Brandenburg: Verhältnis der teutschen Markgrafen zu den slawischen Fürsten im 10. Jh.

Nun, ich halte eine Ethnogenese durchaus für ein Ergebnis oder ein Ziel (passiv/aktiv) einer Panbewegung. Ethnogenes ist quasi der beobachtete Prozess, einer Panbewegung. Panbewegungen werden betrieben, Ethnogenesen beobachtet.

Mit Pan-Bewegung werden nationalistische Strömungen bezeichnet. Die Ethnogenese der Deutschen, die sich über Jahrhunderte hinzog, so zu nennen, ist historisch unkorrekt.

Was die Sprachen, die Mundarten angeht bin ich nicht so firm, könnte mir aber vorstellen, daß zur damaligen Zeit der Unterschied zwischen den einzelnen Mundarten auf uns eher wie der Unterschied zwischen zwei Sprachen wirken würden.

Bereits im Reich der Karolinger fiel auf, dass die Bevölkerung jenseits des Rheins im Ostfrankenreich diutisk sprach. Sprachgeschichtlich zählen alle Mundarten der Stämme zur deutschen Sprache, zur Zeit der Ottonen zum Alt- oder Mittelhochdeutschen. Wie gravierend Verständigungsprobleme zwischen einem Sachsen und einem Alemannen jener Zeit waren, kann vermutlich nur ein Sprachwissenschaftler klären.

Ja, daß eine deutsche Identität nicht existierte, davon bin ich überzeugt. Kniffeliger wird es mit der Feststellung, daß Heinrich I. Sachse aber nicht "Deutscher" gewesen sei.

Im Jahr 920 gab es weder den Begriff "Deutschland" noch eine deutsche Identität. Somit war Heinrich I. Sachse und kein Deutscher. Wer allerdings allein die Sprache zum Maßstab nimmt, der wird diesen König als "Deutschen" bezeichnen. Allerdings setzte mit Heinrich I. eine Entwicklung ein, die zu einem Reich mit deutschen Herrschern führte. Ob man schon die letzten Liudolfinger oder erst die Salier als solche bezichnen kann, ist umstritten. Wikipedia sagt dazu:

"Die Überzeugung, dass der Beginn des deutschen Reiches unter Heinrich I. im Jahr 919 oder in einem anderen Epochenjahr anzusetzen sei, ist erstmals von Gerd Tellenbach (1939) in Frage gestellt worden. ... Seit den 1970er Jahren setzte sich immer stärker die Auffassung durch, dass das „Deutsche Reich“ nicht als Ergebnis eines Ereignisses, das zum Beispiel mit einem Jahr wie 919 zu verbinden sei, entstanden war, sondern als Resultat eines im 9. Jahrhundert einsetzenden Prozesses, der teilweise selbst im 11. und 12. Jahrhundert noch nicht abgeschlossen war. Die Ottonen Heinrich I. und Otto I. gelten heute nicht mehr als Gestalten, die Deutschlands frühe Macht und Größe symbolisieren, sondern eher als ferne Repräsentanten einer archaischen Gesellschaft."

Ich vermeide die Verwendung "deutsch" für Heinrich I. nicht, nicht weil ich etwa meinen würde, daß diese Bezeichnung dem tatsächlichen Inhalte nach falsch sein könnte, sondern weil ich einen Unterschied zwischen dem sehe, was heute als "deutsch" verstanden wird und dem was damals als "deutsch" hätte beschreiben werden können - eine Bedeutungsverschiebung also.

Wer Heinrich I. als deutschen König bezeichnet, sollte zumindest auf die historische Bedingtheit einer solchen Titulatur hinweisen, wie ich das oben ausgeführt habe.

Mein Bauchgrimmen entsteht beim Begriff "deutsch" dann, wenn er dahingehend assoziativ verwendet wird, um eine Kontinuität bis ins Heute vorzugeben oder gar zu beschreiben.

Eine Kontinuität ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Deutschen existieren als Staatsvolk seit vielen Jahrhunderten. Dass sich entsprechende Identitäten langsam entwickelten, auch regional unterschiedlich, ist eine weitere Tatsache.

"Zersplittert" ist in diesem Zusammenhang negativ konotiert, genau so wie "Flickenteppich" Es beschreibt aus der Sicht des Sprechers, wenn er nicht nur zitiert, einen Mißstand!

Für die Wirtschaft und einen freien Handel ist eine Vielzahl kleiner Zaunkönige und Minifürstentümer wenig wünschenswert. Insofern war das Heilige Römische Reich mit seinen über 300 selbstständigen Herzogtümern, Grafschaften, Königreichen, Herrschaften, Reichsritterschaften, Reichsabteien und Reichsbistümern ein anachronistisches und archaisches Gebilde, das längst nicht mehr in die Zeit passte. Das gilt ähnlich auch für Italien.
 
Der wirtschaftliche (und machtpolitische) Aspekt ist eine Seite. Auf der anderen Seite aber hätten sich in Deutschland (und Italien) vermutlich nicht so viele kulturelle und auch wissenschaftliche Zentren herausgebildet, wenn es frühzeitig einen Zentralstaat gegeben hätte, in dem es einen Herrscher und ein Zentrum gab und der Rest nur Provinz war. Die Zersplitterung aber trug dazu bei, dass es im Laufe der Jahrhunderte viele kleinere und größere Zentren mit vielen kleineren und größeren Herrschern gab, die in ihren Bereichen Kultur und Universitäten förderten.
 
Und dennoch sind/waren die Sachsen ein germanischer --> teutonischer --> nach heutigem Verständnis ein deutscher Stamm. (wobei ich das "heutige Verstöndnis" nicht so betonen müßte, wenn germanisch, teutonisch, deutsch womöglich nur Synonyme wären).

Sachsen waren ein germanisches (teutonisches, "deutsches") Volk (oder ein Völkerverbund)

Wenn ich vom Gero dem "Deutschen" (Teutonen, Germanen) und Vaclavic dem Slawen rede,
Wenn ich aber bei Gero von einem Germanen (Teutonen, "Deutschen") und bei Vaclavic von einem Heveller oder umgdreht, die Bezeichnungen Sachse und Slawe verwende,

Um einen solchen Konflikt zu vermeiden, bevorzuge ich daher also "teutonisch", eben weil heute die meisten, die "deutsch" hören es mit einem "Deutschland" in Verbindung bringen, was unser beider Auffassung nach natürlich Blödsinn ist.
ich glaube nicht, dass sich dein ganz subjektiver Gebrauch des Adjektivs "teutonisch" durchsetzen wird...
Teutonen ? Wikipedia
 
ich glaube nicht, dass sich dein ganz subjektiver Gebrauch des Adjektivs "teutonisch" durchsetzen wird...

Mea culpa. Kleiner Feher, große Diskussion.

Warum ich die ganze Zeit von "teutonisch" schrieb ist mir selbst schleierhaft. Ich meinte natürlich, so wie ich es schon am Ende des Eintrages #17 schrieb "teutsch".

Diese Schreibweise eben ganz bewußt um mit einfachen Mitteln und auf die Schnelle anzuzeigen, daß dieses "teutsch" nicht mit dem zu verwechseln ist, was heute als "deutsch" bezeichnet wird, daß sich dahinter eine andere Bedeutung verbirgt, die höchstens ein früher, entfernter Vorläufer dessen gewesen sein könnte, die später das heutige "deutsche" ausmachen sollte...

Quasi, um der von einigen gern genutzten Ungenauigkeit bzw. Verwechslungsgefahr zwischen Alltagssprache und Beschreibung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zuvor zu kommen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der wirtschaftliche (und machtpolitische) Aspekt ist eine Seite. Auf der anderen Seite aber hätten sich in Deutschland (und Italien) vermutlich nicht so viele kulturelle und auch wissenschaftliche Zentren herausgebildet, wenn es frühzeitig einen Zentralstaat gegeben hätte, in dem es einen Herrscher und ein Zentrum gab und der Rest nur Provinz war. Die Zersplitterung aber trug dazu bei, dass es im Laufe der Jahrhunderte viele kleinere und größere Zentren mit vielen kleineren und größeren Herrschern gab, die in ihren Bereichen Kultur und Universitäten förderten.


Dieser Aspekt pro Regionalität gefällt mir, mit "meinem" Blick auf das Heute, ausgesprochen gut. Für mich eine schöne Anregung!
 
Mit Pan-Bewegung werden nationalistische Strömungen bezeichnet. Die Ethnogenese der Deutschen, die sich über Jahrhunderte hinzog, so zu nennen, ist historisch unkorrekt.

Ich glaube, hier mißverstehen wir nur einander. Nicht alle Ethnogenesen sind Panbewegungen, aber ich meine, daß alle erfolgreichen Panbewegungen grundsätzlich* eine Ethnogenese mit sich führen.

*"grundsätzlich" deshalb, weil es in meinen Augen nur für Panbewegungen mit nationalistischen Motiven gilt. Es ist eben nicht jede Panbewegung von Beginn an eine nationalistische Bewegung und muß es auch nicht zwingend werden (Panromanismus/-latinismus, Paneuropäismus - Wobei bei den genannten Beispielen eben die Frage berechtigt ist, ob es sich um eine tatsächliche Panbewegung handelt). Wenn wir uns aber darauf verständigen wollen, daß "echte" Panbewegungen immer nationalistisch getrieben sind, so wird in ihnen auch immer eine Art Ethnogenes zu beobachten sein. Ethnogenese ist vornehmlich eine kulturelle und, wenn überhaupt, nur am Rande eine biologische Angelegenheit

Natürlich ist es historisch unkorrekt für das 10.Jh. und den achteinhalb folgenden Jahrhunderten von einer Panbewegungen zu sprechen. Aber ab der Mitte des 19.Jh. halte ich es für geboten die Charakteristika einer Panbewegung zu erkennen. Und wie das mit Nationalisten so ist, benötigen sie Erklärungsmuster und Rechtfertigung um eine Tradition aufzuzeigen und schon haben wir sie, die rückwirkende Projektion. Schon bekommt das Wort "deutsch" eine andere Bedeutung.

Im Jahr 920 gab es weder den Begriff "Deutschland" noch eine deutsche Identität. Somit war Heinrich I. Sachse und kein Deutscher. Wer allerdings allein die Sprache zum Maßstab nimmt, der wird diesen König als "Deutschen" bezeichnen.

Das Schlimme ist doch, daß jene, die Heinrich als Deutschen bezeichnen würden es eben nicht nur der Sprache wegen tun, die ja damals noch ganz anders, für uns wohl unverständlich, klang; sondern eben wegen der zuvor beschriebenen "Traditionsnot". Nachfolgende Generationen, also auch wir in unserer heutige Zeit, haben es dann unhinterfragt übernommen.


Eine Kontinuität ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Deutschen existieren als Staatsvolk seit vielen Jahrhunderten. Dass sich entsprechende Identitäten langsam entwickelten, auch regional unterschiedlich, ist eine weitere Tatsache.

Aber das ist doch ein Indiz dafür, daß es sich ab der Mitte des 19.Jh. eben doch um eine Panbewegung handeln könnte. Daß sich die entsprechenden Identitäten/entsprechende Indentität unterschiedlich schnell entwickelte zeigt doch an, daß es eine Art "Kampf" um die Identität war. Die neue "deutsche" Identität besetzte doch keine bis dahin frei gebliebene Stelle im Selbstverständnis eines Menschen, sondern mußte die bisherige Identität verdrängen. In landsmannschaftlich homogeneren Regionen dauerte das länger als in Regionen die ohnehin schon ein kultureller Schmelztiegel waren und bisher keine ethnischen Gemeinsamkeiten sondern "nur" Gemeinsamkeiten im Wertekanon aufwiesen. Für mich z.B. eine Erklärungsmöglichkeit, warum es im damaligen Preußen recht schnell, recht viele Freunde dieser neuen Bewegung gab.

Es gab geistige Väter in Politik, Wissenschaft und Kultur (Arndt, Ranke, von Fallersleben) die mit Ihrem Handeln und Schaffen der Enstehung einer "deutschen Identität" Vorschub leisteten. Bis dahin spielte in den in der Regel multiethnischen Reichen Europas eine ethnische Homogenität keine Rolle. Ab diesem Zeitpunkt aber, wurde die ethnische Zugehörigkeit immer wichtiger bis sie irgendwann einen Wert an sich darstellte.

kleiner Einschub: Vor diesem Hintergrund halte ich die Diskussion um die erste Strophe des Deutschlandliedes für geschichtsvergessen und unredlich. Eine chauvinistische Deutung erhielt diese Strophe erst durch radikale Deutschnationale und später unter den Nazis (insbesondere durch diese). Hoffman von Fallersleben, er schrieb diese Zeilen 1841 also noch vor der 48er Revolution, drückte jedoch etwas ganz anderes aus. Er mahnte an, die Idee eines geeinten Deutschlands - das es ja noch nicht gab - über alle anderen Ideen, also über alles in der Welt zu setzen. Und auch die geographischen Angaben zeigen nur auf, in welchem geographischen Raum sich diese Idee nach von Fallersleben ihren Weg bahnen könnte. Die in dieser Strophe anklingende Wehhaftigkeit ist ein in allen Hymnen der Welt vorkommendes Motiv, also harmlos. Persönlich würde ich diese Strophe nicht singen wollen, weil ich auch die ursprüngliche Intention nicht teile und ganz grundsätzlich große Staaten, die über kurz oder lang ihren gut gemeinten föderativen Charakter verlieren müssen, nicht für der Weisheit letzter Schluß halte. Wirft man der ersten Strophe aber vor, was man ihr zeitgeistig vorwirft, so verhülfe man den Nazis zu einem späten Sieg, in dem man ihnen ja in der Deutung des Textes recht gäbe. Ich schweife schon wieder ab....

Für die Wirtschaft und einen freien Handel ist eine Vielzahl kleiner Zaunkönige und Minifürstentümer wenig wünschenswert. Insofern war das Heilige Römische Reich mit seinen über 300 selbstständigen Herzogtümern, Grafschaften, Königreichen, Herrschaften, Reichsritterschaften, Reichsabteien und Reichsbistümern ein anachronistisches und archaisches Gebilde, das längst nicht mehr in die Zeit passte. Das gilt ähnlich auch für Italien.

Zu diesem Thema fand ich den Hinweis unseres Mitforisten "Ravenik" recht hilfreich und interessant. Ferner ist dies ja eine Diskussion mit starkem Gegenwartsbezug und von daher sicher nicht ideologisch unbelastet. Daß stark föderal, also nur lose verbunden Einheiten diese Nachteile hätten, ist eine essentielle Grundannahme um Panbewegungen überhaupt positiv zu begründen. Es waren aber nicht die vielen Staaten die - ja was und wen eigentlich? - schwach erschienen ließen, sondern deren unterschiedliche Interessen. Das Partikularismus eine Region auch stärken und stabilisieren kann hat uns die Erbteilung des "piastischen Polens" im 12./13. Jh. bewiesen.
 
Diese Schreibweise eben ganz bewußt um mit einfachen Mitteln und auf die Schnelle anzuzeigen, daß dieses "teutsch" nicht mit dem zu verwechseln ist, was heute als "deutsch" bezeichnet wird, daß sich dahinter eine andere Bedeutung verbirgt, die höchstens ein früher, entfernter Vorläufer dessen gewesen sein könnte, die später das heutige "deutsche" ausmachen sollte...

Diese Feststellung ist eine Binsenweisheit. Es liegt auf der Hand, dass die Identifizierung einer Bevölkerung mit ihrem Staat im Mittelater anders ausfiel, als in der Neuzeit. Das gilt für Deutschland ebenso wie für Spanien, Frankreich oder England.

Was in Deutschland möglicherweise stärker hervortritt, ist die Identifizierung der Menschen mit dem Landesfürstentum, das für ihr Leben bestimmend war, und das von ihrem Landesherrn regiert wurde. Das "Reich" war demgegenüber eine entfernte Größe. So mag es sein, dass sich ein Einwohner zunächst als Baier, Preuße. Hesse oder Württemberger fühlte und erst danach als "Deutscher" in "teutschen lanten", wie um 1500 hieß.

Aber auch in Spanien wird sich ein Bewohner noch lange erst als Kastilier, Navarrese oder Katalane gefühlt haben, was seine Wurzeln in der Geschichte der verschiedenen Königreiche hat - ganz abgesehen von Minderheiten wie Muslimen und Juden, die allerdings früh vertrieben wurden. Ähnliches gilt für andere Staaten.
 
Ich glaube, hier mißverstehen wir nur einander. Nicht alle Ethnogenesen sind Panbewegungen, aber ich meine, daß alle erfolgreichen Panbewegungen grundsätzlich* eine Ethnogenese mit sich führen.

Kein vernünftiger Mensch wird die Ethnogenese der Deutschen, Spanier oder Russen als "Pan-Bewegung" bezeichnen.

Natürlich ist es historisch unkorrekt für das 10.Jh. und den achteinhalb folgenden Jahrhunderten von einer Panbewegungen zu sprechen. Aber ab der Mitte des 19.Jh. halte ich es für geboten die Charakteristika einer Panbewegung zu erkennen.

Von nationalen Beweugungen des 19. Jh. haben wir aber nicht gesprochen - jedenfalls was mich betrifft. Das wäre ein völlig anderes Thema. Hier ging es allein um die Zeit des Mittelalters.

Das Schlimme ist doch, daß jene, die Heinrich als Deutschen bezeichnen würden es eben nicht nur der Sprache wegen tun, die ja damals noch ganz anders, für uns wohl unverständlich, klang; sondern eben wegen der zuvor beschriebenen "Traditionsnot". Nachfolgende Generationen, also auch wir in unserer heutige Zeit, haben es dann unhinterfragt übernommen.

Mir ist nicht klar, was daran so "schlimm" ist. Auf jeden Fall bilden die Ottonen das Fundament, auf dem später eine deutsche Identität entsteht. Ob die bereits im 12. Jh. oder erst etwas später ausgeprägt ist, bleibt umstritten. Es trägt allerdings niemand einen bleibenden Schaden davon, wenn Heinrich I. in populärwissenschaftlichen Publikationen zuweilen als "Deutscher" bezeichnet wird.
 
auch das ist letztlich zu irreführend, siehe teutsch ? Wiktionary und beachte da speziell den zitierten Fallada-Text :winke:

Ich vermute, daß Du mich speziell auf diese beiden Punkte aufmerksam machen wolltest.

Bedeutungen:
[1] ironisch und/oder steigernd: deutscher als deutsch, übertrieben deutsch, bewusst altertümliche Schreibweise für deutsch
Herkunft:
„im 17. Jahrh. aufgekommene, seit dem Anfang des 19. Jahrh. wieder vollständig veraltete Form für »deutsch«“[1]


Nun, die dort wiedergegebene Bedeutung ist das Ergebnis einer semantischen Verschiebung. Die Ursprüngliche Bedeutung findet man ja unter "Herkunft". Die Sprecher vor Erfindung des Wiktionarys im 17. Jh. nutzten es mit einer ganz anderen eben der ursprünglichen Bedeutung. Auf diese beziehe ich mich, wenn ich "teutsch" verwenden möchte um nicht auf eine andere Bedeutungsverschiebung andauernd eingehen zu müssen, der Bedeutungsverschiebung von "deutsch". Interessant für mich ist, daß es sich bei "teutsch" um eine Wort handeln soll, daß einzig und allein mit einer ironischen Bedeutung existiert.

Fraglich ist, ob Fallada die veränderte Bedeutung nur aufnahm oder sie sogar beförderte. Es ist in der Entwicklung von Sprache ganz allgemein nicht unüblich, daß ein einziges Zitat, eine einzige veränderte Verwendung in die Umgangsprache einfließt (plakatives Beispiel "08/15") und/oder über kurz oder lang zu einer Bedeutungsveränderung führt. Wie heißt es so schön unter Linguisten: "Die Fehler von heute sind die Norm von morgen!"

Was ich mich allerdings an dieser Stelle schon fragen lassen muß, ist, warum ich nicht einfach "germanisch" sage?
Heinrich I. war als Sachse schließlich ein Germane, er war also germanisch. Vielleicht scheue ich mich deshalb davor, weil ich - und das mag ein Fehler sein - bei "Germanen" jene vor Augen haben, die die Varusschlacht betrieben oder nicht staatenbildend durch die Gegend siedelten. Gesucht wird also ein Begriff der staatenbildende Germanen beschreibt, auf die sich die späteren Nationalisten so gern berufen wollen uns aber dennoch klar ist, daß dies nur eine Rückprojektion ist. Also eine übergeordnete Bezeichnung, die sich von der der Rückprojektierer unterscheidet, dennoch zuordnet; aber eben ohne zu vereinnahmen. Ich fand dafür "teutsch" ganz angebracht. Es wird von den Rückprojektierern nicht verwendet. Es ist "irgendwie" anders als das heute verwendete "deutsch" und doch deutet es auf einen Zusammenhang hin. Zum anderen könnte es eben anzeigen, daß es sich nicht mehr um Angehörige eines losen Siedlerverbandes handelt sonder um Angehörige einer frühen Form staatlicher Organisation.

Und nochmal: Auch für mich, lautet die einzig genaue, und ideologisch am wenigsten verfängliche Zuordnung Heinrichs I. - "Sachse".

Aber auch die Sachsen als Volk(sstamm) lassen sich in einer Übergeordneten Einheit zusammenfassen. Nur in welche? (ohne daß eben falsche Assoziationen oder Rückschlüsse erleichtert werden!)


P.S. nach intensiveren Nachdenken, komme ich auch zum Schluß, daß "teutsch" für Heinrich I. zu verwenden auch nur eine weiter semantische Verschiebung ist. Also sollte man, wenn man nicht "Sachse" sagen möchte - was man aber sollte - vielleicht doch von einem Germanen reden, oder?
 
tvinnefossen, kennst du von Pattrick Geary Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Vorspohl. Fischer, Frankfurt am Main 2002?
Da wird dir bzgl. frühmittelalterlicher Ethnogenese vieles gefallen (!), und wenn du statt eigener (ich nenne es mal) Privatfachsprache die Wortwahl von Geary übernimmst, dann wird es leichter sein, zu verstehen, was du meinst.
 
@Dieter

Kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie ein wenig verstimmt sind, dabei war das garnicht meine Absicht. Und die Entwicklung hier finde ich schade!

Kein vernünftiger Mensch wird die Ethnogenese der Deutschen, Spanier oder Russen als "Pan-Bewegung" bezeichnen.

Richtig, das wird er nicht. Deswegen tue ich das auch nicht.
Sondern: Wie ich schon schrieb, eine Ethnogenese ist keine Panbewegung, aber Panbewegungen bringen Ethnogenesen mitunter mit sich...
Manchmal machen Nuancen eben einen Bedeutungsunterschied aus!!

Ob oder was in Europa als Panbewegung angesehen werden kann ist sicher interessant, aber glauben Sie mir bitte, daß ich hier auch lieber über Heweller, Sprewanen, Sachsen und die späteren Märker diskutieren würde als über meine Bemerkung zur Einordnung von Literatur!!! Wegen der Besiedlungsgeschichte habe ich den Thread immerhin eröffnet.

Zu Sätzen, die eingeleitet werden mit "kein vernünftiger Mensch...." erlauben Sie mir bitte Peter Ustinov (sinngemäß) zu zitieren:

"Es sind Überzeugungen die uns trennen und es sind die Zweifel die uns verbinden"

Entgegen landläufiger Meinung bin ich im Übrigen der Auffassung, daß Vernunft keine Frage von Mehrheiten ist.


Von nationalen Beweugungen des 19. Jh. haben wir aber nicht gesprochen - jedenfalls was mich betrifft. Das wäre ein völlig anderes Thema. Hier ging es allein um die Zeit des Mittelalters.

Ja, mir ging es um die Besiedlungsgeschichte des Landstriches der später mit Mark Brandenburg bezeichnet wurde. Und darum geht es mir primär immernoch. Auf das 19. Jh. kamen wir/kam ich mit der ersten Buchempfehlung. Wenn man Literatur zur Historie verwendet ist es fahrlässig die Umstände, die geistige Schule und/oder die Zeit in der diese Literatur entstand zu vernachlässigen. Ich habe den Eindruck, daß wir - so sehr wir es vermeiden wollen - immernoch in der Phase der nationalisierenden Histographie feststecken. Buchtitel wie der empfohlene geben Hinweis darauf. Was eben nicht heißt, daß man das Buch nicht problemlos verwenden könnte, man sollte eben nur die eine oder andere Kleinigkeit beim Lesen immer im Hinterkopf bereithalten. Da ich kein Freund der nationalisierenden Geschichtsschreibung bin, habe ich darauf aufmerksam gemacht! Mehr nicht!!

Der Titel "Deutsche Geschichte im Osten" brache mich dazu dies anzumerken. Da ich eben die Sicht habe, die ich bereits mehrfach und auch eben hier beschrieb.

Es ging um die Einordnung von Sekundär- oder gar Tertiärtliteratur zu einem histographischen Thema. Die Panbewegungen/Einigungsprozesse des 19.Jh. führte ich also nicht an um Heinrich zu Beschreiben, sondern um einer Begleiterscheinung solcher Bewegungen als ursächlich für die Entstehung einer heute weit verbreiteten Art der Geschichtsschreibung zu allen möglichen Themen zu kennzeichnen. Sollte nur eine Anmerkung werden, überschattet jetzt aber leider "MEINEN" Thread, den ich aus ganz anderen Gründen eröffnete.

Mir ist nicht klar, was daran so "schlimm" ist. Auf jeden Fall bilden die Ottonen das Fundament, auf dem später eine deutsche Identität entsteht.

Weiß garnicht, warum wir uns hier beharken! Sehe ich grundsätzlich ähnlich. Nur daß ich eben meine erkannt zu haben, daß man sich, was die "deutsche Identität" angeht auf die Ottonen und alle Nachfolgenden aus der zuvor, von mir so genannten "Traditionsnot" derart beruft, daß im Alltag und leider eben auch in der Allgemeinbildung nicht Unterschieden wird zwischen dem "deutsch" von damals und dem "deutsch" von heute, daß ganz allgemein, fernab von Fachkreisen, gern der Eindruck stehen gelassen wird, die "Entwicklung zum Deutschen" sei eine gerade Linie und nicht das Ergebnis verschlungener und verworrener Pfade.


Es trägt allerdings niemand einen bleibenden Schaden davon, wenn Heinrich I. in populärwissenschaftlichen Publikationen zuweilen als "Deutscher" bezeichnet wird.

Es ist wie mit dem Unterschied zwischen Fressen, Essen und Speisen.

Habe ich die Möglichkeit, vermeide ich das Fressen gänzlich. Sehr oft bin ich gezwungen nur zu essen. Am liebsten aber speise ich. In einem Forum wie diesen, möchte ich das auch...


P.S.
Allerdings frage ich mich, vor welchem Hintergrund oder mit welcher Absicht der User twinnevossen diesen Begriff in derart anachronistischer Form verwendet. :grübel:

Ich hoffe, daß Ihr Grübeln nicht in die Richtung geht, die Ihr Eintrag zu suggerieren geeignet ist. Das wäre eine schon fast boshaft zu nennende Unterstellung, die maximal entfernt von meiner Absicht und Einstellung ist. Ich möchte mich in diesem Punkt bitte getäuscht haben!
 
Zuletzt bearbeitet:
tvinnefossen, kennst du von Pattrick Geary Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Vorspohl. Fischer, Frankfurt am Main 2002?
Da wird dir bzgl. frühmittelalterlicher Ethnogenese vieles gefallen (!), und wenn du statt eigener (ich nenne es mal) Privatfachsprache die Wortwahl von Geary übernimmst, dann wird es leichter sein, zu verstehen, was du meinst.


Vielen Dank, für die Literaturempfehlung. Ich glaube, Du hast mich zumindest so verstanden, wie ich es meinte. Werde mal reinschauen. Würde auf meine "Privatfachsprache" gern verzichten, wenn es in meine Denkrichtung von ordentlichen Historikern was "amtliches" gibt! :devil:
 
Also vielleicht können wir die Fragen zu Pan- oder Nichtpanbewegungen in einen anderen Thread verschieben und kommen zum eigentlichen Thema zurück.

Weiß jemand oder hat jemand Hinweise darauf, wer ab 940 in der Sächsischen Ostmark in den slawischen Fürstentümern den Ton angab? Soll heißen: War Gero als Markgraf in der Lage sich friedlich durchzusetzen oder endete seine Herrlichkeit am Thron der slawischen Fürsten?
 
Diese Feststellung ist eine Binsenweisheit. Es liegt auf der Hand, dass die Identifizierung einer Bevölkerung mit ihrem Staat im Mittelater anders ausfiel, als in der Neuzeit. Das gilt für Deutschland ebenso wie für Spanien, Frankreich oder England.

Hatte ich ganz überlesen!

Richtig! Dann lassen Sie uns bei der Betrachtung von Geschichte die Richtigkeit dieser Binsenweißheit doch bitte nicht immer wieder vergessen!!!!


Was in Deutschland möglicherweise stärker hervortritt, ist die Identifizierung der Menschen mit dem Landesfürstentum, das für ihr Leben bestimmend war, und das von ihrem Landesherrn regiert wurde. Das "Reich" war demgegenüber eine entfernte Größe. So mag es sein, dass sich ein Einwohner zunächst als Baier, Preuße. Hesse oder Württemberger fühlte und erst danach als "Deutscher" in "teutschen lanten", wie um 1500 hieß.

Aber auch in Spanien wird sich ein Bewohner noch lange erst als Kastilier, Navarrese oder Katalane gefühlt haben, was seine Wurzeln in der Geschichte der verschiedenen Königreiche hat - ganz abgesehen von Minderheiten wie Muslimen und Juden, die allerdings früh vertrieben wurden. Ähnliches gilt für andere Staaten.

Ein sehr interessantes Thema, daß wir vielleicht auch in einem anderen Thread diskutieren können. Interessant eben auch vor den aktuellen Entwicklungen in Europa hin zu einem neun Regionalismus. Wie gesagt in einem anderen Thread
 
So, aber jetzt vielleicht :pfeif:


Also vielleicht können wir die Fragen zu Pan- oder Nichtpanbewegungen in einen anderen Thread verschieben und kommen zum eigentlichen Thema zurück.

Weiß jemand oder hat jemand Hinweise darauf, wer ab 940 in der Sächsischen Ostmark in den slawischen Fürstentümern den Ton angab? Soll heißen: War Gero als Markgraf in der Lage sich friedlich durchzusetzen oder endete seine Herrlichkeit am Thron der slawischen Fürsten?
 
So, aber jetzt vielleicht :pfeif:
warum muss partout als Beginn das Jahr 960 sein?

Ich halte nicht so viel davon, 960 als zeitliche Zäsur zu wählen ohne dabei die Entwicklungen der slawischen Kulturen als neue Nachbarn des merowingischen und danach karolingischen und dann ostfränkischen/sächsischen Reichs zu berücksichtigen. Einerseits formierten sich in Konkurrenz untereinander verschiedene frühe slawische Mächte (z.B. anfangs das Reich des Samo; die Abodriten und ihre Bündnisse mit Kar dem Großen gegen die Sachsen; das polnische Reich; das großmährische Reich und etliche andere) Andererseits entwickelten sich die slawischen Kulturen auf sozusagen politischer Ebene in derselben mal friedlichen mal kriegerischen Abhängigkeit entlang der german.-slaw. Grenze wie zuvor die Germanen entlang der german. röm. Grenze. Im 10. Jh. befindet sich diese Grenzregion dann schon in einer Situation, die von diesen Entwicklungen geprägt ist (wobei zu sagen ist, dass die Grenzen im frühen Mittelalter nirgendwo als scharfe Trennlinien verliefen) Zugleich aber wird ein Gegensatz greifbar, der zwischen der Endphase der noch heidnischen westslaw. Welt und der spätkarolingischen und ottonischen Mission.
Ich halte diese grob skizzierten Rahmenbedingungen für notwendig zum Verständnis der weiteren Entwicklungen und Konfrontationen im 10. und 11. Jh.
Natürlich ist klar, dass diese Ereignisse heutzutage nicht so zu sehen sind, wie sie ein sehr national geprägtes Wandgemälde des späten 19. Jhs. in der Albrechtsburg in Meißen darstellt :winke: :)
 
warum muss partout als Beginn das Jahr 960 sein

Ich hatte ja 940 gewählt, weil ich (siehe Eröfnungseintrag, Thema Plakat) an dieser Stelle ins Grübeln kam, wer denn damals nun tatsächlich "die Macht" in meiner Heimatregion hatte.

Grundsätzlich habe ich überhaupt nichts dagegen einzuwenden, daß das Thema hier viel umfangreicher behandelt wird. Deiner Buchempfehlung (K. Grebe) bin ich breits gefolgt und warte jeden Tag auf das Eintreffen

Natürlich ist klar, dass diese Ereignisse heutzutage nicht so zu sehen sind, wie sie ein sehr national geprägtes Wandgemälde des späten 19. Jhs. in der Albrechtsburg in Meißen darstellt :winke: :)

:yes: in genau diese Richtung ging meine Betrachtung in Sachen Literatur zu historischen Themen (die eben auch mit einer bestimmten Euphorie, einem konkreten Ziel verfaßt worden sein kann). Ich fürchte eben nur, daß unser populäres Geschichtsbild heute immernoch dieser Prägung folgt...
 
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