Letztlich geht es in den Literaturwissenschaften doch vor allem um die Texte um ihrer selbst Willen, in der Geschichtswissenschaft werden sie benutzt, um Erkenntnisse über die menschliche Vergangenheit zu erlangen (deren Teil sie natürlich selber sind).
Oh... Diese Unterscheidung wird der Literaturwissenschaft nicht gerecht.
Ist wirklich eine Definitionsfrage; die mE übliche ist, dass Geschichtswissenschaftler va mit schriftlichen Quellen arbeiten, Archäologen mit nicht-schriftlichen Artefakten. Sicher gibt es da Überschneidungen, sicher probieren beide Wissenschaften, etwas über die Geschichte der Menschheit zu herauszufinden, aber es sind halt unterschiedliche Arbeitsweisen.
Naja, spätestens bei der klassischen Archäologie (oder in der Altorientalistik bzw. Ägyptologie) werden historische und archäologische Arbeitsweisen miteinander verwoben. Zieht man eines der meist- ad nauseam -diskutierten Themen hier im Forum heran: Die Varusschlacht: Wer würde da die archäologischen Funde ohne die schriftlichen Quellen diskutieren wollen, oder die schriftlichen Quellen ohne die archäologischen Funde? Klar, man kann die Funde von Kalkriese ohne die schriftlichen Quellen auszuwerten, betrachten und auswerten. Das wäre eine
empirische Archäologie ohne Bestätigungs-Bias, also dass man die Funde von Kalkriese nur durch die Brille der Schriftquellen sähe. Das hat methodisch seine Berechtigung. Dennoch wäre es ignorant, die Schriftquellen unberücksichtigt zu lassen.
Entscheidend ist doch hier das "auch". Dass die meisten Quellen literarischer Natur sind, reduziert doch die Geschichtswissenschaft nicht auf die bloße Beschäftigung mit Texten. Das wäre wie Astrophysik auf Teleskoptechnik zu reduzieren.
Ein Historiker wird doch keine Quelle verwerfen, weil sie etwa nicht literarisch ist. Er versucht sich ein Gesamtbild einer Epoche zu machen, unabhägig von der pysikalischen Gestalt seiner Quellen. Das können, wie erwähnt, Sachquellen, aber auch mündliche Überlieferungen, Ausgrabungen, Gen-Analysen oder sonstiges sein.
Richtig. Hier sind wir wieder bei der Unterscheidung in
Dokument und
Monument bzw.
Überrest und
Tradition. Die - schriftliche - Traditionsquelle ist mit literaturwissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, die Überrestquelle eher nicht. Zeitungsartikel, die üblicherweise den Überrestquellen zugeordnet werden, mitunter schon. Eine mittelalterliche Urkunde, die auch eine Dokument/Überrest ist, obwohl stark formalisiert, enthält i.d.R. die sogenannte Narratio, das ist der Punkt, der den mit der Urkunde vollzogenen Rechtsakt durch einen beschriebenen Sachverhalt begründet.
Die Geschichtswissenschaft verfügt über eine ganze Reihe an Hilfswissenschaften: Diplomatik (Urkundenkunde), Sphragistik (Siegelkunde), Heraldik (Wappenkunde), Epigraphik (Inschriftenkunde), Numismatik (Münzkunde), Paläographie und Kodikologie, Genealogie..., die teilweise kaum, teilweise nichts mit Literaturwissenschaft (oder?) gemein haben. Und dennoch: Meistens arbeiten wir am Ende doch wieder mit schriftlichen - erzählenden - Quellen. Monumenten.
Wenn ein klassischer Archäologe bei der Fundbearbeitung aus einer Grabung auf Fragmenten eines Kraters Delphine und Weinreben sieht, wird er natürlich an die Geschichte von der Entführung des Dionysos durch die Piraten denken.
(Piraten entdecken Dionysos am Strand, halten ihn für einen Prinzen und entführen ihn. Er wird an den Mast des Schiffes gebunden. Auf hoher See verwandelt sich der Mast in einen Rebstock und die über Bord springenden Piraten verwandeln sich in Delphine. Einer der Piraten wird (zumindest in Varianten der Erzählung) verschont, da er die anderen vor der Entführung des vermeintlichen Prinzen gewarnt hatte, aber überstimmt wurde.)