Unabhängig davon, ob der Verfasser nun außerchristliche/außerjüdische Kulte kannte oder nicht, scheint es mir nicht gänzlich an den Haaren herbeigezogen, dass er mit der Frau in Apk 12 Mutter Kirche mit ihren vielfältigen und zahlreichen Nachkommen meinen könnte. Es handelt sich um einen christlichen Verfasser, der sich an Christen wendet.
Zunächst einmal alle Verse in der Offb, die von der Himmelsfrau handeln:
(Kap. 12)
1. Und es erschien ein gross Zeichen im Himmel: ein Weib, mit der
Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füssen, und auf ihrem
Haupt eine Krone von zwölf Sternen.
2. Und sie war schwanger, und schrie in Kindesnöten, und hatte grosse Qual zur Geburt.
(...)
4. (...)Und der Drache trat vor das Weib, die gebären
sollte, auf dass, wenn sie geboren hätte, er ihr Kind frässe.
5. Und sie gebar einen Sohn, ein Knäblein, der alle Helden sollte
weiden mit eisernem Stabe. Und ihr Kind ward entrückt zu Gott und
seinem Stuhl.
6. Und das Weib entfloh in die Wüste, da sie hat einen Ort, bereitet
von Gott, dass sie daselbst ernähret würde tausend zwei hundert
und sechzig Tage.
(...)
13. Und da der Drache sah, dass er verworfen war auf die Erde,
verfolgte er das Weib, die das Knäblein geboren hatte.
14. Und es wurden dem Weib zween Flügel gegeben wie eines
grossen Adlers, dass sie in die Wüste flöge an ihren Ort, da sie
ernähret würde eine Zeit und zwo Zeiten und eine halbe Zeit vor
dem Angesicht der Schlange.
15. Und die Schlange schoss nach dem Weibe aus ihrem Munde
ein Wasser wie einen Strom, dass er sie ersäufte.
16. Aber die Erde half dem Weibe, und that ihren Mund auf, und
verschlang den Strom, den der Drache aus seinem Munde schoss.
17. Und der Drache ward zornig über das Weib, und ging hin zu
streiten mit den übrigen von ihrem Samen, die da Gottes Gebote
halten und haben das Zeugnis Jesu Christi.
Es gibt drei Möglichkeiten, wen oder was der Autor mit der Gestalt der Himmelsfrau im Sinn gehabt haben könnte. Jede dieser Deutungen hat mindestens eine Schwachstelle.
1)
Die Frau ist Maria, die Mutter des Christus. Diese Deutung liegt nahe, da auch in den Evangelien Maria als Mutter des Jesus erscheint. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zur evangelistischen Darstellung der Maria: die Erhöhung der Frau zum himmlischen Zeichen, ihre Flucht in die Wüste und ihre heftigen Geburtsschmerzen, die an den Fluch erinnern, der in Gen 3,16 von Jahwe der ´sündigen´ Eva auferlegt wird. Es erscheint doch unwahrscheinlich, dass der Autor durch dieses Merkmal, das alle torakundigen judenchristlichen Leser sofort an den ´Sündenfall´ der ersten Frau gemahnen musste, die Maria der Evangelien charakterisieren wollte. Auch stellt sich die Frage, ob er überhaupt - in Abhängigkeit von der Datierung der Offenbarung - Kenntnis von den kanonischen Evangelien hatte bzw. haben konnte.
Das Motiv der Flucht in die Wüste erscheint in der Tora in Gen 16, wo die schwangere Hagar in die Wüste flieht, um dort Jahwe zu begegnen. Er ´verheißt´ ihr einen Sohn, dessen Namen Ismael er selbst bestimmt.
Vermutlich hat der Offb-Autor diese Schilderung mit den Abläufen im Isis-Leto-Mythos verwoben. Im ägyptisch-griechischen Mythos flieht die von Seth-Typhon (Schlangendrache wie der Drache in Offb 12) verfolgte Isis auf eine Insel. Aus dieser Insel wird in der Offb, angeregt durch die Hagar-Geschichte, eine Wüste.
2)
Die Frau ist die christliche Kirche. Dagegen spricht, dass die Frau den Christus gebiert, was im Widerspruch dazu steht, dass die Kirche den Christus als ihren Begründer versteht. Wie kann ein Begründer aus dem geboren werden, was er begründet hat?
Diese Deutung ist also die unwahrscheinlichste, weil unlogischste.
3)
Die Frau ist das ´Gottesvolk Israel´ bzw. die ´Tochter Zion´ (= das himmlische Jerusalem), die den Christus hervorgebracht hat, so wie es z.B. in Hebräerbrief heißt:
14 Denn es ist offenbar, daß von Juda aufgegangen ist unser HERR, zu welchem Geschlecht Mose nichts geredet hat vom Priestertum.
Oder auch Jesaja 9:
6 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; er heißt Wunderbar, Rat, Held, Ewig-Vater Friedefürst...
Für diese Möglichkeit spricht u.a. die Zahl der Sterne an der Krone der Frau (12) als Anspielung auf die traditionelle Zwölfzahl der israelitischen Stämme.
Dagegen spricht, dass der genannte Personenkreis "das Zeugnis Jesu Christi" hat, was unmöglich für alle Israeliten, als Nachfahren der ´12 Stämme´, gelten kann.
Es fällt (mir zumindest) schwer, anzunehmen, der Verfasser, der sich ausdrücklich auf Jesus von Nazareth und die Propheten des AT beruft, hätte seinen Text verfasst, um (Juden)Christen zu imponieren, die vom Isis-Club Mediterraneé fasziniert gewesen seien.
Ich gehe nächste Woche ausführlicher auf deine Beiträge ein, im Moment nur so viel:
1)
Der von vielen Fachleuten, zuerst von Adela Yabro Collins in der 1970ern, erkannten Verwendung von Isis-Merkmalen und -Mythologemen in Offb 12 dürfte die Absicht zugrunde liegen, der Göttin Isis und ähnlichen Göttinnengestalten eine Mutter des Christus entgegenzustellen, die es phänomenologisch mit den Göttinnen aufnehmen kann. Dreihundert Jahre später wurde in Ephesus Maria bekanntlich auch offiziell in die Nähe von Isis gerückt, indem man ihr das bis dahin exklusive Isis-Epitheton "Gottesgebärerin" (theotokos) beilegte.
Der Isiskult war in der Provinz Asia ein mehr oder weniger integraler Bestandteil des Kaiserkultes, gegen den der Offb-Autor anschreibt.
Im übrigen bitte ich um einen sachlichen Tonfall, wenn es um polytheistische Kulte geht. Deine Formulierung "Isis-Club Mediterraneé" mag dir witzig vorkommen (und wäre es in anderem Kontext auch), bezeugt aber an dieser Stelle nur eine pro-christliche Voreingenommenheit gegen alles Nicht-Monotheistische, die in einer sachlichen Debatte - wie ich meine - in dieser Form fehl am Platze ist. Wenn
ich in dieser sarkastischen Art über die Kirche schreiben würde, gäbe es sicher Ermahnungen von Seiten des Teams.
Also danke im voraus.
2)
Die Offb kann als ein Versuch interpretiert werden, die adressierten (und wahrscheinlich weitere ungenannt gebliebene) Christengemeinden in der Provinz Asia vor den theologischen Folgen einer Abweichung vom ´wahren Christenglauben´ zu warnen. Im Visier hatte der Autor dabei (1) innerkirchliche Rivalen und (2) einen äußeren Feind, das römische Kaisertum. Beide verführen, in seinen Augen, das Christenvolk dazu, dem Satan zu dienen.
An dieser Stelle gehe ich nur auf die
Rivalen ein und auf den römischen Kontext - weil man da ziemlich weit ausholen muss - erst nächste Woche.
Die innerkirchlichen Rivalen benennt der Autor in Kap. 2. Er ist bemüht, ihre Autorität innerhalb der Gemeinde zu untergraben, um seine eigene Autorität zu stärken.
(Der erschienene Christus diktiert dem Autor mehrere Schreiben an diverse Gemeinden, das "Ich" ist also das des Christus und die Angesprochenen sind die "Engel" der Gemeinden, vermutlich als Schutzengel gemeint)
An
Ephesus:
6. Aber das hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hassest, welche Ich auch hasse.
Die christlichen Nikolaiten (außerchristlich nicht belegt) befürworteten uneingeschränkt die Teilnahme von Christen an den Praktiken des Kaiserkultes. In Johannes´ Augen eine Sünde gegen Gott. In der Christengemeinde von Ephesus scheinen sie keinen Erfolg gehabt zu haben, da sie vom "Engel" dieser Gemeinde "gehasst" werden, was der verkündende Christus ausdrücklich lobt.
Anders in
Pergamon:
14. Aber ich habe ein kleines wider dich, dass du daselbst hast, die
an der Lehre Bileams halten, welcher lehrete den Balak ein Ärgernis
aufrichten vor den Kindern Israels, zu essen Götzenopfer und
Hurerei zu treiben.
15. Also hast du auch, die an der Lehre der Nikolaiten halten; das
hasse ich.
In dieser Gemeinde sind nicht nur Nikolaiten aktiv, sondern auch ein mit dem ´Codenamen´ Bileam benannter Prediger, der ebenfalls zu Kompromissen mit dem Kaiserkult bereit ist. "Bileam" ist eine Gestalt aus den Numeri (4 Mose), die das israelische Volk zum Abfall von Jahwe verführt.
In
Thyatira ist eine Frau als ´Prophetin´ aktiv (Codename Isebel), welche die Gemeinde ebenfalls zur Teilnahme an kaiserkultischen Praktiken ermutigt. Der johanneische Christus droht ihr brutale Konsequenzen an:
20. Aber ich habe wider dich, dass du lässest das Weib Isebel, die
da spricht, sie sei eine Prophetin, lehren und verführen meine
Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen.
21. Und ich habe ihr Zeit gegeben, dass sie solle Busse thun für
ihre Hurerei, und sie thut nicht Busse.
22. Siehe, Ich werfe sie in ein Bette, und die mit ihr die Ehe
gebrochen haben, in grosse Trübsal, wo sie nicht Busse thun für ihre
Werke,
23. und ihre Kinder will ich zu Tod schlagen.
Das Totschlagen der Kinder ist vermutlich wörtlich zu nehmen, d.h. die leiblichen Kinder der Prophetin werden verbal mit Totschlag bedroht, wenn sie nicht endlich "Buße tut".
"Isebel" ist eine Gestalt in 1 Kön. Die Phönizierin heiratet König Ahab vom Nordreich Israel und verführt ihn, so die Darstellung, dazu, nicht nur Jahwe, sondern auch den Göttern ihres Landes anzuhängen. Ihr Name dient dem Offb-Autor dazu, die in Thyatira tätige Prophetin als Verführerin zum falschen (´Götzen´-)Glauben hinzustellen.