@Sepiola: Ich werde Deine Fragen/ Kommentare Stück für Stück abarbeiten, dass kann aber etwas dauern - bitte hab entsprechend Geduld.
Grundsätzlich ist es schwer, bei nur etwa 50 epigraphisch belegten venetischen Wörtern (plus dem, was uns Eigennamen vielleicht verraten) venetische Entlehnung direkt zu beweisen. Hier müssen
Plausibilitätsüberlegungen mit heran gezogen werden. So aus dem Bauch heraus, aber sicherlich ergänzbar, fallen mir dazu folgende Kriterien ein:
- Beschränkung des heutigen Wortgebrauchs auf den ehemals venetischen Sprachraum bzw. dessen Einflusszone;
- Indoeuropäische Wurzel (Es wird wohl auch etruskische bzw. vor-indoeuropäischen Wurzeln geben, die durch Veneter entlehnt und dann weiter verbreitet wurden, aber diese Fälle sind nur in Einzelfällen plausibel zu machen);
- Wort-/ Bedeutungsdubletten ab dem klassischen Latein, jedoch kein lateinischer Beleg vor Vergil/ Titus Livius, als Indiz (nicht Beweis) möglicher lateinischer Entlehnung während der Adstrat-Phase. Hier sind mtlesende Altphilologen (zu denen ich mich nicht zähle) für Gegennachweise gefragt und willkommen. Dass vorklassische lateinische Texte nicht gerade häufig sind, und somit ein Gegennachweis nicht immer möglich ist, ist mir bewusst.
- (Spezialfall zu 3): Rückführbarkeit solcher lateinischen Dubletten auf gleiche IE-Wurzel mit unterschiedlicher Lautentwicklung -ein klarer Entlehnungsbeweis. Hier muss dann zusätzlich der "venetische Charakter" der abweichenden Lautentwicklung belegt werden.
- Entlehnung aus einer anderen in Frage kommenden Sprache, insbesondere aus dem Keltischen, unwahrscheinlich.
Gehen wir mal die in Frage stehenden Wörter durch:
Cargo: Für lat.
carrus wird allgemein keltische Entlehnung angenommen, dies gilt dann implizit auch für die Ableitung
carricare (auf einen Wagen laden).
carrus - Wiktionary
Die venezianische Variante
cargo bezeichnet ursprünglich und bis heute ein
Frachtschiff, der Bedeutungswandel auf die Fracht selbst erfolgte erst im NW-europäischen Entlehnungsprozess. Begriffsübertragung vom Transportmittel an Land auf ein Seefahrzeug erfolgte sicherlich an der Küste, also eher bei Venetern als bei den Kelten (wobei hier grundsätzlich aber auch Ligurien in Frage kommt). Wie weit die Veneter vor dem Kontakt mit Kelten schon ein Wort k
arros o.ä. kannten und nutzten, wissen wir nicht. Ihr antiker Ruhm als Pferdezüchter und Wagenlenker (vgl. die diversen venetischen Ehrinschriften für
ekvopetarius) macht dies nicht unplausibel. Letztendlich ist jedoch nur keltische Entlehnung belegbar, alles weitere bleibt spekulativ.
Litus (Lido): Scheinbar keine vorklassische Nennung, Gehäuft bei Vergil, dort auch mit der breitesten Bedeutung (einschl. Küstenland, sowie Flussufer, sonst lat.
ripa, welches Horaz auch für das Meerufer verwendet). Breite Verwendung auch bei Catull (*Verona), sowie bei Cicero (wer war früher?). Ciceros "litus atque aer" ist ein Zitat (von wem?). Die Tatsache, dass Cicero an anderer Stelle "litus" definiert bzw. zu diesem Begriff Rücksprache gehalten werden musste (Dig. 50, 16, 96: “
solebat Aquilius quaerentibus, quid esset litus, ita definire: qua fluctus eluderet”) spricht gegen traditionellen lateinischen Gebrauch.
https://books.google.de/books?id=IY...Q#v=onepage&q=In Litus arenas fundere&f=false
Pokorni führt den Begriff auf IE *lei "giessen, fliessen, tröpfeln" zurück, mit Parallelen v.a. im Keltischen (cymr.
li, corn.
lyf "Flut, Meer, Überschwemmung", bret.
linva "überschwemmen"), "vielleicht hierher lit.
Lietuvà ("Küstenland')" Ich würde
spekulativ auch noch Lydien (kleinasiatische Küste) anschließen.
Pokorny's dictionary : Query result
An der italienischen Westküste sind keine (vor-neuzeitlichen) Lidos zu finden, dort dominiert "Marina". Der Name
"Ligurien", sowie
Loano bei Savona (vorröm. Besiedlung) könnten ebenfalls auf IE *lei rückführbar sein; in diesem Fall aber mit abweichender Lautentwicklung. Bei
Latte (westl. Vorort von Ventimiglia, bis 12. Jh. noch San Bartolomeo) würde ich auf frühe venez. Entlehnung tippen.
Loano - Wikipedia
http://it.wikipedia.org/wiki/Latte_(Ventimiglia)
Alle vorgenannten Kriterien zeigen auf ein vom Latein entlehntes venetisches Wort. Kontinentalkeltisch kommt geographisch bzw. lautlich (Ligurien) kaum in Frage. Da stellt sich dann die Frage, wieso dieses venetische Wort die engsten Parallelen im Walisischen, Bretonischen und im Ethnonym "Litauer" hat. Und Lydien ist zwar nicht Paphlagonien, jedoch auch nicht allzuweit davon entfernt.
Versorium ist vielleicht müssig zu diskutieren, weil die Erfindung in eine Zeit fiel, in der Venetisch als eigenständige Sprache schon verging.
Pflug ? Wikipedia
In den 70er Jahren des 1. Jhs. n. Chr. beschreibt
Plinius der Ältere in seiner Naturgeschichte 18,172 den Räderpflug mit breiter Schar zum Wenden der Scholle als neue Erfindung der
rätischen Gallier
Rätische Gallier? Plinius hätte da schon etwas präziser sein können, aber allzuweit entfernt vom Veneto kann die Erfindung nicht erfolgt sein. Im Ursprungsgebiet erhielt sie einen spezifischen Namen, den das übrige italien nicht übernahm.
Hier ist die lateinische Dublette
vertere -
versare auffällig. Gleiche indoeuropäische Wurzel *uer-t-, aber zwei unterschiedliche Lautentwicklungen. Eine der beiden Dubletten wurde offensichtlich entlehnt, und der Blick auf
Versorium zeigt, welche dies war. Dummerweise ist die Quelle der Entlehnung unklar. Venetisch mit seinem "th" statt "t" liegt nahe, ist jedoch nicht der einzige Kandidat:
Pokorny's dictionary : Query result
osk. umbr. vorsus ein Ackermaß ist ein Terminus der röm. Siedler in Campanien (M. Leumann) (..)
cymr. gwerthyd `Spindel', acorn. gurhthit gl. `fusus', abret. Pl. guirtitou gl. `fusis', mbret. guersit ds.; (..) mcymr. gwrth, ncymr. wrth, corn.orth, bret. ouz `gegen' (zur Grundform s. Thurneysen Grammar S. 515, Jackson Language and History S. 337); cymr. gwerthu `verkaufen', corn. gwerthe, bret. gwerza ds. (aber cymr. gwerth `Preis' kann ags. Lw. sein);
Jemand hat da schon ein bisschen tiefer gebuddelt, auf die Schnelle konnte ich jedoch nichts entdecken, was uns hier weiterhilft. Vielleicht hat jemand anders da mehr Glück..
https://books.google.de/books?id=HO...6AEwAA#v=onepage&q=etymologie vertere&f=false
"
Gondola" wird aus dem
Griechischen hergeleitet.
Dann schau mal hier -die griechische (byzantinische) Wurzel wird aus dem Italienischen hergeleitet. Da beisst sich die Katze buchstäblich in den (kurzen) Schwanz..
???????? - Wiktionary
Gehen wir die Ableitungskette weiter zurück, erhalten wir Folgendes:
Kontur ? Wiktionary
aus gleichbedeutend italienisch:
contorno; zu dem mittellateinischen Verb
contornare =
einfassen gebildet; aus dem Präfix
con- =
mit,
zusammen und dem Verb
tornare =
drechseln,
runden; von griechisch:
τορνεύειν (torneúein) =
drechseln,
drehen
Mich persönlich überzeugt die Ableitung "Gondel" aus "gedrechselter Einfassung" bzw. "contorno" (Essensbeilage) nicht wirklich. Auch der lautliche Weg von "tornare" zu "-dola" ist durchaus erklärungsbedürftig. Die von Gerhard Koebler vorgeschlagene Ableitung von IE
*kent ("stechen", besser "staken") passt da schon eher.
gondola, gondula, gundula, gundola | wikiling
Lat.
contus (Schifferstange) gilt als entlehnt von gr. κοντός, und taucht zuerst bei Vergil und Titus Livio auf - der Weg von Griechenland nach Rom führte also offenbar über Veneter.
contus - Zeno.org
Benötigten die Veneter bei der Schiffahrt wirklich Nachhilfe aus Griechenland? Die Technik des Stakens ist ja nicht unbedingt revolutionär. Seichte Gewässer gibt es jedefalls rund um die Po-Mündung deutlich mehr als in der Ägäis..
Dazu hätte ich gerne etwas mehr Hintergrund. Was ich mir so zusammengefummelt habe, scheint die Ableitung auf dem vulgärlat.
iactare zu basieren, das den Reichenauer Glossen entstammt:
Glosas de Reichenau - Wikipedia, la enciclopedia libre
Sowohl
iactare als auch das klassische
iacere haben ihre eigenen Nachfolger in den romanischen Sprachen, z.B. von Lat.
iacere Frz.
gésir (liegen, begraben sein), Ital.
giacere (legen), Span.
yacer (daliegen); von
iactare Frz.
jeter (werfen
), Ital.
gettare (werfen, legen, säen, Metall gießen), Span.
echar (werfen, eingießen).
Vulgar Latin vocabulary - Wikipedia, the free encyclopedia
Über diese unterschiedlichen Ableitungen hat sich sicher jemand Gedanken gemacht, aber die eine oder andere lautliche Entwicklung ist mir nicht ganz klar: Wo kommt das zusätzliche "t" im vulgärlat.
iactare her, und wieso fällt es in Spanisch
echar wieder aus?
[Span.
jitar ist nur um Huelva verbreitet, und kommt "nebenan" im Baskischen als
jito (Abtrieb, Drift) und
jeito (Netz zur Sardinenfischerei) vor. Für letzteres wird gallische bzw. asturische Herkunft angenommen (S 894).
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...fT5GD8duome_Y6Vx82287tQ&bvm=bv.81828268,d.d2s
"Portugiesisch"
geitar scheint lediglich mittelalterlich belegt, u.a. aus den
nordspanischen Glosas Silenses und Glosas Emilianas (11. Jhd). Aufgrund einiger dort enthaltener Germanismen darf man durchaus auch über suebische:winke: bzw. westgotische Entlehnung (got.
giutan -"giessen")
spekulieren.
Castellano ]
Dann das initiale "G" in
giacere und
gettare. Für Standard-italienisch, wo es wie "dj" ausgesprochen wird, verstehe ich die Entwicklung aus lat. "Ia" ja noch. Aber wie wird lat."Ia" zu hartem venezischen "gh"? Mich würde dann auch interessieren, ob sich Etymologen im Zusammenhang mit frz.
jeter schon mal Folgendes angesehen haben:
Foclóir Gaeilge?Béarla (Ó Dónaill): sceith
In jedem Fall lebt das lateinische
fundere (Erz giessen) in ital.
fonderia, frz.
fonderie, auch engl.
foundry fort
. Was veranlasste also die Venezianer,es durch
Ghetto bzw.
gettare zu ersetzen? Technologische Überlegenheit der Goten dürfte es kaum gewesen sein, dies widerspräche allen archäologischen Befunden zur Reichweite der Exporte venetischer Metallwaren. Bleibt eigentlich nur, dass die Veneter immer schon ein Wort benutzten, dass das Initial "gh" des indoeuropäischen *gheu (giessen) treuer bewahrte als Latein. Solche längere Bewahrung des "gh" ist ja auch eine der Grundannahmen für das Ostalpenindogermanische.
Indo-European etymology : List with all references
[Mehrere venetische Graburnen, z.B, Es 84, 111, 112, enthalten "
(e)getorei". Dies wird traditionell zwar als Patronym begriffen, aber die Parallele zu frz. "ci-git" ("Hier ruht, liegt begraben"), von
gésir, drängt sich auf.]
Schließlich zu
Bronze: Ausführliche Diskussion:
http://www.persee.fr/web/revues/home/prescript/article/bspf_0249-7638_1922_num_19_2_11974
Die dort erwähnte mögliche byzantinische Wurzel (aus einem in
Venedig gefundenen Manuskript des 11. Jhd.) wird hier als Entlehnung eingestuft;
https://books.google.de/books?id=tz...0CCQQ6AEwAA#v=onepage&q=bronze birinj&f=false
Gute Zusammenfassung (mit weiteren Links) hier. Ob die Ableitung "
fnhd. brunz 'Urin; *flüssiges Metall' > it. bronzo" wirklich ernst gemeint ist, ist mir allerdings nicht ganz klar.
Diskussion: Bronze