Das Zitat im Zitat stammt aus Haarmanns Weltgeschichte der Sprachen: von der Frühzeit des Menschen bis zur Gegenwart.Ich lese gerade über die Ursprungsmythen der Navajo, die nach Haarmann (Weltgeschichte der Sprachen, S. 100 ff) mit anderen Na-Dene-Vorfahren zur "vorletzten Migrationswelle" von Sibirien nach Nordamerika gehörten.
In den mündlichen Überlieferungen der Navajo, d.h. in ihren Mythen, Erzählungen und Gesängen finden sich Anklänge an große Wanderungen, mit der ihre Vorfahren aus dem hohen Norden in den Süden kane (Rex Lee Jim 1996). Nach Auffassung der Navaho, die sich selbst Diné >Leute< nennen, gibt es verschiedene Welten, die stufenweise aufeinander aufbauen, wobei sich die ältesten Erinnungern mit der >Schwarzen Welt< assoziieren.
Die Erzählungen von Ereignissen in jener Welt lassen erkennen, daß die Menschen damals noch in der arktischen Tundra gelebt haben.
Die zweite Welt wird >Blau-Grüne Welt< genannt. Die Pflanzen und Tiere sind solche, die man im Westen Kanadas findet.
Die Landschaften der dritten Welt (>Gelbe Welt<) ähneln denen, die man mit den westlichen Abhängen der Rocky Mountains und mit den Ebenen im Südwegen adentifizieren kann.
Die vierte, die >Glänzende Welt<, ist das Kernland der Navaho, das Dinétah heißt und ungefähr der Gobernador-Region im Nordwesten Neumexicos entspricht (Griffin-Pierce 1992). Die archäologischen Hinterlassenschaft läßt darauf schließen, dass die Vorfahren der Navaho etwa im 14. Jahrhundert in ihr heutiges Siedlungsgebiet gelangten. Im Zuge ihrer Wanderungen mussten sie sich anpassen. Die längste Zeit waren sie Jäger und Sammler gewesen. Erst in Dinétah wurden sie seßhaft und erwarben von ihren neuen Nachbarn, den Pueblo-Indianern, die Kenntnise des Ackerbaus.
...
Die Sprache der Navaho ist reich an Terminologien, die ihre Anpassung an die sich verändernde Umwelt spiegeln: die Welt der Wildbeuter (in den Mythen und Erzähungen), die der Ackerbauern sowie die Sphäre der spirituellen Verankerung allen Lebens. ...."
Soweit zum möglichen "wahren Kern von Herkunftsmythen". Wobei die sich übereinander aufbauenden "Welten" eine Tradition sind, die sich auch in mittelamerikanischen Überlieferungen findet. Der Weg aus diesen Welten in die nächsthöhere Welt erfolgt zwangsläufig über Höhlen - die ja auch der biologischen Herkunft von Säugetieren und Menschen "aus der Bauchhöhle" entsprechen.
Haarmanns Behauptung also ist, die erste/schwarze Welt erinnere an die sibirische Tundra.
Ich finde dagegen in der Creation Story, dargestellt von Harold Carey Junior folgendes über die erste Welt:
Die erste Welt war nachtschwarz, es gab nur vier verschiedenfarbige Wolken: Die weiße und die schwarze Wolke formten den Mann und den weißen Mais, die blaue und die gelbe Wolke formten die Frau und den gelben Mais. In dieser Welt gab es bereits schwarze Ameisen, die Bienen- und die Wespenleute, Coyote, zwei sprechende Götter und die erste Morgenröte, den ersten blauen Himmel, den ersten Sonnenuntergang und die erste Nacht. Außerdem ewiges Leben und Glück. Das scheint so ein interkulturelles Mythem zu sein, die Vertreibung aus dem Paradies, wo ewiges Leben und Glück herrscht, das finden wir mit Adam und Eva genauso, wie bei den Römern und Griechen mit ihrem Goldenen Zeitalter.
Also, was haben wir, was an Natur gemahnt? Insekten - die es freilich auch in der Tundra gibt - und - Trommelwirbel und Tusch:
MAIS.
Mais war präkolumbin verbreitet von Perú bis zum Sankt-Lorenz-Strom in Ostkanada. Die Urform des Mais, die Teosinte, wächst in der Sierra Madre in Mexiko und an einigen Stellen in Utah. Opinio communis ist, dass der Mais erstmals in Zentralmexiko domestiziert wurde, aber vereinzelte Stimmen gibt es auch für die These, dass Mais in Utah oder sowohl da als auch dort domestiziert wurde (dazu muss man allerdings sagen, dass das not very likely ist, da die Teosinte als Urform des Mais für den Laien kaum als Mutterpflanze des Mais zu erkennen ist).
Wem ist nun zu folgen: dem auf die Navajo spezialisierten Harold Carey oder Haarmann, dem von linguistischer, althistorischer und archäologischer Seite gerne mal vorgeworfen wird, im Trüben zu fischen?* Denn es wird kein Tier oder keine Pflanze genannt, das typisch für die Tundra ist (also dass wir wenigstens die Landschaftsform Tundra zweifelsfrei identifizieren könnten, die es ja außer in Sibirien auch in Alaska und Kanada gibt). Stattdessen der Mais, mit dem die Navajo vor dem 14. Jhdt. kaum in Berührungs gekommen sein dürften. Dieses zentrale Lebensmittel der mesoamerikanischen und uto-aztekischen Völker spielt eine bedeutende Rolle bereits in der ältesten Welt des Diné-Ursprungsmythos, was besagt das über das Alter dieses Mythos, wenn die Mythenträger erst im 14. Jhdt. - oder meinetwegen auch schon im 12. oder 13. Jhdt. - damit in Berührung gekommen sind?
* Raphael Brendel (Althistoriker): "Schon der konventionelle Althistoriker, der sich der Erforschung der antiken Griechen und Römer widmet, sieht sich trotz einer erheblich besseren Quellenlage mit zahlreichen Fragen konfrontiert, die bislang noch nicht zufriedenstellend gelöst sind (und das vielleicht auch niemals werden). Um wie viel mehr muss das dann für die hier behandelte Vor- und Frühgeschichte gelten."
Robert Kuhn (Archäologe): "teils sehr gewagten Thesen und Theorien"
Wolfgang Krischke (Historiker, Journalist): "suggeriert Eindeutigkeiten, wo in Wirklichkeit Unklarheiten herrschen."
Herbert Ernst Brekle (Linguist): "nicht immer zuverlässig und zumindest in Teilen nicht auf dem Stande der Forschung"
(Die ersten drei Rezensionen sind durchaus wohlwollend gegenüber Haarmann, Brekle zwar im Ton freundlich, aber in der Aussage vernichtend. Die Rezensionen beziehen sich auf die Bücher Rätsel der Donauzivilisation, Universalgeschichte der Schrift und Auf den Spuren der Indoeuropäer)