Übergang von der Antike zum Mittelalter

Vom römischen Reich grenzt sich das Mittelalter dann dadurch ab (das ist freilich strak auf Europa fokussiert, das gebe ich gerne zu), dass die Kirche so etwas bekommt, wie ein Schreibmonopol.
Das geht auch kaum anders: Den Begriff Mittelalter verwenden wir eh auf Europa als Kontinent, die angrenzenden Gebiete wie Kleinasien, Naher Osten und Nordafrika werden nur einbezogen, sofern sie Europa tangieren wie z.B. Kreuzzüge oder die Eroberungen der Muslime nahe oder in Europa (z.B. Nordafrika, Iberische Halbinsel, Sizilien).
 
Und wenn wir auf Asien gucken und unsere Zeitrechnung, wegen damit man weiß, ob vor 500 Jahren, 1000 Jahren oder noch früher spuckt immer gleichzeitig der Begriff Mittelalter im Kopf herum. Und vergleicht dann die Kultur in dem jeweiligen Gebiet mit unserer zu der Zeit.
Selbst wenn von der Tang-Dynastie oder den streitenden Reichen die Rede ist, spukt das MA im Hinterkopf. Der Begriff ist nun mal sehr lang in Verwendung. Und auch mit der Co-Notation dunkel.
 
Vom römischen Reich grenzt sich das Mittelalter dann dadurch ab (das ist freilich strak auf Europa fokussiert, das gebe ich gerne zu), dass die Kirche so etwas bekommt, wie ein Schreibmonopol. Epigraphik wird zunächst weniger (aber epigraphische Quellen brechen nicht ganz ab), Papyros ist ein Luxusschreibstoff (mit Ausnahme Ägyptens und Süditaliens), aber Pergament eben auch, vor allem solches von ungeborenen Kälbern oder Lämmern.
Wenn man die Epochen nur nach den Techniken der Weitergabe von Wissen begrenzen möchte (was ich instruktiv finde), könnte man das Mittelalter von der Antike durch die Ablösung der Rolle durch den Kodex absetzen. Das war doch ein ganz erheblicher Fortschritt. Wie umständlich muss es gewesen sein, in Papyrusrollen bestimmte Stellen umfangreicher Werke aufzufinden!
Warum der Technik-Wechsel in der Spätantike? Lag es an dem Wunsch, immer Bibelzitate nachschlagen zu können, oder lässt sich Papyrus nicht gut binden?
 
Warum der Technik-Wechsel in der Spätantike? Lag es an dem Wunsch, immer Bibelzitate nachschlagen zu können, oder lässt sich Papyrus nicht gut binden?
Das war wohl nicht zuletzt eine Platzfrage. Um die 5 Papyrusrollen zusammen in einem zylindrischen Gefäß sind nicht nur größer als so ein Codex, sie lassen sich auch weit weniger gut in Massen platzsparend lagern. Dazu der bald folgende Wechsel von Papyrus (woraus die ersten Codices noch waren) zum Pergament, weil das wesentlich haltbarer und widerstandfähiger ist.
 
Dazu der bald folgende Wechsel von Papyrus (woraus die ersten Codices noch waren) zum Pergament, weil das wesentlich haltbarer und widerstandfähiger ist.

Es war aber auch teurer, weil wesentlich aufwendiger herzustellen. Die Grundmaterialien für Papyrus kamen aus Ägypten. Darauf hatte man spätestens mit Eroberung durch die Perser bzw. Araber im 7. Jh. keinen Zugriff mehr. Vor einiger Zeit kam eine Dokumentation über die Schrift auf arte. Da wurde gezeigt, wie vom gleichen Schreiber mit den jeweiligen Schreibwerkzeugen und Materialien ein Text geschrieben wurde. Laut Aussage des Schreibenden konnte er auf dem Papyrus wesentlich schneller schreiben als auf dem Pergament. Ein weiterer Faktor, der die Verbreitung von Büchern gebremst haben dürfte.
 
Prähistorie
Antike
Mittelalter
Neuzeit
Digialzeitalter

Eine Abgrenzung der einzelnen Zeitabschnitte ist sinnvoll, sofern sie sich durch einen weitgehenden sozialen Wandel unterscheiden.

Dieser Wandel betrifft zum einen die Wissensbestände und zum anderen die materielle Umgebung. Der erste Aspekt berührt in einem starken Maße das refelxive Weltbild, das sich das Individuum im Verhältnis zu anderen Menschen und im Verhältnis zum Göttlichen macht.

Der materielle Aspekt betrifft die Art der sozialen Reproduktion und den damit zusammenhängenden sozialen Strukturen, wie Herrschaft, Familie oder Wirtschaft. Und gleichzeitig die Art der materiellen Umgebung, Urbanität, Infrasturktur oder Kunst (Architektur etc.).

Bei der Bewertung, ob der Übergang von einer Epoche zur anderen ein Fortschritt oder ein Rückschritt zu verzeichnen sei, ist implizit denkbar, sofern man ein evolutionäres Modell der Entwicklung der Menschheit im Hinterkopf hat. Die Entwicklung hin zum Besseren.

Und dieses Vorstellungsmodell eines komplexen sozialen Wandels wurde u.a. durch die Arbeiten von Jaspers zur "Achsenzeit" und in der Folge durch Voegelin, A. Weber oder Eisenstadt fortgeführt. Sie zeichnen für Europa eine Entwicklungslinie, die in ihren reflexiven Sichten in der "Moderne" einmündet und somit bis zum "Holocaust" einen Narrativ der evolutionären Entwicklung von Gesellschaften anbietet.
 
... Bei der Bewertung, ob der Übergang von einer Epoche zur anderen ein Fortschritt oder ein Rückschritt zu verzeichnen sei, ist implizit denkbar ...

Über die Bewertung von "besser / schlechter", mit der man die Entwicklung einer Epoche zur anderen beurteilt, kann man unterschiedlicher Meinung sein. Wer z.B. Globalisierung schlecht findet, wird eine Produktion vor Ort "besser" finden als die globalisierte Wirtschaft des Römischen Reichs. Man kann aber auch versuchen, objektive Daten zu erfassen und deren Bewertung anderen zu überlassen.

Vor Jahren habe ich mal eine Grafik von Bryan Ward-Perkins aus dem Buch "Der Untergang des Römischen Reiches", Darmstadt 2007, S.130, hier eingestellt, sie ist noch vorhanden:

Was beinhaltet die Dekadenztheorie als Ursache für das Ende des römischen Reiches?

Ward-Perkins hat hier die Keramikproduktion und -verteilung aus verschiedenen Jahren und Orten grafisch zusammengestellt, deren Komplexität und Qualität bewertet und deren Verteilungsradius. Genauere Angaben bei ihm in Teil II, S.97-133, man darf aber erwarten, dass der gute Mann ordentliche Daten zusammengestellt hat, die einen einigermaßen korrekten Überblick verschaffen.

Hier sieht man die 2 Reichsteile untereinander, der konstante Abfall von Handelsbewegungen im Westteil, der nur in Britannien einen scharfen Knick um 410 macht, zu dieser Zeit haben die Römer die Insel verlassen, was sich auch sichtbar in der Grafik niederschlägt und insofern für ihre Validität spricht.

Man erkennt auch den ganz anderen Verlauf der Wirtschaftsstruktur im Osten: hier verläuft der Knick in der Optik erst um 650.

Ich finde, wenn man nur diesen Parameter "Komplexität der Wirtschaft" heraushebt und andere wichtige Parameter unberücksichtigt lässt, dann zeigt einem diese Grafik anschaulich den Wechsel von RR und MA auf, obwohl dieser Prozess insbesondere im Westen sehr langsam und stetig verlaufen ist und nicht erdrutschartig wie in Britannien.
 
Das war wohl nicht zuletzt eine Platzfrage. Um die 5 Papyrusrollen zusammen in einem zylindrischen Gefäß sind nicht nur größer als so ein Codex, sie lassen sich auch weit weniger gut in Massen platzsparend lagern. Dazu der bald folgende Wechsel von Papyrus (woraus die ersten Codices noch waren) zum Pergament, weil das wesentlich haltbarer und widerstandfähiger ist.

Ok, aber das Platzproblem gab es schon immer, die Nachschubprobleme beim Papyrus erst im 7. Jahrhundert.
Vielleicht noch ein Gesichtspunkt: Die Papyrusrollen standen in der römischen Antike für die Welt altehrwürdiger Bildung. Solche Ehrfurcht ging den meisten christlichen Lesern ab. Die sahen nur den Vorteil, wenn sie in einer heiligen Schrift einfacher nachblättern konnten.
Manchmal wird der Fortschritt dadurch befördert, dass man sich von altem Ballast trennt.
 
Stimmt. An die Nachschubprobleme hab ich nicht gedacht bzw. waren sie mir gar nicht so klar, die hatten in dieser Entwicklung definitiv mehr Einfluss als die Platzfrage.
Manchmal wird der Fortschritt dadurch befördert, dass man sich von altem Ballast trennt.
Keine leichte Sache, aber da hast du wohl Recht :D

Um vom nächsten Exkurs wieder zurückzukommen: Halten wir also fest, dass zu den relevanten Veränderungen auch der Codex als neue Schriftform gehört. Wobei das, anders als noch die Religionen, praktisch überhaupt keinen politischen Einfluss hatte. Womit man die These aufstellen könnte oder sogar muss, dass die von Lara versuchte Beurteilung der Frage nur anhand der politischen Ebene kaum möglich ist, es scheint an diesem Punkt viel mehr eine gesamtkulturelle Veränderung zu sein, die da stattfand.
 
Vielleicht noch ein Gesichtspunkt: Die Papyrusrollen standen in der römischen Antike für die Welt altehrwürdiger Bildung. Solche Ehrfurcht ging den meisten christlichen Lesern ab. Die sahen nur den Vorteil, wenn sie in einer heiligen Schrift einfacher nachblättern konnten.
Manchmal wird der Fortschritt dadurch befördert, dass man sich von altem Ballast trennt.
Hier bin ich absolut nicht überzeugt. Mal abgesehen davon, dass auch das Mittelalter die altehrwürdige Bildung der Alten durchaus zu schätzen wusste, brachte man doch biblischen texten noch viel mehr Ehrfurcht entgegen.
 
... Die Papyrusrollen standen in der römischen Antike für die Welt altehrwürdiger Bildung. Solche Ehrfurcht ging den meisten christlichen Lesern ab. Die sahen nur den Vorteil, wenn sie in einer heiligen Schrift einfacher nachblättern konnten.
Es gab im Frühmittelalter so gut wie keine Leser mehr, wenn man von den Klöstern absieht. Bekannt ist ja doch Karl der Große als Analphabet. Außerdem wurde die Hl. Schrift vor allem in Latein angeboten (also vorgelesen), die die Menschen außerhalb Italiens, vlt. noch Galliens, wohl kaum verstanden.
 
Außerdem wurde die Hl. Schrift vor allem in Latein angeboten (also vorgelesen), die die Menschen außerhalb Italiens, vlt. noch Galliens, wohl kaum verstanden.

Ich denke, das wird auch noch im frühen MA innerhalb der Romania noch verstanden worden sein, zumal das Latein der Bibel auch ein relativ einfaches ist, wenn man das mit den Werken von Tacitus, Cicero vergleicht.

Nur im Norden Frankreichs scheint sich das Romanische bzw. Altfranzösische schon weiter vom Lateinischen entfernt zu haben:

Im 9. Jhdt. gab es in Tours und Reims Konzile, nach dem die Priester in lingua rustica romana (in der verfeinfachten (oder ländlichen) römischen (oder romanischen) Sprache) predigten sollten, so dass man davon ausgehen kann, dass sich das gesprochene Altfranzösische in Nordfrankreich schon so weit vom Lateinischen entfernt hatte, dass es nicht mehr verstanden wurde. Im Süden Frankreichs (Konzile von Châlons-sur-Saone und Arles) sollte es hingegen Latein sein. Selbst heute ist Okzitanisch m. E. deutlich archaischer (näher am Latein) als Französisch.

https://fr.wikipedia.org/wiki/Serments_de_Strasbourg#Donn.C3.A9es_externes
 
Manchmal wird der Fortschritt dadurch befördert, dass man sich von altem Ballast trennt.
Ich bin hier anderer Ansicht: Mit der Vernichtung des „Ballasts“ wurde antikes Wissen mitvernichtet, was statt zum Fortschritt zu einem Rückschritt führte. Erst durch den Import des von den Arabern geretteten antiken Wissens wurde Renaissance möglich – am Ende des Mittelalters.
 
Ich denke, das wird auch noch im frühen MA innerhalb der Romania noch verstanden worden sein, zumal das Latein der Bibel auch ein relativ einfaches ist, wenn man das mit den Werken von Tacitus, Cicero vergleicht.
Die silberne (Tacitus) und goldene (Cicero) Latinität müssen wir nicht voraussetzen, allerdings sollte man Bibel von Bibel unterscheiden. Die Vulgata ist zwar gewissermaßen als volkssprachliche Bibel gedacht gewesen - daher ja auch ihr Name - aber sie war dann doch sprachlich um einiges gehobener als ältere lateinische Übersetzungen, wie die Itala oder die Afra (in italischem und afrikanischem Spätlatein). Dafür war sie eben auch ohne deren Übersetzungs-ungenauigkeiten.
 
Nur im Norden Frankreichs scheint sich das Romanische bzw. Altfranzösische schon weiter vom Lateinischen entfernt zu haben
Ähnlich wie beim Hoch- und Niederdeutschen existieren doch auch im Französischen "zwei offizielle Sprachgruppen": die langues d'oc im Süden und langues d’oïl im Norden. Dass sich dieser Unterschied schon im 9.Jh festmachen lässt, ist neu für mich.
 
Ich bin hier anderer Ansicht: Mit der Vernichtung des „Ballasts“ wurde antikes Wissen mitvernichtet, was statt zum Fortschritt zu einem Rückschritt führte. Erst durch den Import des von den Arabern geretteten antiken Wissens wurde Renaissance möglich – am Ende des Mittelalters.
Mit Ballast meine ich natürlich nur die Papyrusrollen als Textträger, nicht die Texte selbst.
 
Es gab im Frühmittelalter so gut wie keine Leser mehr, wenn man von den Klöstern absieht. Bekannt ist ja doch Karl der Große als Analphabet. Außerdem wurde die Hl. Schrift vor allem in Latein angeboten (also vorgelesen), die die Menschen außerhalb Italiens, vlt. noch Galliens, wohl kaum verstanden.
Ja, aber irgendwelche Leser gab es doch, nämlich diejenigen, die sich notgedrungen oder gern für Kodizes und gegen Rollen entschieden.
 
Hier bin ich absolut nicht überzeugt. Mal abgesehen davon, dass auch das Mittelalter die altehrwürdige Bildung der Alten durchaus zu schätzen wusste, brachte man doch biblischen texten noch viel mehr Ehrfurcht entgegen.
Wenn ich es recht sehe, sind die Juden bei der Schriftrollen geblieben: bei den heiligen Torarollen. Insofern setzten sich die Christen mit ihren Büchern sowohl von der heidnisch-antiken als auch von der jüdischen Tradition ab.
 
Ich bin hier anderer Ansicht: Mit der Vernichtung des „Ballasts“ wurde antikes Wissen mitvernichtet, was statt zum Fortschritt zu einem Rückschritt führte. Erst durch den Import des von den Arabern geretteten antiken Wissens wurde Renaissance möglich – am Ende des Mittelalters.
In mehrerlei Hinsicht schief. Schon der Begriff "Vernichtung" setzt Aktivität voraus, einen Vernichtenden. Zudem ist die Ansicht, daß "das Mittelalter ein Rückschritt" war, eine veraltete Sichtweise. Es war etwas anderes. Zudem, ohne die Wissensvermittlung durch die Araber in irgendeiner Form angreifen zu wollen, gab es sehr wohl aus der Antike tradierte Texte und auch die Araber hätten über viele Texte, die über sie ins lateinische Mittelalter überliefert wurden, ohne Christen gar nicht verfügt. Die Renaissance begann zudem in Italien und nicht in Spanien. Dort hätte sie beginnen müssen, wenn die Übersetzungen antiker Texte aus dem Arabischen für die Renaissance eine solche Bedeutung gehabt hätte. Nein, griechische Mönche brachten auf der Flucht vor Seldschuken und Osmanen die für das westliche Christentum verlorenen Texte mit.
 
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