Der Vertrag von Shimonoseki bzw. der Erste Japanisch-Chinesische Krieg führten in Deutschland erstmals zu konkreten Planungen und Entscheidungen hinsichtlich eines deutschen Stützpunktes in China. Da das Reichsmarineamt und das Auswärtige Amt aber unterschiedliche Standorte für einen deutschen Stützpunkte favorisierten (Reichsmarineamt: Zhousan-Inseln vor Shanghai; Auswärtiges Amt: Jiaozhou-Bucht (Kiautschou), da Zhousan zum britischen Einflussgebiet gehörte), konnte die Frage der Festsetzung an der chinesischen Küste kurzfristig aufgrund amtlicher Umstimmigkeiten nicht weiterverfolgt werden.
Im amtlichen Verkehr Deutschlands wurden für die Erwerbung einer Kohlen- und Flottenstation in China im Zusammenhang mit dem Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg folgende Gründe angegeben:
Schreiben des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Friedrich von Hollmann, an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Adolf Marschall von Bieberstein am 17.04.1895
"[...]Der gegenwärtige Krieg hat in dieser Hinsicht ernste Erfahrungen an die Hand gegeben. Wiederholt hat unseren Schiffen die Kohlen- und Proviantversorgung große Schwierigkeiten bereitet, erstere war zeitweilig ganz unterbrochen; die Kohlenlieferungsverträge haben gekündigt werden müssen, weil die Lieferanten ihren Pflichten nicht nachkommen konnten; die Werft-Etablissements in China und Japan, auf deren bereitwillige Hilfe sonst zu rechnen war, versagten gänzlich, da vollauf mit ihren eigenen Schiffen beschäftigt.[...] In solchem Falle sind Flottenstationen geradezu eine Existenzbedingung für Schiffe. Wer nicht auf solche zurückgreifen kann, wird sich gezwungenermaßen aus den vom Kriege in Mitleidenschaft gezogenen Gebieten zurückziehen und damit seine Interessen zu einer Zeit preisgeben müssen, in der sie Schutzes am dringendsten bedürfen [...] Es genügt nicht, was eingewandt werden könnte, dass wir Handel und Schifffahrt gegen Schädigung europäischer Mächte schützen, wir müssen auch China und Japan gegenüber mächtig dastehen, und das ist nur zu erreichen, wenn wir dort festen Fuß fassen. Nur so kann dem Einfluss der konkurrierenden Mächte in den dortigen Gewässern mit Erfolg die Spitze geboten und die im Interesse unseres Nationalwohlstandes so notwendige Wechselwirkung zwischen Handel und Macht hergestellt werden. [...]"
	
		
	
	
		
		
			Gibt es denn noch Hinweise auf deutsche Begehrlichkeiten betr. Port Arthur bzw. den Text der zweiten Note?
		
		
	 
Soweit mir bekannt, existierten keine deutsche Begehrlichkeiten betreffend Port Arthur. Zur Diskussion standen nach meiner Kenntnis:
- Die Insel Zhousan (als nördlicher Stütpunkt) und die Insel Amoy mit Gulangshan (als südlicher Stützpunkt)
- Die Jiaozhou-Bucht (nördl.) und die Mirs-Bay [Dapengwan] (südl.)
- Die Montebello-Inseln [Jizhou] (nördl.) und die Pescadores [Penghuduo] (südl.)
Es waren also ursprünglich sogar zwei Stützpunkte geplant, da man der Meinung einer würde nicht genügen.
Deutschland hatte zwar (scheinbar) kein Interesse an Port Arthur, aber Russland, das 1898 Port Arthur erhielt, hatte mindestens bis August 1897 Interesse an der Jiaozhou-Bucht, wie Zar Nikolaus gegenüber Kaiser Wilhelm II. deutlich machte:
"[...] dass Russland sich solange Zutritt zur Jiaozhou-Bucht offenhalten wollte, bis ein besserer Hafen im Norden wie z.B. Pingjiang, gefunden worden sei." (2)
Im Gegensatz zu Russland, Frankreich und Deutschland gab England am 8. April zu erkennen, dass es keinen Grund zu einem Protest gegen Friedensvertrag von Shimonoseki sähe. Interessanterweise war es aber England, das unter dem Eindruck der überraschenden Kriegserfolge Japans ursprünglich die Idee einer Intervention geäußert hatte (im Oktober 1894). Diese kam aber nicht zustande, da Deutschland eine Beteiligung ablehnte. Zu diesem Zeitpunkt verfolgte Deutschland noch eine Neutralitätspolitik gegenüber Japan. Weiterhin rechnete man deutscherseits damit, dass aus einer solchen Aktion unter der Führung Englands für Deutschland keine konkreten Gegenleistungen resultieren würden.
(Leutner, Mechthild (Hrsg.): "Musterkolonie Kiautschou": Die Expansion des Deutschen Reiches in China, Berlin 1997, S. 61 ff. bzw. S. 84 ff.)
Interessant ist auch, dass die chinesische Seite die deutschen Absichten frühzeitig erkannte:
Schreiben des chinesischen Gesandten Xu Jingcheng an die Prinzen und Minister des Zongli Yamen (30.12.1895)
"Bitte um ein Antworttelegramm in einer heiklen Angelegenheit. Der Staatssekretär von Marschall lud mich zu einer Unterredung ein. Dabei führte er aus, dass Deutschland China bei der Zurückerlang der Liaodong-Halbinsel sehr geholfen habe und nun darum bitte, dass China seinerseits den deutschen Handelsinteressen Unterstützung zuteil werden lässt. [...] Außerdem wäre es äußerst ungünstig, dass die deutschen Schiffe in China über keinen Ankerplatz verfügen. Deshalb bitte man darum, China möge Deutschland pacht- oder leihweise eine Kohlestation überlassen. [...] Es ist zu befürchten, dass der Herr Staatssekretär weitergehende Pläne hat und auf die Angelegenheit noch ausführlicher zu sprechen kommen wird. Die Angelegenheit ist äußert heikel."
(ebenda, S. 89 f.)
China setzte als Antwort auf Selbstverstärkungsmaßnahmen, auch in der Jiaozhou-Bucht. Allerdings führten die Kriegsentschädigungen und der Verlust der Tarifautonomie zum chinesischen Haushaltsdefizit, wodurch die Selbstverstärkungs- und Modernisierungsmaßnahmen nicht umgesetzt werden konnten.
(ebenda S. 67 f.)
(2) ebenda, S. 102