Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen - seine Glaubwürdigkeit

Hinzu kommt, dass wir Cassius bei seinen letzten Büchern großteils gar nicht im Original vorliegen haben, sondern nur die Epitome von Johannes Xiphilinos.
Hier dann wieder Raveniks Einsatz: "Aber wir wissen ja gar nicht aus welche Quellen er das hat..."
Eigentlich lautet mein Einwand in etwa so: "Wir wissen doch gar nicht, ob Cassius Dio Sachen selbst erfunden oder nicht doch (heute verlorenen) Quellen entnommen hat."
Ich begreife nicht, wie man das angesichts des Umstands, dass der Großteil der antiken Literatur verloren ist, so einfach ausschließen kann: Von der Varusschlacht haben wir zwar nur einen Teaser bei Velleius, eine Schlachtfeldbegehungsbeschreibung bei Tacitus, einen verkorksten Bericht bei Florus und eine (einzige) echte Schlachtbeschreibung bei Cassius, während mutmaßlich Dutzende Werke, die die Varusschlacht behandelten, leider verloren sind (was in ihnen stand, wissen wir naturgemäß nicht), aber weil vom Unwetter und Segimers Beteiligung an der Verschwörung im Teaser und in der Schlachtfeldbeschreibung nichts steht, müssen sie von Cassius erfunden sein. ??????

(Ich glaube, es wird unterschätzt, wie viel an antiker Literatur wirklich verloren ist. Ich denke da etwa an Diogenes Laertios, der Biographien über etliche Philosophen verfasste. Am Ende der einzelnen Biographien erwähnt er in der Regel noch andere gleichnamige Autoren, mit denen die behandelten Philosophen nicht verwechselt werden sollten. Die meisten dieser anderen Autoren sind uns völlig unbekannt und werden nirgendwo sonst erwähnt.
Somit sollten wir wohl auch davon ausgehen, dass es neben den Historikern zur frühen Kaiserzeit, die uns wenigstens noch dem Namen nach bekannt sind, auch wenn ihre Werke verloren sind, noch etliche weitere gab, deren Namen sogar vergessen sind.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Man kann die Stelle so verstehen, dass er, bevor er ins Wasser fiel, sich zur Sicherheit seines Feldherrnmantels entledigt hatte. Nur wenn er das nicht getan hätte, wäre er fast ertrunken.
Das steht da so aber nicht.

Die Reihenfolge laut Text:
  1. Caesar fällt (mit anderen) ins Meer und ertrinkt beinahe
  2. Seine Kleidung macht ihn schwer, er wird beschossen.
  3. Er wirft die Kleidung ab, um nicht unterzugehen oder erkannt zu werden.
  4. Er schwimmt zu einem kleinen Boot.
  5. Dabei hält er die Dokumente mit seiner linken Hand über Wasser.

Das ist aber schon ziemlich abschätzig formuliert. Der Quellenwert seines ( soweit erhaltenen Geschichtswerks ist ja nun doch recht hoch.
Du hast ja selber gesagt, dass er bei der Darstellung älterer Sachverhalte Ananchronismen einbringt. Woher kommen diese, wenn er sich doch treu an seine älteren Vorlagen hält? Wenn Sueton seine Quelle für die Ereignisse im Hafen von Alexandria ist, dann verändert er Sueton. Caesar wird vom Springenden (aktiv) zum Stürzenden, in Suetons Variante spielt der Feldherrenmantel eine Rolle, weil Held Caesar ihn mit den Zähnen hinter sich her zieht, damit er den Feinden nicht in die Hände fällt und als Fahne der Schmach Caesar gehisst wird, in der Variante Cassius' spielt er eine Rolle, weil Caesar sich seiner entledigen muss, um a) schwimmen zu können und b) nicht von den Feinden als präferenziertes Ziel erkannt zu werden.

Und ich bitte noch einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass derselbe Quellentext mal mehr mal weniger glaubwürdig ist. Noch einmal: Ich habe diesen Thread damals "Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen" genannt, nicht "Verdammung von Cassius Dio in Bausch und Bogen". Ich brachte das Bsp. von Arnold von Harff, der in 99,9 % seines Textes absolut verlässlich ist. Aber da ist eben diese eine Stelle, die 0,1 % seines Textes ausmacht und die offensichtlicher Quatsch ist. Hier ändert sich aber auch gleichzeitig der Stil Arnolds.

Ich habe auch darauf hingewiesen, wie die Schlacht von Sagrajas/az-Zallaqa in den Quellen, je weiter diese sich vom Ereigns entfernen, ausgeschrieben wird. Wir haben zwei zeitgenössische Quellen: 'Abdallah in Buluggin berichtet nur von Streitigkeiten im muslimischen Lager zwischen den andalusischen Kleinkönigen, die der aus Marokko zur Hilfe gerufene Almoraviden-Emir Yusuf ibn Tashufin bitte (salomonisch) lösen soll. Über die Schlacht selbst berichtet er nichts. Ibn Bassam zitiert in seinem "Schatzkästlein", einer literaturhistorischen Quelle aus dem 12. Jhdt. über das 11. Jhdt. den in Reimprosa geschriebenen Brief eines Ministers aus Sevilla am Morgen nach der Schlacht, der noch nicht weiß, ob Alfonso gefallen ist oder überlebt hat. In den christlichen Quellen kommt die Schlacht so gut wie nicht vor. Lediglich in den Zweiten kastilischen Annalen wird sie in einem Satz erwähnt:

in era MCXXII die VI feria scilicet X kalendas nouembris in die sanctorum Seruandi et Germani fuit illa arrancada in Baduzo, idest Sacralias, et fuit uictus rex dompnus Adefonsus​
Im Jahr der Ära Hispanica 1122 (Ära Hispanica - 38 = AD, ergo 1086) am Freitag (sexta feira ist noch heute im Portugiesischen Freitag), nämlich den zehnten Kalenden des November (23. Oktober), am Tag der Heiligen Servandus und Cerman, war jenes Reißen (das ist ein iberoromansiches, kein lateinisches Wort) in Badajoz, das ist Sagrajas und es wurde der König Herr Alfons besiegt.​
Alfonso hat überlebt und hat wahrscheinlich bereits im Jahr darauf eine Burg im Territorium des Königreichs Sevilla mit Rittern bestückt und noch ein Jahr später die Burg Aledo/Halahet. Beide Burgen lagen tief in andalusischem Territorium. Also die Niederlage war heftig aber nicht nachhaltig.

Was passiert nun in den arabischen Quellen nach den zeitgenössischen?
Es wird eine Geschichte erzählt, die ziemlich empörend ist, von der aber die Zeitgenossen nichts wissen. Alfonso habe Yusuf vorgeschlagen, das Wochenende verstreichen zu lassen, bevor die Schlacht stattfände. Am Freitag, dem heiligen Tag der Muslime, und am Sonntag, dem heiligen Tag der Christen solle man nicht kämpfen. Natürlich greift Alfonso die Muslime am Freitag an. In einer dramatischen Variante der Erzählung überrennen die Christen das Lager der Truppen von Sevilla, bevor die Almoraviden den WIderstand organisieren. In einer anderen Variante (aus der den Almoraviden feindlich gesonnenen Almohadenzeit) wartet Yusuf - der natürlich geahnt hat, was Alfonso vorhat - mit seinen Truppen sogar extra, bis das Lager von Sevilla überrannt ist, bevor er in die Schlacht eingreift. In weiteren Varianten kommen dann noch die Juden und der Samstag hinzu. Weil der Freitag der heilige der Tag der Muslime sei, und der Samstag der heilige Tag der Juden und sich in beiden Heeren, dem muslimischen wie dem christlichen, Juden befänden, und der Sonntag der heilige Tag der Christen, solle die Schlacht also erst am Montag stattfinden.

Im Kern bleibt die Geschichte dieselbe: eine Schlacht zwischen dem kastilisch-leonesischen König Alfons VI. und dem vereinigten Heer der andalusischen Kleinkönige und marokkanischen Almoraviden (vier Jahre, bevor die die Macht in al-Andalus übernehmen), die für Alfonso eine heftige Niederlage wird, aber sie wird mit immer neuen Details angereichert, so ähnlich, wie die Hafenszene in Alexandria. Im Bellum Alexandrinum springt Caesar, voraussehend, dass sein Boot nicht ablegen kann, weil zu viele Leute, darunter auch Gegner, auf das Boot drängen ins Wasser, schwimmt zu den Schiffen und organisiert Hilfe. Bei Sueton wird diese Story angereichert durch die Staatspapiere. Bei Cassius Dio erfährt sie die Veränderung, dass Caesar nicht aktiv ins Wasser springt, sondern hineinfällt, sie wird dramatisiert - als wäre die Situation nicht Drama genug - dass Caesar fast ertrinkt, aber er entledigt sich seines Mantels und auch hier, nachdem er kurz zuvor noch beinahe ertrunken war, bringt er die Staatspapiere trocken über. Wieso die Staatspapiere in einem "Landungsboot" waren oder Caesar, der zuvor noch drei Kohorten aufgestellt hatte, um die Brücke zu sichern, Staatspapiere mit sich trug, ist völlig unklar.

Ich bin Griechisch sehr schwach auf der Brust, und wirklich intensiv quellenkritisch habe ich mich bei Cassius Dio vor allem mit den späten Büchern aus der Severerzeit und mit den "Räubergeschichten" beschäftigt, und meiner Meinung resultieren Unklarheiten oder Missverständliche Passagen vor allem daraus, dass er Griechisch schreibt und nicht Latein. Cassius Dio benutzt zwar viele Latinismen, aber ich denke, wenn er in Latein geschrieben hätte, wären nicht so große Interpretationsspielräume im Text. Cassius Dio schreibt, dass Bulla Felix gastfrei "technitai" bewirtete und bezahlte. Da ist fraglich, ob es sich um Handwerker oder Künstler handelte.
Wie gesagt: Dieselbe Quelle - siehe obiges Bsp. von Arnold von Harff - kann in ihrer Glaubwürdigkeit von Satz zu Satz unterschiedlich eingestuft werden müssen.


Eigentlich lautet mein Einwand in etwa so: "Wir wissen doch gar nicht, ob Cassius Dio Sachen selbst erfunden oder nicht doch (heute verlorenen) Quellen entnommen hat."
Und als Jurist weißt du, was Mutmaßungen sind und wie es um deren Beweiswert gestellt ist (ich weiß, dass das Elemente von einer ad personam-Argumentation beinhaltet, ich halte sie aber in diesem Fall für licit, weil sie dich ja nicht als Person angreift, sondern Parallelen zwischen Juristerei und Historisiererei aufzeigt). Lege artis würdest du Mutmaßungen als Jurist zurückweisen.

Von der Varusschlacht haben wir [....] eine (einzige) echte Schlachtbeschreibung bei Cassius,
Gibst du hier nicht implizit zu, was ich immer schreibe, nämlich dass an Cassius Dio nur festgehalten wird, weil er uns suggeriert uns endlich mal Details zu dem zu liefern, wovon wir anderswo nur dürftige Nachrichten erhalten (wobei ich es schon so sehe, dass die Schalchtfeldbegehung des Germanicus bei Tacitus durchaus zwei Ebenen hat)?

während mutmaßlich Dutzende Werke, die die Varusschlacht behandelten, leider verloren sind (was in ihnen stand, wissen wir naturgemäß nicht), aber weil vom Unwetter und Segimers Beteiligung an der Verschwörung im Teaser und in der Schlachtfeldbeschreibung nichts steht, müssen sie von Cassius erfunden sein. ??????
Merkste selbst, oder? Mutmaßliche Werke, in denen noch mutmaßlicher vielleicht etwas gestanden haben könnte...

Es wird immer so getan, als seien die Germanen schon wegen des Klimas den Römern gegenüber im Vorteil gewesen. Also ob die Römer nicht schon 20 Jahre in Germanien verbracht hätten, als ob es in Gallien klimatisch so anders gewesen wäre, also ob es in Italien keinen Herbst und Winter, keinen Regen, Wind und Schnee gegeben hätte... Von den Gesetzen der Physik befreite Legolas-Germanen gegen tollpatschige Römer aus Zucker - das ist die Opposition, die Cassius Dio uns auftischt.
 
Es wird immer so getan, als seien die Germanen schon wegen des Klimas den Römern gegenüber im Vorteil gewesen. Also ob die Römer nicht schon 20 Jahre in Germanien verbracht hätten, als ob es in Gallien klimatisch so anders gewesen wäre, also ob es in Italien keinen Herbst und Winter, keinen Regen, Wind und Schnee gegeben hätte...
Auch topographisch hatten die römischen Legionen ärgere Probleme bewältigt als in der Umgebung der Varusschlacht.
Der Sumpf/Urwald Topos scheint mir ein Notbehelf zur Begründung der Niederlage; mal ist es Varus' Unfähigkeit, mal Verrat*), mal widriges Klima nebst widriger Topographie - interessant ist, dass die antiken Autoren dergleichen verwendeten: offenbar vertrauten sie darauf, dass man ihnen das glaubte oder dass man das von ihnen erwartete.

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*) wobei auf Verrat hereinfallen auch Richtung Unfähigkeit geht
 
Auch topographisch hatten die römischen Legionen ärgere Probleme bewältigt als in der Umgebung der Varusschlacht.
Der Sumpf/Urwald Topos scheint mir ein Notbehelf zur Begründung der Niederlage; mal ist es Varus' Unfähigkeit, mal Verrat*), mal widriges Klima nebst widriger Topographie - interessant ist, dass die antiken Autoren dergleichen verwendeten: offenbar vertrauten sie darauf, dass man ihnen das glaubte oder dass man das von ihnen erwartete.
Ich denke, dass Wetter und Topographie die Niederlage narrativ dramatiseren und ausßerdem rationalisieren sollten. Es waren halt die Umstände.
 
Das steht da so aber nicht.

Die Reihenfolge laut Text:
  1. Caesar fällt (mit anderen) ins Meer und ertrinkt beinahe
  2. Seine Kleidung macht ihn schwer, er wird beschossen.
  3. Er wirft die Kleidung ab, um nicht unterzugehen oder erkannt zu werden.
  4. Er schwimmt zu einem kleinen Boot.
  5. Dabei hält er die Dokumente mit seiner linken Hand über Wasser.
In einer englischen Übersetzung heißt es:
He would have perished miserably, being weighted down by his robes and pelted by the Egyptians (for his garments, being of purple, offered a good mark), had he not thrown off his clothing and then succeeded in swimming out to where a skiff lay, which he boarded.

Man kann das meines Erachtens auch schon so verstehen, dass er den Mantel noch im Boot ausgezogen hat. Griechisch kann ich nicht mehr genug, um mir das Original anzusehen.

Warum ich mir das angeschaut habe: Ich denke, etwas auch für damalige Leser offensichtlich Unsinniges wird Cassius doch nicht geschrieben haben.
 
In einer englischen Übersetzung heißt es:
He would have perished miserably, being weighted down by his robes and pelted by the Egyptians (for his garments, being of purple, offered a good mark), had he not thrown off his clothing and then succeeded in swimming out to where a skiff lay, which he boarded.

Man kann das meines Erachtens auch schon so verstehen, dass er den Mantel noch im Boot ausgezogen hat. Griechisch kann ich nicht mehr genug, um mir das Original anzusehen.
Der Text setzt aber nicht da ein, wo du dein Zitat beginnst:

While the fugitives were forcing their way into these in crowds anywhere they could, Caesar and many others fell into the sea. He would have perished miserably, being weighted down by his robes and pelted by the Egyptians (for his garments, being of purple, offered a good mark), had he not thrown off his clothing and then succeeded in swimming out to where a skiff lay, which he boarded.
Also Caesar fiel ins Wasser. Erst dort warf er seine Kleidung ab und es gelang in zu einem Schiff (skiff? Nie gehört) zu schwimmen.
Dieselbe Szene noch mal in einer frz. ÜS:

Tandis que les fugitifs étaient forcés de trouver le chemin des navires dans la cohue comme ils le pouvaient, César et beaucoup d'autres tombèrent à la mer. Il aurait péri malheureusement, poussé vers le fonds à cause de sa robe longue et criblé par les Égyptiens (son vêtement de pourpre offrait une belle cible), s’il n’avait enlevé son vêtement et s’il n’avait pas réussi à nager jusqu’à une barque qui l’emmena.
 
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Warum ich mir das angeschaut habe: Ich denke, etwas auch für damalige Leser offensichtlich Unsinniges wird Cassius doch nicht geschrieben haben.
Also Caesar fällt nach Cassius Dio ins Wasser. Aus unerfindlichen Gründen hat er, mitten im Schlachgetümmel, die Staatspapiere in der Hand. Obwohl er ins Wasser fällt, ist er geistesgegenwärtig genug, die Staatspapiere trocken zu halten, sich seines Mantels zu entledigen und unter Beschuss erlaubt er sich den Luxus, nur einhändig zu schwimmen und die Staatspapiere zu retten.

Die Staatspapiere sind nicht Cassius' Erfindung, die befinden wir bereits bei Sueton, der mutmaßlich Cassius' Quelle ist. Aber immerhin, bei Sueton fällt Caesar nicht, sondern springt ins Wasser. Warum er mitten in der Schlacht plötzlich die Staatspapiere in der Hand hält, muss aber auch hier schleierhaft bleiben.
 
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Ich habe auch darauf hingewiesen, wie die Schlacht von Sagrajas/az-Zallaqa in den Quellen, je weiter diese sich vom Ereigns entfernen, ausgeschrieben wird.
Ich bezweifle, dass man die mittelalterliche Geschichtsschreibung wirklich mit der antiken vergleichen kann, einerseits was die Zugänglichkeit von (einer Vielzahl von) Quellen betrifft, andererseits was das Publikum betrifft. Cassius Dio musste von einem belesenen Publikum ausgehen, das sich bereits einigermaßen gründlich mit römischer Geschichte beschäftigt hatte.
Und als Jurist weißt du, was Mutmaßungen sind und wie es um deren Beweiswert gestellt ist (ich weiß, dass das Elemente von einer ad personam-Argumentation beinhaltet, ich halte sie aber in diesem Fall für licit, weil sie dich ja nicht als Person angreift, sondern Parallelen zwischen Juristerei und Historisiererei aufzeigt). Lege artis würdest du Mutmaßungen als Jurist zurückweisen.
Wenn wir streng juristische Maßstäbe anlegen, können wir 95% dessen, was wir über die Antike zu wissen meinen, vergessen. Sogar dass Caesar ermordet wurde, kann man streng juristisch nicht als erwiesen ansehen (geschweige denn die Täterschaft von Brutus, Cassius & Co.): Es gibt keine forensischen Beweise, und die literarischen Quellen, die großteils ohnehin nur Hörensagen wiedergeben, liegen uns nicht im Original vor, sondern wurden über 2000 Jahre lang immer wieder abgeschrieben, sodass ihre Authentizität anfechtbar ist.
Gibst du hier nicht implizit zu, was ich immer schreibe, nämlich dass an Cassius Dio nur festgehalten wird, weil er uns suggeriert uns endlich mal Details zu dem zu liefern, wovon wir anderswo nur dürftige Nachrichten erhalten (wobei ich es schon so sehe, dass die Schalchtfeldbegehung des Germanicus bei Tacitus durchaus zwei Ebenen hat)?
Dass Cassius Dio etwas "suggeriert", ist eine mutmaßende Unterstellung. An Cassius wird festgehalten, weil er den einzigen Schlachtbericht liefert, der auch nicht in Widerspruch zu Velleius und Tacitus steht (nur zu Florus). Natürlich ist es legitim, den Bericht zu hinterfragen, aber man sollte ihn nicht nur deswegen verwerfen, weil er erst 200 Jahre nach der Schlacht entstand und weil manche Details, wenn man sie bewusst ins Lächerliche verzerrt, als lächerlich abgestempelt werden können.
Merkste selbst, oder? Mutmaßliche Werke, in denen noch mutmaßlicher vielleicht etwas gestanden haben könnte...
Eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Hältst Du es für wahrscheinlich, dass alle Geschichtswerke, die zur frühen Kaiserzeit entstanden, die Varusschlacht aussparten?
Ich denke, dass Wetter und Topographie die Niederlage narrativ dramatiseren und ausßerdem rationalisieren sollten. Es waren halt die Umstände.
Noch einmal meine bereits öfter gestellte Frage:
Wenn es weder Wälder und Sümpfe noch Schlechtwetter gab, wie gelang es Arminius dann, Varus zu besiegen?

Man müsste dann statt von einem Hinterhalt von einer offenen Feldschlacht ausgehen. Aber selbst wenn man Cassius Dio verwirft, legt auch Tacitus' Schlachtfeldbeschreibung nahe, dass nicht die ganze Schlacht auf einem Fleck stattfand, sondern sich über eine längere Distanz erstreckte. Wie soll man sich das wieder vorstellen? Das römische Heer marschiert auf offenem Feld bei gutem Wetter, und nebenher laufen die Germanen und greifen immer wieder an, ohne dass die Römer Gegenmaßnahmen ergreifen wie den Einsatz der Reiterei? Ein derartiger Schlachtverlauf wär eigentlich nur denkbar, wenn die Germanen an Reiterei (am besten mit berittenen Bogenschützen) drückend überlegen waren, sodass sie die römische Reiterei ausschalten und dann mit ihren Reitern plänkeln, angreifen und sich zurückziehen konnten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bezweifle, dass man die mittelalterliche Geschichtsschreibung wirklich mit der antiken vergleichen kann, einerseits was die Zugänglichkeit von (einer Vielzahl von) Quellen betrifft, andererseits was das Publikum betrifft. Cassius Dio musste von einem belesenen Publikum ausgehen, das sich bereits einigermaßen gründlich mit römischer Geschichte beschäftigt hatte.
Da unterschätze mal nicht die Literalität im arabischen Raum im Mittelalter.

Wenn wir streng juristische Maßstäbe anlegen, können wir 95% dessen, was wir über die Antike zu wissen meinen, vergessen. Sogar dass Caesar ermordet wurde, kann man streng juristisch nicht als erwiesen ansehen (geschweige denn die Täterschaft von Brutus, Cassius & Co.): Es gibt keine forensischen Beweise, und die literarischen Quellen, die großteils ohnehin nur Hörensagen wiedergeben, liegen uns nicht im Original vor, sondern wurden über 2000 Jahre lang immer wieder abgeschrieben, sodass ihre Authentizität anfechtbar ist.
Moment, Moment! Du verschiebst gerade die Torpfosten, aber ganz erheblich. Du sprachst von mutmaßlichen Quellen und deren mutmaßlichen Inhalten und ich kritisierte genau dies. Jetzt willst du plötzlich das Kind mit dem Bade ausschütten und die tatsächlich überlieferten Quellen gleich ganz in Zweifel ziehen.

Dass Cassius Dio etwas "suggeriert", ist eine mutmaßende Unterstellung.
Mutmaßend, aber begründet: Anhand anderer Textstellen von Cassius Dio, die abweichend von seinen Quellen sind (Suteon, Caesar), anhand seiner Dramatisierungen, anhand physikalisch fragwürdiger Behauptungen (die jetzt alle wieder zu bagatellisieren versuchen wirst).


An Cassius wird festgehalten, weil er den einzigen Schlachtbericht liefert, der auch nicht in Widerspruch zu Velleius und Tacitus steht (nur zu Florus). Natürlich ist es legitim, den Bericht zu hinterfragen, aber man sollte ihn nicht nur deswegen verwerfen, weil er erst 200 Jahre nach der Schlacht entstand und weil manche Details, wenn man sie bewusst ins Lächerliche verzerrt, als lächerlich abgestempelt werden können.
Entschuldige, aber das, was ich über Cassius Varusschlachtbericht schreibe, stimmt doch. Es steht in dem Text, dass Germanen im dichtesten Sturm auf Römer schossen, während auf letztere Baumkronen niederstürzten, es steht in dem Text, dass die Römer gegeneinander und gegen Bäume liefen. Das kann man doch nicht wirklich ernst nehmen. Und es ist unwahr, dass ich Cassius Dio zu 100 % ablehnte, dass es sich bei der Varusschlacht um eine mehrtägige Marschschlacht handelte, akzeptiere ich und das ist nun mal auch Eigengut Cassius DIo. Aber man muss doch darauf hinweisen, dass Eigengut Cassius Dio Eigengut Cassius Dio ist und erstmals 200 Jahre nach der Varusschlacht in den Quellen auftaucht! Das zu ignorieren ist jedenfalls nicht lex artis.

Eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Hältst Du es für wahrscheinlich, dass alle Geschichtswerke, die zur frühen Kaiserzeit entstanden, die Varusschlacht aussparten?
Nein. Ich würde sehr gerne mal Cremutius Cordus lesen oder natürlich Aufidius Bassus und Plinius d. Ä.
 
Was denn sonst? Forstwirtschaftlich bewirtschaftete lichte Wälder? Gepflegte Haine?
Mutmaßend, aber begründet: Anhand anderer Textstellen von Cassius Dio, die abweichend von seinen Quellen sind (Suteon, Caesar), anhand seiner Dramatisierungen, anhand physikalisch fragwürdiger Behauptungen (die jetzt alle wieder zu bagatellisieren versuchen wirst).
Kannst Du mir eine antike Quelle nennen, die nicht an manchen Stellen von anderen abweicht, erwiesenermaßen Irrtümer enthält, irgendwo unglaubwürdig ist oder auf dramatische Effekte setzt?
(Ich bezweifle sogar, dass man moderne Sachbücher finden wird, die inhaltlich über alle Zweifel erhaben sind.)
Entschuldige, aber das, was ich über Cassius Varusschlachtbericht schreibe, stimmt doch. Es steht in dem Text, dass Germanen im dichtesten Sturm auf Römer schossen, während auf letztere Baumkronen niederstürzten, es steht in dem Text, dass die Römer gegeneinander und gegen Bäume liefen. Das kann man doch nicht wirklich ernst nehmen. Und es ist unwahr, dass ich Cassius Dio zu 100 % ablehnte, dass es sich bei der Varusschlacht um eine mehrtägige Marschschlacht handelte, akzeptiere ich und das ist nun mal auch Eigengut Cassius DIo. Aber man muss doch darauf hinweisen, dass Eigengut Cassius Dio Eigengut Cassius Dio ist und erstmals 200 Jahre nach der Varusschlacht in den Quellen auftaucht! Das zu ignorieren ist jedenfalls nichtlex artis.
Zumindest steht bei Cassius nichts von elfengleich und Legolas ...

Ich und andere haben schon zur Genüge darauf hingewiesen, dass die Germanen leichter gerüstet waren und wohl auch nicht in Ordnung zu marschieren versuchten, also leichter Hindernissen und schwierigen Stellen ausweichen konnten.
 
Was denn sonst? Forstwirtschaftlich bewirtschaftete lichte Wälder? Gepflegte Haine?
Wie wäre es mit stinknormalen Wald, voller Altwege (die gerne auf Höhenrücken verliefen), also irgendwo zwischen bewirtschaftet und Urwald (und dann und wann ein gepflegter Heiliger Hain a la Tacitus) --- zudem ist unwahrscheinlich, dass sich ein großes römisches Truppenaufgebot in undurchdringliche Urwälder dirigieren lässt.
 
Man sollte sich klar machen, dass das akzeptierte Minimum eines römischen Aufmarschweges die Breite eines Bohlenweges ist, wie wir sie in Norddeutschland und den Niederlanden aus jener Zeit kennen.
Und ich glaube beim besten Willen nicht, dass sich die Schlacht in einem Waldgebirge oder ähnlichem abgespielt hat.

Dieser Weg am Nordrand des Wiehengebirges ist definiert durch den Gegensatz zwischem ungünstigem hügeligem Gelände im Süden und sumpfigem Gelände im Norden.
Ein solcher Weg wird immer in lichtem Gelände sein, und immer eine gewisse Breite haben. Aber auch in einer Marschbreite von z.B. 8 Legionären kann er, bei ungünstiger Topographie, zur Mausefalle werden.

Aber: Die Römer waren keine Dummköpfe, sie werden nicht auf einen Trampelpfad geraten sein, never ever.
 
Das steht da so aber nicht.

Die Reihenfolge laut Text:
  1. Caesar fällt (mit anderen) ins Meer und ertrinkt beinahe
  2. Seine Kleidung macht ihn schwer, er wird beschossen.
  3. Er wirft die Kleidung ab, um nicht unterzugehen oder erkannt zu werden.
  4. Er schwimmt zu einem kleinen Boot.
  5. Dabei hält er die Dokumente mit seiner linken Hand über Wasser.


Du hast ja selber gesagt, dass er bei der Darstellung älterer Sachverhalte Ananchronismen einbringt. Woher kommen diese, wenn er sich doch treu an seine älteren Vorlagen hält? Wenn Sueton seine Quelle für die Ereignisse im Hafen von Alexandria ist, dann verändert er Sueton. Caesar wird vom Springenden (aktiv) zum Stürzenden, in Suetons Variante spielt der Feldherrenmantel eine Rolle, weil Held Caesar ihn mit den Zähnen hinter sich her zieht, damit er den Feinden nicht in die Hände fällt und als Fahne der Schmach Caesar gehisst wird, in der Variante Cassius' spielt er eine Rolle, weil Caesar sich seiner entledigen muss, um a) schwimmen zu können und b) nicht von den Feinden als präferenziertes Ziel erkannt zu werden.

Und ich bitte noch einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass derselbe Quellentext mal mehr mal weniger glaubwürdig ist. Noch einmal: Ich habe diesen Thread damals "Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen" genannt, nicht "Verdammung von Cassius Dio in Bausch und Bogen".

Es ist vielleicht angebracht, an dieser Stelle konkrete Beispiele zu bringen. Cassius Dio liebte dramatische Ausschmückung, und er ließ historische Persönlichkeiten in Reden gerne eigene Gedanken und Ideen aussprechen. In Band LII, 14 ff. Maecenas eine Art Regierungsprogramm entwickeln, das Züge der späteren Kaiserzeit vorwegnimmt, aber im Gegensatz zur Praxis der Severerzeit ganz besonders die Kompetenz und Stellung des Senats betont, die er aber real gar nicht mehr besaß. Cassius Dio lässt Maecenas da eine Art Regierungsprogramm entwerfen, das Cassius Dios eigene Ideal-Vorstellung, sozusagen eine Utopie, wiederspiegelt.
Und als Jurist weißt du, was Mutmaßungen sind und wie es um deren Beweiswert gestellt ist (ich weiß, dass das Elemente von einer ad personam-Argumentation beinhaltet, ich halte sie aber in diesem Fall für licit, weil sie dich ja nicht als Person angreift, sondern Parallelen zwischen Juristerei und Historisiererei aufzeigt). Lege artis würdest du Mutmaßungen als Jurist zurückweisen.


Gibst du hier nicht implizit zu, was ich immer schreibe, nämlich dass an Cassius Dio nur festgehalten wird, weil er uns suggeriert uns endlich mal Details zu dem zu liefern, wovon wir anderswo nur dürftige Nachrichten erhalten (wobei ich es schon so sehe, dass die Schalchtfeldbegehung des Germanicus bei Tacitus durchaus zwei Ebenen hat)?


Merkste selbst, oder? Mutmaßliche Werke, in denen noch mutmaßlicher vielleicht etwas gestanden haben könnte...

Sicher handelt es sich um Mutmaßungen, wenn man mit unbekannten, älteren Quellen argumentiert, von denen niemand genau weiß, welche das waren, welchen Inhalt sie hatten und ob sie überhaupt existierten.

Ich bin zwar nicht @Ravenik. Ich würde dann aber die Mutmaßungen wenigstens durch ein paar begründete Hypothesen füllen.

Cassius Dio war ein Vertreter der senatorischen Historiographie. Auffallend ist aber, dass sich sein Bild des Tiberius sich sehr stark von der extrem negativen Darstellung Tacitus und Suetons unterscheidet. R. Syme vermutete, dass Cassius Dios Tiberius-Bild weniger von Tacitus, als von früheren Autoren beeinflusst wurde (R. Syme, Tacitus Oxford 1958 S.271 ff., S. 688 ff.) Offensichtlich hat Cassius Dio nicht die gleichen Quellen benutzt wie Tacitus und Sueton oder hat sie zumindest sehr unterschiedlich bewertet.

S
 
Zur Geschichte vom schwimmenden Caesar:
Außer im „Bellum Alexandrinum“, bei Sueton und bei Cassius Dio findet sich die Geschichte auch in Plutarchs Caesar-Biographie (Kap. 49), deren Entstehung zeitlich vermutlich vor Sueton (und natürlich erst recht Cassius Dio) anzusetzen ist. Bei ihm gibt es auch schon die Papiere, die der schwimmende Caesar hält, aber noch keinen Feldherrenmantel. Auch bei Plutarch springt Caesar ins Wasser. Beschossen wird er im Schwimmen immerhin auch.
 
Für mich(k.A.)liest es sich so, als hätte Cassius sich Plutarch vorgenommen.Dies nur für mein Verständnis.
Aber es geht doch um Glaubwürdigkeiten. Wird diese denn erreicht, wenn der eine dies, der andere das erzählt?
Wird der Lauf der Geschichte verändert, wenn Caesar aus Versehen geschubst wird?
 
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