Nationale Bewußtsein in Preußen

vonHanau-Münzenberg

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Hallo

Ich mache mir in letzten Tagen Gedanken über Sprachen, Nationalitäten und auch Ethnien in Preußen und hatte auch schon Diskussionen darüber.
Wenn man bedenkt das zu Gründung des Königreich (in) Preußen und im Laufe der nächsten 100 Jahre, es so viele verschiedene Nationalitäten und Ethnien sich im Königreich befanden, im Königreich lebten Deutsche, Polen, Masuren, Lithauer, Kaschuben, Semgallen, Kuren....... usw. , glaube ich nicht das die Preußen sich anfänglich als Deutsch empfanden, als Preußisch ja, aber nicht als "Reine Deutsche Nation" !
Preußen hatte über 100 Jahre eigentlich ein Charakter eines "viel-Völker Staats" .
Das änderte sich meiner Meinung nach, erst mitte des 19. Jhd. in der Zeit vom König Friedrich Wilhelm IV. der auch erstmalig die Konstitutionelle Monarchie mit einer Verfassung einführte.
Daran lag es nicht nur, aber das war Teil seiner National-liberalen Politik und zu der Zeit änderte sich das Nationale Bewusstsein des Königreiches und Staates.
Erst zu der Zeit wurde die Deutsche Identität Nationalweit angenommen.

Ich bin gespannt auf eure Meinung dazu!!
 
Ich denke, dass es nie viele Menschen gegeben hat, die von sich behauptet hätten: "Ich bin Preuße", sondern eher Ostpreuße oder Brandenburger, und dazu Deutscher, oder auch Pole (der sich dann aber wohl nicht etwa als Westpreuße bezeichnet hätte). Viele Leute haben sich wohl als Bürger des Königsreichs Preußen gesehen, aber eben nicht als Preußen.
 
Ein komplexes Thema, auf das viele Antworten schon gegeben worden sind. Auch in diesem Forum bei der Diskussion von "Identität" und "Nationalismus"

1. Was sind die zentralen Werte, die eine sich selber und einer Gruppe zugeschriebene Identität als "Preuße" ausmachen?

2. Wie unterscheiden sich diese ideologischen Wertvorstellungen zur Beschreibung der Identität als "Preuße" von den Vorstellungen, die die 1848 von sich als "Deutsche" hatten.

3. Wie verhalten sich andere Identitäten zur Frage, ob man "Preuße" sei. Welche Form von Rivalität ist vorhanden beispielsweise sich als "Sozialist", oder "Adeliger" zu fühlen im Vergleich zur Identität als "Preuße"

4. Wer definierte - und hatte überhaupt die Macht das zu tun - was die Identität von Gruppen ausmachen soll?

und nicht zuletzt auch die zentrale Frage:

5. Welche Instanzen konnten die Vorstellungen im bildendenden Sinne - sprich als politische Sozialisation - überhaupt leisten, da sie als Voraussetzung diese Werte als zentral und relevant ansahen.

Und es stellt sich die Frage, ob nicht die "innere Staatsgründung" von "Deutschland" erst nach 1871 in eine praktische Umsetzung gelangte und von einem linksliberalen Konzept zu einer deutschnationalen Ideologie transformiert wurde.
 
Heutzutage kann man ja wohl einfach in einem der großen Textcorpora der deutschen Literatur nach Aussagen wie "ich bin Deutscher" oder "ich bin Preuße" suchen und die Suchergebnisse quantitativ und qualitativ auswerten. Dann kommt man über das Spekulieren und Fragestellung Aufwerfen heraus.
Na ja, wenn das geht, wurde es sicher schon gemacht.
 
Ein Kriterium ist wahrscheinlich inwiefern eine andere Sprache als Deutsch im öffentlichen Leben verwendet wurde. "1873 wurde in der Provinz Posen und in Westpreußen Deutsch als alleinige Unterrichtssprache in Volksschulen eingeführt, die Zehntausende von Schülern nicht verstanden. Ausnahme blieben die Fächer Religion und der Kirchengesang." "In den östlichen Gebieten wurde 1876 und 1877 bei Behörden und an den Gerichten statt der vorherigen Zweisprachigkeit nur noch das Deutsche erlaubt." Germanisierung
Daraus kann man ja schlußfolgern, dass vor den 1870er nicht nur Deutsch Schul- und Gerichtssprache war. Ortsnamen aus dem Sorbischen, Polnischen, Masurischen usw. wurden oft erst unter den Nazis "germanisiert".

Ab 1886 gab es die "Preußische Ansiedlungskommision", mit dem Ziel in Westpreußen und Posen Landbesitz zu erwerben, um dort Deutschsprachige anzusiedeln und die polnischsprachige Bevölkerung zurückzudrängen. Das Resultat war allerdings eine Stärkung des polnischen Selbstverständnisses in diesen Regionen und Gründungen polnischer Banken, um den planmäßigen Landkauf durch die Ansiedlungskommision zu verhindern.
 
Ich denke, dass es nie viele Menschen gegeben hat, die von sich behauptet hätten: "Ich bin Preuße"
Ich behaupte das heute noch von mir um gewisse politisch irre Gruppierungen in Randgebieten Bayerns und Sachsens nicht als meine Landsleute anerkennen zu müssen.^^

, sondern eher Ostpreuße oder Brandenburger, und dazu Deutscher, oder auch Pole (der sich dann aber wohl nicht etwa als Westpreuße bezeichnet hätte). Viele Leute haben sich wohl als Bürger des Königsreichs Preußen gesehen, aber eben nicht als Preußen.

Das geht, glaube ich auf eine falsche Ebene, jedenfalls, was die Verhältnisse vor dem 19. Jahrhundert zurückgeht.

Vor dem 19. Jahrhundert, was diese Dinge angeht, ist das ja durchaus kein Wiederspruch Preuße im Sinne eines Untertans des Königs von Preußen und Pole im Sinne der sprachlichkeit oder der katholischen Religion zu sein und sich auch gleichzeitig als beides zu bezeichnen.
Das funktioniert an der Stelle nicht mehr, wo an die Stelle der Identität eines Untertans der preußischen Krone die einer deutschen Nation tritt oder treten soll.


Ansonsten wüsste ich nicht, was einen ethnischen Polen vor dem 19. Jahrhundert daran gehindert habe sollte, sich als Preußen zu bezeichnen, selbst wenn er vorher in den Teilungsgebieten gelebt hat, denn der Vielvölkerstaat als solcher, war ja auch im Rahmen der alten Rzeczpospolita, bzw. der vorangegangenen verschiedenen Unionsformen zwischen Polen und Litauen greifbare Realität.


Heutzutage kann man ja wohl einfach in einem der großen Textcorpora der deutschen Literatur nach Aussagen wie "ich bin Deutscher" oder "ich bin Preuße" suchen und die Suchergebnisse quantitativ und qualitativ auswerten. Dann kommt man über das Spekulieren und Fragestellung Aufwerfen heraus.
Na ja, wenn das geht, wurde es sicher schon gemacht.

Wie gesagt, ich sehe die Problematik im Sinne des Kontextes nicht so ganz. Denn die Frage, die ich mir hier stellen würde wäre diejenige, wo vor dem 19. jahrhundert eine ausgeprägte nationale Identität bei den Polen oder Litauern in den preußischen Ostgebieten hergekommen seien sollte.
Ein ethnisch homogenes Litauen hatte es nie gegeben, ein ethnisch einigermaßen homogenes Polen seit dem Hochmittelalter nicht mehr.
Schaut man sich die Überschneidungen der Siedlungsräume, was die Ethnien angeht, in Osteuropa einmal an, ist auch klar, dass das Nebeneinander eigentlich als natürlich empfunden werden musste, zumal der Interessengegensatzder ländlichen unteren und mittleren Schichten sich nicht gegeneinander richtete sondern gegen die Schicht der Gutsbesitzer, womit weitehend das nationale Abgrenzungsbedürfnis lange fehlte, der selbstredend konnte der Junker gegen den es gehen sollte durchaus auch einen Namen haben, der auf "ski" endete, noch wären die Verhältnisse im alten Polen-Litauen, was bis ins 19. jahrhundert wohl die einzige Vergleichsfolie gewesen sein dürfte anders gewesen.

Sie Dinge ändern sich mit der veränderten Schul- und Religionspolitik und dem Schreckgespenst eines deutschen nationalstaates, in dem die polnischen Bauern dann nicht wie alle anderen Auch gleichberechtigte Untertanen, sondern eine randständige ausgegrenzte, weil ethnisch nicht dazugehördende Gruppe gestellt hätte.

Im Hinblick auf die effekte veränderter Schul- und Religionspolitik, gibts nen ganz interessantes Werk, dass ich vor einigen Jahren mal gelesen habe, leider ist derzeit die Situation mit der Bibliothk nicht ganz einfach, ich werde, wenn das wieder besser geht, mal schauen ob ich das bei Zeiten mal besorgen und daraus noch ein bisschen was beitragen kann.
 
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Ansonsten wüsste ich nicht, was einen ethnischen Polen vor dem 19. Jahrhundert daran gehindert habe sollte, sich als Preußen zu bezeichnen, selbst wenn er vorher in den Teilungsgebieten gelebt hat, denn der Vielvölkerstaat als solcher, war ja auch im Rahmen der alten Rzeczpospolita, bzw. der vorangegangenen verschiedenen Unionsformen zwischen Polen und Litauen greifbare Realität.

Wie gesagt denke ich, dass sich auch deutsche Untertanen der preußischen Krone selten persönlich als Preußen bezeichnet hätten. Preußen war vor allem ein politisches Konstrukt, was ja schon die Herkunftsgeschichte des Namens zeigt. Dieses Konstrukt konnte man aus bekannten Gründen gut finden (etwa korrekte Verwaltung, religiöse Toleranz) oder auch schlecht (etwa übergroße Bedeutung des Militärischen), aber es war schwer, sich damit als Person zu identifizieren. Für einen Polen, also jemanden, der Polnisch als Muttersprache hatte und katholisch war, war das, würde ich denken, nahezu ausgeschlossen, denn solche Leute konnten in diesem politischen Konstrukt ja wohl nicht reüssieren.
Ich denke, das alles gilt für das 18. und das 19. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, welche die Identitäten sowieso gründlich verschob.

Oder sieht das die moderne Geschichtswissenschaft überwiegend anders?
 
Wie gesagt denke ich, dass sich auch deutsche Untertanen der preußischen Krone selten persönlich als Preußen bezeichnet hätten. Preußen war vor allem ein politisches Konstrukt, was ja schon die Herkunftsgeschichte des Namens zeigt. Dieses Konstrukt konnte man aus bekannten Gründen gut finden (etwa korrekte Verwaltung, religiöse Toleranz) oder auch schlecht (etwa übergroße Bedeutung des Militärischen), aber es war schwer, sich damit als Person zu identifizieren. Für einen Polen, also jemanden, der Polnisch als Muttersprache hatte und katholisch war, war das, würde ich denken, nahezu ausgeschlossen, denn solche Leute konnten in diesem politischen Konstrukt ja wohl nicht reüssieren.
Ich denke, das alles gilt für das 18. und das 19. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, welche die Identitäten sowieso gründlich verschob.

Oder sieht das die moderne Geschichtswissenschaft überwiegend anders?


So in etwa könnte man mein Beitrag auch deuten, die Menschen damals wusten sicherlich das sie in Preußen gelebt haben.
Ich könnte mir auch gut vorstellen, das z.b. ein Pole der in Preußen gelebt hat, sich trotzdem als Pole indentifieziert hat! oder z.b. ein Masure im Südlichen Ostpreußen oder ein Lithauer im Memelland .
Aber meine Kernaussage ist ja das die Einwohner Preußens sich vor ungefähr mitte des 19. Jhd sich nicht als Deutsche Nation verstanden haben, sondern eher ein "Vielvölker Staat unter Preußischer Krone.
 
Größere Gebiete mit nichtdeutscher Bevölkerung kamen allerdings recht spät, durch die polnischen Teilungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts, an Preußen. Und der preußische König führte, ganz anders als der Habsburger Kaiser, keine wichtigen Titel, die sich auf Herrschaften in nicht deutschspachigen Gebieten bezogen. Deshalb denke ich, dass Preußen schon als deutsches Staatsgebilde wahrgenommen wurde.
Aber in solchen Fragen kennen sich einige Leute hier sicher viel besser aus.
 
Oder sieht das die moderne Geschichtswissenschaft überwiegend anders?

Ich denke, dass zu Grundfrage, wie sich die überwiegende polnische Bevölkerung im 18. Jahrhundert so empfand, kaum valide Aussagen getroffen werden können, weil dieselbe vor allem in den ländlichen Gegenden zu wenig alpahbetisiert war, als dass es flächendeckend schriftliche Zeugnisse gäbe.

Es ist allerdings noch im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (z.B. im Hinblick auf die Grenzziehung Polens im Osten und auch andere Teile Osteuropas) bei den damaligen Erhebungen auffällig, dass sich weite Teile der dortigen Bevölkerungen überhaupt keine in unserem Sinne nationale Identität zuschrieben, sondern sich mitunter schlicht als "katholisch/orthodox) im jeweiligen Grenzgebiet oder als "hiesige" bezeichneten.*


Nun mag man einwenden können, dass auf Grund der sprachlichen Ähnlichkeit zu den Ukrainern und Weißrussen, was ja immerhin noch Sprecher slawischer Sprachen sind, der wenig gebildeten Landbevölkerung schwieriger gefallen sein, aber deswegen gab es nicht zwangsläufig weniger Konfliktstoff.

Judson etwa liefert in seinem "Habsburg, Geschichte eines Imperiums, 1949-1820"eine recht plastische Schilderung von den Verhältnissen in Galizien mit seiner ukrainischen Land Bevölkerung und seiner polnischen und jüdischen Stadtbevölkerung und der polnischen Oberschicht auf dem Land, so wie deren notorischen Konflikten mit ihren ukrainischen Bauern.
Das hat aber anscheinend, vor der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht dazu geführt, dass sich ein flächendeckendes ukrainisches Nationalbewusstsein herausgebildet hätte.

Sicher, wie gesagt, war gegenüber den deutschsprachigen Gebieten für die Polen die Sprachbarriere größer, als gegenüber der Ukraine oder den weißrussischen Gebieten, aber auch nicht größer als gegen litauen, wo eine solche flächendeckende Bildung eines Nationalbewusstseins vor der zweiten Hälfte des 19. jahrhunderts nicht wirklich greifbar ist, trotz der inneren Konflikte des Polnisch-Litauischen Staatengebildes und die zunehmende Dominanz des polnischen Elements vor den Teilungen.


Dann wäre wie gesagt die frage, wo es den vor dem 19. Jahrhundert auch herkommen sollte? Der Pole, der in den preußischen Teilungsgebieten lebte und vor den Teilungen dort residierte, lebte, sofern auf dem Land in der Regel als Kleinbauer, Kleinhandwerker, Höriger, etc. seines Gutsbesitzers und der wiederrum war, im Besonderen in Wiekopolskie, was dann ja mehr oder weniger der späteren Provinz Posen und dem Netze-Distrikt entsprecht, in der Regel ein polnischer Adeliger.
Was machte es für diesen Abhängigen, weitgehend entrechteten Polen für einen Unterschied ob der als Bedrückung empfundene Gutsherr jetzt besser deutsch oder polnisch sprach?
War der Gutsherr ethnisch gesehen Polen und hatte nebenbei auch deutschsprachige Hörige, hatte der Polnische Kleibauer/Knecht/was-auch immer, mit diesen, von seinem rechtlichen Status mehr gemein, als mit dem polnischen Adeligen, für den er schaffen musste.
Wozu musste er sich also gegenüber den deutschsprachigen Knechten abgrenzen?

Wenn er nicht auf dem Land, sondern in der Stadt lebte, lebte er, je nachdem in welcher Wojewodschaft zusammen mit Juden, Deutschen, Ukrainern, Litauern, Weißrussen, Letten (episodisch gehörten Kurland und Teile Livlands dem Staatsverband an) etc. und sofern im Westen des alten Polens, in einer auf das deutsche, will heißen, i.d.R. modifizierte Magdeburger Recht festgelegten Stadt.
Der Polnisch-Litauische Staat war dazu konzipiert, dass verschiedene Ethnien nebeneinander einigermaßen gleichberechtigt leben konnten, der Adel auch der litauischen Reichshälfte hatte einen starken Einfluss auf die Reichsangelegenheiten (auch wenn der mit zunehmendem Verlust der "Litauischen" (de facto meist ukrainischen und weißrussischen) Gebiete zunehmend schwand), der offizielle Schriftverkehr innerhalb dieses Staatswesens wirde bis zu den polnischen Teilungen größtenteils nicht auf polnisch, sondern althergebracht auf Latein abgewickelt.

Wenn da jetzt jemand auf dem Land als höriger lebt, nicht weit warumm kommt und sieht, dass der deutsche Knecht neben ihm, egal ob der anders spricht oder nicht, vom Gutsherren, er sei ethnisch Deutscher oder Pole auch nicht besser behandelt wird oder wenn er in einer Stadt zusammen mit einer deutschsprachigen und einer jüdischen Gemeinde nach Magdeburger Recht gelebt hat, woher sollte diese Person ein Abgrenzungsbedürfniss nationaler Art entwickeln?

Und warum genau sollte es für ihn unnatürlicher gewesen sein, sich als Preuße zu bezeichnen, als sich etwa als "Polen-Litauer" zu bezeichnen, was ja die frühere Vergleichsfolie wäre?

Ich würde meinen, wenn eine Person sich damals wirklich mit dem gesamten staatlichen Gebilde identifizierte, war es unter diesen Umständen auch für einen ethnischen Polen nicht abwegig sich "Preußen" zu nennen.
Die polnischsprechenden Menschen waren ein Teil der preußischen Bevölkerung, wie sie vorher einer der polnisch-litauischen Bevölkerung waren.

Lokale Identitäten mögen da noch eine größere Rolle gespielt haben.
Was macht es da jetzt aber für eine Unterschied, ob sich jemans als aus "Posen" oder der Wojewodschaft Wielkopolskie komment oder aus "Westpreußen" oder "Pommerellen/Weichselpommern" kommend identifizierte? Sofern das nicht in den gesamstaatlichen Zusammenhang eingeordnet wird, sondern die Gesamtheit der Bevölkerung (also auch die Kaschuben, Juden und Deutschsprachigen) darin inkludiert sind, spielt das doch keine Rolle, sondern ist die Bezeichnung der selben Gemeinschaft in einer anderen Sprache, die von einer Teilgruppe dieser Gemeinschaft eben gesprochen wird.

Demgegenüber sind bis ins 20. jahrhundert hinein wie gesagt noch andere Identität virulent, Aussagen, nach denen sich teile der ländlischen Bevölkerungen in den Grenzgebieten auf die Frage nach ihrer Nationalität als "katholisch" bezeichneten, sind verbürgt.


Das 19. jahrhunder wiederrum ist eine komplett andere Kiste, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sich die alten Patronatsstrukturen auf dem Land auflösten, die Bevölkerung mehr Rechte bekam, Bildung wichtiger wurde und der preußische Staat anfing eine Schul- und Religionspolitik zu machen, die die katholische, polnisch sprechende Bevölkerung benachteiligte.

So lange die Patronatsverhältnisse voll in Kraft waren, musste kein abhängiger Bauer sich selbst vor einem Gericht vertreten, wenn es zu Rechtsstreitigkeiten kam, das war Sache des Patrons, was für den Bauern gut war, wenn es gegen eine auswärtige Person ging und was schlecht für ihn war, wenn es gegen den eigenen Parton gehen sollte.
In dem Moment, wo die Patronatsverhältnisse wegfallen, fällt auch die Vertretung weg und er muss das selbst tun.

Und auf einmal findet sich unser polnsichsprachiger Knecht vor einem deutssprachigen Gericht wieder dessen Palaver er weder inhaltlich, noch rein sprachlich nachvollziehen kann.
Natürlich fühlt der sich diskriminiert, im besonderen, wenn er mit einer deutschsprachigen Person, die sich da sehr wohl verständlich machen kann, im Streit liegt.

Selbes Thema bei der Schulpolitik.
In Dem Moment in dem Deutsch auf einmal als weitgehend alleinige Unterrichtssprache verordnet wird, fallen natürlich sämmtliche polnischsprachigen Schüler, die kein oder nur schlecht deutsch sprechen leistungsmäßig auch hinter die dämlichsten deutschsprachigen Schüler zurück, mit zunehmenden Folgen für den späteren beruflichen Werdegang.

Das sind Entwicklungen, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts virulent werden und dann wirklich auch das Gefühl von Diskriminierung und ein entsprechendes nationales Abgrenzungsbedürfnis schaffen.
Das kann man aber in der Form auf das 18. und beginnende 19. Jahrhundert nicht zurückprojizieren, weil es diese politischen Schritte noch nicht gab, Bildung nicht den Stellenwert hatte und es darüber hinaus noch die obrigkeitlichen Reste der Feudalstrukturen gab, die den unteren Schichten der bevölkerung als Blitzableiter viel sinnvoller erscheinen musste, als ethnische Kategorien.

Wie gesagt, warum sollte ein polnischer Knecht mit dem neben ihm schuftenden deutschen Knecht, obwohl sie sich am Ende vielleicht beide eher als "Schlesier" verstehen, mehr Probleme haben, als mit seinem polnischen Gutsbesitzer und dementsprechend größere Abgenzungsbedürfnisse?







*Derlei Beschreibungen finden sich etwa in:

Lehstaed, Stephan:Der vergessene Sieg, Der Polnisch-Sowjetische Krieg 1919/1920 und die Entstehung des modernen Osteuropa

Auch Kapeler schreibt in seinem Einführungswerk über die Geschichte der Ukrainie da vergleichbares.
 
Und warum genau sollte es für ihn unnatürlicher gewesen sein, sich als Preuße zu bezeichnen, als sich etwa als "Polen-Litauer" zu bezeichnen, was ja die frühere Vergleichsfolie wäre?
Wie gesagt vermute ich für die Zeit zwischen 1701 und 1870, dass nicht nur Leute, die polnisch sprachen, sondern auch deutschprachige Bürger des Königreichs Preußen sich selbst nicht als Preußen sahen, sondern eher als Brandenburger, Pommern etc, und dann auch als Deutsche, zudem als Lutheraner oder Calvinisten oder was auch immer, denn Preußen war eben ein ziemlich junges politisches Kunstgebilde.
 
Von mir nur eine Marginalie dazu:

Es gibt ja das 1830 gedichtete Preußenlied mit dem Refrain "Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!", das zeitweilig als Nationalhymne fungierte.

Der Prediger Gustav Gisevius schuf eine polnische Übersetzung dieses Liedes (und anderer preußisch-patriotischer Lieder) und ersuchte den preußischen Kriegsminister Hermann von Boyen um Unterstützung zur Verbreitung seiner Übersetzungen. Von Boyen soll sich dazu wie folgt geäußert haben:
"Wenn G. die Verbreitung socher Übersetzungen als eine Erleichterung des Übergangs in das deutsche Wesen wünscht, so bin ich seiner Meinung; wünscht er sie aber als einen Halt für das Polnische, so muss ich ihm von meinem Standpunkte aus widersprechen."
Jahrbücher für slavische Literatur, Kunst und Wissenschaft : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
 
Größere Gebiete mit nichtdeutscher Bevölkerung kamen allerdings recht spät, durch die polnischen Teilungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts, an Preußen. Und der preußische König führte, ganz anders als der Habsburger Kaiser, keine wichtigen Titel, die sich auf Herrschaften in nicht deutschspachigen Gebieten bezogen.
Das sehe ich aber vollkommen anders. Das Herzogtum Preußen, das spätere Ostpreußen, war ein Lehen der polnischen Krone und kein Teil des HRR. Der Rangerhöhung zum König in Preußen 1701 musste nicht nur der Kaiser des HRR zustimmen, sondern auch der polnische König, damals August, der Starke.
Die deutsche Sprache kam durch die Deutschordensritter im Mittelalter ins damals nicht christliche Preußen. Die baltische Sprache der eroberten Prußen verschwand vollkommen im 17. Jahrhundert, nicht jedoch die Einwohner mit baltischen Wurzeln. Klar gab es auch Einwanderung aus deutschsprachigen Gebieten. Insofern ist Preußen eine nicht-deutsche Landschaft, die durch Einwanderung und Assimilation über Jahrhunderte hinweg germanisiert wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem dieser Fragestellung ist, dass sich der Begriff Nationalstaat in erster Linie auf das 19. Jahrhundert entsteht. Und da haben wir die Konstrukte preußische Identität versus deutsche Identität. Allerdings haben wir bei diesen Identitäten auch eine gewisse Schnittmenge. Desweiteren hat Preußen im 19. Jahrhundert auch große Gebiete im Westen Deutschlands gewonnen (bzw. wiedergewonnen). Da wird man sicherlich auch regional differenzieren müssen, wie weit man sich als Deutscher, aber nicht als Preuße sah. Oder vielleicht als Welfe und Deutscher, aber nicht als Preuße.

Noch komplizierter wird es bei den nationalen oder zumindest sprachlichen Minderheiten. Da wird in den Gebieten des ehemaligen Königreiches Polen bei den Katholiken eine andere Haltung geherrscht haben als bei den polnischsprachigen Protestanten im Süden von Ostpreußen (Mazuren). Dann gab es auch noch das polnischsprachige Gebiet in Oberschlesien, das mehrheitlich katholisch, aber seit dem 14. Jahrhundert nicht mehr zu Polen gehörte.

Spätestens mit der Reichsgründung 1871 dürfte die deutsche Identität auch offiziell neben die preußische getreten sein. Später dürfte sie sogar vor die preußische getreten sein. Noch Kaiser Wilhelm I hat nur ungern die deutsche Kaiserkrone angenommen, weil er die Befürchtung hatte, dass damit die preußische Identität zu Grabe getragen wird.
 
Das sehe ich aber vollkommen anders. Das Herzogtum Preußen, das spätere Ostpreußen, war ein Lehen der polnischen Krone und kein Teil des HRR. Der Rangerhöhung zum König in Preußen 1701 musste nicht nur der Kaiser des HRR zustimmen, sondern auch der polnische König, damals August, der Starke.
Die deutsche Sprache kam durch die Deutschordensritter im Mittelalter ins damals nicht christliche Preußen. Die baltische Sprache der eroberten Prußen verschwand vollkommen im 17. Jahrhundert, nicht jedoch die Einwohner mit baltischen Wurzeln. Klar gab es auch Einwanderung aus deutschsprachigen Gebieten. Insofern ist Preußen eine nicht-deutsche Landschaft, die durch Einwanderung und Assimilation über Jahrhunderte hinweg germanisiert wurde.
Das ist natürlich alles richtig, aber ich denke, wer um 1800 in Ostpreußen lebte und Deutsch als Muttersprache hatte, wie wohl die deutliche Mehrheit im Land, hat sich als Deutschen gesehen, auch wenn er vielleicht baltische Wurzeln hatte. Wenn jemand mir an dem einen oder anderen Beispiel das Gegenteil zeigen könnte, hätte ich was gelernt.

Was die preußische Identität angeht, noch ein hinkender, aber vielleicht nützlicher Vergleich: Heute finden viele Bürger von Ländern in der Europäischen Union die EU sehr gut und wichtig, und wenn man sie fragt, würden sie auch nicht bestreiten, dass sie EU-Bürger sind, trotzdem spielt das politische Konstrukt der EU im Allgemeinen keine so große Rolle für die persönliche Identität wie die Zugehörigkeit zu einer Region oder einem der EU-Mitgliedsstaaten.
 
Wenn jemand mir an dem einen oder anderen Beispiel das Gegenteil zeigen könnte, hätte ich was gelernt.

„Geneigter Leser, wir fahren nach – LITTAUEN. Bei dem bloßen Namen sehe ich dich frösteln, denn Du denkst sofort an 20 Grad unter Null und drei Fuß hohen Schnee; und zur Zeit, wo ich dies schreibe, sieht es dort faktisch so und nicht anders aus. Du denkst sofort an Rußland und Polen, und damit hast Du vielleicht nicht fehlgeschlossen, denn Littauen grenzt wirklich an jene berüchtigten Länder. Nur mußt Du nicht meinen, daß es noch selber in Rußland und Polen liege; nein! es liegt noch in Preußen und neuerdings sogar in Deutschland. Darfst dich aber deiner Unwissenheit nicht schämen, denn manche Gelehrte nicht nur in Frankreich, sondern selbst im deutschen Vaterlande wissen es nicht besser, indem sie den preußischen Regierungsbezirk Gumbinnen getrost nach Rußland verweisen.“

– Otto Glagau in Littauen und die Littauer 1869

aus wiki: Preußisch Litauen

Es finden sich im wiki-Artikel auch Bevölkerungsstatistiken, die eine große litauische Minderheit, neben einer polnischen Minderheit in Ostpreußen belegen. Für 1825 werden z.B. nur knapp die Hälfte der Einwohner der Region als deutsche Muttersprachler bezeichnet. Diese Karte belegt in der Memelgegend eine litauische Bevölkerungsmehrheit für das Jahr 1900.
 
aus wiki: Preußisch Litauen

Es finden sich im wiki-Artikel auch Bevölkerungsstatistiken, die eine große litauische Minderheit, neben einer polnischen Minderheit in Ostpreußen belegen. Für 1825 werden z.B. nur knapp die Hälfte der Einwohner der Region als deutsche Muttersprachler bezeichnet. Diese Karte belegt in der Memelgegend eine litauische Bevölkerungsmehrheit für das Jahr 1900.

Das ist interessant, aber bezieht sich die Bevölkerungsstatitik nicht auf Preußisch-Litauen statt auf Ostpreußen insgesamt?
Unter folgendem Link findet sich eine Karte, aus deren Legende hervorgeht, dass 1905/06 knapp 80% der Ostpreußen Deutsch als Muttersprache hatten:
Datei:Sprachen in Ostpreußen 1905 06.svg
 
Das ist interessant, aber bezieht sich die Bevölkerungsstatitik nicht auf Preußisch-Litauen statt auf Ostpreußen insgesamt?
Stimmt, diese Statistik bezieht sich auf Preußisch-Litauen, also in etwa der ehemalige Regierungsbezirk Gumbinnen.
Unter folgendem Link findet sich eine Karte, aus deren Legende hervorgeht, dass 1905/06 knapp 80% der Ostpreußen Deutsch als Muttersprache hatten:
Wenn über 200 Jahre nach der Rangerhöhung zum preußischen König immer noch etwa 20% der Bevölkerung Ostpreußens nicht deutsch als Muttersprache hatten, kann man davon ausgehen, dass der Anteil 1701 wesentlich höher war. Die Germanisierungsbestrebungen isb. des 19. Jahrhunderts hatten wir ja schon angerissen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie gesagt vermute ich für die Zeit zwischen 1701 und 1870, dass nicht nur Leute, die polnisch sprachen, sondern auch deutschprachige Bürger des Königreichs Preußen sich selbst nicht als Preußen sahen, sondern eher als Brandenburger, Pommern etc, und dann auch als Deutsche, zudem als Lutheraner oder Calvinisten oder was auch immer, denn Preußen war eben ein ziemlich junges politisches Kunstgebilde.

Ich würde da in dem Sinne eher von "Untertanen" als von "Bürgern" sprechen, denn von so etwas wie allgemeinen Bürgerrechten, die ein Bürgertum und auch ein solches Bewusstsein konstituieren würden, ist man je, jedenfalls im frühen 18. jahrhundert noch ein ganzes Stück entfernt.


Ich verstehe aber ehrlich gesagt immer noch nicht, warum du regionale Identität und Identifikation mit dem Gesamtstaatsgebilde in eine derartig scharfe Konkurrenz zu einander setzen versuchst.

Zumal, gerade auch, wenn wir von der Frühphase des Königreichs Preußen reden, vor den Eroberungen des alten Fritz sich ja bereits für die Hälfte der Bevölkerung gezwungenermaßen, schon durch die Namensgleichheit Überschneidungen zwischen der lokalen Identität mindestens der Bewohner des historischen Ostpreußen und dem preußischen Gesamtstaat ergeben mussten, die ich so ohne weiteres nicht tennbar sehe, zumal ja selbst der Begriff "Ostpreußen", da in Konkurrenz zum historischen "Preußen herzoglichen Anteils"/"Herzogliches Preußen" zu setzen ist.

"Ostpreußen" impliziert ja selbst eine künstliche administrative Trennung, der historischen Landschaft Preußen, die ja zeitweise im 19. Jahrhundert sogar mal unter dem Namen "Provinz Preußen" quasi wiedervereinigt wurde.

Provinz Preußen

Wenn du jetzt argumentierst, Preußen sei ja eigentlich ein adiminstratives Kunstgebilde gewesen, mit dem man sich schwerlich identifizieren konnte, müsste man selbiges doch auch von Ost- und Westpreußen als von einander separierten Regionen vorraussetzen.
Selbiges müsste von Schlesien gelten, denn durch die diversen Teilungen noch unter den Piasten, kann von einem historischen Schlesien zwischen dem Spätmitelalter und der Organisation als preußischer Provinz eigentlich keine Rede sein, sondern das war wiederrum aus sich heraus ein Mikrokosmus diverser Kleinstherzogtümer, was im Übrigen auch die Basis für die vorgeschobenen Erbansprüche bildete, kraft derer der alte Fritz seinen Eroberungskrieg in Richtung Schlesien zu rechtfertigen suchte.

Herzogtümer in Schlesien

Brandenburg, was ja selbst auch Kunstprodukt, bedenkt man, dass die ganzen südlichen und einige westliche Gebiete traditionell eher sächsisch als brandenburgisch waren und sich Preußen diese Gebiete erst ab dem 18. Jahrhundert sukzessive aneignete.
Warum sollten die Bewohner dieser Gebiete, die seit Jahrhunderten Sachsen gewesen waren, auf einmal eine Identität als Brandenburger, einer gesamtpreußischen Identität vorziehen?

Das erschließt sich mir nicht so ganz.

Nochmal anders würde ich bei den 1815 dazu gekommenen Westprovinzen argumentieren.
Im Rheinland und in Westfalen gab es seit dem Ende der Vereinigten Herzogtümer 1609 keine größeren, welchtlichen Territorialkomplexe mehr.
Administrativ waren diese Gebiete reine Flickenteppiche, mit sehr alten und tradierten lokalen Rivalitäten, in Westfalen kommt noch die konfessionelle Spaltung, vor allem zwischen den Kurkölnischen Nebenländern und Suffraganbistümern und den Klevisch-Märkischen Ländern oben drauf.

Wo sollte da die großräumigere lokale Identität herkommen? Die Rheinprovinz und Westfalen waren ebenso unnatürlich zusammengeschusterte Gebilde, wie der preußische Gesamtstaat, die historisch auf keine einheitliche Tradition und auch auf keine großräumigen Kulturlandschaften zurückblicken konnte.


Insofern möchte ich da auch hinter die regionale Identität weiter Teile der Bevölkerung ein Fragezeichen setzen.

Teilweise sehe ich gar nicht die Möglichkeit die lokale Identität dezidiert von der Preußischen als trennbar an (beide Preußen) Teilweise sehe ich nicht, warum eine Identität ebenfalls künstlich durch Preußen erst geschaffener, nicht natürlich gewachsener Großregionen (Schlesien, Westfalen, Rheinprovinz) dezidiert attraktiver gewesen sein sollte, als die des Gesamtstaates oder warum (Brandenburg) Teile der Bevölkerung ganz gegen ihre Gewohnheit von einer regionalen identität sich selbst in die Andere verpflanzen, den Gesamtstaat als Identifikationsobjekt aber ablehnen sollten.
 
Stimmt, diese Statistik bezieht sich auf Preußisch-Litauen, also in etwa der ehemalige Regierungsbezirk Gumbinnen.

Wenn über 200 Jahre nach der Rangerhöhung zum preußischen König immer noch etwa 20% der Bevölkerung Ostpreußens nicht deutsch als Muttersprache hatten, kann man davon ausgehen, dass der Anteil 1701 wesentlich höher war. Die Germanisierungsbestrebungen isb. des 19. Jahrhunderts hatten wir ja schon angerissen.

Ich werde, wenn ich nachher mal Zeit habe Kosserts Ostpreußen-Buch nochmal ausgraben und mal nachschlagen ob sich da noch näheres, belastbares zu findet.
 
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