WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Ich verstehe nicht so ganz. Im deutschen Generalstab gab es m.W. nach keine Befürchtung, das sich Frankreich im Westen alleine, also alleine an der Westfront, gegen Deutschland durchsetzten könnte.
Diese Befürchtung müsste es aber doch gegeben haben, ansonsten wäre der ganze Schlieffen-Plan überflüssig gewesen.
Dessen Begründung lautete doch: Deutschland kann einen Zwei-Fronten-Krieg nicht gewinnen, also muss es rasch mit Frankreich aufräumen, um sich dann Russland zuzuwenden?
 
Noch eimal zum britischen Kriegseintritt:

Asquith und Grey hatten den Eintritt mit der Verletzung der belgischen Neutralität begründet. Bis zum heutigen Tag wird dies unbegreiflicherweise gebetsmühlenartig auch in den Geschichtsbüchern so verkauft, das England zum Schutze einer kleinen, vergewaltigten Nation in dem Krieg eingetreten war. So hatten Grey und Asquith es gegenüber Parlament und Öffentlichkeit kommuniziert. Tatsächlich war Belgien, ich schrieb es schon oben, lediglich einfach nur ein Vorwand für den Eintritt in dem Krieg.

Am letzten Tage des Juli 1914 wußten die Mitglieder des britischen Kabinetts immer noch nichts über die geheimen Verpflichtungen gegenüber Frankreich. Stichwort Briefwechsel Grey/Cambon. In der Kabinettssitzung vom 31.07.1914 hatte sich das Kabinett mit der belgische Frage beschäftigt.. Dabei war man übereingekommen, das die Klauseln des Neutralitätsvertrages von 1839, wie Asquith es dem König schrieb, einer einzelnen vertragsschließenden Partei nicht ohne weiteres das Recht einräumte, den Bruch der Neutralität zu ahnden, wenn die anderen Signatarstaaten dies verweigerten. Deshalb habe man beschlossen, das diese Angelegenheit , sollte sie akut werden, eine politische und keine rechtlich Verpflichtung sei.(1) Das ist doch etwas ganz anderes, als das, was wir in den Geschichtsbücher zu lesen bekommen. Damit wurde kurzerhand die völkerrechtlich Grundlage als untauglich für einen Kriegseintritt erklärt.

Als die Russen mobil gemacht hatten, Deutschland und Frankreich die Mobilmachung dann auch verfügten, war das Kabinett immer noch gegen eine Beteiligung am Kriege. Aber die hatten ihre Rechnung ohne Grey, Haldane, Asquith und Churchill gemacht.

In einer Rede vor dem britischen Parlament kritisierter Grey heftig die deutsche Verletzung der belgischen Neutralität.Er bezeichnete diese als flagranten Vertragsbruch. Er beschwor die deutsche Gefahr von napoleonischen Ausmaße, betonte die moralische Verpflichtung gegenübe Frankreich, zog es aber vor, das Parlament über die eingegangene Verpflichtung nicht zu informieren. Schon ein paar Wochen zuvor hatte Grey das Parlament hinsichtlich der projektierten Marinekonvention mit Russland belogen.

Am 06. August blies Asquith in das gleich Horn wie Grey. "Wenn ich gefragt werde, wofür wir kämpfen, kann ich darauf in zwei Sätzen antworten. Erstens, um eine feierliche internationale Verpflichtung zu erfüllen, die nicht nur eine Frage des Recht, sondern auch der Ehre sei. Und zweitens für den Grundsatz einzutreten, dass kleine Nationen, die auf das internationale Recht vertrauen, nicht durch die Willkür einer starken und übermächtigen Nation zermalmt werden."(2)
Unglaublich diese Verlogenheit.

Für Grey und seine Freunde ging es schlicht darum, das ein britisches Abseitsstehen ihrer Meinung nach die Vorherrschaft Deutschlands, die Unterwerfung Frankreich und Russlands bedeute und das dürfe nicht sein. Dafür war jedes Mittel Recht. Es spielte auch überhaupt gar keine Rolle, was Russland und Frankreich zum Krieg beigetragen hatten. Es zählte nur: Deutschland sei der Aggressor im Stile Napoleons.



(1) Spender, Cyril Asquith, Life of Herbert Henry Asquith, Band 2, S.81
(2) Spender, Cyril Asquith, Life of Herbert Henry Asquith, Band 2, S.114
 
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Dessen Begründung lautete doch: Deutschland kann einen Zwei-Fronten-Krieg nicht gewinnen, also muss es rasch mit Frankreich aufräumen, um sich dann Russland zuzuwenden?

Wieso das?

Schon in der Denkschrift vom April 1892 kam es Schlieffen darauf an, die Entscheidungsschlacht im Westen"möglichst bald" zu schlagen, um dann nach einen vollständigen Sieg auch Russland zu bezwingen.
In seiner nächsten Denkschrift aus dem Jahre 1894 ging Schlieffen davon aus, das die Franzosen sofort offensiv werden und es galt dieser Offensive zuvorzukommen. Er befürchtete, die Franzosen würden nicht, wie noch von Moltke angenommen, gegen die Saarstellung in breiter Front vorgehen und damit ihre Flügel der Gefahr einer Umfassung aussetzen, sondern sie würden mit massiven Kräften an einer Stelle die deutsche Front durchbrechen. Besonders das vorgeschobene Saarburg schien Schlieffen bedroht. Das könnte uns zwingen, selbst aus unserer geschützten Saarstellung vorzugehen und mit zahlenmäßig unterlegenen Kräften eine Offenive zu wagen. So weit Schlieffen. Schlieffen war kein Anhänger der Defensive.
 
Aber hier ist doch genau der Zustand beschrieben, auf den ich anspielte. Schlieffen war der Ansicht, dass Frankreich zuerst besiegt werden müsse, da der Gefahr des Durchbruches bestünde, wenn man sich mit ganzer Kraft Russland zuwende und im Westen nur hinhaltend kämpfe.

Wenn ich Deinen Nachsatz richtig interpretiere, dann war Schlieffen lediglich aus Mentalitätsgründen gegen ein Zuwarten im Westen?
 
Schlieffen war der Meinung, im Gegensatz zu seinen beiden Amtsvorgängern, das eine rasche Zerschlagung der russischen Kräfte in Russisch-Polen weder möglich noch sinnvoll sei.
Der von Moltke in Zusammenwirken mit den k.u.k.Streikräften geplante Zangenangriff war obsolet geworden, seitdem es einen geänderten russischen Aufmarschplan gab, der sich auf die immer stärker befestigte Narew-Bobr-Linie im Norden von Russisch-Polen stützte und weit im Südosten einen russischen Aufmarsch in Wolhynien gegen Österreich-Ungarn vorsah, damit die rechte Flanke des Verbündeten bedrohend.

Aufgrund der geänderten Lage ging Schlieffen von zwei getrennten Kriegsschauplätzen aus, auf denen nach jeweils eigenen Grundsätzen zu operieren war. Die offensiv geführte Abwehr in Ostpreußen und die möglichst schnelle Entscheidung im Westen.

Die logische Konsequenz dieser Überlegung verbot ein bloßes Zuwarten entlang der Abwehrlinie Bolchem-Saarburg zwischen Mosel und Saar auf deutscher Seite.
 
Der vorbereitete Verteidiger ist dem Angreifer gegenüber immer in der besseren Ausgangsposition und kann eine Überlegenheit von 3:1 wettmachen. Kämpft er in schwierigem Gelände wie Wäldern, Gebirgen, Städten oder führt ein Verzögerungsgefecht, braucht der Angreifer sogar eine Überlegenheit von 7 bis 10:1, um sich durchzusetzen.
@muck
die vorbereitete oder prophylaktische Verteidigung des fraglichen Zeitraums bestand in ausuferndem Festungsbau. Unten ein Link, der bei weitem nicht vollständig ist, was die zw. 1885 und 1918 errichteten Festungen/Festungssysteme betrifft, aber immerhin mittels Karten einen ungefähren Eindruck verschafft (jedenfalls bzgl. Belgien, Frankreich, Deutschland) - es sind über 600 Seiten, die insgesamt zu lesen wenig erbaulich ist; ich empfehle die paar Kapitel zu "Forts und Festen"
 
@Turgot was genau ist mit dieser Formulierung gemeint?

Ich kann dir jetzt nicht sagen, wie die Abwehrlinien zwischen Mosel und Saar exakt ausgestaltet war. Ich vermute, da bist du besser im bilde als meine Wenigkeit. Die von dir zitierte Formulierung stammt von Schlieffen. Jedenfalls war Schlieffen nicht gewillt in der Defensive zu verharren, sonder offensiv vorzugehen.

Schlieffen war der Meinung, das man die Franzosen gut fassen könne, wenn diese ihre starken Befestigungen in Richtung Osten verlassen hätten. Dann sollte es möglich sein, das französische Heer in seinem schmalen Vormarschsektor zwischen der Riesemnfestung Metz im Norden und der befestigten Linie Molzheim-Straßburg im Süden in den Flanken anzugreifen.
 
Zwei Tage vor Beginn des Krieges, ließ der britische König Georg V. den Außenmionister Sir Edward Grey zu sich kommen. Das Gespräch dauerte insgesamt 90 Minuten.
Grey hatte damals ausgeführt, er könne unmöglich sehen, welchen zu rechtfertigenden Grund England finden könnte, um in dem Krieg zu ziehen.
Georg V. hatte geantwortet:" Sie müssen einen Grund finden, Grey." Deutschland würde mit Frankreich aufräumen und, nachdem es Europa erledigt hätte, dieses Land vollständig domminieren. Deshalb sei es absolut notwendig, einen Grund zu finden, um sofort in den Krieg einzutreten.
Dieses bedeutende Dokument, es kann gar nicht von seiner Wichtigkeit unterschätzt werden, hat der Urgroßneffe von Sir Edward Grey Adrian Graves im Nachlass seines Großvaters Sir Cecil Graves, also den Schwager Greys, gefunden. Das maschinengeschriebene Blatt protokolliert ein Gespräch Graves und dem britischen König Georg V..vom 08.Oktober 1933. Graves publizierte dieses Dokument im Sommer 2014. Es wurd am 26.Juli 2014 vom Dailey Telegraph veröffentlicht. Es ist schon sehr eigenartig, das diese so wichtige Publikation für die Forschung praktisch keine Aufmerksamkeit erzeugte
Auch hier hat leider niemand etwas zu diesem Dokument über die Unterredung König Georg V. mit Grey etwas zusagen. Sehr schade.

Noch vor dieser Unterredung gab es auch durchaus andere Äußerungen Greys. Er merkte gegenüber Paul Cambon am Morgen des 29.07. beispielsweise an, das Frankreich sich in einem Streit hineinziehen lasse, der es nicht unmittelbar angehen, an dem es aber infolge seines Bündnisses ehrenhalber teilnehmen müsse. Als Cambon sich erkundigte , ob Großbritannien bereit sei, Frankreich zu helfen, wenn es von Deutschland angegriffen würde, führte Grey den bemerkenswerten Satz aus: "Die letzte Nachricht besagte, dass Russland eine Generalmobilmachung seiner Flotte und Armee angeordnet habe. Danach würde, wie mir scheint, eine Krise überstürzt herbeigeführt und der Eindruck erweckt, dass die deutsche Mobilmachung durch Russland erzwungen werde." (1) Das Foreign Office hatte die Dinge durchaus zutreffend erfasst.

Clark, Schlafwandler, S.685
 
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Ich vermute, da bist du besser im bilde als meine Wenigkeit.
Nein, im Fall der Formulierung "Saarstellung" bin ich das nicht - ich kenne nur die Großfestung Metz zusammen mit der "Moselstellung" (Diedenhofen/Thionville) ((Saarbrücken, Saarlouis waren keine Festungen Anfang 20. Jh.)
der befestigten Linie Molzheim-Straßburg
Straßburg-Kehl war eine Gürtelfestung (und Brückenkopf) am Rhein, "Feste Kaiser Wilhelm II"/"Position de Moutzig" (Molsheim/Mutzig) war die erste moderne "Feste" (aufgelöste/gesplittete Befestigung) - - verbunden mit einer befestigten Linie waren beide meines Wissens nicht.
 
Unter dem Strich sah es für Großbritannien Ende Juli folgendermaßen aus. Genaugenommen hatte England von den Mächten das geringste Interesse an einem Krieg. Der aktuelle Staus Quo 1914 wäre für London die angenehmste Lösung gewesen. Konstellationspolitisch sah es sich gezwungen in dem Krieg nicht abseits zu stehen. England befand sich auf dem absteigenden Ast, seine weltpolitische Präsenz war überdehnt. Bei einer Nichtteilnahme drohte London eine erhebliche Einbuße an Macht. Siegte Russland, war die Stellung in Persien und Indien und auch den Meerengen gefährdet. Würde Deutschland siegen, das schloß natürlich die Niederlage Frankreichs ein, war dieses auf dem Kontinent für ein Reihe von Jahren als Machtfaktor ausgeschaltet. Das hätte in der Folge eine sehr gestärkte deutsche weltpolitische Konkurrenz im Osmanischen Reich, Ostasien und im weltweiten Handel bedeutet. Im Bewusstsein der eigenen, hinter Deutschland und Russland zurückbleibenden Entwicklung, machte man sich in London vollkommen irrationale Sorgen vor einer deutschen Hegemonie.

Das waren die Gründe für den britischen Kriegseintritt und nicht Belgien.
 
Am letzten Tage des Juli 1914 wußten die Mitglieder des britischen Kabinetts immer noch nichts über die geheimen Verpflichtungen gegenüber Frankreich. Stichwort Briefwechsel Grey/Cambon. In der Kabinettssitzung vom 31.07.1914 hatte sich das Kabinett mit der belgische Frage beschäftigt.. Dabei war man übereingekommen, das die Klauseln des Neutralitätsvertrages von 1839, wie Asquith es dem König schrieb, einer einzelnen vertragsschließenden Partei nicht ohne weiteres das Recht einräumte, den Bruch der Neutralität zu ahnden, wenn die anderen Signatarstaaten dies verweigerten.
Da stellte sich allerdings die Frage, wie genau das nun zu verstehen sei.

Denn der Kriegseintritt Großbritanniens wäre ja nicht die eigenmächtige Aktion einer einzigen Vertragspartei gewesen.
Vartragspartien beim Londoner Vertrag von 1839 waren Großbritannen, Frankreich Russland, die Niederlande, Preußen und Österreich.

Angesichts der Gesamtlage konnte man davon ausgehen, dass Frankreich und Russland ein solches Vorgehen Großbritanniens billigen und selbst bereit sein würden den Bruch der Neutralität durch Deutschland zu ahnden.

Und sowohl Deutschland, als auch Österreich-Ungarn wären hier offensichtlich obsolet gewesen, da sie selbst die Neutralität verletzten, bzw. die die Neutralität verletztende Partei unterstützten, damit den Vertrag brachen und deswegen auch nicht mehr als Schiedsrichter für die Frage nach konkreten Ahndung infrage kamen.
Der Vertrag kann, als er 1839 geschlossen wurde unmöglich so gmeint gewesen sein, dass die Ahndung Einstimmigkeit vorrausgesetzt hätte und sich damit jede am Vertrag beteiligte Partei durch ein Veto gegen eine Ahndung selbst den Bruch dieses Vertrags und einen Krieg gegen Belgien hätte erlauben können.
Ursprünglich diente dieses Abkommen der Neutralisierung Belgiens aus britischer Sicht ja der Eindämmung Frankreichs und dem Ziel die 1815 mit dem Kgr. der Vereinigten Niederlande geschaffene Barriere gegen eine erneute französische Expansion in verkleinerter Form irgendwie aufrecht zu erhalten.

Hätte man im Konfliktfall mindestens Deutschland unter den Garanntiemächten ausgeklammert, weil es diesen Vertrag offensichtlich brach und daher Gegenstand der Auseinadersetzung war, wäre es ohne weitres Möglich gewesen, eine Mehrheit der übrigen Vertragsparteien für den Beschluss einer Ahndung zusammen zu bringen.
Somit halte ich die Hürde, dass man nicht der Meinung war Großbritannien könne allein ohne Zustimmung der anderen ahnden, mehr für eine theoretische.

Man könnte daraus ableiten, dass Großbritannien, wenn es sich selbst nicht in der Rolle sah, das allein entscheiden zu können (wobei aber eine Mehreit für eine Ahndung sicher war, wenn man Deutschland als potentiell vertragsverletzende Partei ausklammerte und wegen des Charakters des Vertrages er niemals an die Bedingung der Einstimmigkeit gebunden gewesen sein kann), daraus den Schluss ziehen, dass London nicht das Recht gehabt haben würde vor dem Ausbruch eines solchen Konflikts und vor gemeinamer Beratung mit den anderen noch in Frage kommenden Signatarstaaten eine explizite Kriegsdrohung an eine Partei auszusprechen, die möglicherweise im Begriff war einen Vertragsbruch vorzubereiten.
Allerdings nicht, dass Belgien als Kriegsgrund grundsätzlich unzulässig wäre.


Den Beschluss das mehr als politische, als als rechtliche Verpflichtung zu betrachten, würde ich von dem her weniger als ein Ausschließen eines Kriegseintritts wegen der Causa Belgien verstehen, als mehr als den Beschluss sich von Belgien und den Verbündeten deswegen nicht auf bestimmte Schritte und Ziele festlegen zu lassen.

Die Anerkennung als rechtlich bindende Verpflichtung hätte der belgischen Regierung ja durchaus die Möglichkeit eingeräumt, auf einer umgehenden Offensive gegen die Deutschen zur sofortigen Befreiung des gesamten Vertragsgebiets (Belgisches Staatsgebiet) zu bestehen und dahinghend Druck zu machen.
Dem baute man natürlich vor, wenn ma von vorn herein beschloss solche Verpflichtungen nicht anzuerkennen und das eigene Handeln als einen durch den Anstand und den Vertrag durchaus gebotenen Akt zu betrachten, der aber nicht von anderen Parteien einklagbar wäre.


Darin seh ich nicht unnbedingt eine Hintertüre um sich aus dem Krieg gegebenenfalls heraus zu halten oder eine Feststellung, dass ein deutscher Übergriff auf Belgien keine hinreichende Begründung für einen Krieg sei.
 
Aber hier ist doch genau der Zustand beschrieben, auf den ich anspielte. Schlieffen war der Ansicht, dass Frankreich zuerst besiegt werden müsse, da der Gefahr des Durchbruches bestünde, wenn man sich mit ganzer Kraft Russland zuwende und im Westen nur hinhaltend kämpfe.
Was @Turgot herangezogen hat sind allerdings Überlegungen, die Schlieffen in den 1890er Jahren hatte.

Man sollte nicht übersehen, dass seitdem annähernd 20 Jahre ins Land gegangen waren und sich einiges verändert hatte.

Wenn Schlieffen in den 1890er Jahren den konzentrierten Durchbruch an einer Stelle der Front im Gegensatz zu einem breiteren Angriff befürchtete, dann könnte das mit der Brisanzkrise, dem Aufkommen leistungsfähigerer Artilleriegranaten und der tendennziellen Entwertung bestehender Fortifikationen in Zusammenhang stehen.
Konzentriertes Vorgehen an einem Punkt, legt natürlich eine Doktrin nah, nach der vermittels Konzentration überlegener Feuerkraft etscheidende Resultate erzielt werden sollten.

Nun zog allerdings der Festungsbau in den kommenden 20 Jahren nach @dekumatland wird dass sicher kompetenter erläutern können, so dass dieser Punkt, der für Schlieffens Überlegungenn in den 1890er Jahren durchaus wichtig war, bis in die 1910er Jahre mit Sicherheit einen Teil seiner Bedeutung wieder verlor und nicht mehr als dermaßen akut betrachtet wurde.

Wesentlich gravierender dürfte sein, dass sich seit den 1890er Jahren das Verhältis zwischen Großbritannien und dem Französisch-Russsischen Zweibund massiv veränderte.
In den 1890er Jahren wurde in London vielfach noch Russland als Erzfeind und Frankreich als Hauptrivale in Übersee gesehen, die Wahrnehmung des Deutschen Reiches als potentiellem neuen Rivalen begann erst langsam sich zu manifestieren.
Dementsprechend musste sich Schlieffen in den 1890er Jahren noch weit weniger Gedanken über eine potentielle Parteinahme Großbritanniens zu Gunsten des französisch-russischen Zweibundes machen, außerdem konnte in dieser Zeit die militärische Leistungsfähigkeit Österreichs im Osten gegenüber Russland noch höher angesetzt werden, als im direkten Vergleich 1914 (in Russland ging es mit der Industrialisierung und dem Bahnbau inzwischen massiv vorran) und in den 1890er Jahren konnte man auch noch sehr viel stärker auf Italien als Partner rechnen (der italienisch-französische Neutralitätspakt war nocht nicht gegeben und Italien mit seiner langen Küstenlinie lief nicht Gefahr sich mit der Seemacht Großbritannien anzulegen, so lange das Verhältnis Britanniens zum französisch-russischen Bündnis eher unterkühlt war).

In dieser Zeit dürfte vor allem die Möglicheit eines französischen Durchbruchs Schlieffen beunruhigt haben. Moltke wird das 15-20 Jahre später sicher noch auf dem Zettel gehabt haben, aber ich würde davon ausgehen, dass den eher andere Sorgen umtrieben, die vor allem mit der seit den 1890er Jahren stark veränderten Haltung Großbritanniens zum französisch-russischen Block und dem seitdem massiv verschlechterten Deutsch-Britischen Verhältnis korrespondierte.

Der Grund warum Moltke keinen Zweifrontenkkrieg wollte und deswegen dazu tendierte am Schlieffenplan festzuhalten, dürfte mehr darin gelegen haben, dass Deuschland schlechte Möglichkeiten hatte einen Erschöpfungskrieg zu führen, wenn Großbritannien auf der anderen Seite stand.

Wie ich das sehe, wählten Schlieffen und Moltke zweimal die gleiche Antwort, aber aus sehr unterschiedlichen Beweggründen.

Schlieffen dürfte in den 1890er Jahren wegen des Sprungs in der Artillerie- und Granatenentwicklung um die Zuverlässigkeit der befestigten Stellungen im Westen und einen französischen Durchbruch gefürchtet haben, Moltke eher bei einer Auseinandersetzung mit der Tripple-Entennte im Fall eines Abnutzungskrieges qua Blockade stranguliert zu werden, wenn es sich länger hinzog.
 
Da stellte sich allerdings die Frage, wie genau das nun zu verstehen sei.

Diese Frage kann durch mich nicht beantwortet werden und die damaligen Akteure leben nicht mehr.

Denn der Kriegseintritt Großbritanniens wäre ja nicht die eigenmächtige Aktion einer einzigen Vertragspartei gewesen.

Die Herrn des britischen Kabinetts schienen dieser Auffassung aber zu sein. Ich weiß jetzt nicht, ob man sich zu dieser Frages, es wäre durchaus sinnvoll gewesen, ein juristisches Gutachten hat erstellen lassen.
Interessant ist nur, das um die Neutralität Luxemburgs, die ja ebenfalls u.a. von London garantiert worden war, überhaupt gar kein Aufhebens gemacht worden war.

Vartragspartien beim Londoner Vertrag von 1839 waren Großbritannen, Frankreich Russland, die Niederlande, Preußen und Österreich.
Ist mit durchaus bekannt.

Angesichts der Gesamtlage konnte man davon ausgehen, dass Frankreich und Russland ein solches Vorgehen Großbritanniens billigen und selbst bereit sein würden den Bruch der Neutralität durch Deutschland zu ahnden.

Natürlich. Petersburg und Paris wäre für den britischen Kriegseintritt jeder nur denkbare Anlass willkommen gewesen.

Ursprünglich diente dieses Abkommen der Neutralisierung Belgiens aus britischer Sicht ja der Eindämmung Frankreichs und dem Ziel die 1815 mit dem Kgr. der Vereinigten Niederlande geschaffene Barriere gegen eine erneute französische Expansion in verkleinerter Form irgendwie aufrecht zu erhalten.

Ich weiß.

Somit halte ich die Hürde, dass man nicht der Meinung war Großbritannien könne allein ohne Zustimmung der anderen ahnden, mehr für eine theoretische.

Selbstverständlich. Die Mehrheit des britische Kabinetts wollte sich nicht in den heraufziehenden Weltkrieg hineinziehen lassen.

Darin seh ich nicht unnbedingt eine Hintertüre um sich aus dem Krieg gegebenenfalls heraus zu halten oder eine Feststellung, dass ein deutscher Übergriff auf Belgien keine hinreichende Begründung für einen Krieg sei.

Du weißt ja, wie es schließlich gekommen ist.
 
die vor allem mit der seit den 1890er Jahren stark veränderten Haltung Großbritanniens zum französisch-russischen Block und dem seitdem massiv verschlechterten Deutsch-Britischen Verhältnis korrespondierte.

Also das würde ich für die 1890ziger noch nicht gelten lassen. Immerhin habe von 1898 an, mit Unterbrechungen, Gespräche zwecks eines Bündnisses zwischen London und Berlin stattgefunden. Ich würde hier eher als Zeitenwende die erste Marokkokrise sehen, denn da wurde sehr deutlich, wo Großbritannien steht.
 
Also das würde ich für die 1890ziger noch nicht gelten lassen. Immerhin habe von 1898 an, mit Unterbrechungen, Gespräche zwecks eines Bündnisses zwischen London und Berlin stattgefunden. Ich würde hier eher als Zeitenwende die erste Marokkokrise sehen, denn da wurde sehr deutlich, wo Großbritannien steht.
Das wollte ich für die 1890er Jahre auch nicht beanspruchen.
Ich hätte wohl um Missverständnisse zu vermeiden besser geschreiben, dass vor allem nach der Wende zum 20. Jahrhundert die Haltung Großbritanniens zunehmend zu einem Faktor wurde, der zunächst Schlieffen, dann Moltke in zunehmendem Maße beunruhigen musste, der so in den Gedankenspielen Schlieffens in den 1890er Jahren aber noch nicht unbedingt gegeben gewesen sein wird.
 
Wenn Schlieffen in den 1890er Jahren den konzentrierten Durchbruch an einer Stelle der Front im Gegensatz zu einem breiteren Angriff befürchtete, dann könnte das mit der Brisanzkrise, dem Aufkommen leistungsfähigerer Artilleriegranaten und der tendennziellen Entwertung bestehender Fortifikationen in Zusammenhang stehen.
(...)
Nun zog allerdings der Festungsbau in den kommenden 20 Jahren nach @dekumatland wird dass sicher kompetenter erläutern können, so dass dieser Punkt, der für Schlieffens Überlegungenn in den 1890er Jahren durchaus wichtig war, bis in die 1910er Jahre mit Sicherheit einen Teil seiner Bedeutung wieder verlor
die benötigten fortifikatorischen Antworten lagen teilweise schon vor den 90er Jahren des 19.Jhs. vor (z.B. Schumannsche Panzerfronten, Panzerbatterien, z.B. in Metz die ersten Panzerbatterien 1890-93*) etc) und der Baubeginn der Feste KW II (Mutzig/Molsheim) 1893 markierte die erste gesplittete Musterfestung (Stahlbeton etc), welcher dann weitere folgten (1902 Baubeginn Istein; in Frankreich die Modernisierung des eisernen Riegels mit Mougin-Kasematten etc) - ich gehe davon aus, dass Schlieffen zum jeweiligen Zeitpunkt seiner Denkschriften über den Stand der deutschen und französischen Befestigungsstärken informiert war und diese berücksichtigte.

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*) und 1899 begann man dort, um die modernisierte Gürtelfestung einen Ring aus "Festen" zu bauen, d.h. um Metz herum lagen mehrere modernere festen a la KW II
 
die benötigten fortifikatorischen Antworten lagen teilweise schon vor den 90er Jahren des 19.Jhs. vor
Teilweise heißt im militärischen Klartext in diesem Fall "bedingt abwehrbereit", würde ich meinen.

Wäre darüber hinaus die Frage zu stellen, was macht dass in Sachen Vertrauen in eine bestimmte Einrichtung, wenn diese Person einen derartig radikalen militärtechnischen Umbruch mitgemacht hat?
Wird dann den neuen Konzepten uneingeschränkt vertraut, oder bleibt im Hinterkopf stets die Möglichkeit, dass diese genau so schnell obsolet werden könnten, wie die Vorgänger?
 
Teilweise heißt im militärischen Klartext in diesem Fall "bedingt abwehrbereit", würde ich meinen.
Nein.
"Teilweise" im erwähnten Kontext und Zeitraum meint nichts anderes, als dass schon 1885 (Brisanzkrise) fortifikatorische Lösungen vorlagen (die Panzerung beispielsweise) und dass sie teilweise, also noch nicht überall, auch schon realisiert waren (Panzerbatterien etc aus den 80er Jahren des 19.Jhs.)
Im Netz finden sich viele Infos über Metz, KW II, Belfort, eiserner Riegel etc etc
 
und dass sie teilweise, also noch nicht überall, auch schon realisiert waren
Eben.

Generalstabsplanungen für den Kriegsfall mussten/müssen aber vom jeweiligen Stand der Arbeiten her ausgehen.
Da zählte vor allem, was ad hoc einsatzfähig war, nicht was möglicherweise in Jahren fertig ausgebaut war.

Wenn sowohl die Modernisierung der eigenen Festungen um mit den neuen Waffen fertig zu werden, als auch diejenige derer auf der Gegenseite nicht abgschlossen war, die Grenzverteidigung also nicht wie im gewünschten Sinne voll einsatzfähig war, musste das natürlich für die auf die nähere Zukunft ausgerichteten Planungen bedeuten, dass Angriffsbewegungen in beide Richtungen eine größere Erfolgswahscheinlichkeit zu attestieren war, als in anderen Konstellationen.
Damit war also ein Zeitfenster gegeben, in dem man sich sowohl von eigenen Offensivbemühungen große Erfolge versprechen konnte, als auch Offensiven von anderer Seite besonders fürchten musste.
 
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