aber ich kann auch Merkmale eines "totalen Krieges" im 1.Weltkrieg ausmachen. Z.B. in dem das zivile Leben, anders als in "Kabinettkriegen", militärischen Zwängen unterworfen war:
- Lebensmittel- und Tabakrationierung auf Karten
- Arbeitskräftemangel und vermehrt Frauen in der Industrieproduktion und Landwirtschaft
- Angriffe auf Zivilgebäude (und Schiffe)
- Levée en masse machte auch vor Schülern nicht halt
Dem ist aus meiner Sicht völlig zuzustimmen und es deckt sich auch mit der aktuellen Diskussion der Militär- und Kultur- Historiker, wie kurz gezeigt werden soll.
Die beiden Weltkriege waren in der Dimension einzigartig, auch aufgrund der engen historischen Verknüpfung des WW2 mit seinem Vorgänger. Deswegen ist es aus meiner Sicht nicht angemessen, sie zu „relativieren“ und sie als nicht singuläre Ereignisse neben beliebige andere Kriege zu stellen, die dann als „Weltkriege“ bezeichnet werden.
In diesem Sinne mag man durch jede Epoche streifen und – glauben - Weltkriege lediglich aufgrund ihrer geographischen bzw. globalen Merkmale erkennen zu können, aber es gibt nur zwei explizite Weltkriege, deren Merkmale vor allem die “Totalität“ waren. [7, S. 5ff]
Allerdings ist bei der Darstellung des Themas zu beachten, dass es sich bei dem Konstrukt „Totaler Krieg“ zum einen, im Sinne von W. Weber, um ein idealtypischer Konstrukt handelt, das eine empirische feststellbare Realität der Analyse zugänglich machen will. [4, S. 16] Und zum anderen umfasst es die Gesamtheit der einzelnen empirisch zu beobachtenden Sachverhalte, wobei sie nie so total in der Realität sein können, dass der Zustand eines 100 prozentigen „Totalen Kriegs“ erreicht wäre. In diesem Sinne ist die Beschreibung des „Totalen Krieges“ nur eine Annäherung an den „totalen Totalen Krieg“. [4, S. 26]
Bei der Diskussion über „Total War“ gehen allerdings nicht selten unterschiedliche Ebenen durcheinander. Das Konzept wird mindestens zur Beschreibung für drei verschiedene Aspekte genutzt.
1. Zur Beschreibung eines kompletten Krieges, wie den WW 1 oder den WW 2
2. Zu Beschreibung operativer Kriegsführung, wie beispielsweise für den Dreißigjährigen Krieg, den Siebenjährigen Krieg und für den amerikanischen Bürgerkrieg
3. Als Kriegsführung aus der Sicht eines Landes, um die unterschiedlichen Grade der Beteiligung bzw. Mobilisierung zu beschreiben wie im Falle des Vietnam-Krieges für Nordvietnam eine „totale Kriegsführung“ und die USA eine „begrenzte Kriegsführung“.
Meine Betrachtungen sind im wesentlichen auf die Beschreibung des kompletten Krieges, wie unter 1., ausgerichtet.
Der zentrale Ausgangspunkt für die Bewertung des Konzepts des „Totalen Krieges“ ist in der Regel die Überlegung von Clausewitz (Vom Kriege: Achtes Buch), der diesen Begriff jedoch nicht verwendet hatte [10, S. 116ff].
Relevant ist an der Sicht von Clausewitz, dass er in seinem „absoluten Krieg“ die Kriegsführung nicht mehr auf die feindliche Streitmacht fokussiert sieht, sondern die Völker bekämpfen sich und umfassen dabei alle Bereiche der Gesellschaft, inklusive König und Armee [10, S. 116ff]
In der Folge des ersten Weltkrieges wurde die Erfahrungen der Kriegsführung analytisch systematisiert und G. Clemenceau betrachtete die Kriegsführung als „la guerre intégrale“, während sie von Lundendorff im „Der totale Krieg“ aufbereitet wurden. Es ist jedoch mit G. Ritter und Generaloberst Beck anzumerken, dass sich die Verwendung bei Ludendorff deutlich, aufgrund des Primats des Militärischen, von dem „absoluten Krieg“ bei Clausewitz unterscheidet und das Ludendorff`sche Konstrukt nur in Teilen eine Überschneidung zum „modernen“ Konstrukt aufweist.
Bei der Sicht der „Evolution des Krieges“ seit den Napoleonischen Kriegen geht die Militär- und Kultur- Historie von einer zunehmenden Beschleunigung der Kriegsführung von „begrenzten Kriegen“ bzw. von „Kabinett-Kriegen“ in Richtung auf einen „Totalen Krieg“ aus und findet den vorläufigen Kulminationspunkt im Einsatz der A-Waffen über Japan.[4, S. 15 ff].
Die Merkmale, die angeführt werden, den WW 1 als „Totalen Krieg“ zu definieren, waren dabei vor 1914 entweder rudimentär oder voll entwickelt ,und wurden im Verlauf des Krieges zusammengeführt. Broadberry und Harrison fassen es folgendermaßen zusammen: „[WW II] was just World War I with more countries, more soldiers, more time, more guns, more death, and more destruction“ [3 S, 34]
Heuser formuliert ähnlich: „The First World War was indeed a step towards total war both in terms of resources drawn upon and effects on the population.“ Ähnlich formuliert es Howard: „a conflict not of armies, but of populations. [12, S. 93] Und Pate haben die „Kanonade von Valmy“ gestanden, in der das Prinzip des „Volkskrieges“ seine „Feuertaufe“ bestand und im amerikanischen Bürgerkrieg die zweite Erweiterung fand, dass durch den „Abnutzungskrieg“ auch direkt gegen die Bevölkerung ein Krieg gewonnen werden kann.
In der Folge der französischen Revolution entwickelte sich zum einen der Nationalstaat und die Fähigkeit zentraler Bürokratien umfangreich volkswirtschaftlichen Reichtum zu extrahieren: Und so formuliert Bailey im Zusammenhang mit der spezifischen Entwicklungsdynamik der militärischen Revolution (kurz „RMA“) in: „Two immense world conflicts resulted: The French War of 1792-1815 and the German War of 1914-1945.“ [1]
Diese herausragende Rolle des Nationalismus, als formierendes Prinzips des Nationalstaates und der Ausbildung der Triade, Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet, wird dabei generell als ein zentrales Element der Erklärung der Außergewöhnlichkeit der beiden Weltkriege angesehen, wie beispielsweise D. Kaiser [13, S. 237] Die einheitliche Steuerung dieser zivilisatorischen Errungenschaften der Moderne sind – unter anderem - die organisatorischen Voraussetzungen für die Führung eines „Totalen Krieges“.
Im Vorfeld des WW1 kam zu deutlichen Erhöhungen der Militärbudgets, auch um sich für einen kurzen und schnellen Krieg zu rüsten, [vgl. Ausgaben für die Nationen für die Armee 9, S.237 und vgl. nationale Budgets absolut und relativ 16, S. 1-8] Diese Überlegung war die Prämisse für die Kriegsführung , da bereits Schlieffen bewußt war, welche verheerenden Auswirkungen ein Krieg auf die Wirtschaft und die Gesellschaft hat. Und so war man, nachdem sich die offensive Kriegsführung – entsprechend dem napoleonischen Paradigma der „Vernichtungsschlacht“ - an der Marne ad Absurdum geführt hat, gezwungen einen Abnutzungskrieg zu führen [11].
Obwohl der intensive Rüstungswettlauf im Vorfeld des WW1 eine zentrale Voraussetzung für die Art der Kriegsführung in den ersten Monaten sein sollte, waren die beteiligten Nationen bis 1916 planerisch noch nicht auf eine „totale Kriegsführung“ eingestellt. [4] Es wirkte noch bis zu diesem Zeitpunkt die Fiktion des „kurzen Krieges“ nach und erst nach 1916 vollzog sich die drastische „Metamorphose“ und die Merkmale der „totalen Kriegsführung“ nahmen deutlicher Gestalt an, wie McNeill schreibt [15, S. 279ff]
Wirft man die Frage der Definition des „Totalen Krieges“ auf, dann sind aus der Sicht von Chickering, der die Diskussion über das Thema damit resümiert, folgende Aspekte relevant: „Total war is distinguished by ist unprecended intensity and extent.“ [4, S. 16] Ähnlich bei Black, der es teilweise noch ausführt und:“ …intensity of struggle…., the range (geographical and/or chronological) of conflict, the nature of goals, and the extend to which civil society was involved in war, not only as victims but also because of an unprecedented mobilization oft he resources of societies in ordert o permit a pursuit of war that was.“ [2, Pos. 59]. Obwohl die Definitionen nicht deckungsgleich sind, sind sie durchaus kompatibel.
Die Totalität der Kriegsführung zeigt sich vor allem an der Vermischung traditioneller militärischer und ziviler Bereiche. Deutlich wird das an der Frage der „Geburtenrate“, die im Zeitalter der Massenheere über die Wahrscheinlichkeit des Sieges bzw. der Niederlage entschied. Ein zweiter Bereich betrifft die Frage des Alphabetisierungsgrades, da die Kriegsführung an die Führungsfähigkeiten und an das technische Verständnis der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften deutlich höhere Anforderungen stellte. Es war somit die Qualität des Bildungssystems, neben den sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Ernährung einer anwachsenden Bevölkerung, die die industrialisierte Kriegsführung durch Massenheere erst ermöglichte. Es sollte aber auch auf die Fähigkeit zum sozialen Wandel einer Gesellschaft hingewiesen werden, die im WW1 beispielsweise dazu führte, in einem deutlich zunehmenden Umfang Frauen in der Rüstungsindustrie zu beschäftigen. Und somit neben der Auflösung der Dichotomie von Front und Heimat auch traditionelle Geschlechterrollen durch den „Zwang“ zur totalen Kriegsführung reformuliert wurden.
Die Auswirkungen der konsequenten Trennung zwischen Soldat bzw. Front und Zivilist bzw. Heimat als ein Aspekt der systematischen Totalität der Kriegsführung wird am deutlichsten an dem Instrument der „Blockade“. Zum einen des DR durch die RN und zum anderen durch den „uneingeschränkten U-Bootkrieg“ gegen die Zufuhr nach GB. Für die RN war dieses Instrument, wie Lambert zeigt, ein zentraler Aspekt der britischen Kriegsführung [14].
Diese britische Form des Handelskrieges wirkte sich langfristig auf den inneren Kollaps der „Heimat-Front“ im DR aus [8, S. 177ff] Mit den entsprechenden Rückwirkungen auf die Einschätzung der Fähigkeit zur weiteren Kriegsführung durch Ludendorff in 1918.
1.Bailey, Jonathan B.A. (2001): The First World War and the birth of modern warfare. In: MacGregor Knox und Williamson Murray (Hg.): The dynamics of military revolution, 1300-2050. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press, S. 132–153.
2.Black, Jeremy (2010 ©2006): The age of total war, 1860-1945. 1st Rowman & Littlefield ed. Lanham, Md.: Rowman & Littlefield Publishers
3.Broadberry, S. N.; Harrison, Mark (2005): The economics of World War I: an overview. In: S. N. Broadberry und Mark Harrison (Hg.): The economics of World War I. Cambridge, New York: Cambridge University Press, S. 3–40.
4.Chickering, Roger (1999): Total War: The Use and Abuse of a Concept. In: Manfred F. Boemeke, Roger Chickering und Stig Förster (Hg.): Anticipated total war. The German and American experiences, 1871-1914. Cambridge (GB): Cambridge University Press (Publications of the German Historical Institute), S. 13–28.
5.Chickering, Roger (2006, ©2000): World War I and the Theory of Total War. Reflections on the British and German Cases, 1914 - 1915. In: Roger Chickering und Stig Förster (Hg.): Great War, total war. Combat and mobilization on the Western Front, 1914-1918. Washington, D.C., Cambridge, UK, New York: German Historical Institute; Cambridge University Press S. 35–54.
6.Chickering, Roger; Förster, Stig (2009): Introduction. In: Roger Chickering und Stig Förster (Hg.): The shadows of total war. Europe, East Asia, and the United States, 1919-1939. Cambridge: Cambridge University Press S. 1–22.
7. Förster, Stig (2006): Introduction. In: Roger Chickering und Stig Förster (Hg.): Great War, total war. Combat and mobilization on the Western Front, 1914-1918. Washington, D.C., Cambridge, UK, New York: German Historical Institute; Cambridge University Press S. 1–16.
8.Fuller, J. F. C. (1992): The conduct of war, 1789-1961. A study of the impact of the French, industrial, and Russian revolutions on war and its conduct. New York: Da Capo Press.
9. Herrmann, David G. (1997, ©1996): The arming of Europe and the making of the First World War. Princeton, N.J.: Princeton University Press.
10.Heuser, Beatrice (2002): Reading Clausewitz. London: Pimlico.
11.Heuser, Beatrice (2010): The evolution of strategy. Thinking war from antiquity to the present. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press.
12.Howard, Michael (2010): Der Krieg in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zu den neuen Kriegen der Gegenwart. 2., aktualis. und erw. Aufl. München: Beck
13.Kaiser, David (1992): Kriege in Europa. Machtpolitik von Philipp II. bis Hitler. 1. Aufl. Hamburg: Junius.
14.Lambert, Nicholas A. (2012): Planning Armageddon. British economic warfare and the First World War. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.
15. McNeill, William H. (1984): Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft und Gesellschaft vom Altertum bis heute. München: C.H. Beck.
16. Stevenson, David (1996): Armaments and the coming of war. Europe, 1904-1914. Oxford, New York: Clarendon Press; Oxford University Press.