Arne schrieb:
China war durch den Boxerkrieg nicht in seinem staatlichen oder kulturellen Bestand gefährdet und seine Bevölkerung sollte nicht ausgerottet werden.
Das wage ich zu bestreiten:
"Während der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts destabilisierten neuartige Entwicklungen die chinesische Gesellschaft zunehmend, so das Vordringen christlicher Missionare, die Verschärfung der imperialistischen Aggression gegen China und das Auftreten von Hungersnöten in den 1890er Jahren. Ausländische Missionare waren im Zuge der gewaltsamen Öffnung Chinas für den westlichen Imperialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend aktiv geworden. Sie profitierten von den rechtlichen Privilegien für Ausländer, welche der chinesischen Regierung seit 1842 in den "Ungleichen Verträgen" abgepreßt worden waren. Gegenüber der einheimischen Justiz besaßen sie Immunität, der sino-französische Vertrag von 1858 sicherte ihnen die völlige Bewegungsfreiheit im ganzen Land, und mit dem Recht auf unbegrenzten Bodenerwerb ließ sich überall der Bau von Missionsstationen und Kirchen durchsetzen.
Vor allem auf dem Land, wo das dörfliche Leben sich um die Tempelgemeinschaft konzentrierte,, führte das Auftreten von Missionen zu Spannungen, die sich häufig gewaltsam entluden. Da die fremden Missionare ihren Konvertiten nicht nur die weitere finanzielle Unterstützung der Dorftempel, sondern auch die Beteiligung an Festen und Ritualen verboten, die das dörfliche Sozial- und Kulturleben bestimmten, zerstörte die Gründung christlicher Gemeinschaften die integrative Funktion der Dorftempel. Die ländliche Bevölkerung spaltete sich in eine nicht-christliche Mehrheit und eine christliche Minderheit, die ihrerseits einen Teil des öffentlichen Bodens zur eigenen Nutzung beanspruchte. (...) Die Kirche bot ihren Konvertiten neben einem Mindestmaß an materieller Versorgung auch Schutz vor dem Zugriff der chinesischen Justiz.
Die Mission gebährdete sich somit als Staat im Staate (...). Und hinter den Missionaren standen die ausländischen Mächte, die durch Interventionen bei der Zentralregierung in Peking oder durch punktuellen Einsatz militärischer Gewalt (...) ihrer Unterstützung für die Missionare wirksam Nachdruck verliehen.
Wie die christliche Mission als Speerspitze der imperialistischen Aggression dienen konnte, belegen die Ereignisse in Shandong. Johann Baptist von Anzer, einer der seit 1879 hier aktiven Steyler Missionare, der von 1886 bis zu seinem Tod 1903 den Rang eines Bischofs innehatte, gehörte zu den aggressivsten Missionaren. Er war zugleich militanter Nationalist, der seine Kirchenpolitik eng mit den Expansionsplänen der deutschen Reichsregierung verband. Als am 1. November 1897 auf einer Steyler Missionsstation zwei Priester ermordet wurden, nahm die deutsche Regierung dies als willkommenen Anlaß, um sich koloniale Rechte in Shandong zu sichern. Ein Jahr später wurden der Pachtvertrag über das "Schutzgebiet" Jiaozhou und sein unmittelbares Hinterland sowie Abkommen über die Gewährung von Eisenbahn- und Bergbaurechten unterzeichnet.
Bischof Anzer erlaubte sich nun ein noch dreisteres Auftreten. Er erzwang nicht nur die Ablösung des missionsfeindlichen Provinzgouverneur, sondern auch seine persönliche Gleichstellung mit einheimischen Vizekönigen. Die Kluft zwischen einer vom Ausland gestützten christlichen Minderheit und einer gedemütigten Bevölkerungsmehrheit vertiefte sich. Zugleich wurde den konfuzianischen Beamten täglich ihre Machtlosigkeit vorgeführt. Die politische Legitimität des kaiserlichen Systems geriet ins Wanken. Eine ohnehin kritische lokale Situation drohte zu explodieren." (Dr. Sabine Dabringhaus "Zurück zur Harmonie des Himmels" Damals XXXII/8, 69-70.)