Warum kein Frieden 1917?

Hast du eine Quelle für die absichtsvolle Erpressung der deutschen Seite?
Das hast du doch selbst zitiert.
Bethmann ließ mitteilen, der U-Bootkrieg würde eingestellt, wenn sicher sei, das Wilsons Bemühungen zu einen annehmbaren Frieden führen würden. Und es wurden die oben genannten Bedingungen genannt. (Auch Kielmannsegg, Erster Weltrieg).
Der ganz große Fehler dürfte gewesen sein, die Ankündigung des uneingeschränkten U-Bootkrieges gleichzeitig zu übergeben. Das war natürlich nicht sonderlich geschickt.

Eine solche Naivität und Blauäugigkeit, dass man einen eigenen Erpressungsversuch gegenüber einer neutralen Macht nicht wahrnimmt, sondern als Friedensofferte verkaufen will, kann ich keinem Politiker abnehmen.
 
Das hast du doch selbst zitiert.


Eine solche Naivität und Blauäugigkeit, dass man einen eigenen Erpressungsversuch gegenüber einer neutralen Macht nicht wahrnimmt, sondern als Friedensofferte verkaufen will, kann ich keinem Politiker abnehmen.

Sehe ich ähnlich. Bethmann war schließlich kein außenpolitischer Dilletant, sondern Kanzler mit Jahrelanger Regierungserfahrung, der die politischen Befindlichkeiten in den USA, wie seine Bedenken gegen den unbeschränkten U-Boot-Krieg zeigen, sehr wohl auf dem Schirm hatte.
Wenn er diese Befindlichkeiten aber auf dem Schirm hatte und sich darüber im Klaren war, dass man an der Schwelle zum Kriegszustand sich befand, dann wäre es geboten gewesen jede auch eventuelle Missverständlichkeit zu vermeiden.
Und das musste einem Bethmann klar sein.
 
Wenn sein Anliegen war, ein ernstgemeintes oder zumindest ernstgemeind wirkendes Angebot vorzulegen und, sagen wir mal: Bulgarien da nicht mitspielen wollte, wäre dann nicht die nächste Option gewesen, mit einem deutschen Sonderfriedensangebot zu winken?



Das eigentliche Problem war, dass Bethmann Hollweg ein Status-quo-ante-Angebot innenpolitisch gar nicht durchgebracht hätte.

Das berührt m.E. zwei wichtige Punkte.
Ich beginne mit dem letzten. Ich sehe das auch so. Es gab keinen Zeitpunkt während seiner Kanzlerschaft in dem ihm das möglich gewesen wäre.
Und er selbst war durchaus durchgehend ein Annexionist, auch wenn sich seine Forderungen im Verlauf des Krieges stark relativierten. Im gleichen Zeitraum wuchs aber der Einfluss der radikaleren Annexionisten, insbesondere verkörpert durch die 3. OHL.
(Wie weit dieser schließlich reichen würde zeigt sich schließlich beim Umgang mit dem Untergang des zaristischen Russland. https://geschichtsforum.de/thema/fr...aussichtsloses-unterfangen.57684/#post-821403 )


Zum ersten Punkt:
Das DR war beherrschend im Bündnis, das ist der Hegemon.
Die alliierte Entente aber hatte drei Machtzentren: Frankreich, UK und Russland (später ersetzt durch die USA).
Friedensinitiativen und Friedensfühler, soweit ich das überblicke, kamen entweder von neutralen Staaten (Vatikan, Schweden, USA) oder von den Mittelmächten (DR oder Ö-U).
Die Friedensfühler der letzteren hatten stets auch Absicht und Potential das kompliziertere dreipolige Konstrukt der Entente zu sprengen.

Das zieht sich ja hier durch den ganzen Thread, das Deutschland nur negative Absichten gehabt hätte. Die Alliierten werden dabei vollständig ausgespart.
„Negative Absichten“ sind im Krieg leider die vorherrschenden.
Folgt man Stevenson Kapitel 5, so lehnten die Alliierten Friedensinitiativen schon deshalb ab, weil es ihren eigenen imperialistischen Abmachungen über die Aufteilung des OR und der Kolonien widersprechen mussten.
Die wollten, wie die Mittelmächte auch, keinen Frieden ohne Gewinn. Alles andere würde sie hinwegfegen. Die USA wird eintreten, und Russland abtreten (und vom DR zunächst in bekannter Weise verstümmelt werden).

Aber ja, die Entente wollte sich nicht auf Friedensverhandlungen einlassen. Sie sah sich als überlegen und verfolgte in Absprachen ihre imperialistischen Ziele der Eroberung.
(Diese unterstellte sie, durchaus begründet, auch der Gegenseite.)

Es ist so schwer ein Haus zu bauen, und so leicht es niederzubrennen.
Und Bethmann gehört leider zu der Feuerwehr die immer zu spät kommt.
Das macht aus ihm noch keinen schlechten Kerl.
 
Zuletzt bearbeitet:
Am26.12.wurden die Premierminister der Dominions zu einer neuen Reichskriegskonferenz nach London entboten, am 28.12. nach derVerabschiedung des Marschalls Joffre der französische Oberbefehl neu konstruiert, und am selben Tage proklamierte der Zar in einem Armeebefehl Konstantinopel als das Kriegsziel, das unter allen Umständen erreicht werden müsse.

(Hervorhebung durch mich)

Ich nehme an das ist dieser 'Besondere Befehl des Tages' vom 25.12.1916 mit dem sich der Zar an die Armeewendet.
Documents Of Russian History 1914 1917 : Frank Alfred Golder : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
(Das ist leider nur auf Englisch, aber eine andere Dokumentensammlung zu Russland habe ich nicht gefunden. Falls Du was auf Deutsch hast, würde mich interessieren.)

Der Titel ist schon absurd: Befehl des Tages.
Denn es enthält ja keine Befehle.
Es ist ein hilfloses Appellieren an die Truppen durch den Nikolaus, der in krasser Überschätzung seiner Fähigkeiten ein gutes Jahr vorher den Oberbefehl der Truppen übernahm.
Es ist ihm bewusst, dass seine Kräfte schwinden. Rasputin, seine spirituelle Stütze, war gerade erst ermordet worden.
Noch untröstlicher ist die Zarin über den Verlust, die in der Abwesenheit ihres Gatten Staatsgeschäfte mit noch geringerem Geschick als er leitet. Und beide wissen wohl, dass die Kugel die Rasputin traf auf ihr Herz gerichtet war.

Der Nikolaus schreibt im „Befehl“ an die Armee:
„.. the sacred memory of those gallant sons of Russia who have perished onthe field of battle, forbid useven to think of making* peace before achieving a final and complete victory over the foe,..“
Das geheiligte Andenken der edlen Söhne Russland, welche auf dem Schlachtfeld fielen, verbietet uns auch nur daran zu denken Friedenzu machen bevor wir einen endgültigen und vollständigen Sieg über den Feind errungen.“
Toll... je mehr schon tot sind, desto entschlossener muss das Sterben fortgesetzt werden.
Aber dieses bizarre Muster hat leider weite Verbreitung über alle Grenzen.

Kurz vorher erwähnt er zwei Kriegsziele. Nicht nur seien noch nicht alle russischen Gebiete von deutscher Besetzung befreit, sondern:
„Russia has not yet attained the aim created by this war the possession of Tzar-
grad and the Straits [Konstantinopel und die Meerengen]“

Russland hat noch nicht die aus dem Krieg ergebene Möglichkeit „Tzargrad“(!), so nennt er Konstantinopel, in Besitz zu bringen verwirklicht.
(Ich denke das bezieht sich auf das Versprechen der Herrschaft über Konstantinopel im Rahmen der Sykes-Picot Vereinbarung vom Frühjahr des Jahres 1916).
Ein alter und müßiger Traum wird beschworen, von einem nominellen Befehlshaber der nie ein realer sein konnte.
Der nie die Eignung für die schwere Aufgabe, die ihm sein Schicksal zuwies, hatte und sich das stets schmerzlich bewusst war.

Insgesamt ist das wahrscheinlich ein Dokument der Hilflosigkeit eines Zaren der bald abdanken, und nicht viel später mitsamt seiner Liebsten ermordet werden wird.

Grüße hatl
 
Der Nikolaus schreibt im „Befehl“ an die Armee:
„.. the sacred memory of those gallant sons of Russia who have perished onthe field of battle, forbid useven to think of making* peace before achieving a final and complete victory over the foe,..“
Das geheiligte Andenken der edlen Söhne Russland, welche auf dem Schlachtfeld fielen, verbietet uns auch nur daran zu denken Friedenzu machen bevor wir einen endgültigen und vollständigen Sieg über den Feind errungen.“
Toll... je mehr schon tot sind, desto entschlossener muss das Sterben fortgesetzt werden.
Aber dieses bizarre Muster hat leider weite Verbreitung über alle Grenzen.
Deshalb sind die Italiener immer wieder gegen Isonzo angerannt. Die Führung wollte den Angehörigen der in der ersten Isosnzoschlacht Gefallenen nicht eingestehen, dass diese vergeblich gefallen sind, deshalb hat man immer wieder Armeen gegen Isonzo geführt. Wirtschaftswissenschaftler sprechen von Sunk Cost Fallacy, Psychologen von eskalierendem Committment.
 
Russland hat noch nicht die aus dem Krieg ergebene Möglichkeit „Tzargrad“(!), so nennt er Konstantinopel, in Besitz zu bringen verwirklicht.

Die Bezeichnung "Tzargrad" ist allerding (wegen des Ausrufungszeichens) keine bescheuerte panslawistische oder imperialistische Bezeichnung aus dem 19. oder 20. Jahrhundert, sondern eine Bezeichnung, die wohl noch aus dem Mittelalter stammt und die damalige "Kaiserstadt" ("Tzar-Grad") des Byzantinischen Reiches meinte.
Der Terminus ist, jedenfalls Wiki zu folge wohl als kirchenslawische Übersetzung einer im Griechischen gängigen Bezeichnung in den russischen Sprachraum eingewandert.

Im Übrigen, darin an diesem Ziel um jeden Preis festhalten zu wollen, war Nikolaus II. in guter/schlechter Gesellschaft, davon gingen nicht einmal die nachrevolutionären Regierungen L'wow und Kerenskij konsequent ab.


Letztendlich wird man im Hinblick auf Nikolaus II. wohl auch sehen müssen, dass er inzwischen mächtig in der Zwickmühle steckte, weil er in 1915/1916 versuche der Zentralmächte mir Russland einen Frieden zu schließen, der sich mehr oder weniger am Status-Quo-ante orientiert hätte, abgelehnt hatte.
Nachde er das zurückgewiesen hatte und in der Zwischenzeit an der Front im Osten hunderttausende jämmerlich den Tod gefunden hatten konnte er, als derjenige, der einen Ausgleichsfrieden blockiert und diese auf dem Gewissen hatte, natürlich auch nicht mehr so einfach zurück ohne sich selbst komplett unmöglich zu machen.

Wenn ein Akteur sich so sehr in eine Entscheidung, was Krieg anbelangt verrannt hat, dass er so viel Blut an den Händen hat, dass es kein Zurück mehr gibt und sich das angestrebte Szenario zunehmend von der Realität des Krieges entfernt, wirk es halt wie ein Verlust des Realitätsbezuges, wenn dieser Akteur sich verzweifelt an das Einzige klammert, was ihn hypothetisch noch retten könnte.

Russland hat noch nicht die aus dem Krieg ergebene Möglichkeit „Tzargrad“(!), so nennt er Konstantinopel, in Besitz zu bringen verwirklicht.
(Ich denke das bezieht sich auf das Versprechen der Herrschaft über Konstantinopel im Rahmen der Sykes-Picot Vereinbarung vom Frühjahr des Jahres 1916).

Im Übrigen ich dennke nicht, dass er da Sykes-Picot im Hinterkopf hatte, das wird ihn weniger interessiert haben.
Mehr der Umstand, dass wenn die Entente diesen Krieg gewinnen und Russland dann noch dabei sein würde, es niemanden mehr geben konnte, Russland von den Meerengen weg hätte halten können.
Alle releavanten Landmächte wären dann entweder völlig erschöpft und eher desinteressiert (Frankreich) gewesen oder niederlagebedingt nicht mehr in der Lage etwas dagegen zu unternehmen (Deutschland, Österreich-Ungarn).

Hypothetische Möglichkeiten aus Abkommen werden da weniger ein Ansporn gewesen sein, als die Vorstellung als letzte relevante Landmacht im Osten übrig zu bleiben und jedenfalls eine Zeit lang Frist zu haben im eigenen Interessenbereich Tatsachen zu schaffen, die vor allem London wohl oder übel würde schlucken müssen.
 
Deshalb sind die Italiener immer wieder gegen Isonzo angerannt. Die Führung wollte den Angehörigen der in der ersten Isosnzoschlacht Gefallenen nicht eingestehen, dass diese vergeblich gefallen sind, deshalb hat man immer wieder Armeen gegen Isonzo geführt. Wirtschaftswissenschaftler sprechen von Sunk Cost Fallacy, Psychologen von eskalierendem Committment.

Im Hinblick auf Italien komt ja noch hinzu, dass die Regierung das Angebot Wiens zur Abtretung des Trentino für die Neutralität, das im Frühjahr 1915 noch kam abgelehnt hatte (damit tat sich Wien sehr schwer, bot es aber am Ende doch an) und dass es in Italien ja durchaus in 1914/1915 ja durchaus eine starke Neutralitätspartei um Ex-ministerpräsident Giolitti gab, die Italien eigentlich aus dem Krieg heraushalten wollte, wenn Kompensationen dafür zu bekommen wären.

Dadurch ergab sich natürlich noch einmal eine spezielle Situation:

1. Warf damit italiens politische Führung den Gewinn, den das Land aus Neutralität hätte ziehen können weg, musste also mehr als das herausholen um nicht als Personen dazustehen, die dem Interesse des Landes schadeten.
2. Bei den anderen Kriegsführenden Europas (ausgenommen Bulgarien und Rumänien) konnten die politisch Verantwortlichen für ihre Bevölkerung glaubhaft beanspruchen, den Krieg nicht gewollt zu haben und mehr oder weniger dazu gezwungen gewesen zu sein, oder allenfalls dadurch hineingestolpert zu sein, die Lage unterschätzt im Juli 1914 unterschätzt zu haben.
In Italien funktoinierte das aber nach Lage der Dinge nicht. In Italien war für alle sichtbar, dass man nicht ernsthaft bedroht war, dass davon selbst anngegriffen zu sein keine Rede sein konnte und dass dieser Krieg aus Kalkül und Habgier geführt wurde, weil die Regierung und der König gerne zum Kreis der Großmächte dazugestoßen und als solche annerkannt worden wären.

Die italienischen Politiker konnten noch weniger zurück als der Zar, nachdem sie den Krieg mit nichts anderem, als mit potentiellen Gewinnen begründen konnten
Und da Mittel für Landeuternehmen an der kroatischen Küste nicht zur Verfügung standen und das wegen dem Gelände wahrscheinlich auch nicht unbedingt ratsam gewesen wäre, bleiben nur Tirol und der Isonzo.
Andererseits, nachdem Italien in diesen Krieg eingtreten war musste es zusehen, dass die Entente ihn gewinnt, weil sonst zu erwarten gewesen wäre, dass sich die Österreicher das Veneto, dass sie 1867 verloren hatten zurückholen würden, schon weil es sich um eine relativ reiche Provinz handelte, die eine ausgelaugte Donaumonarchie sehr gut zur eigenen Erholung hätte gebrauchen können, zum Anderen, weil man dann aus Wiener Sicht wieder einen Voropsten südlich der Alpen und damit ein massives Druckmittel gegen Italien gehabt hätte.

Ich denke in Italien waren die Parameter und die Gründe für das dauernde Widerholen der gleichen erfolglosen Offensive noch andere, als im Fall Russland.
 
Im Übrigen ich dennke nicht, dass er da Sykes-Picot im Hinterkopf hatte, das wird ihn weniger interessiert haben.
Mehr der Umstand, dass wenn die Entente diesen Krieg gewinnen und Russland dann noch dabei sein würde, es niemanden mehr geben konnte, Russland von den Meerengen weg hätte halten können.
Stimmt.
Das Sykes-Picot-Abkommen beinhaltete lediglich das "Constantinople-Argeement" des Vorjahres .
Durch dieses aber wurde der alte Traum der Herrschaft über die Meerengen zum proklamierten Kriegsziel.
Danke für den Hinweis.

Sunk Cost Fallacy,
Schlechtem Geld, gutes hinterher zu werfen. Eine verbreitete Neigung.
(Und analog auf die Zahl der Opfer weitere Leichen zu türmen.)
Ich stell mir grad einmal vor
„.. the sacred memory of those gallant sons of Russia who have perished on the field of battle, forbid us even to think of making* peace before achieving a final and complete victory over the foe,..“
ein Vorstand würde sagen: "Das geheiligten Andenken an die bisher erlittenen edlen Verluste verbietet es geradezu auch nur daran zu denken weitere Investitionen zu unterlassen!"
.. das war jetzt halb Smalltalk.
 
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