Heute gehe ich auf 1) die Domitian-Datierung und 2) den Mythos der 'Verbannung' des Johannes ein. Es folgen in Bälde Beiträge über das Erster-Reiter-Thema und den Exaltationszustand des Johannes.
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Dass die Offb in der Ära des Domitian verfasst wurde, geht auf Irenäus´ Behauptung in Haer. 5,30,3 (ca. 180 CE) zurück, die von Eusebius in Hist. Eccl. 3,17–18 (um 325 CE) aufgegriffen und mit weiteren Behauptungen ergänzt wird. Domitian, so Eusebius, habe zahlreiche römische Bürger ohne Gerichtsverfahren zum Tode verurteilen oder in die Verbannung schicken lassen und ihr Vermögen beschlagnahmt; auch habe er, Nero nachahmend und anders als sein Vater Vespasian, die Verfolgung von Christen veranlasst. Weiter behauptet Eusebius, dass laut einigen römischen Historikern Flavia Domitilla, eine Nicht des Flavius Clemens, zusammen mit anderen "Christen" zur Strafe für ihr angebliches christliches Bekenntnis auf die Insel Pontia verbannt worden wären.
Dazu folgendes:
Domitians Ruf als grausamer Despot – wie von Eusebius rezipiert – verdankt sich seiner pejorativen Charakterisierung in den nach Domitians Tod entstandenen Werken von Tacitus, Plinius d. J. und später – in Tacitus´ Nachfolge – Sueton. Das von den Senatoren Tacitus und Plinius bewusst verzeichnete Bild des Kaisers sollte den übernächsten Nachfolger Domitians, Trajan, motivieren, den vom ´Schurken´ Domitian und seinen Vorgängern an den Rand gedrängten Senat stärker in politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Dass Domitian despotisch herrschte und seine letzten Regierungsjahre von Tumulten begleitet waren, lässt sich historisch nicht belegen, eher weist einiges auf das Gegenteil; so stärkte er z.B. die Rechte der Provinzen gegenüber der römischen Elite.
Eine Christenverfolgung unter Domitian wird bei keinem römischen Historiker auch nur im Ansatz erwähnt. Für seine diesbezügliche Behauptung muss Eusebius auf Statements christlicher Autoren aus späterer Zeit zurückgreifen, was in Anbetracht des Mangels an außerchristlichen Zeugnissen von zweifelhaftem geschichtswissenschaftlichem Wert ist. So hat Melito von Sardis (laut Eusebius Hist. Eccl. 4,26,9) Ende des 2. Jh. CE in einem Schreiben an Marc Aurel – Trajan und wohl auch Hadrian ´vergessend´ – Nero und Domitian als "die einzigen Kaiser" bezeichnet, die das Christentum bis dato verfolgt hätten. Wenig später schrieb Tertullian (Apol. 5) an die römischen Magistrate über Nero, dieser hätte als erster gegen das gerade entstandene Christentum gewütet und Domitian ihm darin nachgeeifert. Beide Behauptungen dienten dem Zweck, den Kaiser bzw. die römischen Magistrate von der Schutzwürdigkeit des Christentums zu überzeugen. An anderer Stelle (Hist. Eccl. 30,20,7) schränkt Eusebius dahingehend ein, dass die Verfolgung unter Domitian weniger ausgeprägt verlaufen sei als unter Nero, sich dabei auf Tertullian stützend, der in Apol. 5 Domitian zugesteht, aufgrund seiner (im Vergleich zu Nero vermeintlich höheren) Intelligenz die Verfolgung bald widerrufen und allen Verbannten die Rückkehr erlaubt zu haben.
Eusebius´ Behauptung, Flavia Domitilla sei wegen eines christlichen Bekenntnisses auf die Insel Pontia verbannt worden, steht im Widerspruch zu Cassius Dio (in 67,14,2), der eine wegen 'Gottlosigkeit' verbannte Jüdin namens Flavia Domitilla, Ehefrau des Flavius Clemens, erwähnt. Dass Cassius Dio im frühen 3. Jh. CE zwischen Juden und Christen zu unterscheiden wusste, kann kaum bezweifelt werden. Die einzige ´christliche´ Person, die Eusebius namentlich als angebliches Verfolgungsopfer von Domitian nennen kann, war also nicht christlich, sondern jüdisch.
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In Zweifel gezogen werden kann dagegen die allgemein verbreitete Annahme einer Verbannung des Johannes auf die Insel Patmos. Diese Annahme geht auf Eusebius´ Interpretation folgender Stelle zurück:
(Offb 1,9)
Ich Johannes, der auch euer Bruder und Mitgenosse an der Trübsal ist und am Reich und an der Geduld Jesu Christi, war in der Insel, die da heißt Patmos, um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses Jesu Christi.
Eusebius deutet den letzten Teilsatz, insbesondere das "um des Wortes Gottes willen" (διὰ τὸν λόγον τοῦ θεοῦ), als Hinweis auf eine Verbannung aufgrund der Predigeraktivitäten des Johannes. Textimmanent ist diese Deutung gerechtfertigt, da Johannes die gleiche Formel in Offb 6,9 und 20,4 im Kontext der Hinrichtung von Christen gebraucht. Dennoch lassen sich schwerwiegende Gegenargumente nennen:
1)
Gemäß römischem Recht war die Verbannung auf eine Insel das ´Privileg´ der Oberschicht, während niedriger Situierte ・ bei gleicher Vergehensschwere – zu Minenarbeit oder zum Tode verurteilt wurden (siehe z.B. Tacitus Ann. 4,30). Johannes war sicher kein Mitglied der Oberschicht und auch kein römischer Bürger, woraus folgt, dass er im Falle einer Anklage hingerichtet worden wäre.
2)
Patmos wird in keiner römischen oder anderen Quelle als Verbannungsort erwähnt. Wie ich vor Wochen schon andeutete, gab es auf dieser Insel ein reichhaltiges kulturelles Leben incl. Wagenrennen. Eine Verbannung an einen Ort mit dieser hohen Lebensqualität hätte ihrem Zweck als abschreckende Bestrafung widersprochen. Dafür geeignete Verbannungsinseln waren z.B. Amorgos und Kinaros.
Alternativ zu Eusebius´ Interpretation, die aus genannten Gründen unrealistisch erscheint, gibt es zwei andere Möglichkeiten, Offb 1,9 und das dazugehörige 1,10 zu deuten. Zuerst ein Blick auf 1,10:
Ich war im Geist an des Herrn Tag, und hörete hinter mir eine große Stimme als einer Posaune...
Der erste Teilsatz (ἐγενόμην ἐν πνεύματι ἐν τῇ κυριακῇ ἡμέρᾳ) bezieht sich auf einen exaltierten mentalen Zustand, in dem sich Johannes während eines Aufenthaltes auf Patmos am jährlich von allen damaligen Christengemeinden gefeierten Tag der (geglaubten) Auferstehung des Christus befand. Das Thema des prophetisch-exaltierten Zustandes will ich in einem anderen Beitrag ausführlich behandeln, für den Moment nur so viel: Es war bei frühchristlichen Gemeindeversammlungen nicht unüblich, mehrere dafür begabte Personen durch bestimmte Techniken, vor allem rituellen Gesang (siehe Eph 15,18-19), zu vermeintlich prophetischen Äußerungen zu stimulieren, die vom Rest der versammelten Gemeinde gedeutet wurden, siehe z.B. 1 Kor 14,26 f.:
26 Wie ist es denn nun, liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeglicher Psalmen, er hat eine Lehre, er hat Zungen, er hat Offenbarung, er hat Auslegung. Lasst alles geschehen zur Besserung! 27 So jemand mit Zungen redet, so seien es ihrer zwei oder aufs meiste drei, und einer um den andern; und einer lege es aus. 28 Ist aber kein Ausleger da, so schweige er in der Gemeinde, rede aber sich selber und Gott. 29 Weissager aber lasset reden zwei oder drei, und die andern lasset richten.
Plausibel sind also folgende, im Unterschied zur Verbannungstheorie nicht mit unauflöslichen Widersprüchen belastete Deutungen des Aufenthaltes von Johannes auf Patmos entweder als
a)
Daueraufenthalt in einer lokalen christlichen Gemeinde
oder
b)
temporärer Besuchsaufenthalt bei dieser Gemeinde als Wanderprediger aus Anlass des 'Tages des Herrn' (jährliche Auferstehungsfeier),
wobei Johannes an diesem Tag im Rahmen einer gemeindeüblichen prophetischen ' Sitzung' in einen besonders exaltierten Zustand geriet, der ihn zur nachträglichen Niederschrift seiner 'Offenbarung' anregte.