"Es gehört zu den zählebigsten Stereotypen deutscher Stammtische, dass Hitler und seine Bewegung schon früh weibliche Wähler geradezu in hellen Scharen zugeströmt seien." (Falter; S. 136) Und der Ausgang war eine Studie, die Falter stellvertretend zitiert, von Pratt von 1948 (MA-Thesis)(vgl. ebd. FN 160).
Die Frage, welche Rolle das Wahlverhalten in der WR gespielt hat und welche Rolle es für den Aufstieg der NSDAP gespielt hat, kann man mit Boak resümieren.
"....it can no longer be denied that women`s votes did, indeed, play a substantial part in bringing Hitler to power."
Dabei ist zu beachten, dass die historische Wahlsoziologie sich intensiv mit dem Wahlverhalten vor allem unter klassenspezifischen, konfessionellen, regionalen oder Stadt- Landunterschieden beschäftigt hat (vgl. Childers, Falter, 1991, Falter u.a. 1986, Mühlberger)
Das Wahlverhalten der Frauen, kurz gekennzeichnet über den Tingsten-Index (%-Frauen/%-Männer x 100) (Falter u.a. S. 83) weist für die Gebiete, die Sonderauszählungen vorgenommen haben, sowohl Stabilität wie Veränderungen auf.
Die Zugehörigkeit zu klassischen parteinahen Milieus, wie der Arbeiterschaft oder der katholischen Kirche, hat auch bei den Frauen für eine "stabile Wahl" für die entsprechenden Parteien gesorgt. Insgesamt haben Frauen, folgt man den Werten des Tingsten-Index, eher "konservativ" gewählt. Auch deswegen, weil Zentrum oder DNVP für traditionelle Werte der Familien stand und sich die Frauen stärker davon angezogen gefühlt haben.
Die Hinwendung der Frauen zum Nationalsozialismus erfolgte ähnlich wie bei den Männern aus den gleichen Motiven. Dabei zeigten, wie bei den Männern, verstärkt Frauen aus sozialen Milieus eine Affinität zur NSDAP, die nicht die gleiche "soziale Kontrolle" bzw. Bindung erzeugt haben. Betroffen waren davon im wesentlichen die Frauen mit einem protestantischen Hintergrund.
Der Handlungsdruck durch die Weltwirtschaftskrise und die politischen Probleme der "Präsidial-Regierungen" verschärfen die Wahrnehmung einer Krise in der Wählerschaft insgesamt und führten ähnlich wie bei den Männern zu einer schrittweisen Radikalisierung bis hin zur Wahl der NSDAP.
Die erstaunlicherweise, und darauf weist Boak (S. 302 ff) explizit hin, die NSDAP keine besondere programmatische Attraktivität für Frauen hatte und die inhaltlichen Positionen der Spitzenfunktionärinnen in der NSDAP innerhalb der Parteiführung auch nicht wahrgenommen wurden.
Methodisch ist mit einem Lieblingsthema von Falter und Lohmöller, dem ökologischen Fehlschluss, noch darauf hinzuweisen, wie sich individuelles Wahlverhalten und aggregiertes Wahlverhalten unterscheiden (vgl. Falter, 1991, S. 441 zur "ökologischen Regression")
Ökologischer Fehlschluss - Statista Definition
Boak, Helen L. (1989): "Our Last Hope"; Women's Votes for Hitler: A Reappraisal. In: German Studies Review 12 (2), S. 289.
Childers, Thomas (1983): The Nazi voter. The social foundations of fascism in Germany, 1919-1933. Chapel Hill: University of North Carolina Press.
Falter, Jürgen W. (1991): Hitlers Wähler. Die Anhänger der NSDAP 1924-1933. Frankfurt, New York: Campus Verlag.
Falter, Jürgen W.; Lindenberger, Thomas; Schumann, Siegfried (1986): Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten, 1919-1933. München: C. H. Beck
Mühlberger, Detlef (2003): The social bases of Nazism, 1919-1933. Cambridge, New York: Cambridge University Press