Freud I: Psychohydraulik & Angsttheorie
Was hat Freud denn zum Thema beizutragen?*
Ein Lehrbuchautor zur Emotionspsychologie schrieb 1973, daß er es besser mit einer kurzen Darstellung der psychoanyltischen Emotionstheorie, mit der er sich lediglich an David Rappaports allgemeiner Einführung orientiert, bewenden lasse als diese Diskussion weiterzuführen, denn sonst würde der Autor sich darin mehr verlieren, als es der Leser zweifellos jetzt schon sei: „It is best to let this discussion rest here, since if it is taken any further the writer will become more lost than the reader no doupt already is.“ (Strongman, 1973, S.31)
Um ehrlich zu sein: mir geht es nicht anders. Nichts desto weniger möchte ich hier etwas über Freuds Zugang zu den Emotionen schreiben. Ich suche zunächst meinen Ausgangspunkt von Robert C. Solomon (1993). Wie bereits erwähnt, führen Solomon und Lyons Freud als Vertreter der Feelingtheorie ein. Solomon ist hier gründlicher, insofern er sich gewissermaßen an Freud abarbeitet.
Bereits im Vorwort seiner Passionsstudie schreibt er Freud die schöne Zusammenfassung der zeitgenössischen Einstellung in psychoanalytischen Grundbegriffen wie folgt zu: „Der Sitz des Denkens sei das 'Ego', 'Ich' oder 'Selbst', während die Leidenschaften in dem seltsamen Triebkessel namens 'Es' angesiedelt seien, das […] eine gleichsam äußere Bedrohung für das Ego und seinen strengen Bundesgenossen, das 'Über-Ich', darstelle.“ Das klingt zunächst sehr eingängig, ist meiner Ansicht nach aber sehr verkürzt, was Solomon freilich selbst auch festgestellt haben dürfte, als er für seine „Passionsstudie“ das Freudsche Werk sichtete. Was auf der individuellen Ebene als ein intrapsychischer Konflikt erscheint, sei nach Freuds „Mythologie“ auf der kollektiven Ebene ein „Gefecht […] zwischen Vernunft und Kultur gegen die monströsen Leidenschaften.“ Der Freudsche „Mythos der Leidenschaften“ wird nach Solomon um einen „Mythos der Unschuld“ ergänzt, was im Zusammenhang mit Freuds Theorie etwas merkwürdig anmutet, ist er es doch der den Säugling für polymorph-pervers hielt und später auch „den Menschen als wilde Bestie, der die Schonung der eigenen Art fremd ist“ (Das Unbehagen in der Kultur) bezeichnete. Schließlich erwähnt Solomon mit Verweis auf das von Freud psychophysiologisch postulierte Konstanzprinzip die durchgängig für das Freudsche Denken auch zentrale „Vorstellung, daß der Mensch ohne Leidenschaften im Zustand der Trägheit verharren würde“. Allemal bemerkenswert ist Solomons Bemerkung, daß der Begriff des Unbewußten zwar „theoretisch sozusagen völlig unmöglich“ sei, daß es aber „trotz seiner schweren metaphorischen Defizite [...] kaum ein besseres Modell des Seelenlebens“ gäbe. Die hier anklingende Hochschätzung der Psychoanalyse will mir angesichts der vehementen Polemik nicht eingehe, aber vielleicht hielt sich Solomon seinerzeit an die existenzielle Psychoanalyse Jean-Paul Sartres, der einerseits – so etwa in L'etre et le néant das Postulat des Unbewußten (mitsamt Triebreduktionismus) ablehnte, andererseits aber doch tatsächlich die ziemlich vulgäre-psychoanalytische Behauptung über sich aufstellte, daß er kein Überich hätte, weil er keinen Vater hatte. Solomon kritisiert vor allem das hydraulischen Modells, das er gewissermaßen auch als Feelingtheorie umschreibt, und dem entsprechenden Kapitel auch ein Freud-Zitat aus der metapsychologischen Arbeit über „Das Unbewußte“ (1915) voranstellt:
„während die Affekte und Gefühle Abfuhrvorgängen entsprechen, deren letzte Äußerungen als Empfindungen wahrgenommen werden.“
Das klingt nach einer gewissen Ähnlichkeit mit James Auffassung – und tatsächlich bemerkt Richard Wollheim (2001), daß sowohl Freud als auch James in ihren „Ansichten über die Natur der Emotionen einiges gemeinsam haben“ (S.27), wobei ich hinzufügen würde, daß beide wohl mit der einschlägigen Schrift Darwins über den Ausdruck der Gemütsbewegungen (Expression of Emotions) vertraut waren.1 Betrachten wir aber genauer, was hinter dieser Auffassung bei Freud steht. Dazu muß ich weit ausholen und beginne mit der durchaus berechtigte Unterstellung, daß Freud trotz gewisser Zweifel, „Zeit seines Lebens an einer neurologischen Verankerung psychischer Abläufe fest[hielt].“ (Solomon) Bereits in meiner Besprechung von James Emotionstheorie hatte ich erwähnt:
Emotionen haben separate und spezielle Zentren2 – diese schließt er [James] aber insofern aus, als daß damit das neurologische Paradigma infrage gestellt werde, demnach der Kortex als Projektionsoberfläche für empfindliche [Körper-]Punkte und Körpermuskeln gilt. Dieses Argument erscheint mir [...] in der Tat als ziemlich genial. Es ist gewissermaßen der Reflexbogen, der hier für eine neurologische Theorie relevant wird, was James so prägnant erfaßt zu haben schien.
Genau an einem solchen neurologischen Modell hat sich auch Sigmund Freud versucht, und wie er selbst an seinen damaligen Freud Wilhelm Fließ vor 115 Jahren schrieb, war er in seine „Psychologie für den Neurologen“ geradezu „verrant, die mich regelmäßig ganz aufzehrt, bis ich wirklich überarbeitet abbrechen muß“.3 Es war Sigfried Bernfeld, der in seiner Biographiearbeit über Freud den Einfluß der deutschen Physiologie herausarbeitete: Freud hatte unter Ernst von Brücke, einem Vertreter der sog. Helmholz-Schule in Wien (vgl. etwa
Bernd Nitzschke: Freud und die akademische Psychologie), studiert; der im verlinkten Artikel erwähnte Sigmund Exner hatte gerade einen „Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen Erscheinungen“ (1894) veröffentlicht. Bei Durchsicht dieser Einführung - ursprünglich in einen Band über Freuds Verhältnisse zur akademischen Psychologie (aber anscheinend mit leichten Abänderungen!), springt mir diese Aussage in Auge:
Bernd Nitzschke schrieb:
Freud meinte, die Psychoanalyse habe den „Primat im Seelenleben für die Affektvorgänge“ (1913, 402) erkannt. Nimmt man diese Aussage Freuds zum Ausgangspunkt einer näheren Bestimmung, so ließe sich sagen: Die Psychoanalyse beschäftigt sich als „Spezialwissenschaft“ mit den Derivaten intrapsychischer und interpersoneller „Affektvorgänge“.
Eine solche Aussage läßt mich ein wenig stutzen, angesichts einer von Freud an anderer Stelle mehr nur rhetorisch geforderten wünschenswerten Durchführung einer Analyse einer „Reihe anderer Affekte“ (Freud 1926). Freud selbst hat sich eben besonders mit der Angst befaßt - seine Konzeption einer Signalangst hat auch die Neurowissenschaftschaft anerkennen müssen. Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe, in der zunächst eine soziale Angst (Angst vor Bestrafung bzw. Liebesverlust) erlebt werde, leitete er bspw. das Schuldgefühl ab und erst nach der Verinnerlichung eines Über-Ichs, das „das Ich mit nämlichen Angstempfindungen [peinigt]“ sei es ihmgemäß möglich, von einem Gewissen zu reden (vgl. Freud, 1930). Verschiedenste Emotionen, wie etwa Ekel (Abscheu) oder Scham, Liebe und Haß, hat er weniger aus seiner Deutungsarbeit heraus theoretisch aufgegriffen, und hat sie vielmehr in einem abstrakten, fast metaphorischen Sinne gebraucht, etwa wenn er etwa feststellte: „Der Haß ist als Relation zum Objekt älter als die Liebe, er entspringt der uranfänglichen Ablehnung der reizspenden Außenwelt von seiten des narzißtischen Ichs“ (Triebe & Triebschicksale) Eine sehr verbeitete psychoanalytische Theorierichtung (die von Melanie Klein begründete) nahm ihren Ausgang von einem wörtlichen Verständnis dieser Freudschen Aussagen.
Ob Freuds theoretische Ansätze einen kohärente Entwurf einer Affektlehre ergeben ist zwar fraglich, aber es sollte auch nicht heißen, daß die klinische Psychoanalyse Emotionen praktisch vernachlässigt hätte; Psychoanalytiker jedenfalls, die sich theoretisch mit Affektproblemen beschäftigten, standen schließlich vor gewissen Schwierigkeiten, ihre klinischen Erfahrungen ins Freudsche Theoriegebäude zu integrieren. Wie dem auch sei, auf die frühen Freudschen Ausarbeitungen nimmt Solomon mehr oder weniger explizit bezug, wenn er diese Bezugnahme im Hinblick auf die spätere Theoriebildung Freuds denn auch durchaus zu Recht verallgemeinert, wenn er feststellt: „Freud mutmaßte, daß Gefühle [passions] – bei ihm gibt es 'Affekte', 'Impulse', 'Triebe', 'psychische' repektive 'libidinöse Energien' oder 'Kräfte' – nichts anderes seien als der Druck einer zu bestimmenden Quantität ('Q') seelischer Energie, die durch die neu eingeführten Kanäle oder Neuronen des Nervensystems zirkuliert.“ Tatsächlich hatte Freud Mitte der 1890er Jahre tatsächlich mit der Konzeptiualisierung dessen begonnen, was in die Wissenschaftsgeschichte als Triebtheorie eingehen sollte. Und aus ihrer Basis eine psychoanalytische Affektlehre abzuleiten, mußte wohl zu theoretischen Widersprüchen führen.
Eine zentrale Absicht seines „Entwurfes einer Psychologie“ – wie das posthum veröffentlichte Manuskript Freuds von den Herausgebern benannt wurde – war es „nachzusehen, wie sich die Funktionslehre des Psychischen gestaltet, wenn man die quantitative Betrachtung, eine Ökonomik der Nervenkraft, einführt“ (zit. nach a.a.O, S.377), um letztendlich das psychpathologische Phänomen der Abwehren wissenschaftlich erklären zu können. Hier sei zunächst an die Hysterie seines Zeitalters erinnert, das man als viktorianisch bezeichnet hat. Eine bekannte Symptomatik von Hysterien sind Konversationsstörungen. (In einem anderen Zusammenhang war ich darauf eingegangen, was unter solchen Symptomen zu verstehen sei:
http://www.geschichtsforum.de/712438-post77.html)
Mit seinem Kollegen Joseph Breuer (vgl. auch
http://www.geschichtsforum.de/284899-post7166.html) publizierte Freud bekanntlich über die Hysterie, von der sie behaupteten, daß sie ein Leiden an Reminiszenzen (=Erinnerungen) sei; gemäß ihrer Erfahrung verschwanden die Krankheitssymptome, wenn die Erinnerung an Ereignisse mit den dazugehörigen Affekten wieder durchlebt wurde. In dieser frühen Phase der Freudschen Theoriebildung ist es ein „eingeklemmter Affekt“, der krankheitsverusachend wirkt, der in einer ursprünglichen (traumatischen) Situation nicht abgeführt werden konnte; dabei sprechen Breuer & Freud in den „Vorläufigen Mitteilungen“ von energischen Reaktionen, die sowohl willkürliche als auch unwillkürlichen Reflexen umfassen, „in denen denen sich erfahrungsgemäß Affekte entladen“, sei es in Handlungen, durch sprachlichen Ausdruck (als „Surrogat“) oder auch Gedankenarbeit („Reproduktion in Zuständen ungehemmter Assoziation“). Affekte werden hier als Entladungsphänomene betrachtet.
Im Hinblick auf die später von Freud weiter ausgearbeitete Modellvorstellung der Seele ist es interessant, einen Blick auf den von Breuer verfaßten theoretischen Teil der Studien über Hysterie zu werfen: Im wagen Anschluß an Janet (Etat Mental II) heißt es im zweiten Abschnitt über die Annahme einer „Nervenspannung“, auch als „intrazerebrale tonische Erregung“ bezeichnet und die in den „Leitungsbahnen“ des Zentralnervensystem in einem gewissen Maß bestehe , heißt es, daß den Abstufungen vom Wachen bis zum Schlaf "niedrigere Erregungsgrade [entsprechen]“; der optimale Erregungsgrad, wie man im Anschluß an Breuer formulieren könnte, entspricht dem „arbeitsbereiten“ Gehirn, während sich Breuer eine tatsächliche „Arbeitsleistung“ dann so vorstellt, daß etwa „die Konzentration der Aufmerksamkeit auf ein Sinnesgebiet die Leitungsfähigkeit der anderen Hirnorgane absinken macht, daß also das Gehirn mit einer wechselnden, aber begrenzten Energiemenge arbeitet.“ Er greift dazu übrigens auf Exners Begriff der „attentionellen Bahnung“ zurück, die demnach zu einer ungleichmäßigen Verteilung der Intrazerebralen tonischen Erregung führe. Während das, was man umgangssprachlich als Nervösität bezeichnet, noch einer „gleichmäßigen Erhöhung der tonischen Erregung“ entspricht, gibt es schließlich noch einen Zustand der „Aufregung“, der einer „ungleichmäßigen Überrerregung“ entspricht. Ferner nimmt Breuer einen „im Lebensprozess der Hirnelementen selbst begründet[en]“ Restitutionsprozess („Entwicklung von Energie“) an, der zur Freisetzung von funktionell verwertbarer Energie führt und die „intrazerebrale Erregung“ steigere; bleibt solch freie Energie aber unverwertet, etwa durch Versagung eines organismischen Bedürfnisses, werde ein Unlustgefühl erzeugt, was heißt, daß die „Wegschaffung des Erregungsüberschusses ein Bedürfnis des Organismus“ sei. Damit wird formuliert, was wohl Freud selbst als „Tendenz zur Konstanterhaltung der intrazerebralen Erregung“ verstanden wissen wollte, da es als Zitat gekennzeichnet ist. Alfred Hirschmüller (1978) mutmaßt aber, daß es bezüglich dieses Konstanzprinzips zwischen Breuer & Freud durchaus Meinungsverschiedenheiten gab: Während Breuer an ein Konzept dachte, das später unter den Begriff der Homöostase gefaßt wurde, konzeptualisierte Freud primär eher eine Neuronenträgheitstheorie mit der Zusatzannahme eines Konstanzprinzips: Die „Primärfunktion“ des Nervensystems besteht zunächst in der Tendenz, „sich eintreffender Erregung sofort zu entledigen und somit erregungsfrei zu bleiben“ (S.215) Dieser Trägheitsfunktion stellt Freud eine sekundäre Funktion zur Seite, nämlich die modifizierte Tendenz, „die Quantität (Qἡ) wenigstens möglichst niedrig zu halten und sich gegen Steigerung zu wehren, d. h. konstant zu halten.“
Man mag darüber streiten, ob es wirklich ein entscheidender Unterschied ist, wie Breuer „die Erhaltung eines optimalen Niveaus“ zu postulieren, oder wie Freud, eine „Tendenz zur Erniedrigung der Erregungssumme“, aber ich halte es persönlich gerne mit Hirschmüllers Ansicht, daß er fundamental ist, und zwar aus einem etwas komplizierteren Grund:
Freud arbeitete seinerzeit an einem Vorläufer seiner Triebtheorie, einer ziemlich simplen Sexualtheorie, in der Breuer ihm nicht folgen wollte. In bezug auf die Affektlehre spricht man auch von der ersten Angsttheorie Freuds, in der (neurotische) Angst als „mechanische Libidostauung“ (Mentzos) konzeptualisiert wird und die er erst kanpp 30 Jahre später zu revidieren begann, indem er seine frühere Auffassung, zurückweist, „die Besetzungsenergie der verdrängten Erregung werde automatisch in Angst verwandelt.“ (Freud, 1926) Obzwar sich Freud an dieser Stelle in das Argument flüchtet, daß er damit keine „metapsychologische Darstellung“, sondern lediglich eine „phänomenologische Beschreibung“ hatte geben wollen, revidiert er sich an späterer Stelle in der zitierten Arbeit sogar explizit: „Wenn ich mich früher begnügt hätte zu sagen, nach der Verdrängung erscheint an Stelle der zu erwartenden Äußerung von Libido ein Maß von Angst, so hätte ich heute nichts zurückzunehmen. […] Aber ich gestehe, ich glaubte mehr als eine bloße Beschreibung zu geben, ich nahm an, daß ich den metapsychologischen Vorgang einer direkten Umsetzung der Libido in Angst erkannt hatte.“
(Fotsetzung im Beitrag)