silesia schrieb:
wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Da wir hier nicht im Gerichtssaal sind, ist mit "unterschlagen" auch nur die zeitliche Klammer bzw. das Auslassen zwischen Vernichtungskrieg der Wehrmacht und Kriegsverbrechen der Roten Armee in Deutschland gemeint gewesen, und dieses nicht vorwurfsvoll. Du kannst es gerne durch "überschlagen" ersetzen wenn Dir "unterschlagen" zu nahe am StGB liegt. Wenn Du Zweifel hast, ob etwas negativ gemeint sein soll, würde ich vorschlagen, Du fragst per PN nach, bevor du das unterstellst. Würde ich jedenfalls so machen.
Schon dem allgemeinen Sprachgebrauch zufolge ist der von Dir verwendete Begriff „unterschlagen" negativ besetzt. Deine Klarstellung, dass Du diesen Begriff so nicht verstanden wissen wolltest, freut mich. Diese Freude wird allerdings dadurch getrübt, dass Du mir nun vorwirfst, Dir etwas unterstellt zu haben.
silesia schrieb:
Vergleich der Kriegsverbrechen: Ich hatte ausdrücklich keinen angestellt, insbesondere nicht bezüglich "Vernichtungskrieg", wie meinem Zitat zu entnehmen ist. Warum Du nun einen vorbringst und mich danach fragst, kann ich nicht nachvollziehen. Ich würde mich Deinem Urteil anschließen, dass die Dimensionen nicht vergleichbar sind und dass Dein rhetorisch vorgebrachter Schluss - wie du richtig schreibst - völlig überzogen ist.
Ich habe nachgefragt, weil mir unklar war, wie Deine Formulierung,
„ohne vergleichen zu wollen, unterschlägst Du..." (# 7), zu verstehen ist. Diese ist nämlich mehrdeutig. Sie kann auch als Vorhalt verstanden werden im Sinne von: „Du [Gandolf] willst nicht vergleichen, unterschlägst aber (...)".
Dankenswerterweise hast Du klargestellt, dass sich das „ohne vergleichen zu wollen" (entgegen den Regeln eines geordneten Satzbaus) auf Dich bezieht. Auch Du möchtest also die Kriegsverbrechen der SU nicht mit denen Deutschlands gleichsetzen. Insoweit sind wir uns einig.
silesia schrieb:
Nachgefragte Quellen: statt vieler beeideter Bericht der Kriegspfarrer Sindersberger und Klinger, in Kopie abgedruckt in: Kippar, Das Kampfgeschehen der 161. ID von der Aufstellung 1939 bis zum Ende, S. 139, über Kriegsverbrechen an Gefangenen/Verwundeten durch Übergießen mit Benzin und Anzünden, Bericht unterschrieben auf dem Divisionsgefechtsstand am 8.7.1941 über die Ereignisse bei Porcczece (Gefangennahem eines Teiles des Divsionstroßes und eines Krankenlagers).
Das von Dir angegebene Buch von Kippar wurde im Selbstverlag aufgelegt, dh. der Autor hat dafür bezahlt, dass sein Buch gedruckt wurde, und kein Verlag hat das Buch auf seine Qualität inhaltlich überprüft. Zudem erschien es nur in geringer Auflage, so dass es selbst in großen Bibliotheken nicht einsehbar ist.
Fazit: in der Frage der Gleichsetzung der Kriegsverbrechen soll ich also etwas „unterschlagen" haben, was für die Beantwortung dieser Frage - auch Deiner Auffassung nach - irrelevant ist und aus einem Buch stammt, das man weder kennen kann noch kennen muss. Mein Rat an Dich lautet: Bitte lass die Kirche im Dorf!
silesia schrieb:
Die "Generalprobe" hatte ich von Dir begrifflich übernommen, wir brauchen darüber aber nicht zu diskutieren: Wir können gerne bei "Auftakt" bleiben: (...)
Wo habe ich geschrieben, Böhler "schreibt"? Ich hatte ausdrücklich vermerkt: "quasi" (gewissermaßen, gleichsam, als ob). Das war auf den Vergleich von "kleinem" zum "großen" Vernichtungskrieg gemünzt. Den halte ich nämlich für falsch.
Nun hatte ich ja bereits geschrieben, dass es mir in dieser Diskussion mehr um die Einordnung der Sachverhalte geht (=> Entspricht der Charakter des Polenfeldzugs eher dem der Westfeldzüge oder eher dem eines Vernichtungskrieges?) als um den Streit über den richtigen Begriff.
Wenn Dir aber die Begrifflichkeiten so wichtig sind, möchte ich Dich auf folgendes aufmerksam machen: Die „Generalprobe" zum Vernichtungskrieg (meine Formulierung) liegt zeitlich vor dem Vernichtungskrieg und gehört diesem noch nicht an; der „Auftakt zum Vernichtungskrieg" (Böhlers Formulierung) gehört bereits zum Vernichtungskrieg so wie die Ouvertüre einer Oper zu dieser gehört. Der Begriff der „Generalprobe" ist also zurückhaltender als der Begriff des „Auftakts".
silesia schrieb:
gandolf schrieb:
Ich nehme mal an, dass Du Jochen Böhler gar nicht gelesen hast.
Da liegst Du falsch. Was ich zitiere, habe ich gelesen.
Dann hast Du Böhlers Buch „Auftakt zum Vernichtungskrieg" nicht gelesen. Aus diesem Buch hast Du bislang ja auch nicht „zitiert" (= wörtlich wieder gegeben, lt. Wörterbuch). Wo denn?
silesia schrieb:
Wo diente der Freischärlermythos als Rechtfertigung für Kriegsverbrechen? Ein Mythos kann wohl kaum einer Rechtfertigung dienen.
Nicht? Wie das funktionierte, hat Böhler in seinem Buch doch ganz ausführlich beschrieben. Friedliche Juden und Polen bekamen z.B. das Schild „Ich habe auf deutsche Soldaten geschossen" umgehängt und wurden exekutiert.
Ich weiß, dass sich in Deinem letzten Beitrag auch Formulierungen finden, mit denen diese Umstände eingeräumt werden. Aber warum stellst Du dann die oben von mir zitierte Frage???
silesia schrieb:
Kein Wunder: das hatte ich bereits so geschrieben. Zitat: "Ich sehe den Versuch als nicht überzeugend an". Tote wegen des Freischärlerwahns (der durch die Führung, die Vorbereitung und die Umstände/Abläufe des Feldzuges verursacht sind, nicht aufgrund gezielter Mordbefehle) lassen sich mE bei Böhler nicht einwandfrei von sonstigen Morden und den Morden der Einsatzgruppen trennen, auch nicht durch selektives Zitieren der KTBs und Feldpostbriefe.
Der eigentliche Trick beim Schüren des Freischärlerwahns bestand darin, dass gezielte Mordbefehle gar nicht mehr erteilt werden mussten. Die Wehrmachtsführung, die Offiziere in den Verbänden und die Soldaten waren psychologisch auf die Freischärlerbekämpfung eingestellt. „Guten Gewissens" waren die Soldaten vor Ort zur Freischärler-Bekämpfung und zur Kooperation mit den Einsatzgruppen bereit.
Nun mussten nur noch „Freischärler" "gefunden" werden. Die vielen „Freischärler-Meldungen" verstärkten den Eindruck des einzelnen Soldaten, mit Freischärlern rechnen und gegen diese entschieden vorgehen zu müssen. Die Polen galten ohnehin als deutschfeindlich; die Juden sowieso. Ergebnis: die Wehrmacht erschoss 1939 im großen Stil Zivilisten und kooperierte im Rahmen der „Befriedung" der eroberten Gebiete mit den Einsatzgruppen der SS und der Polizei.
silesia schrieb:
... auch nicht durch selektives Zitieren der KTBs und Feldpostbriefe.
Böhler zitiert auch aus wehrmachtsinternen Vorträgen, Berichten oder amtlichen Publikationen.
Aus dem Vortrag des Kdr. der II./AR 31 für den Dienstunterricht vom 12.10.1939, BA-MA, RH41/1177 (Böhler, S. 7): „Und wir haben die traurigen Bilder gesehen und miterlebt, dass deutsche Soldaten sengen, brennen, morden, plündern, ohne sich etwas dabei zu denken, Erwachsene Menschen, die sich nicht einmal dessen bewusst sind, was sie tun, die - ohne sich ein Gewissen daraus zu machen - gegen gegebene Gesetze und Vorschriften und gegen die Ehre des deutschen Soldaten verstoßen".
Aus offiziellen Wehrmachtspublikationen wie zum Beispiel „Hinter der Hecke ... Krieg oder Mord?" in: OKW (Hg.), „Die Wehrmacht. Der Freiheitskampf des großdeutschen Volkes", Berlin, 1940, S. 40: „Es gibt kaum einen deutschen Verband im Polenfeldzug, der (...) von der Tätigkeit der „Heckenschützen" nichts gespürt hat. Noch lange nach dem Abschluss des Polenfeldzugs trieben diese Frankiteure in Polen ihr Unwesen und sie wurden mit den Mitteln bekämpft, die das Völkerrecht für solche Fälle zulässt".
Aus dem „Merkblatt [des ObdH] für das Verhalten der deutschen Soldaten im besetzten Gebiet im Polen" vom 19.9.1939, BA-MA, RS4/1118: „Das Verhalten gegenüber den Juden bedarf für den Soldaten des Nationalsozialistischen Reiches keine[r] besondere[n] Erwähnung". Die vage Formulierung schien sich im Polenfeldzug bewährt zu haben. Sie wurde im Sommer 1942 wörtlich in das „Merkblatt für das Verhalten des deutschen Soldaten in den besetzten Ostgebieten" übernommen.
Keine Generalprobe/Auftakt zum Vernichtungskrieg?
Literatur: Jochen Böhler, „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939", 2006.