Aus einer eher den Damen wohlgesonnenen Aussage geht unter anderem hervor, dass Herrscherinnen in der Weltgeschichte, selbt keinen Krieg vom Zaun gebrochen hätten. Am Beispiel Queen Victoria wurde auch gesagt, dass jeweils der männliche Premierminister und das Parlament vom VK (also pauschal gesagt Männer) die Kriege wie den Zulukrieg oder die Opiumkriege befürwortet und umgesetzt hätten.
Doch was entspricht hier der Wahrheit? Kann man nicht sogar sagen, alle Machtpersonen im damaligen VK waren dafür, unabhängig vom Geschlecht?
Im Bezug auf Victoria I. ist das durchaus nicht falsch, weil im 19. Jahrhundert die Parlamentarisierung in Großbritannien so weit war, dass die Beteiligung an Kriegen faktisch etwas war worüber das Parlament und die Regierung entschieden.
Im Bezug auf koloniale Kriege kommt noch hinzu, dass hinter diesen zum Teil auch mehr die "Men on the spot" standen, als Parlament und Regierung.
Wegen der langen Kommunikationswege (Reisen in entferntere Koloninen konnten vor der Erfindung der Dampfschiffahrt schonmal monatelang dauern, entsprechend langsam war auch der Nachrichtenverkehr), war es im Hinblick auf die Kolonien, ohnehin nur bedingt praktikabel, diese zentral vom "Mutterland" aus regieren.
Das bedeutet, dass sich Kolonialreiche nur dadurch aufrecht erhalten ließen, dass man lokale Gouverneure, Residenten, etc. mit erheblichen Machtbefugnissen ausstattete, worunter zum Teil auch das Ausheben und Unterhalten von Truppen zählte.
Das ist eine Praxis, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich verschwand, aber im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das die gelebte Realität.
Das allerdings bedeutete, dass die entsprechenden Gouverneure, wenn sie skrupellos genug waren, Zwischenfälle inszenieren, de facto auf eigene Faust Krieg beginnen und versuchen konnten das "Mutterland" in die eigene Expansionspolitik mit hinein zu zwingen, in dem man vor Ort einen Krieg begann, und dann Nachricht nach Europa schickte und die eigene Regierung vor vollendete Tatsachen stellte.
Ein guter Teil der kolonialen Expansion hat sich genau auf diesem Weg vollzogen und war nicht unbedingt zentral geplantes Projekt der Metropole.
Was die Behauptung angeht, Herrscherinnen selbst hätten nie einen Krieg angefangen oder zummindest erheblich dazu beigetragen hätten, dass ist einfach Bullshit.
Maria-Theresia v. Habsburg z.B. hat durchaus Zielstrebig auf ihren Revanchekrieg gegen Preußen, wegen Schlesien hingearbeitet und ihre Herrscherkollegin Elisabeth I. von Russland zog da durchaus mit.
Die russische Regentin Sofja Aleksejewna (führte offiziell die Regentschaft für ihren regierungsunfänigen Sohn Ivan V. und Pjotr I. den wir später als "Peter den Großen" kennen), ließ Krieg gegen das Osmanische Reich um Gebiete in der Ukraine führen.
Katarina II. tat 100 Jahre später ähliches, war beim Erobern in der Ukraine und im Kaukasus durchaus erfolgreich und war auch diejenige, russische Herrscherin, die mit Friedrich II. und Maria Theresia dann später mit den "polnischen-Teilungen" anfing.
Magarethe I. von Dänemark hatte im Spätmittelalter Kriege gegen Schweden, Mecklenburg und gegen die Hanse geführt.
Maria Tudor zog in den Krieg gegen Frankreich.
Elsiabeth I. schickte Freibeuter gegen Spanien und das Spanischen Weltreich aus und trug dadurch mindestens mal ordentlich dazu bei, dass es zwischen England und Spanien knallte (Stichwort "Spanische Amarda").
Das wären nur ein paar ad-hoc-Beispiele, die mir da gerade einfallen.
Würde man gezielt suchen, man fände da einige Herrscherinnen, die durchaus keine Freidenstauben waren.
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Letztendlich sind solche Diskussionen aber auch nicht besonders sinnvoll. Weil sie auf der Vorstellungswelt des 20. und 21. Jahrhunderts beruhen, wenn man sie so führt, was anachronistisch ist.
Alleine die Annahme ein Krieg müsste einen irgendwie illegitimen Agressor haben, setzt ja zwei Dinge vorraus:
1. Das Kriegsführung zur Durchsetzung eigener Ziele selbst als illegitim angesehen würde, was sich aber erst nach dem 1. Weltkrieg allmählich ergab. Einem Herrscher oder einer Herrscherin des 18. Jahrhunderts z.B. wäre wenn er oder sie sich die Gelegenheit durch Krieg die eigene Macht zu vergrößeren wegen moralischer Skrupel hätte entgehen lassen, von den Zeitgenossen mit einiger Sicherheit vorgeworfen worden ein schwacher Herrscher oder eine schwache Herrscherin zu sein.
2. Das es sich um einen Staatenkrieg innerhalb eines rechtlich durchreglementierten Staatensystems handelte, der aus weitgehend unpersonellen, abstrakten Gründen geführt wird und bei dem man einen Agressor zweifelsfrei identifizieren kann.
Das trifft aber auf viele Konflikte gar nicht zu.
Zum Beispiel im Rahmen der alteuropäischen Erbfolgekriege war das nicht unbedingt der Fall.
Da konnten schon Unklarheiten innerhalb einer Erbfolgeregelung, oder Zweifen an der Gültigkeit einer solchen (War Herrscher XY, der nach schwerer Krankheit verstorben war überhaupt noch bei klarem Verstand, als er die Erbfolgeregelung Z verfügt hat?) dazu führen, dass mehrere Prätendenten, die sich alle im Recht glaubten, die Waffen gegeneinander erhoben.
Das Gleiche bei Grenzstreitigkeiten, in einer Zeit, in der es noch keine präzise Landvermessung und Kartographie gab und Grenzvereinbarungen sehr vage sein konnten.
Wenn in einem Vertrag von 1500 mal festgehalten worden war, dass die Grenze zwischen Fürstentum A und Fürstentum B um den Ort "Bauernhausen", von "Meiers Mühle" zum nächstgelegenen Wald oder Bach verläuft, kann es durchaus sein, das der konkrete Verlauf 200 Jahre später überhaupt nicht mehr nachvollziehbar war.
Vielleicht war die Mühle bereits vor 150 Jahren abgebrannt und es hatte niemand mehr einen Schimmer auf welcher Seite des Dorfes die mal stand. Vielleicht war der Wald, der mal die Grenze markierte längst abgeholzt, weil Metallhandwerk oder Schiffsbau in der Region gewachsen waren und Material benötigten?
Vielleicht hatte sich auch der Verlauf des Bachs geändert, sei es durch natürliche Ursachen, sei es weil irgendjemand das Gewässer an irgendeiner Stelle mal aufgestaut (z.B. um da einen Fischteich anzulegen) oder kanalisiert und irgendwo hin abgeleitet hatte, z.B. um damit ein Mühlrad oder ein Hammerwerk anzutreiben.
Eins ist aber sicher: Wenn sich da an den Gegebenheiten etwas tat, konnte das Streitpotential haben. Ändert sich z.B. der lauf des Bachs, der nach alten Verträgen die Grenze markiert auf natürlichem Weg und fließt jetzt auf der anderen Seite des Dorfes vorbei, welcher der beiden Fürsten hat dann recht? Derjenige, der darauf besteht, dass der Fluss die Grenze ist, das Dorf auf seiner Seite liegt und es somit sein Dorf ist, oder der der darauf besteht, dass als der Vertrag geschlossen wurde, das Dorf aber auf der anderen Seite lag?
Wer hat recht, wenn irgendein Wald, eine alte Grenze markiert, der längst abgeholzt ist und keiner mehr so ganz genau belegen kann, bis wohin der mal reichte?
Das gleiche auch bei "Terra Inkognita."
Zwischen Kolonialmächten wurden ja vielfach Grenzverträge nur über bestehende Kolonialgebiete geschlossen, aber die Ansprüche im noch nicht kolonisierten Hinterland nicht geregelt.
Der "French and Indian War" zwischen Großbritannien und Frankreich, der in Europa mit dem Siebenjährigen Krie teilidentisch ist, entzündete sich daran, dass sowohl französische, als auch britische Kolonisten versuchten in das Ohio-Territorium in Nordamerika vorzudringen und anfingen sich dort Auseinandersetzungen miteinander zu leisten.
Präzise Verträge zur Regelung der Ansprüche dort zwischen den Kolonialmächten gab es keine.
Wer hatte da die besseren rechte legitim dort zu sein und gab es da einen eindeutigen Agressor unter den Beiden?
Vielleicht sind dir die Aufteilungen der kolonialen Sphären zwischen Spanien und Portugal im ausgehenden Mittealalter und dem Beginn der FNZ bekannt. Sicherlich wirst du schon einmal etwas vom "Vertrag von Tordessias" gehört haben.
Auch diese Regelung etwa hatte einiges Disputoptential, weil man eine Aufteilung traf, ohne aber tatsächlich schon über eine präzise Möglichkeit zur Längengradmessung zu verfügen oder den wirklich exakten Erdumfang zu kennen und zu wissen, was das präzise für einen potentiellen "Antimeridian" (Stichwort "Gewürzinseln") bedeuten würde.
Solche Dinge gaben mitunter reichlich Anlass zum Krieg, aber ohne, dass man eindeutig einen der akteure benennen und behaupten könnte Akteur X habe wider besseren Wissens bestehende Abmachungen böswillig gebrochen, er sie also Agressor, Akteur Y daher Verteidiger.
Der Umstand, dass man das gar nicht so ohne weiteres präzise benennen kann, dürfte für die meisten Konflikte jedenfalls vor dem 18. Jahrhundert gelten.
Deswegen macht es einfach keinen Sinn, global vormoderne "Kriegsschuldfragen" (die sich die Zeitgenossen so überhaupt nicht gestellt hätten) aufzumachen und da globale Aussagen über die Neigung weiblicher Herrscher zum Krieg ableiten zu wollen.
Für einige Kriege wird man da zu sinnvollen Aussagen kommen können, der Großteil entzieht sich dem.