"Reinkarnation" im frühen Christentum

Sepiola

Aktives Mitglied
Aus dem Thread "Der christliche Kanon":

"Reinkarnation" ist ein dehnbarer Begriff. Nach Steve Mason (Flavius Josephus on the Pharisees) kann man jede Auferstehungslehre, bei der die Seele im Tod den Leib verlässt und irgendwann später in denselben (oder einen anderen) Körper gelangt, als "Reinkarnation oder palingenesia im weitesten Sinne" bezeichnen.
Die Vorstellung einer Seelenwanderung muss damit aber noch nicht verbunden sein.

Um mit einem der frühesten christlichen Texte (Paulus, 1. Kor) zu beginnen:

"Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? Was für eine törichte Frage! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott gibt ihm die Gestalt, die er vorgesehen hat, jedem Samen eine andere. Auch die Lebewesen haben nicht alle die gleiche Gestalt. Die Gestalt der Menschen ist anders als die der Haustiere, die Gestalt der Vögel anders als die der Fische. Auch gibt es Himmelskörper und irdische Körper. Die Schönheit der Himmelskörper ist anders als die der irdischen Körper. Der Glanz der Sonne ist anders als der Glanz des Mondes, anders als der Glanz der Sterne; denn auch die Gestirne unterscheiden sich durch ihren Glanz. So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen. So steht es auch in der Schrift: Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. Der Erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden. Damit will ich sagen, Brüder: Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben; das Vergängliche erbt nicht das Unvergängliche. Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden - plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall. Die Posaune wird erschallen, die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden. Denn dieses Vergängliche muss sich mit Unvergänglichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit. Wenn sich aber dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?"
1.Korinther 15 - Einheitsübersetzung :: BibleServer

Um das mal kurz zusammenzufassen:
- Am letzten Tag ("beim letzten Posaunenschall") werden die Toten wieder auferstehen.
- Eine "Auferstehung der (körperlosen) Seele" gibt es bei Paulus nicht, Paulus meint eindeutig eine leibliche Auferstehung.
- Der Leib der Auferstandenen ist aber auch nicht identisch mit dem "sterblichen", "irdischen" Leib; es wird ein "unsterblicher", "unvergänglicher", "himmlischer" Leib sein.

Man kann die leibliche Auferstehung als "Reinkarnation im weitesten Sinne" bezeichnen. In diesem Sinne (und nur in diesem Sinne) ist der folgende Halbsatz sicher korrekt:

Auch nach dem Konzil, war bspw. die Reinkarnation ein Kernglaube des Christentums...

Verstehen wir aber unter "Reinkarnation" die Seelenwanderung in dem Sinne, dass eine Seele nach dem Tod in einem anderen irdischen Körper (Mensch oder Tier) wiedergeboren wird, ist der Satz zweifellos falsch.

wobei aber auf eine Ausnahme hingewiesen werden muss, nämlich auf Origenes, der in seinem frühen Werk "Peri archon" (um 213 CE) eindeutig einen Reinkarnationsglauben vertritt, wie z.B. hier:

1 schrieb:
Alle (...) Geschöpfe gleiten, wenn sie in Nachlässigkeit verfallen, allmählich auf niedere Stufen herab und nehmen Körper an je nach Art der Orte ...und wenn sie in die Nähe der Erde kommen, umgeben sie sich mit noch dichteren Körpern, um schließlich an menschliches Fleisch gefesselt zu werden (...) Dabei wechselt er seinen Körper ebenso oft, wie er seinen Wohnsitz beim Abstieg vom Himmel zur Erde wechselt.

(Das ursprünglich griechisch verfasste Werk ´Peri archon´ ist weitgehend verschollen und nur in einer lateinischen Übersetzung von Rufinus ("De principii") erhalten, von welchem allerdings alle den Reinkarnationsglauben betreffenden Passagen herausgestrichen wurden. Görgemanns/Karp haben obige Stelle aus einer Hieronymus-Schrift ("Contra Joh.") rekonstruiert, wo Hieronymus Origenes mit Quellenangabe zitiert.
Das Zitat - einschließlich der Kürzungen - hat Chan anscheinend von dieser Seite kopiert.

Hier spricht Origenes nicht von der Seelenwanderung in dem Sinne, dass eine Seele nach dem Tod in einem anderen irdischen Körper (Mensch oder Tier) wiedergeboren wird.
Vielmehr sehen wir hier eine deutliche Analogie zum obigen Paulus-Zitat: Den "Tausch" eines "irdischen" Körpers mit einem "himmlischen" Körper, nur eben in umgekehrter Reihenfolge.
Zusätzlich geht Origenes hier von mehreren (offensichtlich von sehr vielen) himmlischen Stufen aus, im ungekürzten Zitat wird das vielleicht noch deutlicher:

Die Engel und Throne und Herrschaften, die Gewalten und Herrscher der Welt und der Finsternis und "jeder Name, der genannt werden mag, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen" (vgl. Eph. l, 21) sind Seelen von solchen Körpern, die sie entweder aus Verlangen oder zum Dienste angenommen haben. - Alle körperlosen und unsichtbaren vernünftigen Geschöpfe gleiten, wenn sie in Nachlässigkeit verfallen, allmählich auf niedere Stufen herab und nehmen Körper an je nach der Art der Orte, zu denen sie herabsinken: z. B. erst aus Äther, dann aus Luft, und wenn sie in die Nähe der Erde kommen, umgeben sie sich mit noch dichteren Körpern, um schließlich an menschliches Fleisch gefesselt zu werden. - Auf der Leiter Jakobs (vgl. Gen. 28, 12) steigen die vernunftbegabten Geschöpfe allmählich bis zur untersten Stufe herab, d. h. bis zu Fleisch und Blut. Es ist unmöglich, daß einer mit einem Male vom hundertsten zum ersten Rang herabstürzt; er gelangt vielmehr durch die einzelnen Ränge wie auf den Stufen einer Leiter bis zum untersten Rang. Dabei wechselt er seinen Körper ebensooft, wie er seinen Wohnsitz beim Abstieg vom Himmel zur Erde wechselt.


Chan schrieb:
Im anti-origenistischen Edikt (543 CE) von Kaiser Justinian, welches den Reinkarnationsglauben der auch im 6. Jh. noch weit verbreiteten Anhänger des origenistischen Reinkarnationsglauben als Häresie verbietet, heißt es:
Von den geistigen Wesen ist ein Teil, wie er (= Origenes, Anm. Chan) meint, in Sünde gefallen und zur Strafe in Leiber gebannt. Nach dem Maß ihrer Sünden werden sie sogar zum zweiten und dritten Male und noch öfter in einem Leibe eingekerkert, um nach vollendeter Reinigung in ihren früheren sünde- und leiblosen Zustand zurückzukehren.

Bemerkenswerterweise taucht der "Reinkarnationsglaube" oder ein Verbot desselben in den neun Bannverfügungen dann aber gar nicht auf.

Worum es im 6. Jh. ging, ist unklar. Adolf von Harnack erwähnt den Begriff Seelenwanderung nur in Fußnoten; dogmengeschichtlich scheint es keinen "offiziellen" Streit darum gegeben zu haben.
Das deutet darauf hin, dass die Seelenwanderung schon lange kein heißes Eisen mehr war. Während die Kirchenväter des 2. und 3. Jahrhunderts (Justin, Irenäus, Tertullian) noch scharf dagegen polemisiert hatten, lockte das Thema später keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.

Einige Zitate aus Helmut Zander, Geschichte der Seelenwanderung in Europa, Darmstadt 1999, S. 132-134:

"Bereits um 300 hielt Laktanz eine Widerlegung für nicht ganz seriös: Wer dies tue, setze sich dem Verdacht aus, etwas für wahr zu halten, was niemand mehr glaube. ...
Die anti-origenistische Literatur am Ende des vierten Jahrhunderts kommt auf die Seelenwanderung schon gar nicht mehr zu sprechen.
...
Der 407 gestorbene Johannes Chrysostomos meint, daß viele nicht einmal mehr den Namen der Seelenwanderungslehre der Pythagoräer und Platoniker ... kennen würden.
...
Als damals [im 5. Jahrhundert] die aus Nordafrika flüchtenden Manichäer in Rom eintrafen, wurden die antimanichäischen Schriften Augustinus' zur Erstellung von Abschwörungsformeln genutzt, die als Commonitorium Sancti Augustini, als Vermächtnis des Heiligen Augustinus, kusierten. Hier kommt die Reinkarnationslehre in den abzulehnenden Positionen nicht vor. Was schon bei Augustinus ein marginales Problem in den Gemeinden gewesen sein dürfte, war im 5. Jahrhundert offenbar überhaupt keines mehr.
Somit fehlen die Argumente, von einer Eliminierung des Reinkarnationsglaubens in der Alten Kirche zu sprechen oder gar eine Ausgrenzung von Reinkarnationsvorstellungen "auch mithilfe staatlicher Machtmittel" zu mutmaßen. Dafür gibt es keine Belege und sie ist angesicht sder vermutlich geringen Relevanz auch ausgesprochen unwahrscheinlich. Vielmehr legt die Lektüre der Kirchenväter einen beträchtlichen Relevanzverlust der Reinkarnationsfrage um 400 nahe.
...
Von daher ist die Behauptung, auf dem Konstantinopolitaner Konzil von 553 sei die Reinkarnationslehre kirchenamtlich verboten worden, gegenstandslos - abgesehen davon, daß ein solcher Schluß auf einer Fehlinterpretation der Konzilsentscheidung beruht ...
Die frühe Kirche hat sich mit praktisch allen religiösen Gruppierungen, die es in der Antike gab, auseinandergesetzt, weil sie es sich als keineswegs hegemoniale Institution nicht leisten konnte, Anfragen durch Schweigen auszusitzen. Wenn es zum Ende der Antike hin kaum mehr Auseinandersetzungen um die Reinkarnation gab, dann wohl deshalb, weil sie keine Herausforderung mehr darstellte."
 
Ich denke, das ist diskursiv in Auseinandersetzung mit Sekten wie z.B. den Pythagoreeren zu verstehen: Das pythagoreerische, sehr elitäre und dadurch auch einflussfähige Vorangehen stand nicht unbedingt im Widerspruch mit Philosophierichtungen oder Religionen, so dass sich auch aus internen Reibungsflächen Notwendigkeiten zu abgrenzenden Klarstellungen ergaben. Bei den Ps z.B. wurde ein echt auch sozialer Aufstiegswunsch, wenn der auf Erden nicht gelingen sollte (wofür sie sich auch anstrengten) als Motivation für die Tugendübungen auf das nächste Leben projiziert.

Das ist aber eine zweifelhafte Motivation, die sich z.B. mit der Solidarität mit Armen und der Annahme des Lebens erheblich beißt, wie es vom Stand her geschenkt war.

Im Grunde wird hier eine Spiritualität bzgl. eines höherständischen Nachlebens als Tarnung der Unzufriedenheit mit dem ist-Zustand und als Flucht vor Veränderung (gedankliche Disziplin f das naheliegender durchaus Gestaltbare) missbraucht, statt einer Hilfe zur reifenden Aussöhnung mit dem Leben wie es ist, mit den sozialen Spielräumen, die faktisch geben sind.

Soziale Durchlässigkeit war früher ja weit starrer als heute und so etwas wie Aufstiegswünsche lange tabuisiert; kein Wunder, dass gerade solche Tabuthemen in allen Religionssystemen verstärkt diskutiert wurden. Das ist - soweit ich sehe - der maßgebliche irdische Impuls der Theologumena zum Leben nach Tod.

Sinnvolle Spiritualität - ein häufiges Missverständnis - hilft ja Projektion zu enttarnen ("Enttäuschung" neutral machen oder gar in den Geschmack des Vertrauens wandeln), anstelle neue Projektionen hinzuzufügen.

Das Missverständnis ist bedauerlicherweise so häufig (weil tief menschlich), dass es überhaupt erst solche Polemiken wie "Opium für's Volk" (in den Fällen) zutreffend macht.

Lg
 
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Verstehen wir aber unter "Reinkarnation" die Seelenwanderung in dem Sinne, dass eine Seele nach dem Tod in einem anderen irdischen Körper (Mensch oder Tier) wiedergeboren wird, ist der Satz zweifellos falsch.

Gemeint ist die Aussage, der Reinkarnationsglaube habe zum Kernbestand des ursprünglichen Christenglaubens gehört. Ich kann das "zweifellos falsch" aus dem Grund nicht akzeptieren, weil der ursprüngliche Christenglaube uns einfach nicht bekannt ist. Wir kennen nur Dokumente, die Jahrzehnte, vielleicht auch über ein Jahrhundert nach dem behaupteten Zeitpunkt der Entstehung dieses Glaubens entstanden sind. Im 2. Jh. CE gab es in christlichen Kreisen weder über die Umstände der Entstehungsgeschichte noch über die Lehre des vermeintlichen Stifters auch nur annähend einen Konsens. Die Entstehung des Christentums sowie die Person des vermeintlichen Stifters und ihre Lehre liegen definitiv im Dunkel der Geschichte und lassen nur Spekulationen zu, was Formulierungen wie "zweifellos falsch" ausschließt.

Im Grunde wird hier eine Spiritualität bzgl. eines höherständischen Nachlebens als Tarnung der Unzufriedenheit mit dem ist-Zustand und als Flucht vor Veränderung (gedankliche Disziplin f das naheliegender durchaus Gestaltbare) missbraucht, statt einer Hilfe zur reifenden Aussöhnung mit dem Leben wie es ist, mit den sozialen Spielräumen, die faktisch geben sind.

Mit der angemessenen Gründlichkeit auf deine Überlegung einzugehen würde erfordern, das Threadthema in Offtopic-Bereiche zu überdehnen.

Deiner These ´Reinkarnationsglaube = sozial motivierte Wunschprojektion´ kann ich jedenfalls nicht zustimmen, und zwar aus mehreren Gründen, von denen ich an dieser Stelle nur die sozial sehr hochstehende Brahmanenkaste nenne, die den Reinkarnationsglauben hervorgebracht hatte und systematisch propagierte. Als Vertreter der höchsten Kaste konnte ein Brahmane sozial nicht mehr höhersteigen. Was den Buddhismus betrifft, so entstammte Buddha einer mächtigen aristokratischen Familie, was ebenfalls jedes unbewusste soziale Wunschmotiv für seine Reinkarnations-Überzeugung ausschließt. Für den abendländisch-antiken Reinkarnationsglauben hatte das soziale Aufstiegsmotiv gleichfalls keine psychologische Bedeutung, da die diversen Kulte Mitglieder aus allen sozialen Schichten hatten, vor allem aus den oberen.

Zum Entstehungskontext des abendländisch-antiken Reinkarnationsglaubens:

Er geht vermutlich auf brahmanistische Lehren zurück, wie sie in den Upanishaden niedergelegt sind und im 6.Jh. BCE in Kleinasien Fuß fassten. Lucius Apuleius bezeichnet im 2. Jh. CE die Brahmanen als Lehrer nicht nur des Pythagoras, sondern auch des Demokrit und des Platon. Pythagoras habe zunächst ägyptische Weisheit studiert, sei damit aber nicht zufrieden gewesen und habe sich dann brahmanistischen Lehrern, den Gymnosophisten, zugewandt. Seine Seelen- und Wiedergeburtslehre verdanke er diesen Weisen.

Von Empedokles, einem Schüler des Pythagoras oder zumindest von Pythagoräern, übernahm dann Platon die Vorstellung der Präexistenz und Wiedergeburt von Seelen.

Daraus, dass Pythagoras brahmanistische Lehren rezipierte und dass brahmanistische Gymnosophisten in Griechenland lehrten, kann man zuverlässig auf eine Rezeption auch durch den Orphismus schließen, dessen Ideen später einen maßgeblichen Einfluss auf das Christentum nahmen. Aus dieser Strömung mit ihrem legendären Begründer Orpheus gingen die dionysischen und eleusinischen Mysterienkulte hervor. Ein wesentliches orphistisches Prinzip ist der Geist-Körper-Dualismus und die Auffassung, dass das Leibliche ein Gefängnis ist, aus dem die Seele befreit werden muss, um zu ihrem angestammten Ort im göttlichen Jenseits zu gelangen. Charakteristisch für den Orphismus ist auch die Vielzahl der Wiedergeburten, welche die Seele durchläuft, um zur Reife für die letzte Verwandlung zu finden. Unschwer ist in diesen Vorstellungen brahmanistisches Ideengut zu erkennen.
 
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Gemeint ist die Aussage, der Reinkarnationsglaube habe zum Kernbestand des ursprünglichen Christenglaubens gehört.

Gemeint ist genau die zitierte Aussage "Auch nach dem Konzil, war bspw. die Reinkarnation ein Kernglaube des Christentums...", und die ist (im erwähnten Sinn) einfach falsch, da gibt es nichts zu diskutieren.

Ich kann das "zweifellos falsch" aus dem Grund nicht akzeptieren, weil der ursprüngliche Christenglaube uns einfach nicht bekannt ist. Wir kennen nur Dokumente, die Jahrzehnte, vielleicht auch über ein Jahrhundert nach dem behaupteten Zeitpunkt der Entstehung dieses Glaubens entstanden sind.

Zu Entstehung des Christentums habe ich mich nicht geäußert. Wir haben allerdings sehr wohl Quellen zum frühen Christentum. Wenn Du die nicht akzeptieren oder - abseits des wissenschaftlichen Konsens - hundert Jahre später datieren möchtest, ist das Dein Problem.

Was den Buddhismus betrifft, so entstammte Buddha einer mächtigen aristokratischen Familie
Erstaunlicherweise scheinst Du die buddistischen Quellen, die m. W. erst Jahrhunderte nach Buddha niedergeschrieben wurden, für bare Münze zu nehmen.
Aber der Buddhismus und seine Entstehung ist hier ja nicht das Thema.
Interessieren würde es mich trotzdem. Was wissen wir aus zeitgenössischen Quellen über Siddharta Gautama? Es gibt hier einen uralten, wenig bearbeiteten Thread...
http://www.geschichtsforum.de/f78/gab-es-buddha-24974/
 
Definition

Reinkarnation, so Sepiola, sei eine "Auferstehungslehre, bei der die Seele im Tod den Leib verlässt und irgendwann später in denselben (oder einen anderen) Körper gelangt", womit die "Vorstellung einer Seelenwanderung ... aber noch nicht verbunden sein" müsse.

Die Theologische Realenzyklopädie (Bd. 30) behandelt "Reinkarnation" gar nicht, sondern verweist auf "Seelenwanderung", wo es in der vorangestellten Definition heißt:
Die Idee der Seelenwanderung (Reinkarnation.. ) setzt die Idee einer Reinkarnationsseele (...) voraus und basiert auf der Annahme, bei der Zeugung entstehe keine neue Seele (Kreationismus) noch werde elterliche Seele übertragen (Traduzianismus); sondern die Zeugung sei der äußere Anlaß, daß eine bereits existierende (präexistente, sterbliche) Seele sich einzukörpern vermöge (Präexistenzianismus).
Von Seelenwanderung spricht man dann, wenn geglaubt wird, eine präexistente Seele werde nicht nur einmal, sondern sukzessive mehrmals neu eingekörpert.
Ist das konsensfähig?
 
Die Idee der Seelenwanderung (Reinkarnation.. ) setzt die Idee einer Reinkarnationsseele (...) voraus und basiert auf der Annahme, bei der Zeugung entstehe keine neue Seele (Kreationismus) noch werde elterliche Seele übertragen (Traduzianismus); sondern die Zeugung sei der äußere Anlaß, daß eine bereits existierende (präexistente, sterbliche) Seele sich einzukörpern vermöge (Präexistenzianismus).
Von Seelenwanderung spricht man dann, wenn geglaubt wird, eine präexistente Seele werde nicht nur einmal, sondern sukzessive mehrmals neu eingekörpert.
Ist das konsensfähig?

Nach meinen Begriffen ist das tatsächlich die verbindliche Vorstellung der Seelenwanderung. Die Idee hat allerdings den Nachteil, dass die Anzahl der Menschen seit der Antike ständig im Wachsen begriffen ist. Da erhebt sich natürlich die Frage, was mit den überzähligen Seelen in der Vergangenheit geschehen war. Waren diese in ständiger Warteposition ? Oder wurde abgewechselt ? Oder gab es früher viel mehr Buddhas als heute (die müssen ja nicht wiederkommen). Interessant wird es auch, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, in welchem gleichviele oder sogar noch mehr Menschen auf der Erde leben, als jemals seit Lucy bis heute gelebt haben. Ist dann der Vorrat an Seelen erschöpft ?

Ich schreibe dies u.a. auch deshalb, weil es mich etwas wundert, dass der Buddhismus, der mir ansonsten recht konsequent durchdacht erscheint, offenbar keine Antwort auf diese Frage hat resp. sich damit gar nicht beschäftigt hat.
 
... (D)er Buddhismus ...
kennt – anders als der Hinduismus – keine Reinkarnationsseele. [1] Ich verweise der Bequemlichkeit halber auf
https://de.wikipedia.org/wiki/Buddhismus#Nicht-Selbst_und_Wiedergeburt
https://de.wikipedia.org/wiki/Seele#Indien
https://de.wikipedia.org/wiki/Anatta
https://de.wikipedia.org/wiki/Wiedergeburt_(Buddhismus)


[1] Freilich ist "der" B. mindestens ebenso vielgestaltig (und lehren-reich) wie der Hinduismus oder das Christentum.
 
Reinkarnation, so Sepiola, sei eine "Auferstehungslehre, bei der die Seele im Tod den Leib verlässt und irgendwann später in denselben (oder einen anderen) Körper gelangt", womit die "Vorstellung einer Seelenwanderung ... aber noch nicht verbunden sein" müsse.

Das ist nicht von mir, sondern die sinngemäße Wiedergabe des verlinkten Textes von Steve Mason: "... that any doctrine of resurrection that has the soul leaving the body at death and then entering either that same body or another at some later date is ipso facto a form of reincarnation...", aus "Flavius Josephus on the Pharisees".
Dies vor dem Hintergrund, dass im verlinkten Thread Äußerungen des Flavius Josephus über die Pharisäer im Sinne einer Reinkarnationslehre interpretiert wurden.
Je breiter man die Definition von "Reinkarnation" fasst, desto mehr Belege für "Reinkarnation" lassen sich auftreiben.

... Von Seelenwanderung spricht man dann, wenn geglaubt wird, eine präexistente Seele werde nicht nur einmal, sondern sukzessive mehrmals neu eingekörpert.
Ist das konsensfähig?
Bei meiner Definition legte ich Wert auf den irdischen Körper: Verstehen wir aber unter "Reinkarnation" die Seelenwanderung in dem Sinne, dass eine Seele nach dem Tod in einem anderen irdischen Körper (Mensch oder Tier) wiedergeboren wird...

Die Idee hat allerdings den Nachteil, dass die Anzahl der Menschen seit der Antike ständig im Wachsen begriffen ist. Da erhebt sich natürlich die Frage, was mit den überzähligen Seelen in der Vergangenheit geschehen war.

Da sieht man, dass trotz gleicher Definition unterschiedliche Vorstellungen in den Köpfen hausen können.
Du scheinst die Seelenwanderung auf menschliche Lebewesen zu beschränken. Wenn man aber genausogut als Tintenfischlein oder als Amöbe wiedergeboren* werden kann, stellt sich die Frage so gar nicht. Dabei beschränkt sich z. B. der Buddhismus nicht auf die uns bekannten biologischen Lebensformen. Man kann auch als überirdisches Wesen "wiedergeboren" werden. Auch "Götter" müssen nicht unsterblich sein: https://de.wikipedia.org/wiki/Deva_(Gott)




* Bei Lebewesen, die sich durch Zellteilung fortpflanzen, könnte man natürlich fragen, welche Hälfte eine neue Seele bekommt. :)
 
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kennt – anders als der Hinduismus – keine Reinkarnationsseele. [1] Ich verweise der Bequemlichkeit halber auf
https://de.wikipedia.org/wiki/Buddhismus#Nicht-Selbst_und_Wiedergeburt
https://de.wikipedia.org/wiki/Seele#Indien
https://de.wikipedia.org/wiki/Anatta
https://de.wikipedia.org/wiki/Wiedergeburt_(Buddhismus)


[1] Freilich ist "der" B. mindestens ebenso vielgestaltig (und lehren-reich) wie der Hinduismus oder das Christentum.

Ich bezweifle die Verbindlichkeit der Wiki-Aussagen in diesem Zusammenhang. Zum Einen kann ich mir nicht vorstellen, weshalb man bei solchen Verhältnissen sich überhaupt bemühen sollte, ins Nirwana zu gehen - also nur zum Zweck, um den "karmischen Impulsen" weiteres Leiden zu ersparen. Zum Anderen hatte ich den Eindruck, dass die Tibeter (etwa diejenigen, die beim Strassenbau jeden Regenwurm einzeln wegtragen) dies durchaus in dem Bewusstsein taten, ein "früheres Leben" zu retten und nicht etwa aus allgemeinen ethischen Überlegungen.

Mir ist auch noch das schon länger zurückliegende Interview mit einem tibetanischen Mönch anlässlich einer Protestaktion gegen die Chinesen in Erinnerung. Als er über das rabiate Vorgehen der chin. Sicherheitskräfte befragt wurde, meinte er, diese täten ihm leid, weil sie sich mit ihren Handlungen auf diese Weise noch weiter vom Nirwana entfernt hätten (Ziel ist ja bekanntlich, sich von der "Seelenwanderung" zu befreien). Dass er damit nur die "karmische Impulse" (Zitat Wiki) und nicht eine persönliche Seele gemeint hat, kommt mir absurd vor.

Natürlich ist einzuschränken, dass die tibetische Variante des Buddhismus eben auch nur eine Variante ist.
 
Du scheinst die Seelenwanderung auf menschliche Lebewesen zu beschränken.

Das tue ich nicht. Ich bin lediglich davon ausgegangen, dass die Zunahme an Menschen (inkl. der Zunahme von Haustieren) das Artensterben (inkl. den Sauriern) beim weitem übersteigt. Bei solch einem Missverhältnis fällt auch die Fortpflanzung via Zellteilung nicht mehr gross ins Gewicht :).
 
Ich bezweifle die Verbindlichkeit der Wiki-Aussagen in diesem Zusammenhang. Zum Einen kann ich mir nicht vorstellen, weshalb man bei solchen Verhältnissen sich überhaupt bemühen sollte, ins Nirwana zu gehen - also nur zum Zweck, um den "karmischen Impulsen" weiteres Leiden zu ersparen.
"Verbindlich" ist in der Geschichtswissenschaft, von Ausnahmen abgesehen, gar nichts, sogar mein eigenes Geschreibsel nicht.:winke:

Aber Tatsache ist nun mal, dass das Ziel desjenigen, der Buddha folgt, im Erlöschen besteht. Salopp ausgedrückt: Weder gutes Karma noch schlechtes Karma, sondern gar kein Karma mehr.
Falls Du anders unterrichtet bist, lass es mich wissen.

Natürlich ist einzuschränken, dass die tibetische Variante des Buddhismus eben auch nur eine Variante ist.
Natürlich, wobei der tibetanische Vajrayana-Buddhismus zum Teil andere Wege geht/empfiehlt als die beiden größeren Schulen des Hinayana und des Mahayana.

Die Unterschiede zum Hinduismus (und dessen Varianten) sind insgesamt bedeutsamer, und auch Jainismus und Sikhismus sind separat zu betrachten.
 
Ich bin lediglich davon ausgegangen, dass die Zunahme an Menschen (inkl. der Zunahme von Haustieren) das Artensterben (inkl. den Sauriern) beim weitem übersteigt..
Du denkst vor allem an die ganz großen (und relativ seltenen) Tiere. Was sind schon 7 Milliarden Menschen? In jedem besseren Tümpel findest Du 7 Milliarden Mückenlarven. Und wenn Du 7 Milliarden Kleinstlebewesen haben willst, reicht schon ein kleines Eimerchen Wasser aus dem Tümpel.
Und, wie gesagt, wir sprechen nicht nur von den irdischen Lebewesen... Wer weiß, vieviele Milliarden Geister, Himmels- und Höllenwesen es gibt...
 
Zum Einen kann ich mir nicht vorstellen, weshalb man bei solchen Verhältnissen sich überhaupt bemühen sollte, ins Nirwana zu gehen - also nur zum Zweck, um den "karmischen Impulsen" weiteres Leiden zu ersparen.

Da es hier gerade vor allem um indische Spiritualität geht, die, wie ich schon schrieb, die vermutliche Quelle des abendländisch-antiken Reinkarnationsglaubens ist, möchte ich zur Klärung - sie scheint nötig zu sein - etwas über die metaphysischen Grundlagen des Brahmanismus und des aus diesem hervorgegangenen Buddhismus sagen.

Brahmanismus:

Atman ist der Kern des menschlichen Subjekts, der einerseits in der Illusion lebt, ein individuelles, isoliertes, sterbliches Dasein umgeben von einem Universum des Vielfältigen und Separaten zu führen, andererseits aber, auf der Ebene des wahren Seins, mit Brahman identisch ist, dem apersonalen göttlichen Welt-Selbst, das alle Elemente der Erscheinungswelt im ewigen Kreislauf emaniert und in sich zurücknimmt. Dieses Brahman, jenseits von Zeit und Raum, durchdringt unterschiedslos alle vergänglichen Erscheinungsformen (in der westlichen Philosophie nennt man das die Immanenz der Transzendenz). In der Chandogya-Upanishad heißt es:

„Dieser mein Atman im Innern des Herzens ist größer als die Erde, größer als der Luftraum, größer als der Himmel, größer als die Welten (...) Diese feinste Substanz durchzieht das All, das ist das Wahre, das ist das Selbst, das bist du …“

Die Autoren der Upanishaden ziehen daraus eine verbindliche Konsequenz: Ziel der menschlichen Daseins muss es sein, der illusorische Tragikomödie der Erscheinungswelt zu entrinnen und die Einheit des Subjektkerns, des Atman, mit dem universalen Selbst, dem Brahman, im doppelten Wortsinn zu realisieren, also zu erkennen und zu verwirklichen.

Buddhismus:

Siddharta Gautama, der Begründer des Buddhismus, sah im Leiden die fundamentale conditio humana und in der Nichterleuchtung, dem Nichtverweilen im Nirvana, die wesentliche Ursache für das Leiden, denn nicht erleuchtet zu sein, bedeutet, an den Formen des Vergänglichen zu hängen und sich der Erfahrung von Enttäuschung, Krankheit, Schmerz und Tod auszusetzen. Es gibt nur eine Stätte wahrer Glückseligkeit: das Nirvana (= verlöscht), die todlose Dimension. Die Existenz im Samsara (= Passage, Durchgang), der Welt der vergänglichen Erscheinungen, geht notwendig einher mit Leiden, wenn auch im Einzelfall, kraft der imaginären Ego-Funktion, die Illusion von Glück und Erfüllung stiftenden Objekten des Begehrens erzeugt werden kann.

Eine zentrale buddhistische Idee ist Buddhas Konzept des Nicht-Selbst (an-atman), mit der er der brahmanistischen Lehre vom Brahman=wahres Selbst widersprach. Sinn dieses Konzepts ist, den Adepten vom ´Haften´ an der Vorstellung eines Selbst (oder Ich) abzuhalten. Samsara und Nirvana sind die beiden Momente des existentiellen Dualismus, so wie ihn Gautama lehrte. Mit diesem Dualismus spricht er dem Samsara eine Realität zu, die der monistische Brahmanismus für die Erscheinungswelt (maya) bestreitet. Der spätere Mahayana-Buddhismus hat sich in diesem Punkt mit seinem monistischen Shunyata-Konzept wieder an den Brahmanismus angenähert.
 
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