Brandenburg: Verhältnis der teutschen Markgrafen zu den slawischen Fürsten im 10. Jh.

tvinnefossen

Mitglied
Brandenburg: Verhältnis der Markgrafen zu den slawischen Fürsten vom 10.-12. Jh.

Einen schönen Guten Tag in die Runde.

Bin gerade dabei für den Hausgebrauch ein Plakat zu entwerfen, welches die Besiedelung des späteren Brandenburg und die Oberhäupter bis in die Gegenwart veranschaulichen soll. Ab Pribislaw-Heinrich und Albrecht den Bären ist es diesbezüglich ja ganz einfach.

Auch die frühen Besiedlungen nach Tacitus und Ptolemäus kann man - wenn auch ohne Oberhäupter, da nicht überliefert und ohnehin nicht "staatenbildend" - noch einigermaßen gut darstellen.

Probleme habe ich mit dem Verständnis eines vermeintlichen Nebeneinanders bzw. dem Verhältnis des Markgrafen Gero von Merseburg und den Slawischen Fürsten jener Zeit.

Prägende Slawenstämme auf dem Gebiet der späteren Mark waren die Heveler und die Sprewanen. Vor der Zeit Geros als Markgraf der Sächsischen Ostmark dürfte Baçlabić /Václav (890 – 935, Regentschaft – 935) Fürst der Heveler gewesen sein. Nach Geros "Machtantritt" wohl Václavs Sohn Tugumir (Regentschaft ab 940). Überliefert ist ja das grauenvolle vorgehen Geros gegenüber den slawischen Fürsten. Grundsätzlich wird das wohl auch so gewesen sein, allerdings kann ich mir eine Feindschaft zwischen Tugumir und Gero schwer vorstellen. Tugumir war nach dem Slawenfeldzug Heinrichs I. zunächst Gefangener Heinrichs und kehrte 940 zurück auf die Brandenburg und unterwarf sie für Heinrichs Sohn Otto I. und führte die slawischen Stämme in die Tributpflicht gegenüber Otto I.

Wie könnte man also das Verhältnis zwischen Tugumir, Otto und Gero beschreiben und einordnen, wer war der befehlsgewaltige Herrscher über das Gebiet der Heveler - Gero oder Tugomir? Wie sah das bei den benachbarten Sprewanen aus? Wie war das Verhältnis der Markgrafen der Nordmark zu den slawischen Fürsten bis zur Gründung der Mark Brandenburg?

Wäre schön, wenn jemand hier weiter wüßte oder Hinweise geben könnte!
 
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Wie könnte man also das Verhältnis zwischen Tugumir, Otto und Gero beschreiben und einordnen, wer war der befehlsgewaltige Herrscher über das Gebiet der Heveler - Gero oder Tugomir? Wie sah das bei den benachbarten Sprewanen aus? Wie war das Verhältnis der Markgrafen der Nordmark zu den slawischen Fürsten bis zur Gründung der Mark Brandenburg?

Die große Frage ist, ob man Tugumir als Verräter bezeichnen muss oder ob er lediglich ein listiger Hevellerfürst war, der seinen Kopf rettete. Folgt man der Widukind-Quelle, so geriet Tugumir in Gefangenschaft Geros. Der überredete ihn durch Geschenke und das Versprechen, er könne Herrscher des Brandenburger/Brennaburger Landes werden, zum "Verrat". Tugumir begab sich aus der Gefangenschaft zur Brennaburg, die von den Hevellern gehalten wurde. Er behauptete, er sei durch Flucht der sächsischen Gefangenschaft entkommen und wurde von seinen Landsleuten zum Herrscher eingesetzt. Einmal in Amt und Würden unterwarf er sich dem deutschen König Otto I., was zur Unterwerfung auch anderer Slawenfürsten bis zur Oder führte.

Die Motive Tugumirs lassen sich vielfältig deuten. Als erstes wollte er sicher das nackte Leben retten. Seine Unterwerfung kann durchaus der Erkenntnis entsprungen sein, dass die Slawen gegenüber der sächsisch-deutschen Heeresmacht keine Chance hatten und eine Verteidigung der Brennaburg nur unnötiges Blut gekostet hätte. Meines Erachtens handelt es sich also weniger um Verrat, als um Einsicht in die Notwendigkeit der Umstände. Markgraf Gero hat demnach den Tugumir richtig eingeschätzt, denn es hätte ja auch die Möglichkeit bestanden, dass der Slawenfürst einen erneuten Aufstand angezettelt hätte.
 
Vielen Dank für die schnelle Antwort!
Gibt es irgendein Standardwerk oder empfehlenswertes Buch, welches genau diese Zeit in Brandenburg behandelt? Gerade die Einsetzung Tugumirs als Fürst würde mich interessieren. (z.B. Wer war Fürst als er zurückkehrte und ließ derjenige sich bereitwillig zum Abdanken bewegen?).

Und eben auch die Frage, ob die Slawenstämme ab Tugomir dem Markgrafen nur tributpflichtig oder stärker ins System des HRR eingebunden ware - im Prinzip also die Frage danach, wer der oberste Herr eines Hevelers auf der Brandenburg war? Der Fürst oder der eigesetzte Markgraf...
 
Habe ein wenig auf den Seiten des Verlages gestöbert und konnte den Band, der Brandenburg betreffen könnte nicht ausmachen. Werde mal meine Augen weiter offen halten (Antiquariate).


Ich gebe zu, daß ich für das Empfinden anderer wohl eine etwas sonderbare Sicht auf die Geschichtswissenschaften habe. Ich störe mich an der ab dem 19. Jahrhundert aufkommenden "nationalisierten" Geschichtsschreibung die augenscheinlich - und egal in welcher Nation sie verfasst wird - irgendeinem Deutungs- oder gar Rechtfertigungsziel folgt.

Beispielhaft sind hier für mich das eine oder andere Werk moderner polnischer Autoren zur Piastenzeit und dem gegenüber die deutschen Kollegen zur gleichen Zeit. Mit umgekehrten Vorzeichen gilt das dann auch für einige Sachen, die ich hier und da zur Ostkolonisation gelesen habe

Der Titel "Deutsche Geschichte im Osten Europas" läßt wohl darauf schließen, daß es wohl auch in diesem Werk sehr "germanophil" zu geht.

Ich bin der festen Überzeugung, daß sich Heinrich und Otto weit weniger "deutsch" fühlten als es viele ab Ranke und Arndt gerne hätten. So stößt bei mir z.B. auch die im Vergleich zur tatsächlichen Bedeutung unverhältnismäßig starke Betonung von "deutscher Nation" hinter "HRR" auf Widerstand. Zu der Zeit, um die es hier geht, war dieses Anhängsel wohl kaum gebräuchlich und auch lange Jahre später nur sporadisch. War erst am Freitag zu einer Ausstellungseröffnung wo man es nicht lassen konnte hinter jedem HRR auch "dt. Nation" zu schreiben. ;) Vielleicht ist dieses Anhängsel aber auch nur sowas wie das "h" in postum/posthum(us) - eine Eselsbrücke für den Unbedarften ;)

Nun ja, wolllte keinen philosophischen Streit vom Zaune brechen. Danke nochmal für den Buchtipp, ich halte meine Augen offen...
 
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Der Titel "Deutsche Geschichte im Osten Europas" läßt wohl darauf schließen, daß es wohl auch in diesem Werk sehr "germanophil" zu geht.
vielleicht bin ich naiv, aber einer Publikation des Siedler Verlags mit renommierten Historikern als Autoren und obendrein erst Ende des 20. Jhs. begonnen, würde ich nicht a priori unterstellen, germanophil zu sein...

Natürlich gibt es noch weitaus mehr (ältere wie neuere) Literatur über die slaw.-german. Kontaktzone im Frühmittelalter und Mittelalter. So weit ich mich erinnere, ist in einem der zehn Bände ziemlich ausführlich von den Abodriten, Hevellern u.v.a. die Rede.
 
vielleicht bin ich naiv, aber einer Publikation des Siedler Verlags mit renommierten Historikern als Autoren und obendrein erst Ende des 20. Jhs. begonnen, würde ich nicht a priori unterstellen, germanophil zu sein...

;) a priori war es nicht ganz... eine kurze - also unvollständige - Recherche ging dem voraus...

Ich gebe zu, daß ich bei diesem Thema voreingenommen bin, aber genau so wie mich stört, daß einige bei der Ostkolonisation die Ereignisse ins Schuldbuch der "Deutschen" (wer soll das das damals eigentlich gewesen sein?) schreiben wollen, stört mich der unterschwellige Hurra-Patriotismus anderer Autoren.


.... So weit ich mich erinnere, ist in einem der zehn Bände ziemlich ausführlich von den Abodriten, Hevellern u.v.a. die Rede.

Danke für das Anfüttern, hoffe den Band ausfindig zu machen und seiner habhaft werden zu können..
 
Da geht es aber um die Geschichte östlich vom heutigen Deutschland. Für Brandenburg wird es bestimmt keinen Band geben.
In der Zeit gibt es einen Artikel über die Bücher.

Danke für die Hinweise! Auf den Zeitartikel bin ich bei meiner Kurzrecherche auch gestoßen :grübel:

Wollte hier keine Grundsatzdiskussion über Geschichtswissenschaften lostreten, bitte dafür um Entschuldigung. Werde mal unter den angegebenen Links stöbern....
 
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...hoffentlich ist das weder deutschtümelnd noch germanophil

...alles im Grünen Bereich! So böse wollte ich doch garnicht wirken.

Aber ist deutschtümelnd nicht eine Steigreung von germanophil? Genau so wie deutschhassend einde Steigerung von germanophob sein könnte? Also nicht "weder noch" sondern "sowohl als auch" :)

Dank in jedem Falle für den Tipp!
 
Ich gebe zu, daß ich für das Empfinden anderer wohl eine etwas sonderbare Sicht auf die Geschichtswissenschaften habe. Ich störe mich an der ab dem 19. Jahrhundert aufkommenden "nationalisierten" Geschichtsschreibung die augenscheinlich - und egal in welcher Nation sie verfasst wird - irgendeinem Deutungs- oder gar Rechtfertigungsziel folgt.

Ich bin der festen Überzeugung, daß sich Heinrich und Otto weit weniger "deutsch" fühlten als es viele ab Ranke und Arndt gerne hätten.

Dass Heinrich I. oder Otto I. "deutsch" fühlten, wird heutzutage kein Historiker mehr behaupten, der bei Trost ist. Das Herrschaftsgebiet Heinrichs hieß regnum francorum orientalium und das blieb auch noch unter Otto dem Großen so. Erst unter den späteren Ottonen wurde es zum sacrum imperium romanum - aber nicht zu "Deutschland".
 
Dass Heinrich I. oder Otto I. "deutsch" fühlten, wird heutzutage kein Historiker mehr behaupten, der bei Trost ist. Das Herrschaftsgebiet Heinrichs hieß regnum francorum orientalium und das blieb auch noch unter Otto dem Großen so. Erst unter den späteren Ottonen wurde es zum sacrum imperium romanum - aber nicht zu "Deutschland".

Die meisten im Stillen publizierenden Historiker sicher nicht, aber es gibt da ja noch eine ganze Menge anderer Meinungsbildner, die es nach wie vor anders halten - Kuratoren von Museen und Ausstellungen inbegriffen, Redakteure populärwissenschaftlicher Dokumentationen anscheinend permanent ;)

Nun gut, zum Rande meiner Frage habe ich auch ein Interessantes Dokument gefunden:

http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2010/4088/pdf/1994_Albrecht.pdf

und einen nette Seite:

Traktat Heinrichs von Antwerpen -- Edition
 
Die meisten im Stillen publizierenden Historiker sicher nicht, aber es gibt da ja noch eine ganze Menge anderer Meinungsbildner, die es nach wie vor anders halten - Kuratoren von Museen und Ausstellungen inbegriffen, Redakteure populärwissenschaftlicher Dokumentationen anscheinend permanent

Man muss das Ganze etwas differenziert betrachten. In vereinfachter Weise werden in populärwissenschaftlichen Publikationen Heinrich I. und Otto I. oft als "Gründer" des Deutschen Reichs bezeichnet. Das ist zwar historisch schief, aber ich halte das nicht für besonders bedenklich. Immerhin standen die Ottonen am Anfang dessen, was sich später zu einem deutschen Herrschaftsraum entwickeln sollte - nimmt man einmal die regna Burgund und (Reichs)Italien aus. Daher behelfen sich manche für die hoch- und spätmittelalterliche Phase mit der Hilfskonstruktion "römisch-deutsches Kaiserreich", wenn sie vom Kern des Heiligen Römischen Reichs sprechen.

Mit der Vermutung, ab wann ein Herrscher des HRR "deutsch" fühlte, sollte man allerdings sehr vorsichtig umgehen und diesen Zeitraum eher nach hinten als nach vorn verlegen.
 
Mit der Vermutung, ab wann ein Herrscher des HRR "deutsch" fühlte, sollte man allerdings sehr vorsichtig umgehen und diesen Zeitraum eher nach hinten als nach vorn verlegen.

Das würde ich unterschreiben!




Auch wenn das jetzt vom Thema des Threads deutlich weg führt, so habe ich mir zum Thema "Deutschtum" bzw. "Deutsein" eine mehr oder minder eigene Sicht entwickelt. Ob diese einer wissenschaftlichen Prüfung standhält weiß ich nicht, aber dieses "Konstrukt" hat bei mir bei noch keinem Erklärungsversuch zu diesem Thema zu Konflikten geführt:

Grundsätzlich habe ich akzeptiert und gehe ich davon aus, daß kein Herrschaftsbereich, kein Staatenkonstrukt auf Ewigkeit angelegt ist. Betrachte und bewerte ich Geschichte, so muß ich also keine Planvorgabe erfüllen, kein Ziel erreichen, nichts rechtfertigen.

Ferner sehe ich die (kleindeutsche) Reichseinigung von 1871 als das damals zu erreichende Optimum einer Pan-Bewegung an (nach meinem Geschmack wurde da viel zu viel erreicht - habe es nicht so am Hut mit den "Panisten"). Ergebnisse von Pan-Bewegungen halte ich zwar für in der Regel instabil aber es mag ja Ausnahmen geben.

Wenn also Deuschland das Ergebnis einer panteutonischen/pangermanischen Bewegung ist, so könnte man behaupten, daß auch die heutige Bundesrepublik das seltene Resultat oder Nachwehe einer mehr oder minder erfolgreichen Panbewegung ist. Andere Panbewegungen (Panslawismus, Panarabismus) haben es aus verschiedenen Gründen einfach noch nicht "so weit" gebracht, sind auf halber Strecke stehen geblieben oder haben sich aufgelöst. Andere wiederum (Panromanismus, Panlatinismus) folgten einer gänzlich anderen Intention. Betrachtet man den derzeitigen Trend zu Sezession und Dezentralisierung in Europa, werden sie wohl kaum noch Gelegenheit dazu finden wieder zu erstarken. Mit einer Ausnahme vielleicht: eine vermeintlich Panslawische Union namens Rußland :devil:

Ich spiele mir demnach im Prinzip also immer wieder selbst einen Streich, wenn ich mich zum Beispiel darüber echauffiere bei Heinrich I. von einem "Deutschen" zu sprechen. Betrachte ich das heutige Deutschland als seltenes Ergebnis einer Panbewegung, so war er das aus der (einschränkenden) Sicht eines "Panisten" ganz sicher.

Wenn wir mal bei Heinrich I bleiben, oder um es einfacher zu machen zu Gero von Merseburg gehen, so müssen wir nur darauf achten, bei der Bezeichnung der Protagonisten sauber zu bleiben.

Möchte ich mich unterhalb der Pan-Ebene bewegen (was ich eigentlich immer möchte), so traf damals ganz sicher eine Sachse auf einen Heveler oder Sprewanen. Möchte ich aber die Pan-Ebene bedienen, weil für mich Gero unbedingt ein Deutscher gewesen sein muß, so muß ich auch beim Gegenüber auf die Pan-Ebene wechseln, dadurch ungenau werden und kann nur von einen Slawen sprechen.

Da aber die jeweiligen Pan-Bewegungen (wenn es diese in der benötigten Ausprägung überhaupt überall gab) unterschiedlich erfolgreich verliefen, passiert es uns, daß wir heute bei der Betrachtung des Zeitgeschehens Deutschland als Nationalstaat sehen und, sagen wir mal Polen oder Serbien auf der gleichen Ebene auch. Für den transnationalen, den politischen Umgang miteinander im Heute ist das sicherlich richtig, notwendig und nur fair. Für die historische Einordnung von Prozessen dadurch aber womöglich problematisch. Tatsächlich handelt es sich bei den dreien aus historischer Sicht nach meiner Auffassung um drei verschiedene Dinge:

  • ein Ergebnis einer erfolgreichen Pan-Bewegung
  • ein Ergebnis einer halbfertigen Panbewegung
  • den zentralen Rest einer ehemals erfolgreichen Panbewegung

Daher rührt womöglich auch das Unbehagen vieler - auch bei mir - Ereignisse, Personen und Vorgänge des HRR ohne weiteres in die Schublade "deutsch" zu stecken. Um den Eindruck einer beabsichtigt rückwärtigen Kontinuität zu vermeiden, behelfe ich mir mit Begriffen wie "teutsch" oder "deutsche Länder/Staaten".

So, nun aber genug philosophiert, es ist schon spät. Hoffe für diese Sicht, nicht all zuviel Spott zu ernten und wünsche einen erholsamen Schlaf...
 
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Grundsätzlich habe ich akzeptiert und gehe ich davon aus, daß kein Herrschaftsbereich, kein Staatenkonstrukt auf Ewigkeit angelegt ist.

Natürlich nicht.
Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand!“ :D

Wenn also Deuschland das Ergebnis einer panteutonischen/pangermanischen Bewegung ist ...

"Deutschland" ist das Ergebnis eines allmählichen Zusammenwachsens von Stämmen, deren Bevölkerung deutsch in verschiedenen Mundarten sprach. Im Verlauf des Mittelalters entstand eine "deutsche Identität", wobei der Zeitpunkt für den Abschluss dieser Entwicklung umstritten ist.

Diesen Prozess würde ich allerdings weder als "panteutonisch" noch "pangermanisch" bezeichnen. Es handelt sich um die Ethnogenese eines Volks, wie das auf der Welt überall geschah.

Ich spiele mir demnach im Prinzip also immer wieder selbst einen Streich, wenn ich mich zum Beispiel darüber echauffiere bei Heinrich I. von einem "Deutschen" zu sprechen.

Das wäre auch verfehlt, denn Heinrich I. war Sachse und kein Deutscher. Ein "Deutschland" gab es zu Beginn des 10. Jh. nicht, sondern lediglich ein Ostfränkisches Reich. Eine "deutsche Identität" existierte ebenfalls nicht.

Wenn wir mal bei Heinrich I bleiben, oder um es einfacher zu machen zu Gero von Merseburg gehen, so müssen wir nur darauf achten, bei der Bezeichnung der Protagonisten sauber zu bleiben.

Möchte ich mich unterhalb der Pan-Ebene bewegen (was ich eigentlich immer möchte), so traf damals ganz sicher eine Sachse auf einen Heveler oder Sprewanen. Möchte ich aber die Pan-Ebene bedienen, weil für mich Gero unbedingt ein Deutscher gewesen sein muß, so muß ich auch beim Gegenüber auf die Pan-Ebene wechseln, dadurch ungenau werden und kann nur von einen Slawen sprechen.

Gero war sächsischer Graf, Heinrich zählte zum sächsischen Geschlecht der Ottonen/Liudolfinger. Die Ottonen sahen sich in der Nachfolge der staatstragenden Franken, ihr Herrschaftsgebiet war das regnum francorum orientalium. Von Deutschland noch keine Spur. Und die Besatzung der Brennaburg waren natürlich Slawen vom Stamm der Heveller, was sonst?

Daher rührt womöglich auch das Unbehagen vieler - auch bei mir - Ereignisse, Personen und Vorgänge des HRR ohne weiteres in die Schublade "deutsch" zu stecken. Um den Eindruck einer beabsichtigt rückwärtigen Kontinuität zu vermeiden, behelfe ich mir mit Begriffen wie "teutsch" oder "deutsche Länder/Staaten"..

Mir ist nicht ganz klar, woher dein Bauchgrimmen beim Begriff "deutsch" rührt. Eine deutsche Identität entwickelte sich allmählich und war vermutlich zu Beginn der Neuzeit ausgeprägt. Es gibt allerdings Stimmen, die diesen Zeitpunkt vorverlegen.

Das Streben nach einem Nationalstaat entwickelte sich erst im 18. Jh. und wurde zur napoleonischen Zeit auch für breitere Bevölkerungsschichten bestimmend. Allerdings standen die Deutschen damit nicht allein auf weiter Flur, denn der Wunsch nach nationaler Einheit bewegte auch andere Völker wie z.B. die Italiener, deren Land ähnlich in zahlreiche Klein- und Mittelstaaten zersplittert war.
 
"Deutschland" ist das Ergebnis eines allmählichen Zusammenwachsens von Stämmen, deren Bevölkerung deutsch in verschiedenen Mundarten sprach. Im Verlauf des Mittelalters entstand eine "deutsche Identität", wobei der Zeitpunkt für den Abschluss dieser Entwicklung umstritten ist.

Diesen Prozess würde ich allerdings weder als "panteutonisch" noch "pangermanisch" bezeichnen. Es handelt sich um die Ethnogenese eines Volks, wie das auf der Welt überall geschah.

Nun, ich halte eine Ethnogenese durchaus für ein Ergebnis oder ein Ziel (passiv/aktiv) einer Panbewegung. Ethnogenes ist quasi der beobachtete Prozess, einer Panbewegung. Panbewegungen werden betrieben, Ethnogenesen beobachtet.

Was die Sprachen, die Mundarten angeht bin ich nicht so firm, könnte mir aber vorstellen, daß zur damaligen Zeit der Unterschied zwischen den einzelnen Mundarten auf uns eher wie der Unterschied zwischen zwei Sprachen wirken würden. Und bis Luther dürfte auch sonst im HRR aufmerksames Zuhören angesagt gewesen sein, wenn sich einer aus dem Norden mit einem aus dem Süden, Osten, Westen unterhielt (ist ja teilweise noch heute so...)

Erinnert sei hier vielleicht auch kurz an den Balkan vor dem I. WK und die panserbische Bewegung die wie selbstverständlich davon ausging, daß das Kroatische auch nur ein sebrischer Dialekt ist. Auch das Thema Sprachen könnte also zum Teile eine Standpunktfrage sein.


Das wäre auch verfehlt, denn Heinrich I. war Sachse und kein Deutscher. Ein "Deutschland" gab es zu Beginn des 10. Jh. nicht, sondern lediglich ein Ostfränkisches Reich. Eine "deutsche Identität" existierte ebenfalls nicht.

Ja, daß eine deutsche Identität nicht existierte, davon bin ich überzeugt. Kniffeliger wird es mit der Feststellung, daß Heinrich I. Sachse aber nicht "Deutscher" gewesen sei.

Nicht, daß wir uns falsch verstehen, ich bin da voll auf Deiner Seite. Nur würde ich die Bezeichnung "Sachse" vor allem deshalb vorziehen, weil sie genauer ist - eben weil es keine deutsche Identität heutiger Prägung gab.

Und dennoch sind/waren die Sachsen ein germanischer --> teutonischer --> nach heutigem Verständnis ein deutscher Stamm. (wobei ich das "heutige Verstöndnis" nicht so betonen müßte, wenn germanisch, teutonisch, deutsch womöglich nur Synonyme wären). Es kommt immer auf den Standpunkt des Erzählers an. Jemand der Heinrich I. ausschließlich als Sachsen bezeichnen würde, tut dies bewußt - Du und ich zum Beispiel. Jemand, der ihn als Deutschen bezeichnet, kann dies aus zweierlei gründen tun: aufgrund einer Unüberlegtheit bzw. Unwissen oder mit Absicht! Über die letzten Zwei ärgere ich mich!

Beide; der, der bewußt Sachse und der, der bewußt Deutscher zu Heinrich I. sagt, tun es als eine Art Statement und aus Kalkül. Jener der unbewußt Deutscher sagt, sagt es nur ohne nachzudenken...

Da es aber,wie Du nach meiner Auffassung richtig schreibst, damals keine "deutsche" Identität gab, wäre es vermessen, in den damaligen Geschehnissen Teile einer Panbewegung (etwas aktives) zu sehen. Aber sie mögen deren Vorläufer sein.


Gero war sächsischer Graf, Heinrich zählte zum sächsischen Geschlecht der Ottonen/Liudolfinger. Die Ottonen sahen sich in der Nachfolge der staatstragenden Franken, ihr Herrschaftsgebiet war das regnum francorum orientalium. Von Deutschland noch keine Spur. Und die Besatzung der Brennaburg waren natürlich Slawen vom Stamm der Heveller, was sonst

Ja und nein! Das ist ja der von mir ausgemachte Knackpunkt. Zwar ist jede Aussage für sich richtig, führt aber bei einer Anwendung über Kreuz zu einer Schieflage im Meinungsbild, zu Ungenauigkeiten in der Deutung.

Gero war Sachse. Sachsen waren ein germanisches (teutonisches, "deutsches") Volk (oder ein Völkerverbund)
Viclawic war Heveller. Heveller waren ein slawisches Volk.

Wenn ich nun von Gero dem Sachsen und Viclawic dem Heveller rede, so bewege ich mich, was die Zuordnung angeht auf der gleichen Ebene. Zudem bleibe ich damit relativ genau.

Wenn ich vom Gero dem "Deutschen" (Teutonen, Germanen) und Vaclavic dem Slawen rede, bewege ich mich ebenfalls auf nur einer Ebene. Bin aber was die Zuordnung und das mögliche Verständnis angeht, relativ ungenau. Slawen gab es in ganz Europa, Germanen auch....

Wenn ich aber bei Gero von einem Germanen (Teutonen, "Deutschen") und bei Vaclavic von einem Heveller oder umgdreht, die Bezeichnungen Sachse und Slawe verwende, so wähle ich die Bezeichnungen "über Kreuz" ich bezeichne jede Seite auf einer anderen Ebene. Dadurch bin ich auch ungenau und lasse durch diese "Anwendung über Kreuz" ein schiefes, ungleichgewichtiges Bild entstehen.

Ich vermeide die Verwendung "deutsch" für Heinrich I. nicht, nicht weil ich etwa meinen würde, daß diese Bezeichnung dem tatsächlichen Inhalte nach falsch sein könnte, sondern weil ich einen Unterschied zwischen dem sehe, was heute als "deutsch" verstanden wird und dem was damals als "deutsch" hätte beschreiben werden können - eine Bedeutungsverschiebung also. Um einen solchen Konflikt zu vermeiden, bevorzuge ich daher also "teutonisch", eben weil heute die meisten, die "deutsch" hören es mit einem "Deutschland" in Verbindung bringen, was unser beider Auffassung nach natürlich Blödsinn ist.


Mir ist nicht ganz klar, woher dein Bauchgrimmen beim Begriff "deutsch" rührt. Eine deutsche Identität entwickelte sich allmählich und war vermutlich zu Beginn der Neuzeit ausgeprägt. Es gibt allerdings Stimmen, die diesen Zeitpunkt vorverlegen.

Mein Bauchgrimmen entsteht beim Begriff "deutsch" dann, wenn er dahingehend assoziativ verwendet wird, um eine Kontinuität bis ins Heute vorzugeben oder gar zu beschreiben.

Im Alltag störe ich mich daran nicht, bin aber in erster Linie Brandenburger, wäre früher wohl ein partikularer Preuße gewesen und halte die Reichseinigung von 1871 eher für einen Unfall als für ein Glück der Geschichte. Identität stiftet mir meine Heimatregion aber nicht meine föderale Verwaltungseinheit (das ist aber etwas anderes als bei jenen, die Deutschland des Deutschseins wegen grundsätzlich hassen - mir ist es einfach egal, es hat für meine Identität kleine Bedeutung! In die Richtung deiner Frage geht auch ein Beitrag in meinem unregelmäßig geführten "Blog".


Das Streben nach einem Nationalstaat entwickelte sich erst im 18. Jh. und wurde zur napoleonischen Zeit auch für breitere Bevölkerungsschichten bestimmend. Allerdings standen die Deutschen damit nicht allein auf weiter Flur, denn der Wunsch nach nationaler Einheit bewegte auch andere Völker wie z.B. die Italiener, deren Land ähnlich in zahlreiche Klein- und Mittelstaaten zersplittert war.

Ich würde den Beginn eines echten nationalen Denkens in ganz Europa erst im 19. Jh. sehen; in den deutschen Ländern als das Ergebnis einer interessanten aber auch komisch anmutenden Verbindung zwischen den Idealen der französischen Revolution und dem einenden Kampf gegen den, der vorgab diese Ideale in die Welt zu tragen: Napoleon! Erwachsen ist daraus eine Bewegung, die den Absolutismus zum Feind erkor, Demokratisierung und einen neuen Staat in dem das alles möglich werden sollte vor Augen hatte.

Auch war der Wunsch nach nationaler Einheit nicht "einheitlich" :)
Allein in Preußen gab es sicher genau so viele "deutsch"nationale Preußen wie es partikulare Preußen gab. Von und zum Stein war so ein "Nationaler", Hardenberg ein Partikularer. Es kam ein wenig auch darauf an wer wann am richtigen Hebel saß, zumindest später.


P.S.

... in zahlreiche Klein- und Mittelstaaten zersplittert* war.

* Für mich ein schönes Beispiel wie selbst bei jemanden, der eine nationale Rückprojektion in der Histographie ablehnt, ihren Gewohnheiten erliegt. :still: :) :friends:

"Zersplittert" ist in diesem Zusammenhang negativ konotiert, genau so wie "Flickenteppich" Es beschreibt aus der Sicht des Sprechers, wenn er nicht nur zitiert, einen Mißstand!
 
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Wenn also Deuschland das Ergebnis einer panteutonischen/pangermanischen Bewegung ist, so könnte man behaupten, daß auch die heutige Bundesrepublik das seltene Resultat oder Nachwehe einer mehr oder minder erfolgreichen Panbewegung ist. Andere Panbewegungen (Panslawismus, Panarabismus) haben es aus verschiedenen Gründen einfach noch nicht "so weit" gebracht, sind auf halber Strecke stehen geblieben oder haben sich aufgelöst. ...
Da gibt es klare Unterschiede. Die deutschen Dialekte unterscheiden sich untereinander maximal etwa wie das Verhältnis Hochdeutsch zu Niederländisch. Das bedeutet etwa 90 % Übereinstimmung. Das ist etwa so wie Spanisch und Portugiesisch und Katalanisch oder Russisch und Ukrainisch und Bulgarisch. Die anderen romanischen und slawischen Sprachen weichen da untereinander viel mehr ab, etwa 60-70 % Übereinstimmung (wie etwa auch Deutsch und Dänisch) bei den meisten großen Sprachen, einige auch weniger wie bei den romanischen Sprachen Rumänisch. Die arabischen Dialekte sind eigentlich auch eigene Sprachen, die sich untereinander so stark unterscheiden wie einzelne romanische oder slawische Sprachen. Dazu kommt eine gemeinsame deutsche Geschichte vom Frankenreich Karls des Großen, auch wenn das damals nicht deutsch hieß. Aber es war seit damals ein gemeinsames Reich bis heute, außer die Gebiete der neuen Bundesländer, die erst später dazukamen. Aber schon bei Otto I. war mit den Marken das heutige Bundesgebiet abgedeckt, und etwas mehr darüber hinaus. Es gab nur eine kurze Unterbrechung von 1806-1871. Das war bei den Slawen immer anders, und bei den Romanen hörte es schon zum Ende des Römischen Reiches auf. Bei den Arabern muß man auch über 1000 Jahre zurück gehen, bis man auf ein gemeinsames Reich stößt.
 
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