So nun zur Inschrift. Schäfer liest al-labsit as-sillis, bzw. eigentlich al-labzit s.illîs. wobei der Artikel verloren gegangen sei und es daher as.-s.illîs. heißen müsse [soviel steht fest, wenn seine Lesart stimmen würde, müsste tatsächlich das s.illîs. mit einem Artikel versehen sein, was es nicht ist] Meine Interpretation von Schäferآللبست آلسلس
war also falsch, statt <sin> س
hätte <s.ad> ص
eingesetzt werden müssen: Schäfer liestآللبزت آلصليص
.
Aber rollen wir das ganze doch von vorne auf.
Schäfer berichtet, dass erstmals 1960 der in diesem Thread schon zitierte Antonio Beltran in ein "estudio arqueológico" auf die arabische Inschrift aufmerksam gemacht habe. Dann fügt er hinzu (S. 62):
Schäfer schrieb:
... wenig überzeugend waren die Lesarten und Deutungen der Inschrift; allzu sehr wurde dabei die Mühe bemerkbar, der Schrift auf jeden Fall einen christlichen Inhalt zu geben. [...] Die bei Oñate gesammelten Lesarten stellen eine derart starke Veränderung der vorhandenen Zeichen heraus, dass sie durchwegs zu verwerfen sind.[Verweis auf Endnote 111]
Wir werden am Ende dieses Beitrages auf diesen Vorwurf Schäfers zurückkommen und ihn gegen ihn wenden!
Aus der Endnote 111 (S. 120 f.)
Lesart Youssef al-Farkh: Almagd Limariam آلمغد لماريم
, nach Schäfer...
Schäfer schrieb:
...von vornherein unannehmbar, da sie Anfangs- und Endbuchstabe der zweiten Buchstabengruppe als Mîm
Schäfer schrieb:
liest; und das ist, im Hinblick auf die Gesamtgröße der Schrift und der ersten Buchstabengruppe, völlig unmöglich.
Direkt daran angeschlossen, immer noch Endnote 111:
Schäfer schrieb:
In zwei weiteren Punkten muss Oñate klar widersprochen werden: Erstens ist die Inschrift nicht plump, denn in den harten Stein lassen sich nur schwer elegante Rundstriche bringe; vielmehr ist die Schrift weitgehend stilisiert, viel zu sehr, um von einem Mozaraber, wie Oñate annehmen möchte, zu stammen.
Zu der Frage der Qualität der Inschrift meine ich, dass Oñate recht hat, wenn er meint, dass die Schrift plump ist. Die Härte des Steins kann kaum ein Kriterium dafür sein, wie schön oder unschön die Schrift ist, es gibt ausreichend Bsp. von in Stein gemeißelte arabische Inschriften – auch aus al-Andalus – dass dieses Argument Schäfers nicht zieht!
Die "mozarabische Argumentation" weder pro (Oñate) noch contra (Schäfer) vermag ich nicht nachzuvollziehen. Die Mozaraber waren zwar einheimische Christen unter der muslimischen Herrschaft und es ist belegt, dass sie bis ins 12. Jahrhundert einen romanischen Dialekt sprachen (eben das sogenannte Mozarabisch), aber ebenso ist belegt (ich vergesse immer, ob durch Alvarus oder Eulogius) dass die meisten Mozaraber seit dem frühen neunten Jahrhundert Arabisch sprachen und die Gelehrten es besser schrieben, als das Lateinische. Daher kann der Stil, plump oder filigran, kaum etwas über die Religionszugehörigkeit des Graveurs aussagen!
Dann kommt der Höhepunkt von Schäfers Aussagen:
Schäfer schrieb:
Die von Oñate in Betracht gezogenen Lesarten li-l-zahirati oder li-l-zahira sind ebenfalls auf erhebliche Eingriffe in das vorhandene Schriftbild angewiesen und haben keine Überzeugungskraft.
Auch hierauf werden wir später zurückkommen. (Oñate transkribiert die Grapheme, ich bevorzuge die Phoneme zu transkribieren, also
li-z-zahirati bzw.
li-z-zahira, das hängt mit den Sonnen und Mondbuchstaben zusammen. Bei Sonnenbuchstaben wird das <L> des arabischen Artikels durch den Anlaut des Wortes ersetzt, geschrieben wird aber immer <L>.
Dann zitiert Schäfer noch die Lesart von P. Lemoine: alrah.îm - آلرحيم
Zurück in den Text.
Schäfer geht davon aus, dass der Gral von Valencia mit dem Gral in Wolframs Gralslied identisch ist. Er legt das sehr ausführlich und durchaus glaubwürdig dar. Er habe also tatsächlich den Steinkelch mit der arabischen Inschrift gemeint, der heute in der Kathedrale von Valencia steht. Allerdings meint Schäfer auch, dass die von Wolfram erwähnten Personen alle existiert hätten:
Schäfer schrieb:
Die vermeintliche Fantasterei [sic! mit F] Wolframs zeugt von Quellentreue und stützt in hohem Maße den Anspruch des Dichters, er stehe der vollständigen und verlässlichsten Quelle näher, als Kristjan von Troyes.
Kîôt der meister wol bekant
ze Dôlêt [Toledo] verworfen ligen vant
in heidenscher schrifte
dirre âventiur gestifte.
der karakter â bê cê
muoste er hân gelernet ê
âne den list von nigrômanzî.
ez half daz im der touf was bî
anders wære diz mære noch unvernommen
...
Also unser mysteriöser Kîôt, nach Schäfer die realexistente Quelle für Wolframs Wissen, hat in Toledo die Geschichte ausgegraben [Moment – der Gral stand doch in San Juan de la Peña, wieso muss die Geschichte in Toledo ausgegraben werden!?!?!?!?!]
Das mit der Nigromanzie, also der schwarzen Kunst ist daher interessant, als dass unser „Abrakadabra“ (für Harry Potter-Fans „Avra Kadavra“ oder so ähnlich) vom
Allahu akbar ~ „Gott ist der Größte“ kommt.
Ergo, so verkürze ich jetzt Schäfers Argumentation, wenn Kiot, der des Arabischen mächtig ist, die Quelle für Wolframs "er heizet lapsit exillîs" ist, dann muss der Name des Steins, den Wolfram wiedergibt mit der arabischen Inschrift korrespondieren. Und hier beginnt Schäfers Zirkelschluss. Ich hatte darauf hingewiesen, dass ich auf zwei schon zitierte Passagen noch einmal zurückkäme:
Schäfer schrieb:
... wenig überzeugend waren die Lesarten und Deutungen der Inschrift; allzu sehr wurde dabei die Mühe bemerkbar, der Schrift auf jeden Fall einen christlichen Inhalt zu geben. [...] Die bei Oñate gesammelten Lesarten stellen eine derart starke Veränderung der vorhandenen Zeichen heraus, dass sie durchwegs zu verwerfen sind.
Schäfer schrieb:
Die von Oñate in Betracht gezogenen Lesarten li-l-zahirati oder li-l-zahira sind ebenfalls auf erhebliche Eingriffe in das vorhandene Schriftbild angewiesen und haben keine Überzeugungskraft.
Schäfer kritisiert die Eingriffe und Veränderung der vorhandenen Zeichen, er macht das, wie wir sehen werden, aber noch mehr und zwar in erheblich stärkerem Maße. Zudem wird bei ihm, der die Mühe der anderen bekundet hat, deutlich, dass er die Schrift nicht nach ihrem Aussehen interpretiert, sondern ihr Aussehen seiner Erwartungshaltung nach dem Wolframtext anpasst.
Er triumphiert sogar:
Schäfer schrieb:
Demnach: AL-LABSIT AS-SILÎS
Wolfram schreibt: LAPSIT EXILLÎS,
und es bleibt eigentlich nichts als das Staunen über die Genauigkeit der Umschrift, die sogar das lange i der letzten Silbe erhalten hat.
Statt anzunehmen, dass
lapsit exillis einfach ein verderbtes (Wolfram war des Lateinischen nicht mächtig
Lapis ex coelis, also 'Stein aus dem Himmel' ist, versucht er also zu beweisen, was auch ohne diesen letzten herbeigezwungenen 'Beweis' ziemlich glaubwürdig ist: dass der
Santo Cáliz mit dem
wolframschen Gral identisch ist. Die Verbindung zum letzten Abendmahl Jesu verweist schon auf den Himmel und im Text wird eine weiße Taube erwähnt, die Karfreitag vom Himmel herabsteigt, um eine Hostie auf den Gral zu legen:
ez ist hiute der karvrîtac,
daz man vür wâr dâ warten mac,
ein tûbe von himele swinget,
ûf den stein diu bringet
eine wîze oblât.
diu tûbe ist durchliuhtec blanc
ze himele tuot si widerwanc.
immer alle karvrîtage
bringt si ûf den stein, als ich iu sage,
...
Bezeichnend ist, dass Schäfer keine Erklärung für sein
labsit silîs bringen kann. Die Ausrede dafür ist ziemlich fadenscheinig (S. 63):
Schäfer schrieb:
Die Bedeutung von 'lapsit exillîs' oder 'labsit silîs' möchte ich hier dahinstehen lassen. Es sind so viele voreilige Konjekturen zu Wolframs Werk hervorgebracht worden, dass eine mehr nur das bisher Erarbeitete entwerten würde.
Edit: ich habe diesen Beitrag jetzt mehrmals editiert, trotzdem bekomme ich den unnötigen Hiatus zwischen Zitat 2 und 3 nicht weg. Bitte als einen Satz lesen!
InschriftGral1 ist die Wiedergabe Schäfers der Originalinschrift, vgl. Beitrag 203, dort ist die Originalinschrift! InschriftGral2 ist die von Schäfer seinen Überlegungen angepasste Inschrift. Unklarist,w raum etwa das <ta> so weit nach unten ziehen soll oder warum es eine Erbindung des <alif> zum <lam> gibt (alif wird normalerweise nicht nach links verbunden, deshalb liest auch Beltran "li-" ('für') und nicht 'al-' (Artikel)).