Ich glaube, man muss dabei auch berücksichtigen, warum die Sklaverei (faktisch) abgeschafft wurde (oder auch nicht).
Dass es im mittelalterlichen Europa kaum Sklaverei gab, hatte (neben bereits angesprochenen wirtschaftlichen Aspekten) eben auch damit zu tun, dass das Versklaven von Christen durch Christen als verpönt galt.
Gegenüber Nichtchristen galt das nicht, weswegen im Frühmittelalter noch Slawen, ehe sie christianisiert wurden, versklavt und bis ins islamische Spanien gehandelt wurden. Oder auch noch im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, als im Mittelmeerraum nicht nur islamische Korsaren Christen versklavten, sondern auch umgekehrt (etwa die Malteserritter).
Generell gab es interkonfessionell geringere Hemmungen. Etwa am Balkan: Wenn Byzantiner, Serben oder Bulgaren gegeneinander Krieg führten, wurde zwar eifrig geplündert, aber üblicherweise nicht versklavt (weil alle Beteiligten orthodoxe Christen waren). Wenn Türken ins byzantinische Reich einfielen, versklavten sie hingegen sehr wohl eifrig Gefangene.
Der religiös motivierten Zurückhaltung bei der Sklaverei lag aber eben keine prinzipielle Ablehnung der Sklaverei zugrunde.
Die Verbreitung der Auffassung, dass Sklaverei prinzipiell falsch und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei, ist neueren Datums.
Sie belegt aber durchaus, dass eine prinzipielle Ablehnung und ein dezidiertes Verbot möglicherweise gar nicht notwendig ist, um von dem Modell jedenfalls so weit abzugehen, dass es für die Gesellschaft keine reale Bedeutung mehr hat.
Gleichzeitig ist es natürlich ungleich einfacher eine prinzipielle Ablehnung gegen etwas zu entwickeln, dass in der eigenen Realität kaum vorkommt und dessen Verbot somit keine im Alltag besonders stark merkbaren Konsequenzen mit sich bringt.
Man könnte an dieser Stelle ja die Frage stellen, warum sich die aufklärereischen Ideen, die die Sklaverei ablehnten zunächst in Europa entwickelten und verbreiteten, wo es de facto kaum Sklaverei gab, während das in Amerika, wo die Problematik der Sklaverei tatsächlich relevant war noch sehr viel länger eine deutliche Minderheitenmeinung blieb.
In Nordwest-Europa folgte die Idee der Abschaffung der Sklaverei eher ihrer faktischen Abschaffung, als dass es umgekehrt der Fall gewesen wäre.
Ähnliches könnte man von den USA sagen.
Der prinzipielle Abolitionismus, der sich auf die gesamten USA, nicht auf einzelne Staatslegislaturen oder Kompromissregelungen bezog wurde vor allem in den Nordstaaten stark und zwar zum Teil lange nachdem die Sklaverei dort faktisch verschwunden war, nicht in Auseinandersetzung damit innerhalb des Nordens selbst..
Ravenik hat m.M schon recht, er formuliert es nur etwas zurückhaltend.
Dass es im Mittelalter im Vergleich zur Antike / Spätantike in Europa keine nennenwerte Sklaverei gegeben hat, ist nicht auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten der Lehnsherrschaft zurückzuführen sondern hat tatsächlich religiöse Gründe. Christen durften keine Sklaven sein, und da eines der selbsterklärten Hauptziele der mittelalterlichen Kirche die Durchsetzung des christlichen Glaubens im "ganzen Abendland" war (was ihr auch beinahe restlos gelungen war), gab es eben auch keine Sklaven im ursprünglichen (antiken) Sinn. Zur Zeit der Merowinger war Sklaverei auch im lateinischen Westeuropa jedenfalls noch weit verbreitet. Im Gegensatz zu den Unfreien und Hörigen im landwirtschaftlichen Bereich, die trotz ihres Status nicht als Sklaven im eigentlich zu betrachten sind (obwohl ihr Status nicht besser war) und zu ihrem Stamm gehörten, rekrutierten sich die Haussklaven des Frühmittelalters hauptsächlich aus Sklavenhandel, Menschenraub oder Kriegszügen. Im 5. und 6. Jahrhundert waren es besonders die Auseinandersetzungen der Angelsachsen oder die Expansionszüge der Franken in das rechtsrheinische Gebiet, die regelrechte Ströme von Kriegsgefangenen auf den europäischen Sklavenmarkt brachten. Dass die Sklaverei in Privathaushalten der oberen Schichten im
Frühmittelalter nichts Ungewöhnliches darstellte, zeigt der Bericht des Bischofs Gregor von Tours über einen Kaufmann aus seiner Heimatstadt, der sächsische Sklaven besass.
Es war der Absolutheitsanspruch der Kirche - "die ganze Welt soll christlich sein - welche den mittelalterlichen Sklavenhandel unterband oder zum Mindesten marginalisierte. Die Christianisierung von Skandinavien beendete nicht nur die Wikingerzeit sondern auch den Sklaven(Slawen)-Handel deren Protagonisten. Auch im Einflussbereich der orthodoxen Kirche, in Byzanz und im Kiewer Rus, waren Sklaven vor allem Nichtchristen.
In England existierten gemäss dem Domesday Book noch im Jahr 1086 28’200 Sklaven, wobei offenbar noch nicht mal alle berücksichtig waren. In einigen Grafschaften bildeten sie bis zu 25 % der Bevölkerung. Auch Klöster, so zum Beispiel Ely Abbey, setzten Sklaven in der Landwirtschaft ein – auf den Gütern dieser Abtei lebten nach Auskunft des Domesday Book 112 unfreie Bauern, 27 Kleinbauern (bordarii), ein Priester
und 16 Sklaven.
Der Sklavenmarkt selbst wurde im frühen Hochmittelalter, im 9. und 10. Jahrhundert, noch immer von Wikingern und Juden beherrscht.
Beide verfügten über die gehörige Weltläufigkeit, die einen zur See, die anderen auf dem Landweg. Viele ihrer Kriegsgefangenen verkauften
die Wikinger in den Orient. In den islamischen Ländern nannte man die europäischen Sklaven „Saqaliba“, ein Begriff, womit in arabisch-kurdischen Quellen vermutlich die Slawen bezeichnet wurden. Da der grosse Teil der Muslime jedoch ziemlich vage Vorstellungen von den ethnischen Verhältnissen Osteuropas hatte, wurden mit „Saqaliba“ oft einfach jeder hellhäutige Mensch aus dem Norden bezeichnet.
Eine weitere bedeutende Route des Sklavenhandels begann in der Elbe-Region und verlief über Koblenz, das gemäss einem Zolltarif-Verzeichnis aus dem 11. Jahrhundert sogar vier Denare pro Sklave verlangte. Von hier aus zog sich der Weg mosel- und maasaufwärts nach Verdun, dann über die Saône und die Rhône nach Lyon und schliesslich nach Arles als Einschiffungshafen. Es waren vornehmlich jüdische Kaufleute, welche dies Sklaven in das maurische Spanien verkaufen.
Im Übrigen kennt und kannte auch der Islam "die religiös motivierte Zurückhaltung" was die Versklavung von Glaubesngenossen betrifft. Dass in den zeitgenössischen islamischen Reichen des europäischen Mittelalters die Sklavenhaltung viel verbreiteter war, hat eben mit dem erwähnten arabischen Grosshandel in den Regionen der Subsahara zu tun, deren Bevölkerung einerseits zum grossen Teil nicht muslimisch war. Erst im Spätmittelalter beteiligten sich Portugiesen und Spanier und noch später Engländer (Drake) an diesem Grosshandel. Seit dem 13. Jahrhundert waren die meisten mittelalterlichen Sklaven nicht mehr Kriegsgefangene, sondern Männer und Frauen, die in der Ferne gekauft und dann über See verhandelt wurden. Eine besondere Rolle spielte dabei der Ausbau der genuesischen, später auch der venezianischen Kolonien am Schwarzen Meer seit den 1270er und 1280er Jahren. Auf der anderen Seite erreichten die Katalanen und Portugiesen um 1450 den Anschluss an den traditionellen Sklavenmarkt Schwarzafrikas.
Im östlichen Teil des lag der Sklavenhandel in den ersten Jahrzehnten des Hochmittelalters fest in ägyptischer und byzantinischer Hand. So erlaubte ein Abkommen zwischen dem byzantinischen Kaiser Michael Palaiologos und dem Mamelukenherrscher Qala’un von 1281 nur ägyptischen Händlern die Passage durch den Bosporus, um in Südrussland Sklaven einzukaufen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts drängten die italienischen Handelsstädte in den Sklavenhandel, vornehmlich Genua und Venedig, deren Schiffe über den grössten Ladraum verfügten.
Wenn nun auch die Sklavenhaltung im mittelalterlichen Europa nicht sehr verbreitet war (in Byzanz, in Spanien und Süditalien etwas mehr) so war der Sklavenhandel selbst das ganze Mittelalter hindurch ein wichtiger - und eben nicht ein ubedeutender - wirtschaftlicher Faktor.
Und so gesehen war es tatsächlich die Aufklärung/franz. Revolution mit ihrem bedingungslosen Postulat der Freiheit und Gleichheit aller Menschen (unbahängig von Standes-, Religions-, Stammes- und letztendlich auch Staatszugehörigkeit), welche für die Abschaffung der Sklaverei gesorgt hat. Sie war es schliesslich auch, welche mit der (ersten) Erklärung der Menschenrechte der Sklaverei jegliche Legitimation abgesprochen hat. Und das war eine absolut neue Idee.
So wie bei der Existenz der Menschenrechte als Produkt der Aufklärung unerheblich ist, welche Potentaten, Mächte, Oligarchien, Mehrheiten etc. die Menschenrechte aktzeptier(t)en oder nicht, so ist es m.E. offensichtlich, dass für die Abschaffung der Sklaverei (als Produkt der Menschenrechte und damit der Aufklärung) ebenso unereheblich ist, unter welchen wirtschaftlichen Gegebenheiten sie durchgesetzt
werden konnte oder eben nicht. Für die Abschaffung der Sklaverei war die Aufklärung genauso verantwortlich wie die Erklärung der Menschenrechte. Und ebenso wenig wie die Menschenrechte aufgrund wirtschaftlicher Umstände "einfach so" erklärt wurden, wäre die Abschaffung der Sklaverei wohl auch nicht "einfach so", lediglich aufgrund fehlender Relevanz, geschehen.