In China ist vom Sozialismus oder Kommunismus außer der Diktatur und dem Namen der herrschenden Partei nicht viel übrig geblieben.
Ist denn da jemals etwas anderes gewesen?
Man darf nicht übersehen, was in Afrika und Asien als Sozialismus/Kommunismus wahrgenommen und warum das adaptiert wurde.
Die Popularität, die Sozialismus/Kommunismus mindestens in Asien (bei Afrika kenne ich mich da weniger aus) im vergangenen Jahrhundert erreichte, beruht vor allem darauf, dass nach dem 1. Weltkrieg die kommunistischen Parteien Europas den Antikolonialismus zu einem ihrer Markenzeichen machten, worauf sie bis zum zweiten Weltkrieg ein weigehendes Monopol in der europäischen Politik hatten.
Sich mit den Sozialistischen/Kommunistischen Bewegungen Europas zu alliieren und sich selbst dieses label zu verpassen, war aus der Perspektive der kolonisierten Länder konsequenter Weise zunächst mal ein Schritt in Richtung nationaler Unabhängigkeit. Und deswegen hatten die sich als kommunistisch bezeichnenden politischen Bewegungen Asiens auch nie ein Problem damit ihren Kommunismus mit einem teilweise recht derben Nationalismus zu verbinden. Mao, Hô Chí Minh, Kim il Sung die hatten alle irgendwo eine nationale Agenda und die von ihnen begründeten politischen Systeme hatten auch alle von Anfang an entsprechende Züge, besonders in Nordkorea hat sich das ja bis heute in rabiater Weise gehalten.
Neben der Agenda der nationalen Befreiung schauten diese Leute auch vor allem auf die stalinistische Sowjetunion, was mit Sicherheit dadurch verstärkt wurde, dass in den 1920er Jahren die Komintern aufgebaut worden war und dass in der Sowjetunion auch Parteischulen aufgebaut wurden, um dezidiert Kader aus dem Ausland in die werdende Sowjetunion einzuladen und ihen die Doktrinen des Leninismus und des Stalinismus näherzubringen.
Gerade unter Stalin, war aber angefangen worden, die Erfolge des Systems nicht in sozialem Ausgleich zu messen, sondern am kilometerweisen Bau von Eisenbehnstrecken, an Steigerungen von Produktionsmengen etc. was eigentlich klassicherweise, wenn man nach Westeuropa schaut im 19. Jahrhundert die Maßsstäbe waren, in denen man die Leistungen nicht des Sozialismus, sondern des kaptialistischen Systems und auch Modernisierung und Fortschritt in den eigenen Kolonialreichen maß.
Bei Lenin, der tatsächlich ein Marxist war, oder der, wenn man seine eigenen Doktrinen am Ende als Abkehr vom Marxismus betrachten möchte, jedenfalls auf einem marxistischen Fundament stand und der die Verhältnisse in Westeuropa, dass er sehr gut kannte, weil er da Jahre im Exil verbracht hatte und für Altbolschewiki, die eine ähnliche Lebensgeschichte hatten und voll auf die westeuropäischen Gesellschaften schauten, war sozialer Ausgleich tatsächlich ein wichtiges, vorrangiges Thema.
Aber diese Leute wurden in dem Moment, in dem die Bolschewiki in der KPdSU aufgingen und immer mehr Kader aus der russischen Provinz in die Partei kamen, bereits zu einer Minderheit.
Die Leute die da in die Partei strömten hatten von den modernen westeuropäischen Industriegesellschaften und ihren Verteilungsasymetrien und -Kämpfen nie irgendwas gesehen, also interessierten sie sich auch nicht dafür, weil das für sie völlig abstraktes Zeug war.
Bereits für diese Leute, war der Kommunismus, der Bolschewiki, die sich darum bemühten nach der Revolution rückwirkend die Industriegesellschaft zu implementieren, für die diese Revolution eigentlich gedacht war, primär eine Modernisierungsideologie, bei der es nicht in erster Linie darum ging erreichtes zu verteilen, sondern erstmal Leistungsfähigkeit aufzubauen.
Und genau so ist "Kommunismus" auch in den kolonisierten Gesellschaften Asiens wahrgenommen worden. Als in erster Linie von oben gesteuertem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Modernisierungsprogramm, dass sich seit den 1920er Jahren in Europa zunehmend mit antikolonialem Gedankengut verband, auf dessen Fundament sich die eigene Nation, bzw. der eigene Nationalstaat aufbauen ließ.
Und das war für die kolonialen Gesellschaften interessant, nicht das Zeug, was europäische Sozialisten über Verteilungskämpfe und -Probleme in europäischen Gesellschaften schrieben, die mit den Realitäten an der kolonialen Peripherie wenig zu tun hatten.
Die Machtverhältnisse in den Kolonien waren nicht sozial-wirtschaftlich, sondern rassistisch organisiert, weil die europäischen Kolonailherren nicht in erster Linie qua wirtschaftlicher Dominanz herrschten, sondern qua ihrer Militärmacht und qua eines rassistsichen Kastensystems, dass die Schicht der "weißen" europäischen Kolonialherren mit Vorrechten versah, dadurch, dass die Europäer, wenn sie das Land direkt beherrschten, direkt rassistsiche Gesetze machten, die die Kolonisierten anderen Regeln unterwarfen, als die Kolonisatoren, oder dadurch dass sie in Ländern, die sie nicht direkt beherrschten qua bewaffneter Erpressungspolitik Sonderrechte für ihre Nation durchsetzten und Immunität eigener Staatsangehöriger innerhalb der entsprechenden Einflusszonen
Entsprechend den Organisationsformen dieser Herrschaft, musste auch der Versuch der Befreiung davon in völlig andere Richtungen laufen.
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Dann noch etwas anderes: Es wird ja gerne im Bezug auf Marx, wenn darauf hingewiesen wird, dass dessen Modell, wenn überhaupt nur in einer entwickelten Industriegesellschaft hätte aufgehen können, von anderer Seite (vorwiegend von solcher, die Marx offensichtlich nie gelesen hat) behauptet, dass sei einfach nur eine Ausrede politischer Aktivisten, um eine gescheiterte politische Theorie zu rechtfertigen.
Das ignoriert und zwar in krasser Weise die historischen Gegebenheiten.
Marx'ens Überlegungen können überhaupt nicht angemessen verstanden werden, wenn der Rezipient aus eigener Anschauung keine konkreten Vorstellungen davon hat, wie denn eine Industriegesellschaft überhaupt aussieht und was damit überhaupt gemeint ist.
Hierbei muss man sich vor Augen führen, dass die koloniale Peripherie der europäischen Reiche zwar die Auswirkungen der europäischen Industrialisierung zu spühren bekam, aber keine genaue Anschauung davon hatte.
Ein Einwohner irgendwo in der ländlichen Chinesischen Provinz im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, also ungefähr der Generation von Mao Zedong, der irgendeiner traditionellen handwerklichen oder bäuerlichen Arbeit nachging, aus seinem Dorf oder zumindest seiner Provinz nie groß herausgekommen war und schon von den Chinesischen Hafenstädten nicht viel wusste, geschweigedenn vom Leben in Europa oder den Vereinigten Staaten, wird einen Erfahrungshorizont gehabt haben der für Verständnis des marx'schen Gedankenguts völlig inadäquat geswesen sein wird.
Hätte man versucht mit einer solchen Person über Fabrikarbeit, die Verhältnisse dort und die Probleme damit, so wie Marx/Engels dass schilderten zu reden, sie hätte sich das Ganze wahrscheinlich als eine Art großen Handwerks- oder Manufakturbetrieb, vorgestellt, in dem Zwangsarbeit geleistet wird und in dem irgendwelche Sklaventrieber mit Peitschen herumlaufen, um die Leute an der Arbeit zu halten.
Und zwar einmal wegen der ziemlich martialischen Sprache bei Marx und andererseits deswegen, weil weil sein Gedankengut schon für Europäer und für Personen, die ihn in seiner deutschen Muttersprache rezipieren konnten (und die Sprachbarriere dürfte historisch für viele ebenfalls ein Hindernis gewesen sein, sich damit überhaupt auseinandersetzen zu können), verdammt abstrakt ist und daneben einen Rekurs auf dezidierte europäische Geschichte darstellt.
Dinge wie die von Marx beschriebene Proletarisierung der Unterschichten, durch den Aufschwung der Industrie und infolge der Bauernbefreiung und des stärker werdenden wirtschaftlichen Drucks auf die ländlichen Unterschichten, durch Wachstum der großen Agrarischen Wirtschafts- und Besitzkomplexe, ist überhaupt nur Verständlich, wenn man eine Vorstellung vom europäischen Feudalsystem hat, dass sich auflöste, davon, was Industrie ist und wie sie funktioniert, dass Zwänge hierbei nicht physicher, sondern abstrakt wirtschaftlicher Natur waren und so weiter und so weiter.
Für einen Rezipienten, irgendwo am anderen Ende der Welt, der vom europäischen Feudalsystem nichts wusste (In China z.B. gab es keine langen feudalistischen Traditionen, also auch keine Feudelgesellschaft mit ihren Eigenheiten, die Westeuropa vergleichbar wäre), der die europäischen Industriegesellschaften und die europäische Geschichte nicht kannte, musste Marx notwendigerweise inhaltlich völlig unverständlich sein.
Geht auf Grund der fehlenden Kenntnisse und Erfahrungswerte gar nicht anders.
Und deswegen war er für die kommunistischen Bewegungen Asiens auch weitgehend uninteressant. Marx hatte im Kern westeuropäische Probleme des 19. Jahrhunderts beschrieben, die sich in den kolonialen und halbkolonialen asiatischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts so nicht unbedingt spiegelten.
Das war nichts, womit sich praktisch etwas anfangen ließ, im Gegensatz zum Stalinismus oder einer Vorstellung des Kommunismus als nationaler Befreiungs- und Modernisierungsideologie.
Aber bereits das, war weitgehend ein Elitenprojekt.