War das Mittelalter ein Rückschritt?

Es geht ja nicht um Vorwürfe.
Das mag ja sein, aber implizit hast du schon den antiken und mittelalterlichen Kopisten, welche ein Werk nicht vervielfältigten und somit seine Fortexistenz, wenn schon nicht sicherten, so doch wenigstens wahrscheinlicher machten, vorgeworfen, dass sie bestimmte Werke nicht in ihre Positivauswahl übernommen haben.

Oder wie ist dieser Satz zu verstehen:

"Allerdings müsste auch bei der Positivauswahl die Frage nach der der Motivation und den Qualitätskriterien für diese gestattet sein, denn im Resultat kommt eine Nicht-Berücksichtigung für die Positivauswahl der Vernichtung gleich."​

Nicht dass wir uns missverstehen: Ich würde mir wünschen, mehr Quellen wären erhalten. Aber ich weiß eben auch, dass jedes Buch eine Schafs- oder Rinderherde bedeutet. Und jedes Schaf oder Rind, was nicht erwachsen wird, kann sich nicht reproduzieren. Und jedes Mutterschaf oder jede Kuh, das/die man schlachtet, um an das ungeborene Lamm oder Kalb zu kommen, um dessen Haut für vellum zu verwenden, ist ein Weibchen, das man für die Reproduktion dringender benötigt als die Männchen. Zur Not kann man mit einem Männchen eine ganze Herde besamen, umgekehrt funktioniert das nicht. Ein Tier trägt, einmal besamt, nun mal nur ein bis zwei Lämmer oder Kälber (selten) aus. Und dann erst wieder im Folgejahr.
 
Einverstanden

Einverstanden

Nicht einverstanden:

Das Bewahren von Vermutungen die sich als falsch erwiesen haben ist für den technischen Fortschritt in keiner Weise notwendig. Im Gegenteil ist in dieser Hinsicht bei der Problematik begrenzter Ressourcen eine Auswahl des sich als nützliche Erwiesenen notwendig, um seine Ressourcen nicht auf die Reproduktion von Irrtümern zu verschwenden, denn die braucht man noch um neuen Fortschritt festzuhalten.


Nicht einverstanden:

Ob der Verlust und die Vernichtung von Büchern den Fortschritt hemmt, hängt massiv vom konkreten Inhalt dieser Bücher ab, den wir bedauerlicherweise nicht evident benennen können.


Es geht mir um die möglichst umfassende Bewahrung von Information als Leitprinzip.
Und meine These dazu ist dass es eine Korrelation zwischen der Bewahrung von Schriftgut als solchem und der Entwicklungsgeschwindigkeit von Zivilisationen gibt.

Wir wissen um die Entwicklungssprünge seit der Erfindung der Schrift, seit der Erfindung des Buchdrucks und währen der letzten 30 Jahre. Ich schliesse daraus dass der Gesamtbestand an vorhandenen kollektiven Daten und deren Zugänglichkeit einen Rückschluss auf die Fortentwicklung von Gesellschaften zulässt sowohl quantitativ als auch qualitativ. Ich wäre sogar zuversichtlich dass man anhand einer solchen Korrelation einen Beweis führen könnte für die Annahme im Post1 dieses Threads.

In diesem Sinn wäre die Vernichtung von Büchern per se illegitim und ein No-Go.

Hätten wir heute 100% statt 10% des antiken (und mittelalterlichen) Datenbestands dann könnten wir selbst entscheiden was wir davon als Negativauswahl oder Positivauswahl deklarieren, was wir als Rosamunde Pilcher oder als Aristoteles würdig befänden. Wir wären in der Lage viele Fragen zu beantworten auf deren Feldern wir uns heute im Bereich der Spekulation bewegen. Wir hätten die Ressourcen diese Daten in ihrer Gesamtheit zu sichten, zu verarbeiten und für die Ewigkeit zu bewahren.

Natürlich sind 100% eine idealistische Vorstellung und ich kann die von Quijote beschriebene Knappheit von Ressourcen als Beweggrund für eine Negativauswahl bei der Kopistentätigkeit durchaus nachvollziehen. Allerdings habe ich entgegen Ihrer und Quijote Meinung keinerlei grundlegendes Vertrauen in die Richtigkeit der Positivauswahl, zumal dann nicht, wenn der Hintergrund in irgend einer Form politischer, ideologischer oder religiöser Natur ist.
 
Allerdings habe ich entgegen Ihrer und Quijote Meinung keinerlei grundlegendes Vertrauen in die Richtigkeit der Positivauswahl,
Moment, diese unterstellte Bewertung habe ich gar nicht vorgenommen. Im Gegenteil, ich bedaure beispeilsweise sehr den Verlust von Plinius' Germanenkriegen, ich bedauere den Verlust von Aufidius Bassus und vieler anderer Quellen. Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass ich mein Bedauern nicht mit Moralinsäure schwängere und die Altvorderen dafür verurteile.
 
Moment, diese unterstellte Bewertung habe ich gar nicht vorgenommen. Im Gegenteil, ich bedaure beispeilsweise sehr den Verlust von Plinius' Germanenkriegen, ich bedauere den Verlust von Aufidius Bassus und vieler anderer Quellen. Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass ich mein Bedauern nicht mit Moralinsäure schwängere und die Altvorderen dafür verurteile.

Und schon wieder haben Sie mich ertappt. Ich kann sie nunmal nicht leiden, die Altvorderen. Spazieren durch die Geschichte und vernichten die Quellen die dazu bestimmt waren einmal uns zu gehören.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht mir um die möglichst umfassende Bewahrung von Information als Leitprinzip.
Und meine These dazu ist dass es eine Korrelation zwischen der Bewahrung von Schriftgut als solchem und der Entwicklungsgeschwindigkeit von Zivilisationen gibt.

Nur gibt es diese Korrelation in diesem Umfang, uneingeschränkt nicht. Würde es in Deutschland ein Gesetz geben, dass es verbeitet die Bild-Zeitung ins Altpapier zu werfen (Schriftgut, wenn auch von zweifelhafter Qualität), sondern vorgeschrieben wäre sie zur Archivierung einzuliefern und zu vervielfältigen, würde sich daraus keine beschleunigte Entwicklung in irgendeinem Bereich herleiten. Es würde einfach nur Papier, Tinte und Platz zur Lagerung verschwenden und daher die Entwicklung sogar verlangsamen, weil die Archivierung Ressourcen (wenn auch keine allzu großen in der heutigen Zeit) binden würde, die für nützlichere Informationen dann nicht mehr zur Verfügung stehen (Papier/Tinte/CD/Festplattenspeicher/Arbeitsspeicher/Onlinespeicher/Arbeitszeit, whatever).

Wir wissen um die Entwicklungssprünge seit der Erfindung der Schrift, seit der Erfindung des Buchdrucks und währen der letzten 30 Jahre. Ich schliesse daraus dass der Gesamtbestand an vorhandenen kollektiven Daten und deren Zugänglichkeit einen Rückschluss auf die Fortentwicklung von Gesellschaften zulässt sowohl quantitativ als auch qualitativ.
Ich nicht. Ich schiebe die Entwicklungssprünge der einzelnen Fachdisziplinen auf die Menge und Zugänglichkeit der für die disziplinen relevanten Daten und nicht auf das Vorhandensein und die Zugänglichkeit möglichst großer Daten an und für sich.
Inwiefern bringt etwa:

- Die Meinung der Fans von Schalke 04 zu ihrem derzeitigen Trainer
- Ein Rezept zum Backen von Rhababerkuchen
- Die Digitalisierung einer Ausgabe der Prawda aus dem Jahr 1959
- Der Fantasy-Roman: "Die Orks"
- Eine Dissertation über den Theravada-Buddhismus
- Ein Katalog mit Angeboten für Pauschalreisen

oder ähnliches irgedeinen Mehrwert für den technischen (denn darum geht es ja in der Diskussion vorwiegend) Fortschritt?

Ich würde mal behaupten überhaupt nicht. Gleichsam würde ich behaupten, dass es scih auch dabei um Formen von Schriftgut und Daten handelt.

In diesem Sinn wäre die Vernichtung von Büchern per se illegitim und ein No-Go.
Nur ist diese Annahme gnadenlos überzogen. Eine große Zusammenballung fachfremder Literatur bringt einem bestimmten Fach keinen Fortschritt.

Hätten wir heute 100% statt 10% des antiken (und mittelalterlichen) Datenbestands dann könnten wir selbst entscheiden was wir davon als Negativauswahl oder Positivauswahl deklarieren, was wir als Rosamunde Pilcher oder als Aristoteles würdig befänden. Wir wären in der Lage viele Fragen zu beantworten auf deren Feldern wir uns heute im Bereich der Spekulation bewegen. Wir hätten die Ressourcen diese Daten in ihrer Gesamtheit zu sichten, zu verarbeiten und für die Ewigkeit zu bewahren.
Das mag vielleicht richtig sein. Nur dann reden wir vor allem von geisteswissenschaftlichem Fortschritt, die gesamte vorrangegangene Diskussion machte die Angelegenheit aber am technischen Fortschritt fest.

Das eine andere Quellenlage heute in Sachen Altertums- Sozial und Religionsforschung wünschenswert wäre, dem wird dir jeder zustimmen, da bin ich zuversichtlich.
Um diese aber erhalten zu können, hätte man im Mittelalter weite Teile des ökonomischen und technischen Fortschritts opfern müssen, nur um antiquarisch um des Bewahrens Willen zu bewahren.
Man könnte anführen, solches Vorgehen hätte den Fortschritt erst recht behindert.

Natürlich sind 100% eine idealistische Vorstellung und ich kann die von Quijote beschriebene Knappheit von Ressourcen als Beweggrund für eine Negativauswahl bei der Kopistentätigkeit durchaus nachvollziehen. Allerdings habe ich entgegen Ihrer und Quijote Meinung keinerlei grundlegendes Vertrauen in die Richtigkeit der Positivauswahl ...
... in Ermangelung des Wissens darüber, was verloren gegangen ist, aber auch nichts einigermaßen stichhaltiges in der Hand um argumentativ unterfüttert für das Gegenteil eintreten zu können. Das ist an dieser Stelle einfach eine Glaubensfrage, die man sicher für sich entscheiden kann. Das Ergebnis der eigenen Entscheidung zum objektiven Faktum umzudeklariern funktioniert so einfach aber nicht, dafür bräuchte es dann schon beweise. Da sind wir bei der Akzeptanz von Nichtwissen.

, zumal dann nicht, wenn der Hintergrund in irgend einer Form politischer, ideologischer oder religiöser Natur ist.

So lange wir uns auf der Ebene von technischen Wissen bewegen, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass dieses aus religiösen oder politischen Gründen dem Vergessen überantwortet worden wäre? Wer sollte daran denn ein Interesse haben?
Dahingehend, dass man der angesprochenen Zeit sicher einen gewissen Mangel an Gewissensfreiheit und Meinungspluralismus in der Literatur attestieren kann, wird man sich einig werden können. Das ist aber weder ein Alleinstellungsmerkmal für das Mittelalter, die Antike oder sonst eine Epoche, je nachdem wie groß der betrachtete Raum ist.
Welches politische oder religiöse Interesse könnte es geben konkrete, technische Entwicklungen vergessen zu wollen?

Es könnte allenfalls dahin gehen, dass neue Techniken die Sozialordnung aushebeln und die Vorrechte und Existenzgrundlage bestimmter Gruppen (z.B. Zünfte) untergraben.
Auch das wäre aber kein spezielles Problem der Antike oder des Mittelalters, sondern das wäre ein grundsätzliches Problem von Gesellschaften mit hierarchischen Ordnungen ohne die Freiheit wirtschaftlicher Entfaltung.
Derlei Probleme lassen sich in Europa locker bis ins 18. und 19. Jahrhundert hinein konstatieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Inwiefern bringt etwa:

- Die Meinung der Fans von Schalke 04 zu ihrem derzeitigen Trainer
- Ein Rezept zum Backen von Rhababerkuchen
- Die Digitalisierung einer Ausgabe der Prawda aus dem Jahr 1959
- Der Fantasy-Roman: "Die Orks"
- Eine Dissertation über den Theravada-Buddhismus
- Ein Katalog mit Angeboten für Pauschalreisen

oder ähnliches irgedeinen Mehrwert für den technischen (denn darum geht es ja in der Diskussion vorwiegend) Fortschritt?

Ich füge zu den Punkten noch hinzu
-Bild Zeitung
-Rosamunde Pilcher Romane

Zukünftigen Generationen werden diese Daten Rückschlüsse auf unseren heutigen Geisteszustand und das Wesen der Kultur im 21. Jhdt erlauben.
 
Ich füge zu den Punkten noch hinzu
-Bild Zeitung
-Rosamunde Pilcher Romane

Zukünftigen Generationen werden diese Daten Rückschlüsse auf unseren heutigen Geisteszustand und das Wesen der Kultur im 21. Jhdt erlauben.

Der Geisteszustand ist eine individuelle Angelegeheit, mit der sich nicht die Disziplin der Geschichts- oder der Sozialwissenschaft zu befassen hat, sondern das ist Arbeitsgebiet der Psychologie und Neurowissenschaft.

Wie gesagt, die Geschichts- und Sozialwissenschaft, in dem Fall sicherlich auch die Politik und Medienwissenschaft freuen sich sicher über alles, was so erhalten bleibt. Für sich betrachtet hat derlei aber in prämodernen Gesellschaften wenig Einfluss, schon weil die Meisten Menschen da überhaupt keine Zeit haben sich mit so etwas näher auseinander zu setzen. Insofern machst du dir es ein bisschen sehr leicht, indem du Vergleiche zwischen agrarischen Gesellschaften und modernen Industriestaaten ziehst. Das hat für Mobilität und Zugang zu Wissen ganz massive Konsequenzen, weswegen ich hier die Unterscheidung zwischen technischem Wissen und allem anderen, durchaus angemessen finde.

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Um nun aber mal wieder etwas konstruktiver zu werden und sich nicht ewig im Kreis zu drehen, sollte man die Sache vielleicht einmal anders angehen und sich die Frage stellen, was die konkreten Herausforderungen der Zeit waren, welche Art von Neuerungen sie erforderten und warum das möglicherweise eine andere Richtung nahm als in vorherigen Zeiten. Schließlich hat Wissen und Innovation in der Regel auch etwas mit dem Druck zu tun, den gegebene Probleme auslösen und mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die zur Bereinigung der Situation eröffnet wurden.

Nehmen wir hier etwas das Bauwesen und die Stadtentwicklung. Welche Neuerungen machte das Mittelalter hier konkret notwendig? Rom und die meisten anderen großen italischen Städte wuchsen nicht mehr, im Gegenteil, sie schrumpften. Nehmen wir die postulierte Bevölkerungszahl der Stadt Rom als zwischen 1 und 2 Millionen Einwohnern hier mal für gegeben an, dann gilt für das lateinische Europa, dass da erst in der Neuzeit mit Paris und London wieder einigermaßen vergleichbare Phänomene auftraten.
Was genau musste hier um für die Bedürfnisse einer Bevölkerung von 1.000 bis vieleicht 20.000 oder 50.000 Köpfen tragbar zu sein also tatsächlich neues erfunden werden?
Im Grunde nichts, also warum sollte man in diesem Breich großartige Mittel aufwenden?

Durch den Bevölkerungsrückgang und die Desintegration des Reichsverbands (auch die wirtschaftliche Desintegration) dürfte auf dem Mittelmeer das Handelsvolumen nach dem Zusammenbruch Westroms eher Einbußen als Aufschwünge erlebt haben. Warum also Mittel in die Hand nehmen um größere und hochseetauglichere Schiffe zu entwickeln?


Bei der hier gestellten Frage warum im Frühmittelalter relativ wenig an dezidiert neuen Entwicklungen vorliegt fehlt mir hier ein wenig die Kosten-nutzen-Relation.
Wenn wir das Frühmittelalter mal als historische Konsolidierungsphase betrachten, sollte man davon ausgehen, dass das Ziel insgesamt eher auf Stabilisierung, als auf Entwicklung lag und demnach eher darauf vorhandenes zu optimieren, im besonderen dahin, dass es sparsamer wird, weil die Demographie für sich genommen (auch wenn das jetzt eine sehr vereinfachte Betrachtung darstellt), überhaupt keine neuen Aufgaben bereithält oder wenn doch, allenfalls in die andere Richtung.
 
Oder die Hinweise von antiken Schriftstellern, dass sie zwar gerne diese oder jene Schrift lesen würden, aber leider nicht herankämen. Bekannter Fall: Plinius' Germanenkriege, die bereits im 4. Jhdt. offensichtlich so selten geworden waren, dass Eusebius Symmachus vergeblich danach suchte.

Natürlich ist es für den Historiker bedauerlich, dass viele Werke nicht erhalten sind, aber aus der Sicht der Zeitgenossen muss es diesen Werken wohl auch an Qualität gemangelt haben, sonst wäre ja das Interesse daran größer gewesen.
In der Spätantike scheint möglicherweise zumindest im Bereich der Geschichtsschreibung die Lust am Lesen umfangreicher Werke abgenommen zu haben. (In anderen Literaturgattungen war das nicht so, das Epos erlebte in der Spätantike ein Comeback und brachte mit Nonnos' "Dionysiaka" seinen umfangreichsten Vertreter überhaupt hervor.) Aber im Bereich der Geschichtsschreibung entstanden eher weniger umfangreiche Werke (wie von Ammianus Marcellinus), sondern eher Kurzdarstellungen wie die Werke von Eutropius, Rufus Festus und Aurelius Victor.

Und in einem Klima des Kulturkampfes zwischen Heiden- und Christentum ist es für Spätantike anzunehmen, dass das letztlich siegreiche Christentum die heidnischen Texte eher links liegen gelassen hat und sich mit der fortschreitenden Zeit auf die christlichen oder (ungewollt) das Christentum befürwortenden Texte konzentriert hat.
In manchen Fällen mag das zutreffen, aber generalisieren kann man das nicht. Ich verweise gerne auf das "Myriobiblon" des Patriarchen (!) Photios, eine Art Leseliste, die neben theologischen auch zahlreiche antike heidnische Schriften enthielt. Aber gut, Photios gehörte ins 9. Jhdt. Aber auch in der Spätantike: Der hl. Augustinus z. B. rezipierte u. a. in seinem "Gottesstaat" verschiedene antike Autoren. Sogenannte "Grammatiker" wie Stephanos von Byzanz verwerteten Unmengen antiker heidnischer Literatur (und stellen damit eine wichtige indirekte Quelle dar), wie sie sich später auch noch in der "Suda" wiederspiegelte.

Wobei kein Konsens herrscht, ist die Frage, wie groß der Verlust des Wissens durch Zerstörung oder durch das nicht Kopieren von Büchern war. Und dass es den im Westen gab, bezeugt das frühe Mittelalter, in dem, im Gegensatz zum Osten, wohl kaum etwas geschrieben wurde.
Auch wenn es sicher produktivere Zeiten gab, sollte man Autoren wie Gregor von Tours, Venantius Fortunatus, Cassiodor, Isidor von Sevilla oder Gildas nicht übersehen.
 
Die Historiker Matthew Gabriele (lehrt an der Virginia Tech) und David M. Perry (lehrte an einem College, arbeitet heute als Journalist) haben ein Buch herausgebracht, in dessen Titel sie mit dem Klischee des MAs als „dunklem Zeitalter“, also der Idee des MAs als „Rückschritt“, spielen und dies in sein Gegenteil verkehren. (Ich kenne bisher nur den Titel, kann mich also zu Inhalt und Qualität nicht weiter äußern):

The Bright Ages: A New History of Medieval Europe. NY 2021.
 
Vor 40 Jahren erschien die deutsche Übersetzung von Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose".
Diese Woche erschien ein Roman "Die schwarze Rose" von Dirk Schümer, der an Umbertos Roman anknüpft. Dem Roman stellt er als Motto ein angebliches Zitat des Mittelalterexperten Jacques Le Goff (1924-2014) voran: "Le Moyen Âge, c'est le noir" - den Kontext des Zitats konnte ich im Netz nicht finden, es soll in einem Interview gefallen sein.

Aus einer Rundfunkdiskussion mit Maike Albath, Ralf Lützelschwab (Historiker und Romanist) und Schümer (etwa ab Minute 8)

Dirk Schümer:
Die eigentliche Auseinandersetzung - Herr Lützelschwab wird es genau wissen - zwischen den Franziskanern und dem raffgierigen Papst Johannes XXII., aus einer Bankiersfamilie stammend, ein Finanzgenie, die fand ein paar Monate später in Avignon statt. [...]

Gregor Papsch (Moderator):
Der Name der Rose war Ihnen offenbar nicht finster genug. Sie stellen Ihrem Roman ein Zitat des französischen Historikers Jacques Le Goff voran: "Le Moyen Âge c'est le noir" - "Das Mittelalter ist schwarz", das ist Ihr Bild von der Epoche?

Dirk Schümer:
Ja, es ist auf jeden Fall nach heutigen Gesichtspunkten eine ziemlich ruppige Zeit, da wird mir glaube ich jeder Mediävist zustimmen. [...] "Noir" ist ja auch der Name für eine Krimigattung der 40er Jahre - Raymond Chandler und die Filme, die daraus gefolgt sind in Hollywood - und ich wollte genau diese Stimmung: von dem Sherlock-Holmes-Roman von Eco zu einem, sagen wir mal, hardboiled Krimi mit noch mehr Sex und noch mehr Gewalt fort.

Ralf Lützelschwab:
Da würde ich Herrn Schümer deutlich widersprechen: Es war ruppig, aber es war nicht schwarz, im Gegenteil...
Das 14. Jahrhundert ist eine ausgesprochen farbige Periode, in der Entwicklungen einsetzen, von denen wir heute noch profitieren. Und gleich, das ist nun meiner Profession geschuldet, der Mittelalterhistoriker grätscht immer gleich dazwischen bei Johannes XXII.: Soweit wir das rekonstruieren können, war er eben kein Bankierssohn, sondern war von sehr, sehr bescheidener Herkunft.

Klosterkrimi und Weltliteratur - 40 Jahre „Der Name der Rose“
 
Ich kann als Laie dieser Zeit auch nur weiter geben - was man sich als Laie eben durch Schule und Lesen versucht hat anzueignen und ein Bild zu machen.

Davon abgesehen, dass man generell nicht alles schwarz / weiß über einen Kamm scheren kann.
Ich rede auch nur von der Spätantike und dem frühen Mittelalter.

Ich habe schon den Eindruck, dass die Spätantike und das frühe Mittelalter ein "Rückschritt" oder zumindest ein Stillstand bedeutete.

Da wo religiöser Fanatismus herrscht, da ist auch oft wissenschaftlicher Stillstand (oder gar Rückschritt).

Meine - wenn auch laienhafte Sicht:

- die Römer assimilierten alles um sich herum. Götter wurden mit einverleibt und damit auch automatisch mensch und Kulturen. Fremde Götter galten nicht als Gefahr, sondern eher als Chance. Die Menschen waren frei in der geistigen Entfaltung - keine Religion verbot irgendwelche wissenschaftlichen Gedanken. So lange es nicht gegen die Regierung / Kaiser ging - war alles möglich. Wissenschaft entfaltet sich.

- der Monotheismus der Christen und deren Anspruch Inhaber der alleinigen Wahrheit zu sein gepaart mit religiösem Fanatismus schränkten frei denkende Geister aus meiner Sicht schon ein. Ich erinnere nur an Alexandria und der Philosophin Hypatia. Wenn ich richtig informiert wurde - galt als das Christentum an die Macht kam - das alles Heidnische nicht nur abzulehnen sondern auch "zu zerstören" sei. So wurden Tempel zerstört, vernichtet - Bücher vernichtet oder zumindest als "nicht verhaltenswert" da heidnisches Zeugs - Statuen, Kunstwerke unwiderruflich zerstört und so weiter.

Liege ich falsch - oder galten in dieser Zeit nicht Wissenschaft als Magie und Zauberei? Nach meinem Wissen galt doch die Bibel als die "wissenschaftliche Erklärung" für Himmel und Erde. Wenn eine wissenschaftliche These nicht im Einklang der Bibel stand - war es Ketzerei. Ich erinnere da nur an Galileo - der wurde doch nach Rom zitiert und der Prozess gemacht und am Ende kam doch sowas wie lebenslanger Hausarrest raus. Dabei hatte er wohl nicht Glück gehabt - sein Kollege dessen Namen mir gerade nicht einfällt - der landete in Italien doch auf dem Scheiterhaufen.

Waren es nicht gerade Frauen die noch überlieferte Rezepte und Kräuter hatten um Kranke zu heilen. Und die jederzeit damit rechnen mussten, dass sie deswegen als Hexe verfolgt werden konnten. Meines Wissens waren selbst Hebammen nicht gefeit davor, den Prozess gemacht zu bekommen, wenn die Geburt fehlschlug und man sie angezeigt hatte.

Also ich bin schon der Meinung - das der religiöse Fanatismus in der Spätantike und dem frühen Mittelalter zu einer Stagnation der Wissenschaft geführt hatte. Ich mag mich wie gesagt irren. Aber war zu dieser Zeit nicht religiöser Aberglaube statt Wissenschaft hoch im Kurs? War es nicht gefährlich Theorien in die Welt zu setzen, die nicht dem Weltbild der Bibel entsprachen? Meines Wissens schon. Und sowas ist immer (!) tödlich für eine freie Wissenschaft. Nur nur eine freie unabhängige Wissenschaft bedeutet aus meiner Sicht Fortschritt.

Fortschritt nicht nur in der technischen Wissenschaft - sondern auch in der humanen Wissenschaft, Aufklärung und Freiheit.

- völlig anders am Anfang der Islam, der das freie Denken und die Wissenschaft förderte. Da sieht man dann auch den Unterschied wie ich finde. Und daher möchte ich da am Anfang doch von einem "dunklen Zeitalter" oder zumindest Stillstand sprechen. Während bei den Juden und Araber die Medizin der Antike weiter versucht wurde zu verbessern - hatten wir in Europa den Stillstand. Während es dort Ärzte und Krankenhäuser gab - fuhr bei uns der Bader durch die Gegend der irgendwelche Getränke aus Ochsenzungen, Krötenohren und sonst was mixte und an den Menschen herum pfuschte. Ansonsten gab es in Europa noch den Aderlass und wenn der nichts half dann war es eben Gottes Wille.

Während wir in Europa noch den Wissenstand der Antike hatten und versuchten die Säfte der Antike im Gleichgewicht zu halten und als Alternative nur Gebete kannten - wurde im Osten versucht die Wissenschaft weiter zu bringen. Ich sehe das zumindest als Stagnation / Stillstand an.

Aber nochmals - was war die Alternative? Wäre es einem "Arzt" in Europa gelungen ein Medikament zu finden das eine Krankheit - mal rein fiktiv - völlig heilte. Er wäre im Osten gefeiert worden. In Europa wäre er wegen Hexerei und Zauberei angeklagt worden. Und dieses Umfeld der Angst - und aus meiner Sicht herrschte eine Angst sich gegen die Kirche zu stellen - dieses Umfeld der Angst ist nie ein gutes Umfeld für wissenschaftliche Aufklärung.

Zumal die Kirche nie ein Interesse an Aufklärung hatte - denn aufgeklärte Menschen und wissenschaftlich erklärte Wunder würden die Kirche ja in Frage stellen - und damit die Machtbasis.

- Das dies aus meiner Sicht zutrifft sieht man dann an dem Umschwung in Europa und im Osten. Während hier zu Lande die Aufklärung die Oberhand bekam und den religiösen Aberglaube und die religiöse Hoheit der Macht beraubten und die Gelehrten keine Angst mehr haben mussten - ging es hier in Europa schlagartig aufwärts was den Fortschritt angeht.

Und im Osten wandelte sich der offene Islam immer mehr zum radikalen Islam. Was zum heulen ist. Und die Auswirkungen sieht man heute noch. Teilweise die Sichtweise wie im Mittelalter. Der Koran ist eine unwiderrufliche Wahrheit - alles Andere ist Kritik am Islam und damit ist der Andere ein Ketzer und muss bekämpft werden. Weiter geht es mit dem Frauenbild wie im Mittelalter bis hin zum Patriarchat.

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Natürlich ist das hier jetzt keine wissenschaftliche Abhandlung. Ich finde aber schon, dass in der Spätantike und frühen Mittelalter wir in Europa unter einem religiösem Fanatismus und Aberglaube haben leiden müssen. Und das dadurch der Wissenschaft - technisch und human - die Luft des freien Geistes fehlte und zumindest wir hier auf einem level der Antike uns nicht mehr weiter entwickelten oder sogar stagnierten. Fortschritt braucht Freiheit. Und den gibt es, wenn Fanatiker die Oberhand haben, meistens nicht.
 
Liege ich falsch - oder galten in dieser Zeit nicht Wissenschaft als Magie und Zauberei?
Da liegst Du wohl falsch.

Ich erinnere da nur an Galileo - der wurde doch nach Rom zitiert und der Prozess gemacht und am Ende kam doch sowas wie lebenslanger Hausarrest raus. Dabei hatte er wohl nicht Glück gehabt - sein Kollege dessen Namen mir gerade nicht einfällt - der landete in Italien doch auf dem Scheiterhaufen.
Der Kollege, der sich vor Galilei mit seiner theologischen Verteidigung der kopernikanischen Lehre in die Nesseln gesetzt hat, hieß Paolo Antonio Foscarini. Das war 1616.
Das war aber kein Inquisitionsprozess, und es wurde auch kein Scheiterhaufen errichtet, sondern sein Buch wurde auf den Index gesetzt.

Da sind wir aber doch schon weit in der Neuzeit.

Ich rede auch nur von der Spätantike und dem frühen Mittelalter.

Ansonsten wüsste ich nicht, dass jemand wegen naturwissenschaftlicher Theorien auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre. Vermutlich meinst Du mit dem "Kollegen" Giordano Bruno. Bei ihm fehlt aber jeder Nachweis, dass er wegen naturwissenschaftlicher Lehren verurteilt wurde.

Waren es nicht gerade Frauen die noch überlieferte Rezepte und Kräuter hatten um Kranke zu heilen. Und die jederzeit damit rechnen mussten, dass sie deswegen als Hexe verfolgt werden konnten.

Auch da bist Du einem gern geglaubten Mythos aufgesessen. (Abgesehen davon bewegen wir uns auch bei den Hexenverfolgungen schwerpunktmäßig in der Neuzeit, allenfalls im späten Mittelalter):

Gleichwohl gehörten weder heilkundige Frauen, noch in der Geburtshilfe tätige Nachbarinnen oder städtische wie dörfliche Hebammen zu den bevorzugten Opfern der Hexenverfolgung. Auch unter Einrechnung einer Dunkelziffer blieb die Mehrzahl der Geburtshelferinnen völlig unbehelligt. Dagegen waren Hebammen als Sachverständige an Hexereiverfahren beteiligt, wenn es galt, inhaftierte Frauen zu untersuchen, die angaben, schwanger zu sein.
Einsicht: Obwohl diese Mär heute immer noch in unkritischen (Print)medien klischeehaft verbreitet wird, gehörten Hebammen und Heilerinnen nicht zu den bevorzugten Opfern der Hexenjagden.
https://fowid.de/sites/default/files/download/hexenverfolgungen_rita_voltmer_ta-2006-12.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
- die Römer assimilierten alles um sich herum. Götter wurden mit einverleibt und damit auch automatisch mensch und Kulturen. Fremde Götter galten nicht als Gefahr, sondern eher als Chance.
Das ist zu verklärend. Richtiger wäre wohl: Die Römer kapitulierten allmählich vor dem Unaufhaltsamen. Das offizielle Rom nahm zwar manche fremden Kulte bereitwillig auf, aber keineswegs alle. Es gab durchaus Aversionen gegen fremde Kulte, vor allem in der Republik. So wurde gegen die mit den Bacchanalien verbundenen Umtriebe vorgegangen. Auch gegen den Isiskult wurde in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit in Rom vorgegangen, allerdings ohne anhaltenden Erfolg. Sowohl Tiberius als auch Claudius ließen Juden aus Rom vertreiben.
Ein dauerhafter Erfolg war all diesen Maßnahmen nicht beschieden. Zu groß war offenbar die Faszination fremder Kulte, zu viel Anhängerschaft auch in einflussreichen Kreisen gewannen manche, als dass sie sich dauerhaft fernhalten ließen.
 
Ic

Waren es nicht gerade Frauen die noch überlieferte Rezepte und Kräuter hatten um Kranke zu heilen. Und die jederzeit damit rechnen mussten, dass sie deswegen als Hexe verfolgt werden konnten. Meines Wissens waren selbst Hebammen nicht gefeit davor, den Prozess gemacht zu bekommen, wenn die Geburt fehlschlug und man sie angezeigt hatte.



Zumal die Kirche nie ein Interesse an Aufklärung hatte - denn aufgeklärte Menschen und wissenschaftlich erklärte Wunder würden die Kirche ja in Frage stellen - und damit die Machtbasis.

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Diese ganzen Theorien über die Vernichtung von "weisen, kräuterkundigen Frauen", von einer organisierter Bekämpfung der Hebammen, der Verfolgung von Rothaarigen kannst du vergessen. Die Spanische Inquisition und die Römische haben wenige Hexen verbrannt. Römische Inquisitoren des 16. Jahrhunderts wie Francesco Albizzi haben milder geurteilt, als fast jedes beliebige Gericht nördlich der Alpen. Die Kirche hat jahrhundertelang Teufelspakt für Aberglauben erklärt. Im Mittelalter wurde der Malleus Malleficarum geschrieben, es gab vereinzelte Exekutionen, der Hexenwahn, die großen Verfolgungswellen waren aber ein Phänomen der Frühen Neuzeit. Protestanten wie Luther und Calvin befürworteten Hexenverfolgungen. Wie übrigens die Mehrheit der Zeitgenossen im 16. und 17. Jahrhundert

Kernzonen der Verfolgung waren das Heilige Römische Reich, Frankreich und die Schweiz. Die Verfolgungen geschahen aus einer sehr komplizierten Gemengelage. Verschwörungstheorien, Agrarkrisen, lokale Push- und Pull-Faktoren, Habsucht waren ihre Antriebskräfte. Es gab Hexenverfolgungen, weil Verschwörungstheorien sich verbreiteten, weil es zu katastrophalen Klimakatastrophen, Agrarkrisen, Sinnkrisen kam. Die Menschen suchten eine Erklärung für Missernten, Unwetter. Herrscher wie Beherrschte glaubten in ihrer Mehrheit an Hexen. Nach dem Stand der modernen "Hexenforschung" spricht sehr viel dafür, dass es gerade der demokratische Charakter der Schweiz war, der dazu beitrug, dass sie zu einer Kernzone der Hexenverfolgung wurde. Die Obrigkeiten wurden vielfach kritisiert, weil sie angeblich zu lasch waren. Dort wo man sich auf das Experiment der Hexenverfolgung einließ, kippte oft eine Verfolgung. Die ersten Opfer waren meist Frauen, bei denen soziale Schutzfunktionen nicht mehr funktionierten, die keine Familie hatten. Zuletzt waren dann auch die Eliten dran. In Nördlingen wurde die Frau eines späteren Bürgermeisters verbrannt, in Würzburg Ratsherren und Patrizier, in Bamberg den 2. Bürgermeister, in der kleinen westfälischen Stadt Lemgo in zwei bis drei Generationen mehr als 8o Bürgerinnen und Bürger. Die Mehrzahl der Opfer waren Frauen, etwa zu 70-80%. In manchen Verfolgungswellen waren hauptsächlich Männer betroffen wie bei einer der letzten Hexenverfolgungen in Österreich bei den sogenannten Zauber-Jackl-Prozessen in den 1680er Jahren.

Kritik an Hexenprozessen gab es auch aus den Reihen der (katholischen) Kirche, zu ihren prominentesten Vertretern gehören Friedrich Spee von Langenfeld und Francesco Albizzi. Insgesamt wird die Zahl der Opfer auf ca. 100.000 Menschen geschätzt, im Zeitraum vom Spätmittelalter bis Ende des 18. Jahrhunderts.

Ein Interesse an Aufklärung musste(n) die Kirchen selbst dann haben, wenn sie die Ideen der Aufklärung total ablehnte(n). Wie will man einen Index von wissenschaftlicher oder schöngeistiger Literatur erstellen, wenn man davon überhaupt keine Ahnung hat? Wer Bücher indiziert, muss sich auch die Mühe machen, sie aufmerksam zu lesen. Die Jesuiten, als der bedeutendste Orden der Gegenreformation zeichneten sich traditionell dadurch aus, dass von Jesuiten-Patres verfasste Bücher wissenschaftlich kaum zu beanstanden waren.

Die Aufklärung beeinflusste auch die Religionen, die jüdische Aufklärung, die Haskala wurde auch von jüdischen Intellektuellen wie Moses Mendelsohn mitgetragen. Auch katholische Herrscher, auch geistliche Fürsten wie der Fürstbischof von Würzburg oder Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Würzburg und Bamberg waren Vertreter des aufgeklärten Absolutismus und aufgeschlossen für Kunst und Wissenschaft.
 
Edward Gibbons gab in seinem viel beachteten Werk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire dem Christentum eine Mitschuld am Untergang des Römischen Reichs. Diese These gilt heute in der Geschichtswissenschaft als überholt. Es war ja nun auch nicht so, dass die antike Stadtkultur von heute auf morgen mit der Christianisierung des Reiches zusammenbrach. Die Barbarisierung der Armee führte schon in der Zeit der Reichskrise dazu, dass mancherorts auf schriftliche Befehle verzichtet werden musste. Auf dem Höhepunkt des Imperiums betrachteten es Vermögende als Ehre, Spenden für die Heimatstadt zu machen, Ämter zu übernehmen. Die ständigen Barbareneinfälle, Kriege und Bürgerkriege führten dazu, dass Vermögende haftbar gemacht wurden für das Steueraufkommen einer Polis. Das hatte zur Folge, dass keiner mehr Ehrenämter übernehmen wollte, dass wer Vermögen besaß, es nicht nach außen zeigte, dass ältere Münzen mit hohem Silbergehalt gehortet wurden. Die Armee holte sich das, was sie brauchte, mit Gewalt, und die Vermögenden gaben den Druck nach unten weiter. Rom hatte um die Zeitenwende bereits mehr als 1 Millionen Einwohner. Diese Bevölkerungszahl sank bis zum Mittelalter auf wenige Zehntausend Einwohner. Ständige Kriege, Einfälle, Requirierungen, Bürgerkriege waren zu keiner Zeit ein Klima, in dem Kunst und Wissenschaft gedeihen. Mit dem Verfall der antiken Stadtkultur verfiel auch die Wirtschaft. Vielerorts endete der Fernhandel und man ging zum Tauschhandel über. Damit fielen natürlich auch Mäzene, Auftrag- und Kreditgeber aus.
Schließlich ist auch zu bedenken, dass in der Zeit vor dem Buchdruck ein Buch nicht nur sehr teuer war, sondern es brauchte dafür Kopisten und Illustratoren, die Hunderte, wenn nicht Tausende von Arbeitsstunden investieren mussten, um ein Buch zu schreiben.

Auch Beschreibstoffe waren rar und teuer Papyrus wächst heute wild auf Sizilien, in der Antike kam er nur in Ägypten vor. Pergament herzustellen, ist sehr aufwändig. Für ein Buch wird eine ganze Herde von Lämmern, Ziegen oder Kälbern benötigt. Es dauert Jahre, bis der "Rohstoff" gewachsen ist. Ein Illustrator oder Kopist braucht 20 Jahre, um zu wachsen und Jahre, bis er die nötigen Kenntnisse besitzt. Um sich die Kenntnisse zu erwerben, braucht es eine gut organisierte, arbeitsteilige Gesellschaft. Es braucht natürlich auch zahlungskräftige Interessenten, die so teure Bücher kaufen und lesen können.

Alle diese Verwerfungen betrafen das Weströmische Reich schwer, es waren Entwicklungsprozesse, die sich über einen längeren Zeitraum hinzogen und bereits in der Reichskrise des 3. Jahrhunderts sich abzeichneten. Die östliche Reichshälfte war stärker urbanisiert, und hatte auch weniger durch Einfälle in Mitleidenschaft gezogen. Justinian I. ließ in Athen die berühmte Akademie Platons schließen, was einige Historiker als Beginn des Mittelalters betrachten, Kunst und Wissenschaft blühten aber im Byzantinischen Reich.

In Westeuropa war der Verlust antiker Zivilisation, der Rückgang der Alphabetisierung, Niedergang der Stadtkultur usw. dramatischer. In Punkto Trinkwasserversorgung, Sozialfürsorge, Bevölkerungszahl und Urbanisierung wurde das Zivilisationsniveau des Imperium Romanum erst im 18. und 19. Jahrhundert wieder erreicht. Erst im 19. Jahrhundert, nach der Industriellen Revolution erreichten London, Paris und Amsterdam wieder die Einwohnerzahl Roms um 100 n. Chr. Dieser Niedergang setzte aber bereits im 3. Jahrhundert ein, und es war vor allem auf die Faktoren zurückzuführen, die ich genannt habe, nicht aber auf Monotheismus und christliche Intoleranz.

Auch im frühen Mittelalter gab es Bemühungen, antikes Wissen und Schriftgut der Antike zu bewahren. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die sogenannte karolingische Renaissance. Mittelalterliche Klöster wurden zu "Denkfabriken" und Bildungsstätten. Um ein Buch zu produziere, für einen simplen Psalter musste eine ganze Herde von Ziegen, Schafen oder Kälbern dran glauben. Es waren unzählige Arbeitsschritte und auch ein gewisses Know How erforderlich, um überhaupt auch nur das Beschreibmaterial Pergament herzustellen. Kopisten und Illustratoren wuchsen auch nicht auf Bäumen, sie brauchten Jahre, um die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben. Jahre, vielleicht Jahrzehnte waren sie beschäftigt, um ein Buch fertigzustellen. Wenn man das bedenkt, bedenkt auch, dass die Zahl der Schreibkundigen sehr begrenzt war, genauso wie die Zahl der Interessenten, die ein Buch bezahlen konnten, dann wird man dem, was in mittelalterlichen Skriptorien gearbeitet und geleistet wurde, die Anerkennung nicht versagen können.

Auch auf dem Gebiet der Medizin ist im Mittelalter einiges geleistet worden. Werke von Galen oder Hippokrates waren bekannt und sie wurden kopiert und übersetzt. Hildegard von Bingen verfügte über ausgezeichnete Kenntnisse der Pharmakologie und der Heilpflanzen. Es gab auch im Mittelalter Krankenhäuser, Hospitale. Ähnlich wie im Askleipion auf Kos gab es auch im Mittelalter Fachabteilungen. Vieles, was Paracelsus schrieb und lehrte, wirkt ausgesprochen modern. Es lässt sich eruieren, was in mittelalterlichen Kräutergärten angepflanzt wurde, es wurden bestimmte Pflanzen gegen bestimmte Beschwerden eingesetzt.

Wie in der Antike war aber die Berufsbezeichnung Arzt nicht geschützt. Jeder konnte sich als "Medicus" bezeichnen, und es gab natürlich reichlich Scharlatane. Ärzte waren eine beliebte Zielscheibe für Kritik und Satire. Dabei spielten natürlich auch Aberglauben, magische Rituale und Placebo-Effekte eine Rolle. Aberglauben und Hokuspokus waren auch in der Antike weit verbreitet. Das was man sich naturwissenschaftlich nicht erklären konnte, versuchte man in der Antike wie im Mittelalter durch Magie zu erklären.



Karolingische Renaissance – Wikipedia
 
In Westeuropa war der Verlust antiker Zivilisation, der Rückgang der Alphabetisierung, Niedergang der Stadtkultur usw. dramatischer. In Punkto Trinkwasserversorgung, Sozialfürsorge, Bevölkerungszahl und Urbanisierung wurde das Zivilisationsniveau des Imperium Romanum erst im 18. und 19. Jahrhundert wieder erreicht. Erst im 19. Jahrhundert, nach der Industriellen Revolution erreichten London, Paris und Amsterdam wieder die Einwohnerzahl Roms um 100 n. Chr. Dieser Niedergang setzte aber bereits im 3. Jahrhundert ein, und es war vor allem auf die Faktoren zurückzuführen, die ich genannt habe, nicht aber auf Monotheismus und christliche Intoleranz.
Unter diesen Prämissen, also dem Maßstab der antik-römischen Stadtkultur, muss das "finstere Mittelalter" überall außerhalb des römisch-imperialen Territoriums geherrscht haben - also auch vor dem Mittelalter ;)
 
Das ist zu verklärend. Richtiger wäre wohl: Die Römer kapitulierten allmählich vor dem Unaufhaltsamen. Das offizielle Rom nahm zwar manche fremden Kulte bereitwillig auf, aber keineswegs alle. Es gab durchaus Aversionen gegen fremde Kulte, vor allem in der Republik. So wurde gegen die mit den Bacchanalien verbundenen Umtriebe vorgegangen. Auch gegen den Isiskult wurde in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit in Rom vorgegangen, allerdings ohne anhaltenden Erfolg. Sowohl Tiberius als auch Claudius ließen Juden aus Rom vertreiben.
Ein dauerhafter Erfolg war all diesen Maßnahmen nicht beschieden. Zu groß war offenbar die Faszination fremder Kulte, zu viel Anhängerschaft auch in einflussreichen Kreisen gewannen manche, als dass sie sich dauerhaft fernhalten ließen.

Ravenik liegt schon richtig. Es wurden zwar in Rom fremde Kulte zugelassen, solange sie nicht die öffentliche Ordnung störten oder es wurden fremde Gottheiten mit römisch-hellenistischen identifiziert. Es ging Rom aber durchaus gegen fremde Kulte vor, denen man unterstellte, dass sie eine Gefahr für den sozialen Frieden darstellten. Wie Ravenik bereits schrieb, stand u. a. der Isiskult bei konservativen Römern in keinem hohen Ansehen, und wiederholt wurde der Kult verboten. Kaiser Claudius ließ Juden aus Rom ausweisen, ähnlich wie es bereits Tiberius getan hatte. Ebenso wurde der Druidenkult verboten, und Tiberius ließ auch Astrologen aus Rom und Italien verbannen, obwohl er selbst der Astrologie gegenüber aufgeschlossen war und einen Astrologen Thrasyllus beschäftigte.

Bei dem Judenedikt des Claudius stellte unter anderen die Göttinger Historikerin Helga Botermann die These auf, dass es sich vor allem gegen Judenchristen richtete. Paulus logierte auf einer Missionsreise bei einem Ehepaar Aquila und Priscilla, die wegen Claudius Edikt aus Rom ausgewiesen wurden.

Das Judentum blieb aber trotz allen Schwierigkeiten bis in die Spätantike eine religio licita. Das Christentum dagegen eine superstitio illicita. Die Haltung des römischen Staates war inkonsequent und widersprüchlich. Kaiser Trajan, den der jüngere Plinius als Statthalter von Bithynien um Rat fragte, empfahl nicht gezielt nach Christen zu fahnden (conquerendi non sunt) und keine anonymen Denunziationen zuzulassen. Andererseits konnte das Bekenntnis zum Christentum zur Exekution führen. Diese widersprüchliche Haltung begünstigte die Ausbreitung des Christentums, führte aber auch zu lokalen, teils heftigen Verfolgungen. Tertullian schrieb: Tritt der Tiber über die Ufer, bleibt die Nilschwemme aus, bebt die Erde, schon schreit das Volk die Christen an die Löwen." Die neronische Christenverfolgung geschah, weil Nero Sündenböcke für den Brand Roms brauchte, sein eigener Ruf war so schlecht, dass man ihm zutraute, selbst den Brand gelegt zu haben, an dem er vermutlich unschuldig war.
Die christlichen Märtyrerberichte waren häufig stark übertrieben, die reichsweiten Christenverfolgungen unter Decius und Diokletian waren schon ganz schön heftig. Da ging es auch gar nicht um Verbrechen wie Brandstiftung, sondern allein das Bekenntnis zum Christentum rechtfertigte Exekutionen.

Tertullian, der Jurist war, kritisierte die römische Rechtspraxis. Wenn das Christentum gefährlich sei, die Christen Brunnen vergiften, Kinder schlachten und Feinde des Menschengeschlechts seien, dann müsste es natürlich streng verfolgt werden, wenn aber an solchen Vorwürfen nichts dran sei, dann müsste natürlich auch das Bekenntnis straffrei sein.
Grundsätzlich war das Imperium Romanum schon recht tolerant in Religions-Fragen, zumal wenn man es mit späteren Phasen der Menschheitsgeschichte vergleicht. Das sollte aber auch nicht dazu führen, diese Toleranz überzubewerten und die antiken Verhältnisse zu idealisieren.
 
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