Eigentlich OT, aber mE wichtig:
Falls meine Anmerkungen, ebenfalls OT, in einen anderen Thread sollen -kein Problem. Aber ich sehe meinerseits hier einigen Korrekturbedarf.
Es bleibt mE dabei, dass Germanien wirtschaftlich eniger entwickelt war als Italien, Gallien oder auch Süd-England. Entwickelt wohl gemerkt; die klimatischen ua Voraussetzungen mögen da gewesen sein, aber die sozialen nicht, und darauf wies ich hin.
Vorweg das unstrittige: Den Germanen fehlte die hellenistische schriftliche Tradition, und damit das, was unseren heutigen Begriff von Wissenschaft prägt. Alles "Germanische" damit auf "Handwerk" zu reduzieren, greift aber zu kurz - es gab mündliche Tradition, vermutlich auch ein "Lehrlings"-System (Wanderjahre?). Die Germanen hatten sehr wohl
Mechanismen zur Wissenserweiterung und -vermittlung, die den mediterranen nicht unbedingt unterlegen sind (vgl. die aktuellen Diskussionen um den deutschen "Facharbeiter", oder die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa). Diese Systeme sind jedoch archäologisch schwer fassbar.
Ein Aspekt der fehlenden Schriftlichkeit ist die ebenfalls hellenistische Mathematik, und darauf berhuhende Disziplinen wie
Vermessung und Ingenieurwesen. Auch hier steht der hohe römische Entwicklungsstand ausser Frage. Aber Wasserwaage und Lot wird den Germanen auch nicht fremd gewesen sein. Wer sich germanische Hausgrundrisse von manchmal über 30m Länge ansieht, merkt schnell, dass der Holzbau absolut "state of the art" war - bloss Steinbau war halt nicht "ihr Ding". Laut Tacitus badeten die Germanen täglich, hatten wohl eine Sauna in oder am Haus. Die Römer nutzten öffentliche Bäder. Letztere hat man ausgebuddelt, die Saunen sind verrottet.
Geldnutzung, Städte, eine arbeitsteilige, hierarchische Gesellschaft und alles, was da dran hängt, fallen nicht vom Himmel.
Geldnutzung: Zunächst einmal wurden durchaus Nachahmungen römischer Münzen gefunden. Bevor jetzt "Ja, Nachahmungen.." kommst -keltische Münzen waren nichts anderes, nur dass dort griechische Münzen imitiert wurden. Und der US-Dollar ahmt namentlich den Taler nach. Auf den britischen Inseln begann das Münzwesen erst kurz vor Christi Geburt. Große Entwicklungsunterschiede zu Germanien, auch zeitlich, sind da nicht zu erkennen.
Viel wichtiger aber ist, dass Geld nicht mit Münzen verwechselt werden darf. Wer sich heutzutage anhand des Münzumlaufs ein Bild über den internationalen Finanzsektor machen will, wird kläglich scheitern. Wir kennen bronzezeitlich auf später germanischem Gebiet schon die standardisierten kupfernen "Ösenringe", vermutlich auch Bernstein, als verbreitete Zahlungsmittel. Die Wikinger hatten das Hacksilber, basierend auf genormten bleiernen "Silbergewichten", deren Kartierung sehr gut die Abgrenzung norwegischer, dänischer und schwedischer Einflusszonen im Frühmittelalter erlaubt. Aus der Verbreitung runder Metallplättchen mit Kaiserbild lässt sich nicht auf die Geldnutzung schliessen - in Germanien können ganz andere Geldformen verbreitet gewesen sein.
Städte: Dass Germanen anders, aufgelockerter siedelten, ist unstrittig. Begriffe wie "Ackerbürger", "Reihenhaus" und "Schrebergarten" deuten auf eine lange Tradition, die wenig mit der griechischen "Polis" gemein hat. Im funktionalen Sinn, d.h. als Orte mit zentralen politischen, religiösen, Rechtsfindungs- und Handelsfunktionen, wimmelte es in Germanien nur so von Städten - wohl alle 30 km ein regionaler Hauptort. Dies war kein Rom, auch kein Köln - wobei Marobodum wohl auch nicht ganz klein war, und Hauptorte einiger Stämme, wie das chattische Mattium, den Römern durchaus gezielte Vernichtungszüge wert waren. Hier stellt sich jetzt wieder die Frage des Bezugssystems: Vergleiche ich Berlin mit Paris, ist die "Reihenfolge" letztendlich klar. Schaue ich dann auf Hamburg vs. Marseille, München vs. Lyon, Köln vs. Toulouse, Dortmund vs. Lille etc. (
jeweils die Städte, nicht die Fussballvereine:winke

, kehrt sich das Ergebnis um.
Arbeitsteilung: Hatten wir eigentlich schon - Blei aus Brilon, verhandelt nach Soest-Ardey, wo es zu Pfannen für Salzsieder in Soest und Werl verarbeitet wurde, und die Salzsieder sind sicherlich auch nicht selbst Brennholz sammeln gegangen. Metallverarbeitung ist flächendeckend belegt, und was die Duisburger Stadarchäologie da so am Kaiserberg ausgegraben hat, sieht ziemlich nach spezialisierter Textilherstellung aus (kein Wunder, Flachs wächst deutlich besser in der Börde als im Mittelgebirge, dort gibts dafür Brennholz und Metalle).
Der Mythos vom
Eisenmangel ist offenbar nicht tot zu kriegen, obwohl die Archäologie längst das Gegenteil bewiesen hat. Die norddeutsche Tiefebene verfügte mit Raseneisenerz über einen einfach abzubauenden und zu verhüttenden Rohstoff. Die Germanen mussten sich nicht zwischen Schwertern und Pflugscharen entscheiden - es gab genug Eisen für beides, Scheren für die Hausfrau waren auch noch drin. Und wenn es keine spezialiserten Zimmermänner gab, wurden sie eben durch die Axt im Haus ersetzt. Alles in einer sozial wenig differenzierten Gesellschaft, also als Massenartikel, die irgendwer auch in entsprechenden Massen schmiedete, nachdem das Eisenerz in entsprechender Menge verhütter worden war, wofür jemand aus waldreicheren Gebieten Holzkohle produziert und geliefert hatte...
Du willst hier nicht werten, und das glaube ich Dir. Aber die von Dir angelegten Maßstäbe sind alles andere als neutral. Im Endeffekt basiert Deine Einschätzung, überspitzt gesagt, auf Münzen mit Kaiserbild, Thermen und Thriumphbögen. Diese dokumentieren v.a. Macht(-anspruch), nicht Entwicklung. Aus dem Glanz Roms und anderer Zentren lässt sich nicht auf das römische Reich als Ganzes schliessen, dieser Glanz ist ebenfalls zunächst Ergebnis und Ausdruck der Zentralisierung von Macht.
Warum gingen Germanen in römische Dienste? Etwas von der Welt sehen, vielleicht auch dem ländlich-kleinstädtischen Provinzialismus entfliehen.. [
Warum gehen Schwaben nach Berlin - weil es Schwaben wirtschaftlich so schlecht geht?] Wetter, Küche, andere Frauen, schnellere Pferde, Stress mit dem Bürgermeister, der beste Kumpel ist auch schon da - tausend mögliche Gründe. Ausserdem war Rom (und später Bagdad und Konstantinopel) an germanischen "Fachkräften" interessiert, warb vielleicht sogar aktiv um sie.
Was bleibt, ist zweierlei:
- Der demographische Druck innerhalb Germaniens stieg kontinuierlich, während die Bevölkerungszahl des römischen Reichs sich nie von den Epidemien des 2./3. Jahrhunderts erholte. Dies spricht nicht für Unterlegenheit der germanischen Landwirtschaft.
- Den Germanen gelang es nicht, ausreichend neue nicht-landwirtschaftliche Arbeitsplätze aufzubauen, d.h. sich quasi zum "Exportweltmeister" ins römische Reich zu entwickeln. Die Gründe hierfür mögen vielfältig gewesen sein - ein "inkompatibles" Wirtschaftsmodell, römische Einfuhrbeschränkung, Stagnation des römischen Markts infolge geringer Massenkaufkraft und fehlendem Bevölkerungswachstum - oder eben auch germanische technologische Rückständigkeit und/oder Fehlen leistungsfähiger mittelgroßer Betriebe inmitten des dezentralen "Klein-Kleins".
[Dies könnte eine spannende Diskussion werden, die wir dann aber definitiv in einem separaten Thread führen sollten].
Das (west-)römische Reich zerfiel nicht ohne Grund. Nach seinem Verfall, unter germanischer Führung, waren die Paläste zwar weniger prächtig, die Bewohner der Hütten aber deutlich besser genährt..