Kannst du mal ein Beispiel machen? Am Besten anhand der Kaiserfrage...
Wie oben angemerkt, mach es an Funktionalität fest.
Nimm das Königtum an und für sich.
Das wird im Frühmittelalter mal begründet und mit den Funktionen der Friedenssicherung , der Rechssprechung etc. versehen, weil es dafür eben keine anderen Institutionen gab.
Wie viel von dieser ursprünglichen Funktion ist zur Zeit eines Louis XVI. oder gar eines KWII. denn noch vorhanden? Und wie viel ist schlicht durch andere Institutionen übernommen worden?
Vor diesem Kontext: Stellen wir uns einfach mal die Frage:
- Würde eine um 800 herum lebende Person das Königtum für eine verzichtbare Einrichtung gehalten haben?
- Würde eine um 1789 herum lebende Person das Königtum für eine verzichtbare Einrichtung gehalten haben?
- Welche Gründe würde man dafür gehabt haben?
Stellt man sich die Frage und geht das im Geiste durch, muss man mehr oder minder zu folgendem Ergebnis kommen:
1. Eine um 800 herum lebende Person würde das Königtum in keinem Fall für eine verzichtbare Einrichtung gehalten haben.
2. Eine um 1789 herum lebende Person würde das Königtum möglicherweise durchaus für verzichtbar gehalten haben.
Warum ist das so?
Weil um 800 herum das Königtum so mit die einzige Instanz ist, die überhaupt mit den Möglichkeiten ausgestattet ist, sich um Friedenssicherung und Regelung von Streitigkeiten zu kümmern. Dieses System war schon zur damaligen Zeit prekär, es war aber immer noch besser als überhaupt keine Institutionen in diesem Bereich.
Und in diesem Sinne gab es um 800 herum sehr gute Argumente Königtum (und eingebundene Geistlichkeit) gut zu finden.
Wenn jemand um 1789 Frankreich bereist hätte, wäre er zu Versailles auf eine in einem Protzbau versammelte Ansammlung von gelangweilten Hocharistokraten getroffen, die keinerlei gesellschaftliche Funktionen mehr hatten, sich in Teilen nicht mal mehr auf ihren Gütern persönlich sehen ließen und von Renten und Pensionen lebten.
In der Verwaltung des Landes und elementar wichtigen, gesellschaftlichen Funktionen hatten diese Leute, wie auch der französische König schlicht keine entscheidende Funktion mehr.
Das regelte mittlerweile weitgehend der bürokratische Apparat, der König war allenfalls noch für etwas von nöten, was man modern vielleicht "Richtlinienkompetenz" nennen würde.
Damit hatten sie sich zu überflüssigen Kostenposten entwickelt und ein Problem ihre Privilegien, Befugnisse und ihren Reichtum zu rechtfertigen zumal in Zeitenn des Mangels.
Eine um 1789 herum lebende Person hätte genau so gute Gründe gehabt, eine solche Ordnung für überlebt und abzulehnen zu halten, wie der um 800 lebende Mensch sehr gute, rationale Gründe gehabt hätte, sie zu beführworten, weil sich die materiellen Grundlagen der Lebenswirklichkeit dieser beiden fiktiven Personen deutlich von einander unterschieden hätten.
Und das gleiche kann man im Prinzip an allem durchdeklinieren.
War es ein Fortschritt, dass sich die Kaiser nicht mehr vom Papst krönen ließen? Nein, es war schlicht eine Notwendigkeit um das Kaisertum selbst für die Protestanten akzeptabel zu machen und es damit zu retten. Denn die hätten den Krönungsakt durch den Bischof von Rom, in ihren Augen einen Herätiker, niemals anerkannt.
Insofern war der Schritt schlicht funktionalistisch notwendig um einen Modus vivendi zu finden.
Ist die Trennung von "Staat" und Kirche objektiv gut?
Das hängt davon ab, ob der "Staat" auf sich selbst gestellt stark genug ist, die herrschaftlichen Aufgaben wahrzunehmen oder ob er da Unterstützung bedarf und die Geistlichkeit das leisten kann.
Was wäre objektiv gut daran gewesen, wäre die kirche nicht im Frühmittelalter in die weltlichen Herrschaften eingebunden worden?
Die Folge wäre gewesen, man hätte es mit noch weniger schreib- und lesekundigen Personen zu tun gehabt und alle herrschaftlichen Aufgaben wären mehr oder minder nur auf Basis nicht belegbarer, mündlicher Vereinbarungen möglich gewesen.
Dann hätte das ganze noch weit prekärer ausgesehen, als es das realiter tat.
Im 18. und 19. Jahrhundert, in dem entsprechende bürokratiche Aparate entstanden sind, die das leisten können, wird die Geistlichkeit dafür dann nicht mehr benötigt.
usw.