffe: "Danke, Darwin" - durch Darwins Biologisierung einer im frühen Kapitalismus auf mathematischen Berechnungen basierenden Prognose können logischerweise die seinerzeit sich anbahnenden kulturellen Verhältnisse naturalisiert erklärt werden.
Ich persönlich finde das wenig überzeugend und bevorzuge kulturalistische Ansätze, belasse das als Geschmackssache.

Das ist ein Missverständnis.
Es geht ja nicht um "das "memetische" Konzept eines Überlebens der Stärkeren" sondern um eine darüberliegende chaotische Ebene.
Es geht, grob gesagt, um die Ausbreitungsfähigkeit und Wirkmächtigkeit von Vorstellungen, Ideen und Verhaltensweisen und darum, ob diese eine selbstorganisierende Eigendynamik entfalten können, unabhängig von der Planung der Individuen und von deren Nutzen.
Die Sache ist nur, daß die Menschen diese Systeme selbst gestalten und die Meme also verändern können. Ich frage mich wie Mr. Dawkins diese Veränderbarkeit erklären kann ohne einen Überlebenskampfkonzept zurück zu greifen?
Die Vorstellung, "daß die Menschen diese System selbst gestalten", ist eine Schöpfungsvorstellung. Sie geht davon aus, dass die vorhandene Lebenswirklichkeit des Menschen dessen Planung entsprungen sei.
Dies kann aber allenfalls ansatzweise gelten.
Denn Galilei konnte ja nicht erahnen, dass er mit dem Grundansatz der Experimentalphysik den Weg zur modernen Wissenschaftswelt bis zur Atombombe beschritt.

Es konnten auch die Fälscher "Protokolle der Weisen von Zion" nicht voraussehen, oder gar planen, dass sie damit einen erheblichen Einfluss auf den zukünftigen erfolgreichsten Massenmörder der menschlichen Geschichten nehmen würden.
Das damit aufgeworfene nationalistische Problem,
daß die Juden der angestrebten Geschlossenheit der Völker im Wege standen,wurde schließlich „aufgehoben" und überhöht in der Theorie von der internationalenjüdischen „Weltverschwörung" in den sogenannten „Protokollen der Weisen von Zion", die 1919/20 von „weiß"-russischen Emigranten in „völkischen" Zirkeln Deutschlands verbreitet wurden und die Hitlers Antisemitismus die entscheidende Wendung gaben, wie sich aus seinen antisemitischen Bekundungen vor und nach
seiner Kenntnisnahme der „Protokolle" nachweisen läßt.
http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1972_2_2_hillgruber.pdf

Die Vorstellung der Mensch als Individuum sei der Schöpfer seines Geschicks kann bestenfalls für ihn als Individuum gelten und auch das nur bedingt.
Und es stellt sich dabei auch die Frage warum sich wirkmächtige Ideen und Vorstellungen ausbreiten.
Eine einfache Antwort bestünde darin zu sagen: Weil sie es können.

Und könnten sie es aus sich selber heraus...
so brauchten sie selber ja keine Begründung, ja wären davon abgekoppelt und gewännen dabei eine ziellose Eigendynamik.

Diese entfaltete sich in einem chaotischen Rahmen,
der dadurch definiert ist, dass dieser als solcher nicht determiniert sein kann,
weil unverstandene und wohl auch unverstehbare Rückkopplungen entstehen,
die auch kleine Einflüsse nahezu beliebig verstärken können. (das ist ja im Begriff der "Rückkopplung" angelegt)

Also, das wäre so ungefähr ein Teil der Vorstellungswelt, inklusive der "Virusmetapher" die Harari gebraucht.

Grüße hatl
 
Das ist ein Missverständnis.
Es geht ja nicht um "das "memetische" Konzept eines Überlebens der Stärkeren" sondern um eine darüberliegende chaotische Ebene.
Es geht, grob gesagt, um die Ausbreitungsfähigkeit und Wirkmächtigkeit von Vorstellungen, Ideen und Verhaltensweisen und darum, ob diese eine selbstorganisierende Eigendynamik entfalten können, unabhängig von der Planung der Individuen und von deren Nutzen.

Die Vorstellung, "daß die Menschen diese System selbst gestalten", ist eine Schöpfungsvorstellung. Sie geht davon aus, dass die vorhandene Lebenswirklichkeit des Menschen dessen Planung entsprungen sei.
Dies kann aber allenfalls ansatzweise gelten.
[...] Die Vorstellung der Mensch als Individuum sei der Schöpfer seines Geschicks kann bestenfalls für ihn als Individuum gelten und auch das nur bedingt.
Und es stellt sich dabei auch die Frage warum sich wirkmächtige Ideen und Vorstellungen ausbreiten.
Eine einfache Antwort bestünde darin zu sagen: Weil sie es können.

Und könnten sie es aus sich selber heraus...
so brauchten sie selber ja keine Begründung, ja wären davon abgekoppelt und gewännen dabei eine ziellose Eigendynamik.

Diese entfaltete sich in einem chaotischen Rahmen,
der dadurch definiert ist, dass dieser als solcher nicht determiniert sein kann, weil unverstandene und wohl auch unverstehbare Rückkopplungen entstehen, die auch kleine Einflüsse nahezu beliebig verstärken können. (das ist ja im Begriff der "Rückkopplung" angelegt)

Also, das wäre so ungefähr ein Teil der Vorstellungswelt, inklusive der "Virusmetapher" die Harari gebraucht.

Grüße hatl

Um dich nicht mißzuverstehen: Meinst du, ich verstehe den "memetischen" Ansatz, für den bspw. Dawkins steht falsch oder mißverstehe ich dich falsch? Ich bin mir darüber aber auch nicht sicher, ob das überhaupt relevant ist.

Ich gehe jetzt einmal in der Annahme, daß wir einig sein dürften, daß es um kulturelle Prozesse geht, die nicht biologistisch erklärt werden können. Darüber hinaus bestehen für mich Unklarheiten.
Du bestreitetst, daß Menschen ihre Umwelt auch selbst gestalten - oder meinst zumindest, daß eine kulturevolutionistische Position das bestreiten dürfte; die Vorstellung eines "kreativen" Menschen wäre, theorieimmanent betrachtet, selbst ein Mem.
Nun setzt du eine Metaebene an, von der aus man auf ein memetisches Chaos blickt, in dem beliebig unbestimmte Rückkopplungen herrschen.
Da sehe ich definitiv kein Kriterium, um von Evolution zu sprechen, versuchte man einen solchen Prozess auch als noch so kulturell auszuweisen, sondern nur eine systemische Verballhornung von Ideengeschichte ohne jegliche Konsequenz.

Mir fehlt anscheinend das Verständnis für solch eine willkürlich konstruierende Kulturtheorie, für die ein denkendes, zur Entscheidung fähiges und gesellschaftlich handelndes Subjekt keine Rolle spielen sollte. Wenn ich grundsätzlich solch ein subjektiven Faktor für soziale Vorgänge in betracht ziehe, meine ich im übrigen nicht, und da hast du mich mißverstanden, daß das Subjekt sein eigenes Geschick hervorbringt, aber durchaus mitgestaltet - wie weit diese Mitgestaltung "ansatzweise" - wie du zugestehst - geht, mag disputabel sein. Memem aber unabhängig von Subjekten irgendwelche Wirkmächtigkeit zuzugestehen, halte ich für absurd.
 
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Vor einer Erörterung der Frage, was Meme können oder nicht können, sollte eine Betrachtung dessen stehen, was ein Mem überhaupt ist. Folgende Definition findet sich im Wiki:

Mem ? Wikipedia

Ein Mem bezeichnet einen einzelnen Bewusstseinsinhalt (zum Beispiel einen Gedanken), der durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden kann.

Das wirft Fragen auf: Was ist ein Bewusstseinsinhalt? Was ist ein Gedanke? Man kann diese Begriffe nicht einfach benutzen wie Stricknadeln und damit eine Theorie stricken, ohne sie selbst zu hinterfragen. Woraus besteht ein Gedanke? Aus Nichts? Wohl kaum. Aber darüber macht sich kaum ein Wissenschaftler ´Gedanken´. Alte hinduistische Theorien über die Substanzhaftigkeit von Gedanken (wie auch von Emotionen) liefern gute Ansätze, werden aber, soweit überhaupt bekannt, von der NaWi und der westlichen Psychologie völlig ignoriert.

Also: Welchen ontologischen Status sprechen die Befürworter der Mem-Theorie dem Gedanken zu? Erst wenn das geklärt ist, kann man über die angeblichen Intentionen eines Mems (repliziert zu werden) reden.

Solange es darauf keine Antwort gibt, hängt die Theorie völlig in der Luft, zumal sie ohnehin nicht mal im Ansatz beweisbar ist. Viel wissenschaftlicher als die Behauptung, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt, scheint sie mir nicht zu sein.

Offen bleibt auch die Rolle des Unbewussten. Memen wird ja Bewusstheit zugesprochen ("Bewusstseinsinhalt"), dabei weiß man seit Freud, dass Bewusstheit nur die Spitze eines Eisbergs ist, dessen größter Teil im Unbewussten liegt. Wo bleibt in der Mem-Theorie der beträchtliche, mit Bewusstseinsinhalten verbundene Komplex an unbewussten Assoziationen und Affekten, die bei jedem Menschen differerieren? Sind diese Assoziationen und Affekte auch Meme, d.h. fähig zu und scharf auf Replikation? Ich könnte jetzt behaupten, dass es in Wahrheit die unbewussten Faktoren sind, welche den Replikationsprozess vorantreiben, und dass die bewussten Meme nur das Medium für die Replikation unbewusster Meme bilden, d.h. die eigentlichen Meme sind immer unbewusst. Klingt nicht unplausibler als Dawkins´ Spekulationen, eher plausibler. Ist aber nicht wirklich ernst gemeint.

Zu guter Letzt:

Laut Mem-Definition ist auch die Mem-Theorie ein Mem. Was aber, was sie auf immer eine wissenschaftliche Randerscheinung bleibt, die kaum einer ernst nimmt, ja vielleicht eines Tages sogar so gut wie vergessen ist? Man stelle sich vor, dass eine Theorie, die jeder Theorie einen Überlebenswillen zuspricht, selbst nicht überlebt. Auszuschließen ist es Stand Heute ja nicht. Ist diese Theorie damit nicht ad absurdum geführt?
 
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Weitere Fragen zur Mem-Theorie:

Hängt der unleugbare Erfolg der Idee des Menschenrechts (angeblich ein Mem) damit zusammen, dass sich dieses Mem besonders gut replizieren kann? Ist diese Idee also ein eigenständiges Wesen, das unabhängig vom äußeren Bestehen gewaltbedingten menschlichen Leids auf seine Replikation drängt? Die Idee des Menschenrechts macht nämlich nur Sinn, wenn es gewaltbedingtes Leid gibt, dessen Ausmaß eine Idee (ein ethisches Konzept) erforderlich macht, das dem Leid bzw. den Ursachen des Leids gegensteuert (Rechte für die Unterdrückten). Wie aber kann das Menschenrechts-Mem überleben, wenn es auf die Eliminierung der Voraussetzungen hinarbeitet (Abschaffung des gewaltbedingten Leids), dessen Bestehen für das Bestehen der Menschenrechts-Idee doch Bedingung ist? Denn in einer Welt ohne gewaltbedingtem Leid bedarf es keiner Menschenrechte, sie wären so überflüssig wie eine Verkehrsampel in der Sahara. Daraus folgt: Das Menschenrechts-Mem muss, um zu überleben, darauf hinarbeiten, dass seine Existenzbedingung, das gewaltbedingte Leid, immer bestehen bleibt - womit es sich inhaltlich widerspricht und ad absurdum führt.

Es folgt ein Zitat über die angeblich memetische Dynamik religiöser Konzepte.

Zweierlei Maß? Die Entstehung von Religion und Moral in Richard Dawkins´ "Der Gotteswahn" | Schröder | theologie.geschichte

Bildlich gesprochen konkurrieren Meme um Raum für ihre eigene Existenz in menschlichen Gehirnen, so auch religiöse Meme, die man sich wohl am ehesten als Ideen bzw. religiöses Gedankengut vorstellen kann. Hierbei sind jeweils diejenigen am erfolgreichsten, die sich selbst am häufigsten vervielfältigen. Eine möglichst hohe Kopierrate kann von den Memen dabei auf zwei verschiedene Arten erreicht werden [15]: Zum Einen aufgrund ihrer ‚absoluten Leistung’, zum Anderen aufgrund ihrer Verträglichkeit mit anderen Memen. Ersteres ist der Fall, wenn Meme einen gewissen Reiz auf Menschen ausüben und somit eine hohe Anziehungskraft besitzen. Das trifft beispielsweise auf den Gedanken der Unsterblichkeit zu. Die Überlebensfähigkeit eines solchen Mems ist völlig unabhängig davon, von welchen anderen Memen es umgeben ist [16]. Hiermit ließen sich gewisse Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Religionen, wie zum Beispiel die eben genannte Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, erklären.

Den Ausdruck "Kopierrate" auf die Expansion religiöser Ideen anzuwenden, ist entweder schwarzer Humor oder ein Symptom historischer Unwissenheit. Betrachtet man einmal die Modalitäten, wie sich das Christentum und der Islam durchgesetzt haben, dann kann von "Kopierraten" nun wahrlich keine Rede sein. Vielmehr vervielfältigten sich diese Glaubenssysteme in hohem Maße durch Gewalt und Zwang. Wer unter Androhung des Todes einen Glauben annimmt, der "kopiert" nicht ein Mem, sondern will physisch überleben.

Fehlinterpretationen historischer Prozesse dieser Art zeigen, wie oberflächlich und unwissenschaftlich die Mem-Theorie ist. Man glaubt den Stein der Weisen gefunden zu haben, hält aber nur eine Kindermurmel in Händen.
 
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@dekumatland:

Du beziehst dich auf meine Behauptung:

Der (im Ganzen gesehen) wichtigste Impuls für die Ausbildung komplexerer religiöser Systeme ging nicht von simplen natur-animistischen Vorstellungen aus, sondern von nachweislich drogeninduzierten schamanistischen Bewusstseinsexperimenten.Die Entwicklung religiösen Denkens unterlag immer dem Einfluss und Wechselspiel prä- und transpersonaler Faktoren, das lässt sich vor allem bei den indischen Religionen sowie beim Zoroastrismus und der ägyptischen Religion nachweisen.

das klingt so ungeheuer gewiß - sind denn indische und ägyptische Religionen und Zoroastrismus die ersten, die ältesten, quasi die initialzündenden Religionen? sorry, ich kann in dem Zitat nicht mehr als eine Behauptung erkennen. (zumal mich schon interessiert, wie man den Drogengebrauch nachweisen will)

Nun, die "ersten Religionen" sind natürlich die prähistorischen, die eigentlich eher im Singular existierten, auch wenn es regionale Differenzierungen gab. In dieser (vermutlich auf eine Urmutter-Gottheit zentrierten) Religion war Schamanismus ein übliches Verfahren, mit dem Transzendenten in Verbindung zu treten. Das ist allgemein anerkannt. Dass Drogengebrauch zum Schamanismus gehört, ebenfalls. Also sind Drogenerfahrungen ein Eckpfeiler der entstehenden Religiosität und auch jener religiösen Formen, die sich in historischer Zeit (d.h. ab ca. 3000 vuZ) aus den prähistorischen Kulten entwickelt haben. Auch diese späteren Formen implizierten - davon kann man ausgehen - eine halluzinogene Praxis innerhalb der Priesterschaft.

Das mit dem "nachweisen" ist auf das "Wechselspiel prä- und transpersonaler Faktoren" bezogen, nicht auf drogeninduzierte Religiosität, wie du anzunehmen scheinst.

Ich verlinke ein paar Texte, die sich damit befassen. Wenn du oder andere dazu Kommentare haben, können wir drüber reden.

https://thecannabus.files.wordpress.com/2011/08/cannabis-in-the-ancient-world.pdf

http://swilhite.weebly.com/history-of-psychoactive-drug-use.html

http://csp.org/chrestomathy/soma_divine_hallucinogen.html
 
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Nun, die "ersten Religionen" sind natürlich die prähistorischen, die eigentlich eher im Singular existierten, auch wenn es regionale Differenzierungen gab. In dieser (vermutlich auf eine Urmutter-Gottheit zentrierten) Religion war Schamanismus ein übliches Verfahren, mit dem Transzendenten in Verbindung zu treten. Das ist allgemein anerkannt. Dass Drogengebrauch zum Schamanismus gehört, ebenfalls. Also sind Drogenerfahrungen ein Eckpfeiler der entstehenden Religiosität und auch jener religiösen Formen, die sich in historischer Zeit (d.h. ab ca. 3000 vuZ) aus den prähistorischen Kulten entwickelt haben. Auch diese späteren Formen implizierten - davon kann man ausgehen - eine halluzinogene Praxis innerhalb der Priesterschaft.
ich habe jetzt ein wenig in die drei Links hineingelesen, konnte aber nichts finden, was nachweist, dass Drogengebrauch (inklusive Schamanismus) quasi die Ursache für "Religion(en)" sei. Vereinzelt sind Jahreszahlen zu finden, welche für historische Zeiten angeben, wann was wo erstmals verwendet worden ist - von z.B. steinzeiltlichen Schamanen und deren Halluzinogenen ist da aber nicht die Rede (es sei denn, ich hab was übersehen). Zudem tauchen viele Konjunktive (may have etc) auf.
 
[...] meine Behauptung:
nachweislich drogeninduzierten schamanistischen Bewusstseinsexperimenten

[...] Schamanismus ein übliches Verfahren, mit dem Transzendenten in Verbindung zu treten. Das ist allgemein anerkannt. Dass Drogengebrauch zum Schamanismus gehört, ebenfalls. Also sind Drogenerfahrungen ein Eckpfeiler der entstehenden Religiosität und auch jener religiösen Formen, die sich in historischer Zeit (d.h. ab ca. 3000 vuZ) aus den prähistorischen Kulten entwickelt haben. Auch diese späteren Formen implizierten - davon kann man ausgehen - eine halluzinogene Praxis innerhalb der Priesterschaft.

Das mit dem "nachweisen" ist auf das "Wechselspiel prä- und transpersonaler Faktoren" bezogen, nicht auf drogeninduzierte Religiosität, wie du anzunehmen scheinst.

Eben nicht. Du formulierst einen sehr engen Zusammenhang zwischen Drogengebrauch & Schamanismus. Diese "Nachweise" - denen man sich detailliert (in einem eigenen Thread widmen könnte im Sinne dekumatlands Kritik), bieten aber die Links m. E. durchaus, aber den Bezug zur von dir favorisierten Wilburschen "Bewußtseinstheorie" - wie ich das nennen möchte - oder präzisier vielleicht Begrifflichkeit stellst du selber her, denke ich. Der Bezug zur Religiösität (Schamanismus) ist zwar nicht immer direkt, aber diskutabel.

Übrigens habe ich mit Interesse deine Kritik der Memetik gelesen.
 
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