"Deutschland" ist das Ergebnis eines allmählichen Zusammenwachsens von Stämmen, deren Bevölkerung deutsch in verschiedenen Mundarten sprach. Im Verlauf des Mittelalters entstand eine "deutsche Identität", wobei der Zeitpunkt für den Abschluss dieser Entwicklung umstritten ist.
Diesen Prozess würde ich allerdings weder als "panteutonisch" noch "pangermanisch" bezeichnen. Es handelt sich um die Ethnogenese eines Volks, wie das auf der Welt überall geschah.
Nun, ich halte eine Ethnogenese durchaus für ein Ergebnis oder ein Ziel (passiv/aktiv) einer Panbewegung. Ethnogenes ist quasi der beobachtete Prozess, einer Panbewegung. Panbewegungen werden betrieben, Ethnogenesen beobachtet.
Was die Sprachen, die Mundarten angeht bin ich nicht so firm, könnte mir aber vorstellen, daß zur damaligen Zeit der Unterschied zwischen den einzelnen Mundarten auf uns eher wie der Unterschied zwischen zwei Sprachen wirken würden. Und bis Luther dürfte auch sonst im HRR aufmerksames Zuhören angesagt gewesen sein, wenn sich einer aus dem Norden mit einem aus dem Süden, Osten, Westen unterhielt (ist ja teilweise noch heute so...)
Erinnert sei hier vielleicht auch kurz an den Balkan vor dem I. WK und die panserbische Bewegung die wie selbstverständlich davon ausging, daß das Kroatische auch nur ein sebrischer Dialekt ist. Auch das Thema Sprachen könnte also zum Teile eine Standpunktfrage sein.
Das wäre auch verfehlt, denn Heinrich I. war Sachse und kein Deutscher. Ein "Deutschland" gab es zu Beginn des 10. Jh. nicht, sondern lediglich ein Ostfränkisches Reich. Eine "deutsche Identität" existierte ebenfalls nicht.
Ja, daß eine deutsche Identität nicht existierte, davon bin ich überzeugt. Kniffeliger wird es mit der Feststellung, daß Heinrich I. Sachse aber nicht "Deutscher" gewesen sei.
Nicht, daß wir uns falsch verstehen, ich bin da voll auf Deiner Seite. Nur würde ich die Bezeichnung "Sachse" vor allem deshalb vorziehen, weil sie genauer ist - eben weil es keine deutsche Identität heutiger Prägung gab.
Und dennoch sind/waren die Sachsen ein germanischer --> teutonischer --> nach
heutigem Verständnis ein deutscher Stamm. (wobei ich das "heutige Verstöndnis" nicht so betonen müßte, wenn germanisch, teutonisch, deutsch womöglich nur Synonyme wären). Es kommt immer auf den Standpunkt des Erzählers an. Jemand der Heinrich I. ausschließlich als Sachsen bezeichnen würde, tut dies bewußt - Du und ich zum Beispiel. Jemand, der ihn als Deutschen bezeichnet, kann dies aus zweierlei gründen tun: aufgrund einer Unüberlegtheit bzw. Unwissen oder mit Absicht! Über die letzten Zwei ärgere ich mich!
Beide; der, der bewußt Sachse und der, der bewußt Deutscher zu Heinrich I. sagt, tun es als eine Art Statement und aus Kalkül. Jener der unbewußt Deutscher sagt, sagt es nur ohne nachzudenken...
Da es aber,wie Du nach meiner Auffassung richtig schreibst, damals keine "deutsche" Identität gab, wäre es vermessen, in den damaligen Geschehnissen Teile einer Panbewegung (etwas aktives) zu sehen. Aber sie mögen deren Vorläufer sein.
Gero war sächsischer Graf, Heinrich zählte zum sächsischen Geschlecht der Ottonen/Liudolfinger. Die Ottonen sahen sich in der Nachfolge der staatstragenden Franken, ihr Herrschaftsgebiet war das regnum francorum orientalium. Von Deutschland noch keine Spur. Und die Besatzung der Brennaburg waren natürlich Slawen vom Stamm der Heveller, was sonst
Ja und nein! Das ist ja der von mir ausgemachte Knackpunkt. Zwar ist jede Aussage für sich richtig, führt aber bei einer Anwendung über Kreuz zu einer Schieflage im Meinungsbild, zu Ungenauigkeiten in der Deutung.
Gero war Sachse. Sachsen waren ein germanisches (teutonisches, "deutsches") Volk (oder ein Völkerverbund)
Viclawic war Heveller. Heveller waren ein slawisches Volk.
Wenn ich nun von Gero dem Sachsen und Viclawic dem Heveller rede, so bewege ich mich, was die Zuordnung angeht auf der gleichen Ebene. Zudem bleibe ich damit relativ genau.
Wenn ich vom Gero dem "Deutschen" (Teutonen, Germanen) und Vaclavic dem Slawen rede, bewege ich mich ebenfalls auf nur einer Ebene. Bin aber was die Zuordnung und das mögliche Verständnis angeht, relativ ungenau. Slawen gab es in ganz Europa, Germanen auch....
Wenn ich aber bei Gero von einem Germanen (Teutonen, "Deutschen") und bei Vaclavic von einem Heveller oder umgdreht, die Bezeichnungen Sachse und Slawe verwende, so wähle ich die Bezeichnungen "über Kreuz" ich bezeichne jede Seite auf einer anderen Ebene. Dadurch bin ich auch ungenau und lasse durch diese "Anwendung über Kreuz" ein schiefes, ungleichgewichtiges Bild entstehen.
Ich vermeide die Verwendung "deutsch" für Heinrich I. nicht, nicht weil ich etwa meinen würde, daß diese Bezeichnung dem tatsächlichen Inhalte nach falsch sein könnte, sondern weil ich einen Unterschied zwischen dem sehe, was heute als "deutsch" verstanden wird und dem was damals als "deutsch" hätte beschreiben werden können - eine Bedeutungsverschiebung also. Um einen solchen Konflikt zu vermeiden, bevorzuge ich daher also "teutonisch", eben weil heute die meisten, die "deutsch" hören es mit einem "Deutschland" in Verbindung bringen, was unser beider Auffassung nach natürlich Blödsinn ist.
Mir ist nicht ganz klar, woher dein Bauchgrimmen beim Begriff "deutsch" rührt. Eine deutsche Identität entwickelte sich allmählich und war vermutlich zu Beginn der Neuzeit ausgeprägt. Es gibt allerdings Stimmen, die diesen Zeitpunkt vorverlegen.
Mein Bauchgrimmen entsteht beim Begriff "deutsch" dann, wenn er dahingehend assoziativ verwendet wird, um eine Kontinuität bis ins Heute vorzugeben oder gar zu beschreiben.
Im Alltag störe ich mich daran nicht, bin aber in erster Linie Brandenburger, wäre früher wohl ein partikularer Preuße gewesen und halte die Reichseinigung von 1871 eher für einen Unfall als für ein Glück der Geschichte. Identität stiftet mir meine Heimatregion aber nicht meine föderale Verwaltungseinheit (das ist aber etwas anderes als bei jenen, die Deutschland des Deutschseins wegen grundsätzlich hassen - mir ist es einfach egal, es hat für meine Identität kleine Bedeutung! In die Richtung deiner Frage geht auch ein Beitrag in meinem unregelmäßig geführten
"Blog".
Das Streben nach einem Nationalstaat entwickelte sich erst im 18. Jh. und wurde zur napoleonischen Zeit auch für breitere Bevölkerungsschichten bestimmend. Allerdings standen die Deutschen damit nicht allein auf weiter Flur, denn der Wunsch nach nationaler Einheit bewegte auch andere Völker wie z.B. die Italiener, deren Land ähnlich in zahlreiche Klein- und Mittelstaaten zersplittert war.
Ich würde den Beginn eines echten nationalen Denkens in ganz Europa erst im 19. Jh. sehen; in den deutschen Ländern als das Ergebnis einer interessanten aber auch komisch anmutenden Verbindung zwischen den Idealen der französischen Revolution und dem einenden Kampf gegen den, der vorgab diese Ideale in die Welt zu tragen: Napoleon! Erwachsen ist daraus eine Bewegung, die den Absolutismus zum Feind erkor, Demokratisierung und einen neuen Staat in dem das alles möglich werden sollte vor Augen hatte.
Auch war der Wunsch nach nationaler Einheit nicht "einheitlich"
Allein in Preußen gab es sicher genau so viele "deutsch"nationale Preußen wie es partikulare Preußen gab. Von und zum Stein war so ein "Nationaler", Hardenberg ein Partikularer. Es kam ein wenig auch darauf an wer wann am richtigen Hebel saß, zumindest später.
P.S.
... in zahlreiche Klein- und Mittelstaaten zersplittert* war.
* Für mich ein schönes Beispiel wie selbst bei jemanden, der eine nationale Rückprojektion in der Histographie ablehnt, ihren Gewohnheiten erliegt. :still:
:friends:
"Zersplittert" ist in diesem Zusammenhang negativ konotiert, genau so wie "Flickenteppich" Es beschreibt aus der Sicht des Sprechers, wenn er nicht nur zitiert, einen Mißstand!