Das waren auch meine Eindrücke, als ich mit einem Chappe'schen Telegraph in einem Freilichtmuseum gearbeitet hatte. Wir verfügten dort nur über eine Versuchsstrecke mit 2 Stationen, mittlerweile haben sie wohl auch schon 3 Stationen
Spannende Sache - wo ist denn das? Wie originalgetreu übermittelt Ihr da auf dieser Museumsstrecke?
Ich gehe davon aus, dass zumindest die Dienstsignale Beginn der Übertragung und Ende der Übertragung immer gestellt werden mussten - hat ja auch seinen Sinn, sonst hätte man das Rumgewinke allem möglichen zuschreiben können.
Der Chappe-Code ist verteufelt kompliziert und wurde im Laufe der Jahre auch mehrfach revidiert. Grundsätzlich funktioniert das Chappe-System so, daß Station A der benachbarten Station B zunächst das Senden ankündigt, dann den "Regulator" genannten Querbalken in eine Zwischenposition bringt, dort die beiden Außenbalken, die Indikatoren, in die gewünschte Stellung bringt, jetzt den Regulator in eine der beiden Nachrichtenpositionen dreht (ganz horizontal oder ganz vertikal) und anschließend alle Balken in eine Endposition, um das Symbol als "fertig" zu deklarieren. Jetzt beobachtet Station A Station B beim Wiederholen dieses Procederes für Station C. Wenn B dabei einen Fehler macht, sendet A ein spezielles Signal zum Invalidieren. Andernfalls setzt A die Nachricht mit dem nächsten Symbol fort.
Chappes Grundkonstruktion aus Regulator und zwei Indikatoren erlaubt theoretisch 256 verschiedene Signale, wenn jeder Balken in 45-Grad-Schritten gedreht wird. Praktisch hat Chappe das auf 94 verschiedene
Signale eingedampft, bereinigt um alle nicht eindeutig ablesbaren Indikatorstellungen und den Regulator reduziert auf Horizontal- und Vertikalstellung (die 45-Grad-Zwischenstellung wurde reserviert für die Zwischenphase, in der die Indikatoren richtig plaziert werden). Die eigentlichen Payload-Symbole bestanden aus zwei bis vier Signalen, enthielten aber umfangreiche Kürzelsammlungen für häufig zu sendende Phrasen, Begriffe und Namen.
Neben Beginn der Nachricht und Ende der Nachricht gibt es mehr als ein Dutzend spezielle Kontroll- und Steuersignale, um z.B. eine Nachricht zu priorisieren, Konflikte zu vermeiden (wenn an einem Relais aus beiden Richtungen eine neue Nachricht eintrifft) oder Übertragungsprobleme zu melden (schlechte Sicht zur nächsten Station, mechanische Probleme am Signalmast etc.). Wer sich schon mal mit modernen Kommunikationsprotokollen in Computernetzwerken beschäftigt hat, dem kommt das alles sehr bekannt vor - nur daß hier Menschen diesen Protokoll-Overhead managen mußten, nicht wie heute geduldiges Silizium.
Interessant ist, daß das Personal in den Relais-Signalen nur die Kontroll- und Steuersymbole kannte, die Payload-Symbole für die eigentliche Nachricht aber nicht verstand. Eine Chappe-Nachricht konnte tatsächlich nur an den Endpunkten der jeweiligen Signallinien ver- und entschlüsselt werden. So einfach auf dem flachen Land mal eben zum nächsten Relais marschieren und dort ein Telegramm abschicken, war also weder vorgesehen noch möglich.
Wenn man Signale von dressierten Affen weitergeben läßt, die deren Inhalt nicht verstehen, sichert das einerseits sicherlich die Vertraulichkeit. Andererseits ist dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet. 1836/37 "verschmutzten" findige Chappe-Mitarbeiter reguläre Nachrichten zwischen Lille und Bordeaux mit einem Anhängsel-Symbol, über das ihre Vertrauensleute in Bordeaux den aktuellen Trend an der Pariser Börse schneller erfuhren als über die offiziellen Verlautbarungen. Gut zwei Jahre lief das recht einträglich, ehe die Geschichte aufflog.
In einem anderen Aufsatz von Holzmann aus 2007 zu u.a. der Codesyntax bei Chappe wird übrigens auch das Thema Kommunikation bei Nacht angesprochen. Experimentiert hat man damit, aber recht schnell wieder aufgegeben. Anfänglich gab es auch ein spezielles Steuersymbol, um umzuschalten auf Nachtmodus. Das verschwand schon 1804 aber wieder aus den Codebüchern. Holzmann vermutet sogar, Chappe habe dieses Steuersymbol "Nachtmodus" nur ins erste produktiv genutzte Codebuch aufgenommen, um potentiellen Investoren vorzugaukeln, sein System könne rund um die Uhr arbeiten.