Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Tritt der Tod nach Erlass einer mit zulässiger Revision angefochtenen Verurteilung ein, kann das Revisionsgericht bspw. dann von der Erstattung der notwendigen Auslagen absehen, wenn sich bei der Überprüfung herausstellt, dass die gegen das Urteil geführten Angriffe (offensichtlich) unbegründet sind.
BGH, 25.08.2020 - 6 StR 164/20 - dejure.org


So auch LG München im Fall Demjanjuk.
Dagegen haben die Hinterbliebenen Demjanjuks bis vor den EGMR geklagt, ua wegen Verletzung der Menschenrechte durch "Aufhebung der Unschuldsvermutung" in den Ausführungen des Kostenfestsetzungsbeschlusses.
Damit hatten sie keinen Erfolg.
EGMR, 24.01.2019 - 24247/15 - dejure.org

Außerdem hat die Frage der Rechtskraft der Urteils im Demjanjuk Fall nichts mit der Frage der geänderten Interpretation des Beihilfe-Tatbestandes zu tun. Die ist inzwischen breit bestätigt.

Die neueren Fälle sehen sich zudem nicht in Widerspruch, sondern in Fortführung des BGH-Urteils von 1969.

"Der Senat sieht sich im Einklang mit dem 2. Strafsenat, insbesondere mit dessen Revisionsentscheidung zum Urteil des LG Frankfurt a.M. im ersten Auschwitz-Verfahren (2 StR 280/67, NJW 1969, 2056). Unter – nicht immer zutreffender – Berufung auf dieses Urteil hatten Staatsanwaltschaften in großer Zahl Verfahren mit der Begründung eingestellt, der Beschuldigte sei zwar Mitglied der Wachmannschaften gewesen, eine konkret bestimmbare Einzeltat sei ihm jedoch nicht nachzuweisen (Beispiele bei Kurz ZIS 2013, 122/125; anders bei Dienst an der Rampe StA Köln – 130 Js 9/90 (Z); Zentrale Stelle 108 AR-Z 458/88, Bl. 1644 = Bundesarchiv B 162/41405).
Die Entscheidung des 2. Senats von 1969 war jedoch keineswegs eindeutig: Zwar wies sie klar die Auffassung des hessischen Generalstaatsanwalts Bauer (JZ 1967, 625) zurück, wonach der gesamte Lagerbetrieb eine natürliche Handlungseinheit und schon die Anwesenheit in Auschwitz eine psychische Beihilfe darstelle. Nach Auffassung des 2. Senats sei es nämlich nicht richtig, dass jeder, der in das Vernichtungsprogramm eingegliedert war und „dort irgendwie anlässlich dieses Programms tätig wurde, sich objektiv an den Morden beteiligt hat und für alles Geschehene verantwortlich ist“ (Hervorhebungen im Original). Die entscheidende Aussage des 2. Senats (aaO; in der aktuellen Entscheidung nicht mitgeteilt) lautete: „Diese Ansicht [Bauers und der StA] ist nicht richtig. Sie würde bedeuten, dass auch ein Handeln, das die Haupttat in keiner Weise konkret fördert, bestraft werden müsste“ (Unterstreichung durch Verfasser). "
Praxiskommentar Rommel zu BGH, Beschl. v. 20.9.2016 − 3 StR 49/16 (LG Lüneburg).
 
Dein Anliegen, NS Straftaten, aus welchem Grunde auch immer, nicht mehr oder nur eingeschränkt verfolgen zu lassen, kann ich nicht nachvollziehen.

Ich würde da erstmal differenzieren zwischen eindeutigen NS-Verbrechern und Menschen, die sehr zweifelhaft plötzlich zu Verbrechern erklärt werden durch diese "neue Rechtsauffassung", die manche Juristen heute vertreten.

Ein BDM-Backfisch, der von seinen Eltern in ein Lager geschickt wurde um eine Stelle als Schreibkraft anzutreten, ist für mich persönlich schlicht keine NS-Verbrecherin. Diese Rechtsauffassung ist nach meinem Rechtsempfinden einfach nur absurd.

Ein ganz anderes Thema wäre dann der Umgang mit echten NS-Verbrechern, die man heute vielleicht noch ausfindig machen könnte. Nehmen wir als Beispiel Klaus Barbie. Der war ein unstreitig ein echter NS-Verbrecher. Er wurde mit 69 Jahren an Frankreich ausgeliefert, mit 73 Jahren wurde er verurteilt zu lebenslanger Haft, von der er dann immerhin noch vier weitere Jahre verbüßte, ehe er verstarb. Natürlich war es richtig, ihn vor Gericht zu stellen und nach Feststellung seiner Schuld zu verurteilen und zu bestrafen.

Nehmen wir nun an, man würde heute einen echten NS-Verbrecher vom Kaliber eines Klaus Barbie ausfindig machen. Der Mann wäre dann heute ein 100 Jahre alter, pflegebedürftiger, halb seniler Mann im Altenheim. Da stellt sich doch die Frage, welchen Sinn da ein Prozess oder eine Verurteilung noch machen soll.

Du scheibst, die Verbrechen sollten deiner Meinung nach gesühnt werden. Grundsätzlich stimme ich dir zu, aber wie willst du das bei einem so alten Menschen im Pflegeheim noch machen? Wie willst du den noch gross bestrafen und die Verbrechen sühnen?
 
Du scheibst, die Verbrechen sollten deiner Meinung nach gesühnt werden. Grundsätzlich stimme ich dir zu, aber wie willst du das bei einem so alten Menschen im Pflegeheim noch machen? Wie willst du den noch gross bestrafen und die Verbrechen sühnen?

Bei den Verfahren, die derzeit oder in den letzten Jahren stattgefunden haben, wurde m. W. zunächst immer wieder geprüft, ob die Angeklagten auch verhandlungsfähig waren. Und bei nicht Verhandlungsfähigekeit wurde dann auch ein Verfahren wohl auch eingestellt. Im Falle einer Verurteilung wäre dann auch die Frage zu stellen, ob diese dann auch haftfähig wären.
 
Ein BDM-Backfisch, der von seinen Eltern in ein Lager geschickt wurde um eine Stelle als Schreibkraft anzutreten, ist für mich persönlich schlicht keine NS-Verbrecherin. Diese Rechtsauffassung ist nach meinem Rechtsempfinden einfach nur absurd.

Grundsätzlich: Es ist Sache der Justiz zu entscheiden

Auch ein 17 jähriger Backfisch kann eine überzeugte Nazitäterin gewesen sein und entsprechende Verbrechen begangen haben. Aber, wie schon ausgeführt, das prüft und klärt die Justiz. Per se zu sagen, ach, die war jung und "nur" im BDM um nicht tätig zu werden, das ist m.E. nicht ausreichend.

Du scheibst, die Verbrechen sollten deiner Meinung nach gesühnt werden. Grundsätzlich stimme ich dir zu, aber wie willst du das bei einem so alten Menschen im Pflegeheim noch machen? Wie willst du den noch gross bestrafen und die Verbrechen sühnen?

Das Alter ist m.E. nach kein Kriterium um der Strafverfolgung bzw. Strafvollzug zu entgehen. Das ist zu einfach. Ich bin sicher, das es für solche Personen einen entsprechenden Strafvollzug gibt. Die Alternative nicht zu tun, die ist nicht gut.

Diese verbrecherische Regime hat doch u.a. auch deshalb so "gut" funktioniert, weil es an jeder Ecke immer irgendein Blockwart oder ein BDM Mitglied oder ein Junge von der HJ oder so ähnliches gab, der nichts anderes zu tun hatte, als dies oder das zu melden. Davon gab es sehr, sehr viele und das gehört juristisch aufgearbeitet.
 
Grundsätzlich: Es ist Sache der Justiz zu entscheiden
Auch ein 17 jähriger Backfisch kann eine überzeugte Nazitäterin gewesen sein und entsprechende Verbrechen begangen haben.

Natürlich kann sie das. Wer 1943 17 Jahre alt war, hat praktisch gezwungermaßen seine gesamte Kindheit und Jugend unter dem Einfluss der NS-Ideologie verbracht und wurde in Sinne des Regimes erzogen und geprägt. Was soll das auch sonst anderes herauskommen als ein komplett nationalsozialistisch-ideologisierter , gehorsamer Jugendlicher, der dem "Führer" dienen wollte? Diese jungen Menschen hatten doch nie eine Chance sich eigene Meinungen zu bilden oder Gedanken ausserhalb der Ideologie zu entwickeln, in der sie erzogen wurden, insbesondere wenn dann auch noch das Elternhaus regimetreu war. Diese Jugendlichen sind eigentlich Opfer eines Regimes. Wie Hitler mal sagte:"Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben"

Das Alter ist m.E. nach kein Kriterium um der Strafverfolgung bzw. Strafvollzug zu entgehen.

Grundsätzlich stimme ich dir zwar zu, aber wenn da ein 100jähriger mit dem Rollstuhl aus dem Altenheim in einen Gerichtssaal gekarrt wird, finde ich persönlich, dass da eine ethische Grenze überschritten wird.

Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, man hätte einen NS-Verbrecher schon vor Jahrzehnten festnehmen und vor Gericht stellen können, damit er auch wirklich noch bestraft werden kann. Wenn man diesen Zeitpunkt aber verpasst hat, dann finde ich es besser dieses einfach zu akzeptieren und die Sache ruhen zu lassen.
 
Natürlich kann sie das. Wer 1943 17 Jahre alt war, hat praktisch gezwungermaßen seine gesamte Kindheit und Jugend unter dem Einfluss der NS-Ideologie verbracht und wurde in Sinne des Regimes erzogen und geprägt. Was soll das auch sonst anderes herauskommen als ein komplett nationalsozialistisch-ideologisierter , gehorsamer Jugendlicher, der dem "Führer" dienen wollte? Diese jungen Menschen hatten doch nie eine Chance sich eigene Meinungen zu bilden oder Gedanken ausserhalb der Ideologie zu entwickeln, in der sie erzogen wurden, insbesondere wenn dann auch noch das Elternhaus regimetreu war. Diese Jugendlichen sind eigentlich Opfer eines Regimes. Wie Hitler mal sagte:"Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben"

Auch dies sind Gesichtspunkte, die bei einer Verhandlung berücksichtigt werden sollten.

Grundsätzlich stimme ich dir zwar zu, aber wenn da ein 100jähriger mit dem Rollstuhl aus dem Altenheim in einen Gerichtssaal gekarrt wird, finde ich persönlich, dass da eine ethische Grenze überschritten wird.

Auch deswegen wird bei den Angeklagten vor Beginn der Verhandlung und auch noch während der Verhandlung die Verhandlungsfähigkeit überprüft. (Und im Falle einer Verurteilung die Haftfähigkeit).
 
Ich kann nur wiederholen: Mord ist ein Offizialdelikt. Da muss der Staatsanwalt tätig werden. Es mag ja Gründe geben, die eine Anklage verhindern. Aber das sind Ausnahmen.

Und hätte der Gesetzgeber gewollt, dass altgewordene Täter nicht angeklagt werden, hätte er eine Verjährung einführen können. Hat er aber nicht. Daran haben sich der Staatsanwalt und das Gericht zu halten. Gewaltenteilung und Rechtsstaat sind da die Stichpunkte.
 
Was im Klartext heißt: Es gab nie ein rechtskräftiges Urteil gegen Demjanjuk.

Richtig, aber im Prozeß gegen Oskar Gröning wurde diese Linie bestätigt:

Eine Art Wende brachte erst das Urteil gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011. Das Landgericht München entschied: Allein die Anwesenheit des Lageraufsehers Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor und seine Kenntnis von den Morden reichen aus, um ihn wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen. Demjanjuk starb allerdings, bevor sich der Bundesgerichtshof (BGH) als oberstes Strafgericht mit der neuen Linie befassen konnte.​

2016 bestätigten die Karlsruher Richterinnen und Richter sie aber im Fall von Oskar Gröning, dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz - und zwar nicht nur für reine Vernichtungslager, sondern auch für Konzentrationslager.
NS-Verbrechen: Warum Urteile auch heute noch sinnvoll sind (Hervorhebung durch mich)



Das wir aber neu, dass wohl auch in der Dienst in Konzentrationslager, die keine reine Vernichtungslager waren, zu einer Verurteilung wegen Beihilfe führen kann. Zumal Gröning in Auschwitz auch als Wache eingesetzt war.
 
Wer 1943 17 Jahre alt war, hat praktisch gezwungermaßen seine gesamte Kindheit und Jugend unter dem Einfluss der NS-Ideologie verbracht und wurde in Sinne des Regimes erzogen und geprägt.

Das ist in dieser Form eine übermäßig wohlfeile Entschuldigung, würde ich meinen.

Zunächst mal, ist, wer unter dem NS-Regime aufgewachsen ist, in einiger Ambivalenz aufgwachsen. Und zwar insofern, dass es, NS-Regime hin oder her in Deutschland nach wie vor ein geltendes Strafrecht gab, das bestimmte Taten mit Strafe bedrohte und dazu gehörten auch schwerste körperliche Misshandlungen und Mord.

Und es ist nicht so, als hätte die Bevölkerung von der geltenden Rechtslage nichts mehr mitbekommen, der NS-Staat versuchte sich ja gerade durch besonders hartes Durchgreifen gegen Schwerverbrecher (wenn sie nicht gerade aus den eigenen Reihen kamen), als Garant für Recht und Ordnung zu gerieren.

Wer irgendwelche Tätigkeiten in denn Konzentrationslagern wahrnahm, der wusste, auch wenn unter dem NS-Regime aufgewachsen, dass dort Dinge passierten, die von Rechts wegen her, dem Buchstaben des Gesetzes nach unter schwersten Strafen standen.
 
Ich kann nur wiederholen: Mord ist ein Offizialdelikt. Da muss der Staatsanwalt tätig werden. Es mag ja Gründe geben, die eine Anklage verhindern. Aber das sind Ausnahmen.

Ausnahmen? Die Staatsanwaltschaft musste offensichtlich jahrzehntelang nicht tätig werden, denn sie ist es in Fällen wie den jetzt verhandelten nicht, und von einer Strafverfolgung wegen Strafvereitlung im Amt ist mir nichts bekannt.

Wie kann man von Jugendlichen erwarten, derartige juristische Einschätzungen zu treffen, was in einer Diktatur legal ist und was nicht, wenn selbst hochgebildete Juristen das erst mit zwei Generationen Abstand auf die Reihe kriegen?
 
Ausnahmen? Die Staatsanwaltschaft musste offensichtlich jahrzehntelang nicht tätig werden, denn sie ist es in Fällen wie den jetzt verhandelten nicht, und von einer Strafverfolgung wegen Strafvereitlung im Amt ist mir nichts bekannt.

Das sie nicht tätig werden musste, lag aber an der damals gängigen Interpretation des geltenden Rechts durch die Gerichte.
Insofern wurde hier keine Ausnahme gemacht und es liegt auch keine Pflichtversäumnis seitens der Staatsanwaltschaft vor. Genau das wäre aber der Fall, wenn man jetzt von Verfolgung absehen würde.

Wie kann man von Jugendlichen erwarten, derartige juristische Einschätzungen zu treffen, was in einer Diktatur legal ist und was nicht, wenn selbst hochgebildete Juristen das erst mit zwei Generationen Abstand auf die Reihe kriegen?
Das kann man von einem Jugendlichen nicht erwarten. Was man von einem Jugendlichen durchaus aber erwarten kann, ist dass er oder sie erkennt, dass es falsch ist anderen dabei zu helfen Menschen zu ermorden.

Und dann sind wir an einem Punkt, wo es knifflig wird.

Ich denke man kann auch von einem Jugendlichen erwarten zu erkennen, dass es falsch und unrecht ist, als bewaffneter Posten dafür zu Sorgen, dass Menschen einem dezidierten Mordprogramm zugeführt werden und dem nicht entkommen können.
Ich denke auch, dass man von einem jugendlichen erwarten kann, zu erkennen, dass es falsch und unrecht ist, im Rahmen einer Tätigkeit als Schreibkraft dezidierte Mordbefehle abzufassen (gleich wer sie diktiert hat) und sie zu übermitteln.

Das sind die beiden Dinge, wo ich sagen würde, dass darf man erwarten und dafür sollte man auch strafen.
 
Das wir aber neu, dass wohl auch in der Dienst in Konzentrationslager, die keine reine Vernichtungslager waren, zu einer Verurteilung wegen Beihilfe führen kann. Zumal Gröning in Auschwitz auch als Wache eingesetzt war.

Mal aus reinem Interesse, weil ich mir darüber schon länger Gedanken mache:

Wie sieht es eigentlich mit Personen aus, die nicht in den Lagerkomplexen selbst irgendeine Funktion übernahmen, aber als Externe für das System unverzichtbar waren, weil sie notwendige logistische Dienste leisteten oder durch Bereitstellung von Gütern welcher Art auch immer die Mordprogramme mit ermöglichten.

Gibt es dazu irgendwelche Erkenntnisse?

Auf der einen Seite dürfte es ungleich schwieriger sein hier detaillierte Kenntnisse von den verbrecherischen Machenschaften in den Lagern nachzuweisen.
Auf der anderen Seite, musste es doch diversen verstrickten Personen zu Bewusstsein kommen, dass dort einiges nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.

Nehmen wir z.B. das Bahnpersonal das die Deportationen logistisch abwickelte. Den Leuten musste doch aufgefallen sein, dass sie Unmengen von Menschen immer wieder an den ewig gleichen Orten ablieferten, die so viele Menschen überhaupt nicht aufnehmen konnten.
Es musste doch auffallen, dass an die entsprechenden Lager stets viel weniger an Lebensmitteln etc. geliefert wurde, als nötig gewesen wäre um die Menge der dorthin deportierten Menschen angemessen zu versorgen, dass dafür aber in diesen Lagern erstaunlich viel Munition und in Teilen der Lager auch hochgiftiges Gas verbraucht wurden.

Das hätte doch eigentlich aus den Frachtpapieren hervorgehen und bei der gesamten Bahnverwaltung den Groschen zum Fallen bringen müssen.
Sicherlich auch bei dem Bahnpersonal, dass die Züge begleitete.
 
Zunächst mal, ist, wer unter dem NS-Regime aufgewachsen ist, in einiger Ambivalenz aufgwachsen. Und zwar insofern, dass es, NS-Regime hin oder her in Deutschland nach wie vor ein geltendes Strafrecht gab, das bestimmte Taten mit Strafe bedrohte und dazu gehörten auch schwerste körperliche Misshandlungen und Mord.

Sicher? Was war dann mit den körperlichen Misshandlungen durch die Parteischergen, der Gestapo, den braunen Mob gemeinhin?
Strafrecht? Meinst du solche überaus bedenklichen Figuren wie den Schreihals Freisler?, dessen Witwe von der Bundesrepublik noch viele Jahre Rente bezogen hatte.
 
Das sie nicht tätig werden musste, lag aber an der damals gängigen Interpretation des geltenden Rechts durch die Gerichte.

Wie oben gesagt, krieg ich das nicht mit meinem Verständnis der Gleicheit vor dem Gesetz unter einen Hut.

Müssen wir aber nicht weiter diskutieren, vermutlich werden wir uns höchstens einig, dass wir uns nicht einig sind.
 
Gibt es einen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass, weil versäumt wurde einen Sachverhalt strafrechtlich zu verfolgen, das für alle zeit so beibehalten werden muss?

Müsste man dann nicht jeden Staatsanwalt, der von dieser früheren Rechtsinterpretation wusste, wegen Strafvereitelung vor Gericht stellen?
 
Müsste man dann nicht jeden Staatsanwalt, der von dieser früheren Rechtsinterpretation wusste, wegen Strafvereitelung vor Gericht stellen?
Du drückst dich um eine Antwort.
Ich kann deine Gedankengänge ja nachvollziehen, aber letztlich argumentierst du emotional. Warum sollen alten Leute, die zudem kleine Rädchen im Getriebe waren, aufgrund von Taten, die sie als junge Erwachsene vollzogen, noch verurteilt werden?
Aber es gilt eben der Rechtsgrundsatz, dass Mord nicht verjährt. Und eben das, was Shinigamit korrekterweise geschrieben hat. Das Recht der Weimarer Republik wurde nie außer Kraft gesetzt, danach wurde auch damals geurteilt. D.h. die Täter mussten sich der Strafwürdigkeit ihrer Taten bewusst sein.


Sicher? Was war dann mit den körperlichen Misshandlungen durch die Parteischergen, der Gestapo, den braunen Mob gemeinhin?
Auch wenn die Frage an Shinigami geht: ich verstehe sie gerade nicht. Es wurden 1940 noch Soldaten vor einem Militärgericht verurteil, die in Polen Juden erschossen hatten. Anderthalb Jahre später war ihre jetzt noch verurteilte Tat die neue Realität. Aber man sieht: Das Rechtssystem funktionierte bis in den Krieg hinein.

Strafrecht? Meinst du solche überaus bedenklichen Figuren wie den Schreihals Freisler?
Vorsicht, das artet leicht in einen Vergleich mit Äpfeln und Birnen aus. Es gab im Dritten Reich rechtsfreie Räume; die Parteigenossen waren, wenn sie als solche agierten, durch pure Rechtsbeugung vor Strafverfolgung geschützt, sei es nun bei Aktionen gegen Juden oder Kommunisten/Sozialdemokraten, sei es als Wachmannschaften im Konzentrationslager, oder - im Falle der GeStaPo - bzgl. der Möglichkeit, Personen über ihre Haftstrafen hinaus in Gewahrsam zu nehmen (in der Tat sorgte die GeStaPo dafür, dass aus politischen Gründen in Gefängnissen Inhaftierte häufig nach Abbüßen ihrer gerichtlich verhängten Strafe noch nach Esterwegen, Sachsenhausen oder Dachau etc. kamen), die GeStaPo selbst war allerdings relativ klein und auf Zuarbeit seitens der Ordnungspolizei angewiesen.
Im normalen Strafrecht - also außerhalb politischer Schauprozesse! - funktionierte das System weiter, mit weitgehend mit der Weimarer Republik konformen Rechtsauffassungen. Ja, die Nazis haben ja z.B. Mord im Strafrecht noch verschärft, die Morde in den Konzentrations- und Vernichtungslagern waren eine Zuwiderhandlung ihrer eigenen Rechtsverschärfungen, auch wenn man das Recht dort dann großzügig beugte. Insofern sollte man nicht Freisler heranziehen, sondern die Gesetzbücher.
 
Du drückst dich um eine Antwort.
Ich kann deine Gedankengänge ja nachvollziehen, aber letztlich argumentierst du emotional. Warum sollen alten Leute, die zudem kleine Rädchen im Getriebe waren, aufgrund von Taten, die sie als junge Erwachsene vollzogen, noch verurteilt werden?

Ich argumentiere nicht als Jurist, der ich nicht bin, aber ganz so einfach und emotional ist es nicht. Mein Argument fragt nach der Gleichheit vor dem Gesetz, einem Verfassungsgrundsatz. Entweder, bisher wurde es, wie du sagst, versäumt, die fraglichen Person vor Gericht zu stellen, obwohl das nicht nur möglich, sondern erforderlich gewesen wäre. Das erscheint mir ein Fehler der Justiz zu sein, und dafür müsste man Leute belangen können. Auch Strafvereitelung im Amt ist ein Offizialdelikt, jeder Staatsanwalt, der davon Kenntnis erhalten hätte, hätte da was machen müssen.

Oder, es wurde tatsächlich die Rechtsinterpretation so geändert, dass es früher völlig in Ordnung war, diese Leute nicht anzuklagen, während es jetzt völlig in Ordnung ist, es zu tun. Ich kann mir nicht helfen, aber das ist keine Gleichheit vor dem Gesetz, das sich ja nicht geändert hat, wegen Rückwirkungsverbot gar nicht mehr geändert werden kann.

EDIT
Du drückst dich um eine Antwort.
D.h. die Täter mussten sich der Strafwürdigkeit ihrer Taten bewusst sein.

Dann hätten sich auch die Staatsanwälte & Richter der letzten Dekaden dieser Strafbarkeit bewusst sein müssen, und haben durch ihr Nicht-Handeln Schuld auf sich geladen. Daher meine Frage.
 
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