Rom und Mowgli vs. Rotkäppchen, die drei kleinen Schweinchen und die Sieben Geißlein

El Quijote

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Dieser Thread kommt nicht wie der Wolf im Schafspelz daher, eher wie ein Schaf im Wolfspelz.

Ich weiß nicht, wie viel Gründungssage Roms in Kiplings Mowgli eingeflossen ist. Aber es ist doch auffällig, dass Wölfe in der europäischen Kulturgeschichte sowohl sehr negativ als auch sehr positiv konnotiert sind.

Auf der einen Seite haben wir die Wölfin die Romulus und Remus säugt, auf der anderen den bösen Wolf, vor dem man sich in Acht nehmen muss, der die Großmutter frisst und Rotkäppchen betrügt, der Kreide frisst oder der die Hütten der drei kleinen Schweinchen zerstört.

Wie viel historische Erfahrung steckt in Isengrimm und co., wieviel in Mowgli?
 
Ist im römischen Gründungsmythos wirklich eine Wölfin (lupa) gemeint, oder eher wie Livius glaubte, eine Hure?

[Edit] Gegen Livius' Annahme spricht natürlich, dass der Wolf schon von den Etruskern verehrt wurde, von denen die Römer den Mythos wohl übernommen hatten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ist im römischen Gründungsmythos wirklich eine Wölfin (lupa) gemeint, oder eher wie Livius glaubte, eine Hure?

[Edit] Gegen Livius' Annahme spricht natürlich, dass der Wolf schon von den Etruskern verehrt wurde, von denen die Römer den Mythos wohl übernommen hatten.
Livius schreibt:

....lupam sitientem ex montibus qui circa sunt ad puerilem vagitum cursum flexisse; eam submissas infantibus adeo mitem praebuisse mammas ut lingua lambentem pueros magister regii pecoris invenerit—Faustulo fuisse nomen ferunt—ab eo ad stabula Larentiae uxori educandos datos. Sunt qui Larentiam volgato corpore lupam inter pastores vocatam putent; inde locum fabulae ac miraculo datum.

Eine durstige Wölfin kam von den Bergen...
Es gibt solche (sunt qui), die annehmen (putent), dass Larentia ihren Körper preisgab und [deshalb] unter den Hirten "Wölfin" (= Dirne) genannt wurde, daher sei die Erzählung und das Wunder gegeben.​
 
Ist im römischen Gründungsmythos wirklich eine Wölfin (lupa) gemeint, oder eher wie Livius glaubte, eine Hure?

[Edit] Gegen Livius' Annahme spricht natürlich, dass der Wolf schon von den Etruskern verehrt wurde, von denen die Römer den Mythos wohl übernommen hatten.
Im römischen Gründungsmythos ging es definitiv um eine Wölfin. Die Geschichte mit der "lupa" Larentia erzählte Livius nur als möglichen Ursprung des Wölfin-Mythos, dass er also durch ein Missverständnis entstanden sei. Das ändert aber nichts daran, dass es im Mythos, wie er sich durchsetzte, tatsächlich um eine Wölfin ging. Es wurden Münzen geprägt, die eine Wölfin zeigten, und es gab in Rom zwei Kultbilder der Wölfin: eines beim Ruminalischen Feigenbaum, das zeigte, wie die Wölfin die Zwillinge säugte, und eines am Kapitol, das durch einen Blitz beschädigt wurde.
 
Livius schreibt:
...
Es gibt solche (sunt qui), die annehmen (putent), dass Larentia ihren Körper preisgab und [deshalb] unter den Hirten "Wölfin" (= Dirne) genannt wurde, daher sei die Erzählung und das Wunder gegeben.
Die sich aufdrängende Frage, ob auch die Hure eine Metapher ist, führt natürlich völlig an Deinem Thema vorbei. Vielleicht mache ich da lieber ein neues Thema bei den Römern auf.

Zu Deiner Frage fällt mir noch ein, dass auch in der germanischen Mythologie Wölfe ambivalent dargestellt werden. Da sind einerseits die treuen Begleiter Odins, Geri und Freki, und andererseits haben wir den 'bösen' Fenriswolf, der schließlich Odin verschlingen wird.
 
Die sich aufdrängende Frage, ob auch die Hure eine Metapher ist, führt natürlich völlig an Deinem Thema vorbei. Vielleicht mache ich da lieber ein neues Thema bei den Römern auf.
Sicherlich wird das eine Metapher gewesen sein. Wahrscheinlich steckt dahinter die Vorstellung, dass eine Dirne keine Mutter im mütterlichen Sinne ist. Man denke an das Bordell aus Aschkelon, welches bei seiner Auffindung zunächst als Beleg für den herodianischen Kindermord herangezogen wurde: Man fand dort viele Säuglingsskelette.
 
Mein Gedankengang ist eigentlich der: Wir haben in Dtld. ja seit ca. 20 Jahren mit der Wiederkehr des Wolfs "zu kämpfen". Es gibt Leute, die die Wiederkehr des Wolfs begrüßen und es gibt solche, denen das Angst macht. Ich selbst gehöre zu beiden Gruppen. Ich finde das toll und denke auch, dass Wölfe im Normalfall keine Gefahr für den Menschen darstellen. Allerdings: Ich habe schon im Kindergartenalter alleine im Wald gespielt. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch so erlauben würde, wenn ich Kinder hätte. Ein Kind könnte ein leichtes Opfer sein. Und deshalb interessiert mich, welche historischen Erfahrungen hinter den verschiedenen Legenden stecken, die vom Wolf als Räuber und vom Wolf als Lebensretter sprechen.
 
Der Wolf als führendes Landraubtier Mitteleuropas faszinierte eben und wurde gefürchtet. Die Furcht spiegelt sich in Märchen wie Rotkäppchen und Werwolfsmythen, die Faszination darin, dass er als Symbol, Quasi-Ahn oder auch Begleittier mächtiger Götter verwendet wurde.

Ich glaube nicht, dass die Wölfin in Mythen von gesäugten Kindern als Lebensretterin fungieren soll. Ich vermute eher, dass sie den Gesäugten in gewisser Weise wölfische Kraft und Wildheit einflößen soll. (Romulus und Remus waren ja kein Einzelfall, ähnliche Sagen gab es auch um Kyros II. oder Wolfdietrich.)
 
Ich habe gelesen dass im 17. Jahrhundert in Sachsenhausen Kinder auf dem Schulweg von Wölfen getötet wurden. Sicherlich weniger gefährlich damals der Schulweg, auch im Winter, als heute bei den vielen Autos mit dem Wolf im Lenkrad und auf der Motorhaube.
Homo hominis lupus, das ist ja eine negative Sicht auf den Wolf seit langem. Wolfsrudel untereinander haben hohe soziale Disziplin die dem Überleben der Gruppe dient.
Vor einem brünftigen Rehbock nehme ich mich in Acht, den Wolf achte ich. Die Menschen früher werden den Wolf von Hof und Vieh ferngehalten und trotzdem geachtet haben.
In einer Dorfchronik aus einem Dorf bei Kirchhain/Hessen aus dem 30jährigen Krieg wird ein verletzter Wolf geschildert der Zuflucht bei einem Hof sucht. Auch hier Achtung gegenüber dem Wesen. Zugleich gab es aber Wolfsgruben, Wolfsangeln mit denen, in denen gefangene Wölfe grausam getötet wurden.
Wer in der Landschaft unterwegs war sah den Wolf als Teil der Welt. Vertraut und fremd, nah und gefährlich.
Erstaunlich: Wölfe wurden meist als Einzelgänger betrachtet, nicht als Jäger im Rudel.
 
Es ist witzig, dass ich kurz vor Weihnachten diesen Thread gestartet habe, und zwischen Weihnachten und Silvester tatsächlich einem Wolf (vielleicht auch zwei oder drei, es waren drei Sichtungen in einem Zeitraum von vielleicht zehn Minuten) im Wald begegnet bin. Ich habe das an BUND, Kreisjägerschaft und Forstamt gemeldet, auch ob nicht die Bevölkerung gewarnt werden müsse - eben wegen der Kinder, das war in absoluter Dorfnähe - aber die Kreisjägerschaft teilte mir mit, dass das Rudel ein sehr großes Streifgebiet hätte, von dem sich auch mal Einzeltiere lösen würden und Kinder nicht gefährdet seien.
 
Das weiß ich, deshalb habe ich ja auch nicht von "den" Hirpinern geschrieben.
Ich meine entweder aus den Ausführungen von Ulf (Lupercalia) oder Dumézil (ver sacrum) oder Aigner-Foresti (Frühzeit Latiums) ableiten zu können, dass an dem multi-kulti Gemisch in der Gründungszeit Roms auch Hirpiner (nicht der Stamm) beteiligt waren.
 
Mein Gedankengang ist eigentlich der: Wir haben in Dtld. ja seit ca. 20 Jahren mit der Wiederkehr des Wolfs "zu kämpfen". Es gibt Leute, die die Wiederkehr des Wolfs begrüßen und es gibt solche, denen das Angst macht. Ich selbst gehöre zu beiden Gruppen. Ich finde das toll und denke auch, dass Wölfe im Normalfall keine Gefahr für den Menschen darstellen. Allerdings: Ich habe schon im Kindergartenalter alleine im Wald gespielt. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch so erlauben würde, wenn ich Kinder hätte. Ein Kind könnte ein leichtes Opfer sein. Und deshalb interessiert mich, welche historischen Erfahrungen hinter den verschiedenen Legenden stecken, die vom Wolf als Räuber und vom Wolf als Lebensretter sprechen.

Charismatisches Großwild hat zu allen Zeiten die Phantasie des Menschen angeregt, wie viele Städte, Staaten, Länder und Gemeinden führen Löwen, Leoparden, Bären oder Stiere im Wappen. Homer erwähnt in unzähligen Gleichnissen das Verhalten von Löwen: Menelaos freut sich wie ein Löwe, der "großem Kadaver im Gebirge begegnet, als er zum Zweikampf mit Paris/Alexandros antritt. Ajax zieht sich missmutig beim Kampf um die Mauer zurück wie ein Löwe, den Hunde und Hirten zwingen, sich von der Herde zurückzuziehen. Achilleus weint um Patroklos wie eine Löwin, der Jäger die Jungen raubten, und er begibt sich auf den Kriegspfad mit dem Zorn eines verwundeten Löwen, der seinerseits dem Jäger auflauert.

Der Wolf ist eines der am weitesten verbreiteten Landraubtiere und den meisten Kulturen gut bekannt. Nordamerikanische Nations bewunderten den Wolf als Jäger, verehrten seine Intelligenz, seinen Familiensinn. Andererseits war der Wolf seit Beginn der Viehhaltung ein Nahrungskonkurrent des Menschen, der scharf bejagt wurde. Das traf auch auf andere Raubtiere zu, wobei von Löwen, Leoparden und Bären weitaus mehr Angriffe auf Menschen zu verzeichnen waren/ sind, als bei Wölfen dokumentiert. Trotzdem sind Leoparden, Tiger, Löwen und Bären nie so erbarmungslos bis zur Ausrottung bekämpft worden wie Wölfe.
Bären, Löwen und Tiger waren Hochwild, deren Erlegung teilweise schon in der Antike Königsprivileg war. Indische Maharadschas haben viele Tiger geschossen, sie aber auch gehegt wie europäische Potentaten ihr Rotwild. Der Asiatische Löwe, mit dem sich einst Heroen wie Herakles und Simson herumbalgten, den Homer so bildreich beschrieben hat und dessen Verbreitungsgebiet sich bis nach Makedonien erstreckte (, Herodot schreibt, dass die makedonischen Löwen die Kamele des Xerxes zum fressen gern hatten) verdankt sein Überleben im winzigen Habitat des Gir Forrest Parks der Hege eines indischen Nabots.

Der Wolf fand solche Heger in Europa nicht. Der Hund gilt als "bester Freund" des Menschen, als Sinnbild für Treue, man denke an die Episode von Odysseus Heimkehr nach Ithaka, der nur von seinem Jagdhund Argos wiedererkannt wird, und der Wolf ist der Stammvater aller Hunderassen. Dennoch wurde der Wolf zum "bösen Wolf" zum Sinnbild des Bösen schlechthin, zu einem Raubtier, dass wie kaum ein anderes solche Urängste erregt. Das ist ein kulturhistorisch interessantes Phänomen.

Ich würde aber schon die These vertreten, dass solche Ängste in der Zeit der Antike noch nicht Gemeingut war. Ambivalent war natürlich schon damals die Einstellung zum Wolf. Die Wölfe Geri und Fregi sind Begleiter Wodan/Odins, andererseits wird einst die Bestie des Fenris Wolfs Odin verschlingen und die Götterdämmerung auslösen. Der Wolf war eine geschätzte Jagdbeute, deren Erlegung mit Steigerung des Prestige verbunden war , der Wolf war ein Symbol für Stärke, Aggressivität und Autonomie und auch geschätzt als vierbeiniger Gladiator in römischen Venationes.

Wölfe galten aber natürlich auch als Schädlinge und Bedrohung für Nutztiere, und als solche wurden sie natürlich scharf bejagt. Es gab schon in der Antike abgetrennte Jagdgebiete, in denen die Ausübung der Jagd Privileg war, prinzipiell aber war die Ausübung von Jagd und Fischerei frei, jeder, der sich die Ausrüstung leisten konnte, durfte jagen.
Im Frühmittelalter begann die Jagd ein Privileg des Adels zu werden, der immer härter auf dieses Recht pochte. Wer in den karolingischen Königsforsten beim Wildern erwischt wurde, kam noch relativ glimpflich davon, das änderte sich aber in den kommenden Jahrhunderten, und Wilderei wurde teilweise sogar mit Todesstrafe bestraft. Die Aristokratie betrachtete jedes Stück Wild als persönliches Eigentum, und wer sich am geliebten herrschaftlichen Schalenwild verging, egal ob Mensch oder Tier wurde erbarmungslos verfolgt. Bären waren Hochwild, Wölfe dagegen durften auch von Vertretern des unehrlichsten Berufes-den Scharfrichtern- gejagt werden. Da war jedes Mittel recht, Wölfe wurden mit Gift oder auch Wolfsangeln erlegt. Eine Wolfsangel ist ein ankerförmiges Metallstück mit zwei scharf geschliffenen Haken. Diese Haken wurden mit Fleisch beködert und gerade noch in Sprunghöhe eines Wolfs an einem Baum befestigt. Sprang der Wolf hoch und schnappte danach, hing er am Haken und musste elend zugrunde gehen.


Ich würde sagen, dass der "böse Wolf" erst im Mittelalter geboren wurde. Es war eine ziemlich komplizierte Gemengelage, die zu einem Paradigmenwechsel im Wolfsbild führte: Beigetragen haben 1. Christianisierung, 2. Entwicklung des feudalen Jagdrechts im Mittelalter, 3. die verbreitete Form der Waldweidewirtschaft. 4. Die Werwolf-Hysterie im 17. Jahrhundert, als fast so viele Werwölfe wie Hexen exekutiert wurden.

Mit der Christianisierung verschlechterte sich das Image des Wolfs. Schon im alten Testament, wird häufig die Metapher von reißenden Wölfen gebraucht. Gott wurde als "guter Hirte" symbolisiert, da lag es nahe, im Wolf eine Kreatur Satans zu sehen. Die im Mittelalter gebräuchliche Form der Waldweide bedeutete, dass für Wölfe buchstäblich die Dinnerglocke geläutet wurde. Das Leben der Bauern war schon mit Abgaben und Fronden schwer belastet, der Verlust von Vieh, den natürlich niemand ersetzte, konnte durchaus existenzbedrohliche Züge annehmen.
Das i

Das Zusammenleben mit großen Raubtieren ist niemals konfliktfrei. Der Wolf ist ein hoch entwickelter Beutegreifer, der das frisst, was er zu überwältigen im Stande ist. In freier Wildbahn ausgewachsene Bisons und Elche. Im Normalfall gehört der Mensch und seine Nutztiere nicht in das Beutespektrum des Wolfs. Angriffe auf Menschen sind extrem seltene Ausnahmen, Fälle, in denen Wölfe Menschen nicht nur angefallen, sondern sogar gefressen oder angefressen haben, sind noch seltener, und das waren auch ganz andere Zeitumstände. Es ist aber schlichtweg Augenwischerei, wenn wie es manche Wolfsliebhaber tun, Wölfe kategorisch für harmlos erklärt werden. Im schwedischen Kolmarden warb ein Wildpark als besondere Attraktion damit, dass Besucher das Wolfsgehege betreten durften. Eine Pflegerin betrat gegen Rat das Gehege allein, und das Rudel griff sie an und tötete sie.

Den Wolf hat kein Maharadscha oder Nabot gerettet, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks tauchten Wölfe plötzlich nach mehr als 100jähriger Abwesenheit aus der Konkursmasse wieder auf. Wissenschaftler und Engagierte wie Erik Ziemen und Werner Freund haben seit den 1980ern viel getan, das öffentliche Bild des Wolfs zu verbessern und antiquierte Vorurteile zu revidieren. Der "böse Wolf" schien nur noch ein Schreckgespenst, ein Kinderschreck aus grauer Vorzeit zu sein, der Omas und Rotkäppchen frisst. In meiner Jugend haben die Flüchtlinge erzählt, dass die Wölfe in manchen Jahren bis nach Ostpreußen kamen, inzwischen sind die Wölfe weiter nach Westen vorgedrungen als "der Russe" sich jemals hätte träumen lassen. Die Biester drohen, die heimischen Stadtwälder, und in unmittelbarer Nähe zum eigenen Idyll wollen selbst die großen Enthusiasten Canis Lupus dann doch nicht haben. Die Wölfe haben nicht um Erlaubnis gefragt, sie haben sich ökologische Nischen zurückerobert, den Umgang mit dem Wolf müssen wir erst wieder lernen, Herdenschutz, Wolfsmanagement etc. da fehlt es an praktischen Erfahrungen.

Rational betrachtet dürfte die potenzielle Gefahr für Kinder im Asphaltdschungel wesentlich größer sein, aber die Zahl der Verkehrstoten erschreckt uns nicht wirklich, ein Kleinkind, das von einem Laster zerquetscht wird, ist eine grauenhafte Vorstellung- ein Kind, womöglich das eigene Kind, das von einem Wolf gefressen wird eine unerträgliche Vorstellung, die Urängste mobilisiert.


In den 1820er Jahren erschütterte der Fall der Wölfe von Gysinge. Bei einer Jagd hatten Dorfbewohner eine Wolfhöhle ausgehoben und zwei Welpen mitgenommen. Ein Welpe wurde verkauft der andere wurde von einem Paar wie ein Hund gehalten. Mit zunehmendem Alter wurde das Tier unkontrollierbar und der Jäger setzte den Wolf aus, man glaubte, das Tier könne ohne Rudel nicht überleben. Der Wolf, der die Scheu vor Menschen verloren hatte wurde zu einem der wenigen Maneater, die es unter Wölfen gab und versteckte sich im Dorf und fiel immer wieder Kinder und Jugendliche an. Als der Fall bekannt wurde, begann man systematisch damit, Wölfe in Schweden auszurotten. Wer erinnert sich nicht an Hänsel und Gretel, die befürchten, zu verschmachten oder von wilden Tieren gefressen zu werden. Der Wald in Märchen bietet einerseits Schutz, ist aber auch reich an Bedrohungsszenarien.
Rotkäppchen wird aber erst zur leichten Beute, als sie Vorsichtsmaßnahmen in den Wind schlägt, solange sie auf dem Weg bleibt, kann der Wolf oder Werwolf nichts machen. Im Epilog des Märchens der Grimms wird erwähnt, dass Rotkäppchen sich bei einer späteren Konfrontation mit einem (Wer)Wolf besser bewährt.
 
Mit Erstaunen las ich kürzlich in einem Buch (Mario Ludwig, Faszination Menschenfresser S. 61-80), dass es im 1. Weltkrieg an der Ostfront im Baltikum zu einer Wolfplage kam. In seiner Weltkrieg-Biographie Gespenster am Toten Mann berichtet Paul Ettighofer ebenfalls von einer Wolfsplage im Winter 1916/17. Es wurde den Soldaten untersagt, sich unbewaffnet und allein mehr als 100 m von der Truppe zu entfernen. Ettighofer erwähnt auch eine Begebenheit mit Wölfen. Nach einem Angriff der Russen wurde ein russischer Kornett schwer verwundet. Er sollte mit einem Schlitten nach hinten gebracht werden. Auf dem Weg geriet der Fahrer in einen Schneesturm. Der Verwundete war inzwischen verstorben. Plötzlich geriet das Pferd in Panik. Der Fahrer spannte aus und setzte sich auf das Pferd, das in gestrecktem Gallop und heller Panik davonpreschte. Als man Stunden später den Schlitten barg, war von dem Verletzten keine Spur mehr vorhanden. Um die Wolfsrudel zu bekämpfen, kam es im Winter 1916/17 sogar zu einem Waffenstillstand und einer koordinierten Wolfsjagd die gemeinsam von den deutschen und russischen Militärs organisiert wurde.
 
Dieser Thread kommt nicht wie der Wolf im Schafspelz daher, eher wie ein Schaf im Wolfspelz.

Ich weiß nicht, wie viel Gründungssage Roms in Kiplings Mowgli eingeflossen ist. Aber es ist doch auffällig, dass Wölfe in der europäischen Kulturgeschichte sowohl sehr negativ als auch sehr positiv konnotiert sind.

Auf der einen Seite haben wir die Wölfin die Romulus und Remus säugt, auf der anderen den bösen Wolf, vor dem man sich in Acht nehmen muss, der die Großmutter frisst und Rotkäppchen betrügt, der Kreide frisst oder der die Hütten der drei kleinen Schweinchen zerstört.

Wie viel historische Erfahrung steckt in Isengrimm und co., wieviel in Mowgli?

Charismatisches Großwild regt einfach die Phantasie an. Die Begegnung mit einem Wolf, zumal in freier Wildbahn lässt einen nicht kalt. Faszination und Bewunderung, wenn man ein Tier auf seinem Terrain beobachtet, ein leichter Schauer, wenn man das Alligatorgebiss eines kapitalen Hechtes betrachtet oder die Waffen eines Keilers, wenn man schon mal gesehen hat, wie sie einen Hund oder auch mal die Hose eines Fährtensuchers regelrecht aufschlitzen können. Dann natürlich auch Sorge um Kinder oder Hunde und die dumpfe Ahnung, das Homo sapiens nicht unbedingt das Ende der Nahrungskette ist. Dabei muss man nicht mal auf den Wolf kommen. Nach der Schlacht von Shiloh beobachteten Überlebende, wie sich halbwilde Schweine über die Gefallenen hermachten. Zahlreiche Tierprozesse im Mittelalter wurden Schweinen gemacht, weil sie ein Familienmitglied verspeisten, und noch vor ein paar Jahren entsorgte ein Täter in Nordhessen, weil er zwei Leichen an die Schweine verfütterte. Schwarzwild jagt in der Regel nicht aktiv, wenn eine Wildsau aber ein Kitz findet, frißt sie es. Schwarzwild und auch Krähen reagiert auf Lockrufe wie Kitzfiep, Hasen- und Kaninchenklage, Vogelangstruf.

Wölfe wurden bewundert wegen ihrer Intelligenz, ihrer Stärke ihres Familiensinns, sie waren begehrte Jagdbeute und als wehrhaftes, gefährliches Wild bewunderte Trophäe, aber auch lästige Schädlinge, die man mit allen Mitteln zur Strecke brachte. In Kriegszeiten, wenn Wölfe kaum noch bejagt wurden, wenn sie teilweise die Scheu verloren und bis in die Dörfer kamen, müssen sie sehr lästig und durchaus auch recht gefährlich geworden sein. In Sibirien waren Wölfe seit dem Krieg kaum noch bejagt worden. Um die Stadt Kirow bildeten sich riesige Rudel, und es wurden immer wieder Menschen, vor allem Kinder attackiert. In den Fällen, in denen Wölfe nachweislich Menschen getötet und teilweise verzehrt wurden, waren fast immer Jugendliche, Kinder oder Frauen die Opfer. Solche Fälle gab und gibt es immer wieder, sie sind aber extrem selten.

Durchaus empfindliche, wenn nicht existenzbedrohende Verluste verursachten Wölfe aber nicht als Maneater, sondern als "Schädlinge", die das Weidevieh angriffen, vor allem unter Schafzüchtern waren/sind Wölfe äußerst unbeliebt. In Fabeln und Märchen steht Isegrimm symbolisch für gewalttätigen Adel. Er steht an Nobels Hof oft in Gunst, erweist sich aber als ebenso brutaler wie plumper Patron, der aber gegen den Trickster Reineke Voss immer unterliegt. Solche Schwänke waren im Volk sehr beliebt. Wie der Teufel ist der Wolf in Märchen und Fabel äußerst gefährlich, wird aber meist am Ende-wie der Teufel übertölpelt.

In der Mythologie sind die Wölfe Geri und Freki Gefährten Odins. Zwei mythologische Zwillinge, die Sonne und Mond symbolisieren werden täglich von Wölfen verfolgt, die sie zu verschlingen drohen. Der Fenriswolf ist äußerst gefährlich und wird einst Odin verschlingen. Die Beziehung zwischen Mensch und Canis Lupus war schon in der Antike äußerst widersprüchlich. Bewunderung, Faszination aber auch Furcht prägten das Bild vom Wolf. Als Agrarschädlinge und Bedrohung für Kinder und Hunde spricht man vom Wolf, die meisten Jäger lieben ihn ebenso wenig wie Schafzüchter. Wolf, Wolfram oder Wolfgang sind im deutschsprachigen Raum recht häufige und immer noch recht beliebte Vornamen.
 
Aber doch weitgehend ent-semantisiert.

Sicher sind sie ent-semantisiert, aber es war ja gefragt, nach historischen Erfahrungen, die in literarische Vorlagen eingeflossen sind. Obwohl kaum ein Raubtier in der europäischen Kultur stärker verfemt und schärfer bejagt wurde, gehörte aber auch eine gewisse Faszination zum Bild das man sich vom Wolf machte dazu, und das schlug sich auch in Vornamen wie Wolfgang nieder, in Ortsnamen wie Wolfenbüttel, Wolfhagen und Wolfsburg. Hitler ließ sich im engsten Kreis, etwa vom Wagner-Clan, Wolf nennen. Der Wolf war auch in der Heraldik ein beliebtes Motiv.

Etliche lokale Ortsbezeichnungen erinnern aber auch noch an die Zeit, als Wölfe mit allen Mitteln bekämpft wurden. Namen wie zur Wolfskuhle, Wolfsgrube oder Wolfschlucht erinnern oft noch daran, dass sich im Gelände stationäre Wolfsfallen, Fallgruben angelegt wurden. Die sogenannte Wolfsangel ist ein recht häufiges heraldisches Motiv. Die Stadt Fellbach, nahe Stuttgart hat in ihrem Stadtwappen drei Wolfsangeln.
 
Zu Deiner Frage fällt mir noch ein, dass auch in der germanischen Mythologie Wölfe ambivalent dargestellt werden. Da sind einerseits die treuen Begleiter Odins, Geri und Freki, und andererseits haben wir den 'bösen' Fenriswolf, der schließlich Odin verschlingen wird.
Ich sehe da wenig Ambivalenz. Deutet man die Namen Geri und Freki als gierig und verfressen, so teilen sie ihre wesentliche Eigenschaft mit Fenrir. Der Wolf der germanischen Sage ist verfressen und gierig, er kann alles verschlingen.

Das Motiv des gierigen und verfressenen Wolfes taucht auch in der mittelalterlichen Fabel auf. Der Wolf Isegrimm ist verfressen, gierig und dumm und damit das genaue Gegenteil von Reinecke Fuchs.

Bereits in der antiken Fabel von Aesop und Phaedrus dreht sich bei den Wölfen alles ums Fressen.

Der reale Hintergrund ist sicherlich der Beuteschlag-Reflex des Wolfes. Wenn Wölfe Haustiere angreifen, töten sie instinktiv alle Tiere, die nicht fliehen können und richten so ein "Blutbad" an. So kann selbst ein einzelner Wolf in einer Nacht erheblichen Schaden anrichten und dutzende Schafe töten.
Das Phänomen tritt allerdings auch bei Füchsen und Mardern auf, sodass die Dichotomie von Reinecke und Isegrimm eigentlich nicht so viel Sinn ergibt.
 
Der reale Hintergrund ist sicherlich der Beuteschlag-Reflex des Wolfes. Wenn Wölfe Haustiere angreifen, töten sie instinktiv alle Tiere, die nicht fliehen können und richten so ein "Blutbad" an. So kann selbst ein einzelner Wolf in einer Nacht erheblichen Schaden anrichten und dutzende Schafe töten.
Das Phänomen tritt allerdings auch bei Füchsen und Mardern auf, sodass die Dichotomie von Reinecke und Isegrimm eigentlich nicht so viel Sinn ergibt.
Nur schlägt ein Fuchs i.d.R. kein Schaf ;) denen hat man die Fluchtreflexe ja weitgehend abgezüchtet.
 
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