Am letzten Tage des Juli 1914 wußten die Mitglieder des britischen Kabinetts immer noch nichts über die geheimen Verpflichtungen gegenüber Frankreich. Stichwort Briefwechsel Grey/Cambon. In der Kabinettssitzung vom 31.07.1914 hatte sich das Kabinett mit der belgische Frage beschäftigt.. Dabei war man übereingekommen, das die Klauseln des Neutralitätsvertrages von 1839, wie Asquith es dem König schrieb, einer einzelnen vertragsschließenden Partei nicht ohne weiteres das Recht einräumte, den Bruch der Neutralität zu ahnden, wenn die anderen Signatarstaaten dies verweigerten.
Da stellte sich allerdings die Frage, wie genau das nun zu verstehen sei.
Denn der Kriegseintritt Großbritanniens wäre ja nicht die eigenmächtige Aktion einer einzigen Vertragspartei gewesen.
Vartragspartien beim Londoner Vertrag von 1839 waren Großbritannen, Frankreich Russland, die Niederlande, Preußen und Österreich.
Angesichts der Gesamtlage konnte man davon ausgehen, dass Frankreich und Russland ein solches Vorgehen Großbritanniens billigen und selbst bereit sein würden den Bruch der Neutralität durch Deutschland zu ahnden.
Und sowohl Deutschland, als auch Österreich-Ungarn wären hier offensichtlich obsolet gewesen, da sie selbst die Neutralität verletzten, bzw. die die Neutralität verletztende Partei unterstützten, damit den Vertrag brachen und deswegen auch nicht mehr als Schiedsrichter für die Frage nach konkreten Ahndung infrage kamen.
Der Vertrag kann, als er 1839 geschlossen wurde unmöglich so gmeint gewesen sein, dass die Ahndung Einstimmigkeit vorrausgesetzt hätte und sich damit jede am Vertrag beteiligte Partei durch ein Veto gegen eine Ahndung selbst den Bruch dieses Vertrags und einen Krieg gegen Belgien hätte erlauben können.
Ursprünglich diente dieses Abkommen der Neutralisierung Belgiens aus britischer Sicht ja der Eindämmung Frankreichs und dem Ziel die 1815 mit dem Kgr. der Vereinigten Niederlande geschaffene Barriere gegen eine erneute französische Expansion in verkleinerter Form irgendwie aufrecht zu erhalten.
Hätte man im Konfliktfall mindestens Deutschland unter den Garanntiemächten ausgeklammert, weil es diesen Vertrag offensichtlich brach und daher Gegenstand der Auseinadersetzung war, wäre es ohne weitres Möglich gewesen, eine Mehrheit der übrigen Vertragsparteien für den Beschluss einer Ahndung zusammen zu bringen.
Somit halte ich die Hürde, dass man nicht der Meinung war Großbritannien könne allein ohne Zustimmung der anderen ahnden, mehr für eine theoretische.
Man könnte daraus ableiten, dass Großbritannien, wenn es sich selbst nicht in der Rolle sah, das allein entscheiden zu können (wobei aber eine Mehreit für eine Ahndung sicher war, wenn man Deutschland als potentiell vertragsverletzende Partei ausklammerte und wegen des Charakters des Vertrages er niemals an die Bedingung der Einstimmigkeit gebunden gewesen sein kann), daraus den Schluss ziehen, dass London nicht das Recht gehabt haben würde vor dem Ausbruch eines solchen Konflikts und vor gemeinamer Beratung mit den anderen noch in Frage kommenden Signatarstaaten eine explizite Kriegsdrohung an eine Partei auszusprechen, die möglicherweise im Begriff war einen Vertragsbruch vorzubereiten.
Allerdings nicht, dass Belgien als Kriegsgrund grundsätzlich unzulässig wäre.
Den Beschluss das mehr als politische, als als rechtliche Verpflichtung zu betrachten, würde ich von dem her weniger als ein Ausschließen eines Kriegseintritts wegen der Causa Belgien verstehen, als mehr als den Beschluss sich von Belgien und den Verbündeten deswegen nicht auf bestimmte Schritte und Ziele festlegen zu lassen.
Die Anerkennung als rechtlich bindende Verpflichtung hätte der belgischen Regierung ja durchaus die Möglichkeit eingeräumt, auf einer umgehenden Offensive gegen die Deutschen zur sofortigen Befreiung des gesamten Vertragsgebiets (Belgisches Staatsgebiet) zu bestehen und dahinghend Druck zu machen.
Dem baute man natürlich vor, wenn ma von vorn herein beschloss solche Verpflichtungen nicht anzuerkennen und das eigene Handeln als einen durch den Anstand und den Vertrag durchaus gebotenen Akt zu betrachten, der aber nicht von anderen Parteien einklagbar wäre.
Darin seh ich nicht unnbedingt eine Hintertüre um sich aus dem Krieg gegebenenfalls heraus zu halten oder eine Feststellung, dass ein deutscher Übergriff auf Belgien keine hinreichende Begründung für einen Krieg sei.