Ja, ich denke auch, daß die übergezogenen Dächer das markanteste Merkmal der chinesischen Architektur ist.
Werter Gegenkaiser, Cher M. Brissotin,
Zweifelsohne zählen geschweifte Dächer zu den Charakteristika der Chinoiserie-Architektur des Rococogartens frz. Typus´ wie auch des (nahezu zeitgleichen) sentimentalischen Gartens engl. Typus´. Dennoch sollte man hier nicht verallgemeinern. Das m. W. nach erste chinoise Gebäude war der1670 von LeVau innerhalb von Orangen-Kübelpflanzen errichtete und mit holländischen Fayencen verkleidete Trianon de Porcelain in Versailles, der jedoch schon bald wieder abgetragen werden mußte, da die blau-weiße Chinaware zitierenden Kacheln dem Frost nicht standhielten. Abgesehen von dem Prozellanschimmer, den dieser Bau verbreitet haben muß, war alles (inc. der Bedachung) klassisch französisch. Auch die von Effner in den 1710ern in Nymphenburg errichtete Pagodenburg weist über korinthischen Kolossalpilastern eine urspr. mit Urnen verzierte Attika auf – oberflächlich betrachtet eine ganz unexotische Gartenarchitektur. Dennoch zählt man beide Gebäude zu den Chinoiserien, zum einen:
wg. der chinois-holländischen ;-) Kacheln (weiß leider nix über die Innenraumdispo im 1. Trianon) zum andern:
aufgrund der exotischen Grundrißlösung (Pagodenbg=Oktogon mit 4 Annexen) und Innenausstattung (holländische Kacheln, chin. Tapeten, roter und schwarzer Lack-Lambris (d.h. Wandverkleidung z.T. unter Verwendung von Paravents chinesischer Provenienz).
Die frühen Chinoiserie-(Architekturen)n sind also noch sehr barock-klassizistisch. Erst im den Régence-Stil (dem J. Effner zuzuordnen ist) ablösenden, dem klassizistischen Barock antithetisch gegenübertretenden Rococo kommt es zu einer Auflösung des architektonischen Kanons. Statt klassischer Säulenordnung treten Palmstämme bzw. Palmstamm-Säulen (z.B. bei Friedrichs Teehaus i. Sanssouci) oder gar Ananas-Säulen (Veitshöchheim) auf, anstelle des Flach-oder Mansard-Daches treten geschweifte Zelt- oder Pagodendächer (z.B.Schl. Pillnitz b. Dresden, Bayreuth, Eremitage). Den exotischen Eindruck verstärkt i. d. R. auch noch die Farbfassung rot-grün, grün-gold, etc.
Bei all der Betrachtung des Architektonischen sollten wir, Messieurs, eines nicht außer Acht lassen. Wie M. Brissotin ausführte, umfaßt der Begriff ja nicht nur Gartenarchitekturen, sondern sowohl originale Import-Tapeten, -Lackwaren, -Porzellane, etc. sowie deren Fälschungen (v.a. Holland) und Imitationen (z.B. Böttgerporzellan) aus europäischer Fertigung. Dazu gesellen sich Meuble-Stücke wie auch ganze Innenraumausstattungen incl. Boiserien (z.B. Voltaire-Zimmer i. Sanssouci), Wandteppichen, Genre-Gemälde, Porzellansammlungen und so weiter.
Bei der Betrachtung des erweiterten Begriffes der Chinoiserie müssen wir gewahren, daß dem Besitzer solch teurer Luxus-Waren ein Prestige-Gewinn gegenüber Standesgenossen und Untertanen zukam. Auch die Aufstellung von Lackmeubles ist nicht uninteressant. In den von F. de Cuvilliès ausgestatteten Reichen Zimmern der Münchener Residenz dominieren in den rangmäßig untergeordneten Räumen Meubles aus deutscher Fertigung, die sich über französische Importe (Conférence-Zimmer) bis hin zu Lackmeubles steigern, welche erst in der Chambre de Parade zu finden sind. Dort allerdings reichlich (3 Kommoden, 2 Sécretaires)! In dem dem Parade-Schlafzimmer benachbarten Spiegelkabinett, welches neben dem Kurfürsten höchsten Gästen und Familienangehörigen zugänglich war, sind chinesische Porzellane (vor das Prestige verdoppelnden Wandspiegeln) aufgestellt und ein weiterer Lacksécretaire dient der Allerhöchsten Privat-correspondence.
Dann bliebe noch die Chinoiserie in der Musik. Aber da wäre unser Ramist im Bunde aufgefordert, von Purcells "Chinese woman and man" in "The Fairy Queen" über Rameaus "Indes galantes" bis zu Boismortiers "Air du Japonais" in seinem "Don Quichotte et la Duchesse" zu referieren. ;-)
Dem Außenstehenden, der ob der Schauplätze genannter Opern (antikes Griechenland, Kongo u.a., sowie Spanien) und der darin unvermutet auftretenden Exoten die Stirn düpiert runzelt, sei gesagt:
Ja mei, so is´s halt. Ohne glücklich lächelnde Chinesen gehts halt nicht!
Und abschließend: Japonesisch (à la japonais), Indisch/Indianisch (à l´indienne) und chinesisch (à la chinoise) sind doch ein und das Selbe! Lediglich der aufklärerische Ungeist und späterer geschmackloser Jahrhunderte hat daraus verschiedene Kulturkreise zu machen versucht. Darüber kann ich nur mein gepudertes Haupt schütteln ;-)
Ich verbleibe als Ihr getreuer Momus (der Rest-Romane)
PS 1: Die von seiner gegen-(pfui, es kann nur einen geben)kaiserlichen Majestät erwähnten übrigen (nichtchinoisen) früheren Staffage-Bauten wie antike (Vergils-Grab, römisches Theater, Saturn-Tempel), mittelalterliche Ruinen (Eremiten-Klausen) oder spätere Pittoresquen wie Bauerndörfer, Mosqueen oder chinesische Brücken etc. stehen im sentimentalischen Garten für bestimmte Gefühlswerte: (Vergangenheit, Einsamkeit, Schlichtheit, Ferne...)
PS 2: Der Blick der Hommes du bon goût auf Cathay, das Land der immer glücklich und zufrieden lächelnden Chinesen, ist ganz gut beschrieben in F. Wappenschmidts Büchern "Chinesische Tapeten für Europa" und "Der Traum von Arkadien" – Nachfagen, falls Interesse!
PS 3: Ist es eine Mär, daß die Zopfperücke wegen der Chinesen-Zöpfe aufkam? Ich vermute ja eher, daß die Commodité dahinter steckt, in dem man die Allonge einfach à la chasseur hinten zusammengebunden hatte, ehe sie sich mehr und mehr verkürzte, um im Puderbeutel zu verschwinden...
PS 4: Immer daran denken:
Man kann ohne chinesisches Porzellankabinett leben, man sollte es aber nicht müssen. Ich hab schon eins...
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