Wann ging die griechische Religion unter?

Ein sehr interessantes Thema.
Dass das Heidentum "ausgelaugt" war, ist die Sichtweise seiner Gegner. Die Heiden hatten schon noch viel zu bieten.
Ich habe Referate über diese Zeit gehalten. Es gab wohl, das ist aber noch lange nicht ausgeforscht, eine Tendenz im 4. Jhd., die Dinge im letzten Augenblick noch einmal zu wenden und nicht nur politisch, wie durch Kaiser Julian, sondern auch ideologisch eine Abwehrfront aufzubauen. Es gab im "Neuplatonismus", wie wir es heute nennen, nicht nur Platon, sondern auch die Ideen des Aristoteles und der Stoa (die Epikureer waren abgehängt), die wie ein Amalgam verschmolzen und gegen das Christentum geschleudert wurden. Am Ende vergeblich!
Man wollte bei der Organisationsstruktur sogar bei der Kirche kopieren.
 
Es gibt ja inzwischen wenigstens etwas Literatur über die letzten Heiden.
Noch unter Justinian wurden immer mal wieder verbotene Heiligtümer ausgehoben, wie Akten des Sicherheitsapparates zeigen.
 
Ich sehe den Neuplatonismus nicht als "Abwehrfront" gegenüber dem Christentum. Im Prinzip waren doch die meisten Dinge, die Plotin(!) formulierte, für Christen und für den spätantiken "Normalo" absolut anschlussfähig. Man musste schon zur intellektuellen Elite gehören, um nichtanschlussfähige Widersprüche zwischen den Ideen des Christentums auf der einen und denen des Neuplatonismus auf der anderen Seite zu finden. Woraus man natürlich nicht im Umkehrfehlschluss folgern darf, dass Neoplatoniker Christen gewesen wären.

Was den Neopaganismus angeht: Jeder darf glauben, was er will, als Historiker halte ich von diesen Anschlüssen aber wenig. Auch wenn ein griechischer Neo-Paganus sicher mehr Aufschluss über die antike Religion hat, der er sich zuwendet, als ein nordeuropäischer Neo-Paganus. Nichtsdestotrotz habe ich immer den Eindruck - und das gilt auch für Vlassis Rassias - dass die Gründe für eine solche "Rückbesinnung" (die im Übrigen in sich bereits zutiefst reaktionär und antiaufklärerisch ist), neben einem gewissen Romantizismus auch im Nationalismus/Ethnozentrismus liegen. Ich weiß, dass viele neuheidnische Verbände nach außen hin Nationalismus ablehnen. Wenn man ihre Texte dann aber ganz genau liest, merkt man, dass auch die Texte von Verbänden, die Nationalismus nach außen hin ablehnen vor Nationalismus nur so triefen. Das kann im Einzelfall tatsächlich mal anders sein, aber das sind meine Erfahrungen mit neopaganen Verbänden.
 
Ein sehr interessantes Thema.
Dass das Heidentum "ausgelaugt" war, ist die Sichtweise seiner Gegner. Die Heiden hatten schon noch viel zu bieten.

Die traditionsreiche römische Staatsreligion mit ihrem Götterhimmel um Jupiter/Zeus war im 4. Jh. erstarrt und zu einer äußerlichen Formalität geworden. Die Mysterienkulte um Mithras, Isis und Osiris oder Kybele und Attis hatten sich längst in der Bevölkerung ausgebreitet und waren scharfe Konkurrenten des Christentums - insbesondere der Mithtaskult.

Was das Christentum unschlagbar machte, war zum Einen der Aspekt der Erlösung: Der universellr Horizont der christlichen Erlösungsreligion, die Vergebung der Sünden vor Gott und die Erlösung jedes einzelnen gläubigen Christen machten diese Lehre für breite Bevölkerungsschichten attraktiv. Da vor allem auch der Mithraskult nicht nur einen Mysterienkult sondern eine Erlösungsreligion repräsentierte, war er vermutlich eine starke Konkurrenz für das Christentum. Davon gingen zumindest Religionswissenschaftler in der Vergangenheit aus, während gegenwärtig kein so starker Einfluss mehr angenommen wird.

Als attraktiv erwies sich schließlich folgender im Christentum angelegter Gedanke: Gleichheit und Solidarität waren in der christlichen Botschaft so tief verankert, wie es keine heidnische Religion derart zentral vermittelte.

Nimmt man das alles zusammen, waren die heidnischen Religionen dem Christentum moralisch, sittlich und universell unterlegen. Ob es allerdings ohne die Förderung durch römische Kaiser einen solchen Sieg errungen hätte, sei dahingestellt. Man kann sich fragen, welchen Weg die Religionen im Römischen Reich und seinen Nachfolgestaaten dann genommen hätten.

Die Masse des Volks verehrte sicher noch lange Zeit seine heidnischen Götter, vielfach parallel zum Christentum. Wie lange dieser Zustand währte, lässt sich kaum sagen.
 
Zuletzt bearbeitet:
.. Und es hat sich auch außerhalb der Gebiete des ehemaligen Römischen Reiches (Irland etc.) ausgebreitet.
Na ja, ausgebreitet ist so ein Wort, nach meinem Verständnis war das eher so eine Art Mittelding zwischen Handelsgut und Machtinstrument, irgendein "Häuptling" ist bestochen oder bedroht oder sonstwas worden und schwupps bestand der Stamm aus Christen.
Cuius regio eius religio bringts eh schön auf den Punkt.^^
 
Na ja, ausgebreitet ist so ein Wort, nach meinem Verständnis war das eher so eine Art Mittelding zwischen Handelsgut und Machtinstrument, irgendein "Häuptling" ist bestochen oder bedroht oder sonstwas worden und schwupps bestand der Stamm aus Christen.
Cuius regio eius religio bringts eh schön auf den Punkt.^^

Hast du für deine Aussage Belege? Ich kann mir das in der frühen Zeit des Christentums (wie gesagt, Irland, Persien, etc.) nur schwerlich vorstellen.
 
Cuius regio eius religio bringts eh schön auf den Punkt.^^
Der Spruch ist die Quintessenz des Augsburger Religionsfriedens 1555. Ihn auf Spätantike/FMA anzuwenden ist ein Anachronismus. Sicherlich wird Konversion nicht individuell vollzogen worden sein sondern im Personenverband, nichtsdestotrotz ist eine Übertragung frühneuzeitlicher Gegebenheiten auf das FMA wohl eher fehlerbehaftet.

Den hagiographischen Schriften ist freilich nur ein begrenzter Quellenwert für Ereignishistorie zuzumessen (das muss allerdings im Einzelfall von Quelle zu Quelle und innerhalb dieser von Stelle zu Stelle entschieden werden), diesen zufolge jedoch sind Konversionen im Barbaricum häufig mit der Zeugenschaft bei Wundern verbunden. Warum nehme ich das ernst? Die Wunder nehme ich nicht ernst. Aber zumindest den Quellen zufolge sind die Konversionsentscheidungen nicht einseitig von einem Fürsten gefällt worden sondern eben von den Anwesenden in Zeugenschaft. Das kann man natürlich kritisieren. Da die Annahme des Glaubens nach christlicher Doktrin freiwillig war und nicht erzwungen werden durfte (dass es mannigfaltig Beispiele in der Geschichte gibt, wo Missionare entgegen dieser Doktrin gehandelt haben, ändert nichts an der Gültigkeit der Doktrin, wobei es dann häufig zum Konflikt mit einer anderen Doktrin kam, die Renegatentum verbot*), werden wir freilich in Hagiographien i.d.R. kaum Hinweise darauf finden, dass Konversionen von oben herab verfügt wurden, auch wenn es de facto so gewesen sein mag.


*Im 16. Jhdt. kam es in Rom zu einem interessanten Fall. Irgendein süditalienischer Bischof ließ aus dem jüdischen Viertel in Rom Kinder entführen und taufen. Die Inquisition, deren Auftrag es auch war, das jüdische Viertel zu schützen (man muss die römische und die spanische Inquisition, die zeitgleich aktiv waren, hier strikt voneinander trennen, ihre Aktivitäten standen in Teilen geradezu im Widerspruch zueinander) holte die Kinder zurück, um sie ihrer Familie zurückzugeben, woraufhin der entführende Bischof darauf hinwies, dass die Kinder ja nun getauft waren und daher nicht zurück in ihr altes jüdisches Umfeld gebracht werden dürften; ein für die Inquistion unauflöslicher Widerspruch, den sie mit einem salomonischen (wenn auch für die jüdische Familie nicht zufriedenstellenden) Urteil zu lösen versuchte, um beiden sich widersprechenden Doktrinen gerecht zu werden: Ein Teil der Kinder kam zurück zur Ursprungsfamilie, ein anderer verblieb in der Obhut der Kirche. Nach unseren heutigen Rechtsvorstellungen skandalös, da der Rechtsbrecher für seine Tat nicht nur nicht bestraft wurde, sondern auch teilweise Recht bekam.
 
Da geht es um die sich widersprechenden Doktrinen, die sind älter als der Religionsfriede.
Doktrin 1: Glaube kann nicht erzwungen werden.
Doktrin 2: Wer einmal der Religion angehört, kann nicht davon zurücktreten.
Das muss man schon vom Augsburger Religionsfrieden als Zwischenresultat der Konfessionskriege differenzieren.
 
Man kann es auch genau umgekehrt sehen: Trotz teils massiver Verfolgung hat das Christentum durch die Autoritäten hat sich das Christentum auf Dauer durchgesetzt.

Als das Christentum Ende des 4. Jh. zur Staatsreligion wurde, hatte es sich noch längst nicht flächendeckend durchgesetzt. Erst als die Christen evenso intolerant gegen die Heiden vorgingen wie zuvor diese, gewaltsam die heidnischen Religionen unterdrückten und deren Tempel sogar stürmten und zerstörten, konnte sich das Christentum ohne jede Konkurrenz entfalten.

Es ist keineswegs sicher, ob sich das Christentum ohne diese kaiserliche Förderung hätte behaupten können. Wir sehen das lediglich so von heute aus betrachtet, weil es uns als zwangsläufig erscheint. Dem war aber nicht so.
 
Als das Christentum Ende des 4. Jh. zur Staatsreligion wurde, hatte es sich noch längst nicht flächendeckend durchgesetzt. Erst als die Christen evenso intolerant gegen die Heiden vorgingen wie zuvor diese, gewaltsam die heidnischen Religionen unterdrückten und deren Tempel sogar stürmten und zerstörten, konnte sich das Christentum ohne jede Konkurrenz entfalten.

Es ist keineswegs sicher, ob sich das Christentum ohne diese kaiserliche Förderung hätte behaupten können. Wir sehen das lediglich so von heute aus betrachtet, weil es uns als zwangsläufig erscheint. Dem war aber nicht so.

Warum nicht hat immerhin alle Progrome und Jahrhunderte im Untergrund überlebt.

Natürlich können wir es nicht sicher wissen, weil die ganze Welt ohne den Sieg des Christentums ganz anders aussehen würde.
 
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