Als Antwort auf diesen „Rundumschlag“ von Chan eine literaturorientiert Erwiderung, die den Aspekt der Aufklärung, der antikoloniale Kritik und den perspektivische Erweiterung in Bezug auf die Frage der Eurozentrierung in der Geschichtsschreibung sortiert
Generell: Dass der Westen ab ca. dem 18. Jahrhundert in eine zunehmend dominante und hegemoniale Rolle kommen konnte, das lag an vielen Faktoren und drückt sich in der „Great Divergence“ aus (vgl. Pomeranz) . Dass Europa mit Hilfe einer staatlich finanzierten (Steuern) Administration in Kombination mit einem kapitalistischen Wirtschaftssystem und einem zentralistischen Militärsystem viele Länder dieser Welt ausbeuten konnte, ist völlig unstrittig (vgl. z.B. Mann)
Abwegig ist die Vorstellung, die angebliche Überlegenheit der Kultur eines Landes an seinen Bauwerken ablesen zu wollen. Zumal die Art der Architektur einen Teil der Drohkulisse bildet, die hegemoniale Ansprüche im Rahmen des Imperiums helfen sollten, diese gegen die sogenannten Kolonialvölker und Rivalen durchzusetzen, wie Parker konstatiert.
Zudem stellt sich die Frage, warum eigentlich nicht an der Höhe der Menschenverluste in Kriegen, die parallel die Entwicklung der „Hochkultur“ begleitet haben, die Überlegenheit einer „Hochkultur“ abgelesen werden kann. Es wird wenige Regionen geben, die es geschafft haben, sinnlos in den letzten 200 Jahren um die 100 Millionen in „Totalen-Kriegen“ und in begleitenden Katastrophen zu töten. (vgl z.B. Black). Das sind dann vermutlich die „notwendigen Kollateralschäden“ von „Hochkultur“, die man gerne im Schatten der monumentalen Gebäude beläßt.
Black, Jeremy (2010): The age of total war, 1860-1945. Lanham, Maryland: Rowman & Littlefield Publishers
Mann, Michael (2012): The sources of social power. Global empires and revolution, 1890-1945. Cambridge: Cambridge University Press.
Parker, Geoffrey (2014): Power in stone. Cities as symbols of empire. London: Reaktion Books.
Pomeranz, Kenneth (2012): The great divergence. China, Europe and the making of the modern world economy. Princeton (N.J.): Princeton University Press
Im einzelnen:
1.Der Vorwurf des angeblichen „Werterelativismus“ von Chan durch eine angebliche Anlehnung an die Werte der Aufklärung, sind ein Widerspruch in sich. Die Aufklärung zeichnet sich gerade dadurch aus, einen neuen Kanon von vernunftbasierten Wertvorstellungen zu präferieren, deren „Wahrheitsgehalt“ sich im Zuge der Prüfung durch die Vernunft bewähren muss und jederzeit kritisch hinterfragt werden kann (vgl. beispielsweise Israel oder Jacob)
Diese Prämisse von Gesellschaft und Wissenschaft kann man sicherlich im Geiste der Aufklärung mit Steven Pinker auf den Punkt bringen.
„Das Prinzip der Aufklärung, das wir mit Vernunft und Mitgefühl das Wohlergehen der Menschheit befördern können, mag offenkundig abgedroschen, altmodisch erscheinen. Dieses Buch ist entstanden, weil ich begriffen habe, das es nicht so ist. Mehr denn je gilt es, die Ideale der Wissenschaft, der Vernunft, des Humanismus und des Fortschritts von ganzem Herzen zu verteidigen.
Aus dieser Sicht ergeben sich Wertvorstellungen, die am „Vernunftrecht“ angelehnt sind undin der Tat u.a eine zentrale Fundierung der Codifizierung der Menschenrechte bilden. Und zusätzlich das Rechtsverständnis in Bezug auf Genozide stark beeinflußt haben, wie man am Beispiel von Lemkin zeigen könnte.
Wiki:
„Die wichtigsten, heute noch geltenden vernunftrechtlich geprägten Zivilrechtskodifikationen sind der französische Code civil (1804) und das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 (ABGB). § 16 ABGB fasst die Basis des Vernunftrechts prägnant zusammen:
„Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sklaverei oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht, wird in diesen Ländern nicht gestattet.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Vernunftrecht
Vor dem Hintergrund dieser wertebasierten Traditionsline sind rassistische oder andere Formen von extremer Exklusion sehr deutlich als menschenverachtend zurück zu weisen.
Israel, Jonathan I. (2003): Radical enlightenment. Philosophy and the making of modernity 1650-1750. Reprint. Oxford: Oxford University Press.
Israel, Jonathan I. (2011): A revolution of the mind. Radical Enlightenment and the intellectual origins of modern democracy. Princeton, N.J., Woodstock: Princeton University Press.
Israel, Jonathan I. (2013): Democratic enlightenment. Philosophy, revolution, and human rights, 1750 - 1790. 1 publ. in paperback. Oxford: University Press.
Israel, Jonathan I.; Mulsow, Martin (Hg.) (2014): Radikalaufklärung. Originalausgabe. Berlin: Suhrkamp
Jacob, Margaret C. (1981): The radical enlightenment. Pantheists freemasons and republicans. London: Allen Unwin
Pinker, Steven (2018): Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt : eine Verteidigung. Frankfurt am Main: S. Fischer.
2. Diese Unterstellung ist jedoch ohnehin falsch, da es vor allem die moderne Ethnologie bzw. Soziologie ist, die die vorurteilslose Betrachtung von Kulturen als methodische Prämisse annnimt. Insofern basieren meine Ausführungen auf den methodischen Prämissen von Ethnologen und Soziologen(Radcliffe-Brown, Maus, Levi-Straus, Geertz u.a.) . I Kern gehen sie von dem methodischen Anspruch einer neutralen Beobachtung aus und können so per methodischem Anspruch keine Aussagen über die „Überlegenheit“ machen, sondern bestenfalls über die „Andersartigkeit“. Davon berührt ist ebenfalls die Art der Theorienildung, die induktiv vorgeht. Und bei A. Strauss noch im Rahmen der „Grounded Theory“ die Vorstellung beinhaltet durch ein „Theoretical Sampling“ eine generalisierungsfähige Theorieformulierung vorzunehmen. Eine Vorstellung, die beispielsweise Geertz kritisch sieht und die Ethnologen davor warnt, den falschen Weg einer generalisierungsfähigen Theorieformulierung zu beschreiten, die ihrerseits deduktiv auf die Art der Feldarbeit sich auswirken müßte. Und damit die unbefangene Neutralität der Beobachtung gefährden würde.
Geertz, Clifford (2017): The interpretation of cultures. New York: Basic Books.